Leitsatz (amtlich)
›Zur Zulässigkeit der Vernehmung von Verhörspersonen nach Art. 6 MRK.‹
Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafe verurteilt. Mit der Revision rügt der Angeklagte, die Strafkammer habe entgegen 244 Abs. 2 StPO sich nicht um die Vernehmung der drei unmittelbar mit ihm in Kontakt getretenen Zeugen "Sascha", "Winfried" und dessen "Sozius" bemüht, sondern sich mit der Anhörung der polizeilichen Verhörspersonen begnügt. Die Revision sieht in dieser Verfahrensweise, durch die dem Angeklagten jede Möglichkeit zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Tatzeugen entzogen worden sei, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 d MRK.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts erklärte sich der Angeklagte gegenüber einem verdeckten Ermittler der belgischen Polizei, bei der er seit längerer Zeit im Verdacht des Kokainhandels stand, bereit, Kokain nach Stuttgart zu 1iefern. Die belgische Gendarmerie nahm daraufhin mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg Verbindung auf. Es wurde vereinbart, daß ein Mitarbeiter dieser Behörde gegenüber dem Angeklagten als Scheinaufkäufer auftreten solle. Nach Verhandlungen mit "Sascha", dem verdeckten Ermittler der belgischen Polizei, verbrachte der Angeklagte bei zwei Gelegenheiten zusammen etwa 750 g Kokain nach Deutschland, die er dem Scheinaufkäufer "Winfried" jeweils in Anwesenheit von "Sascha" übergab. Nach der zweiten Übergabe, bei der noch ein "Sozius" von "Winfried" zugegen war, wurde der Angeklagte festgenommen.
Der Angeklagte, der die Einfuhr des Kokains nach Deutschland einräumt, hat in der Hauptverhandlung behauptet, er sei lediglich als Transporteur des Rauschgifts tätig gewesen, woher der Stoff komme, wisse er nicht. "Sascha" habe ihm zunächst von sich aus ein Falschgeldgeschäft vorgeschlagen und ihn schließlich mit dem Transport von 100 g Kokain beauftragt, das ihm eines Tages in einer Tüte mit schriftlichen Anweisungen in das Auto geworfen worden sei. Das Geld hierfür habe nach der Lieferung "Sascha" eingesteckt; er selbst habe nichts bekommen.
Diese Einlassung sieht das Landgericht nach Anhörung des Leiters der verdeckten Ermittlung bei der Gendarmerie in Brüssel und des Dezernatsleiters der operativen Ermittlungsgruppe und des Sachbearbeiters bei dem Landeskriminalamt Stuttgart als widerlegt an.
Die Verfahrensweise des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
1. Soweit die Revision als Aufklärungsmangel geltend macht, bei einer Vernehmung der drei anonymen Polizeibeamten unter Einsatz optischer und akustischer Verfremdungsmaßnahmen hätte sich die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten ergeben, bestehen schon Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge, da die Revision nicht vorträgt, daß die verdeckten Ermittler zur Vernehmung unter diesen Umständen von ihrer obersten Dienstbehörde "freigegeben" worden wären. Jedenfalls liegt bei der gegebenen Beweislage kein Aufklärungsversäumnis darin, daß sich die Strafkammer mit der Vernehmung der Verhörspersonen begnügt hat. Entgegen der Meinung der Revision handelt es sich bei ihnen nicht lediglich um mittelbare Zeugen. Vor allem der Zeuge De R. von der belgischen Gendarmerie hat aus eigenem Wissen ausgesagt, er sei von seinem Mitarbeiter "Sascha" über die Kontakte mit dem Angeklagtem stets auf dem laufenden gehalten worden; zu den Verkaufstreffs in Stuttgart sei er zusammen mit "Sascha" selbst angereist und habe die Vorgänge bei der Übergabe des Rauschgifts aus der Nähe beobachtet (UA S. 9). Die Strafkammer brauchte sich daher nicht gedrängt sehen, auf eine Vernehmung der verdeckten Ermittler hinzuwirken, zumal die Aussichten auf deren "Freigabe" gering waren. Eine Vernehmung der anonymen Polizeibeamten hinter einer spanischen Wand unter Einsatz einer Stimmverzerrung, wie sie die Revision im Auge hat, wäre aus Rechtsgründen nicht möglich gewesen (BGHSt 32, 115, 124 [GS]). Bei der Vernehmung eines Zeugen gestattet das Gesetz im Rahmen des 68 StPO lediglich die Geheimhaltung der Personalien (vgl. Senatsurteil vom 5. April 1990, BGHSt 37, 1 ).
2. In der Verfahrensweise der Strafkammer liegt auch kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 d MRK, der dem Angeklagten das Recht garantiert, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Vernehmung von Verhörsbeamten über Angaben anonymer Gewährsleute als zulässig angesehen (BGHSt 17, 382; 33, 178; BGH NStZ 1982, 433; BGHR StPO 261 Zeuge 2) und darin keine Verletzung von Art. 6 MRK erblickt (BGHSt 17, 382, 388; vgl. auch BGH NStZ 1985, 376, 377).
Daran hat sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 20. November 1989 im Fall Kostovski (StV 1990, 481) nichts geändert.
Art. 6 Abs. 3 d MRK kann nicht betroffen sein, weil der Angeklagte nicht behauptet, von den dort garantierten Rechten abgeschnitten worden zu sein.
a) Das gilt zunächst für das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Belastungszeugen waren im vorliegenden Fall die Verhörspersonen (vgl. BGHSt 17, 382). In bezug auf sie macht die Revision nicht geltend, daß die Strafkammer dem Angeklagten das Fragerecht genommen habe. Ebensowenig trägt die Revision vor, es sei dem Angeklagten vom Tatgericht verwehrt worden, an die verdeckten Ermittler Fragen stellen zu lassen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob es sich bei den verdeckten Ermittlern - etwa im Unterschied zu den anonymen Informanten in dem vom EGMR entschiedenen Fall - überhaupt um Zeugen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 d MRK gehandelt hat.
b) Art. 6 Abs. 3 d MRK garantiert dem Angeklagten ferner das Recht, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Als Entlastungszeugen kamen hier die verdeckten Ermittler der Polizei in Betracht. Aber auch in bezug auf sie behauptet die Revision nicht, daß dem Angeklagten dieses Recht versagt worden sei. Sie trägt nicht vor, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Vernehmung der anonymen Polizeibeamten gestellt und die Strafkammer diesen Antrag abgelehnt hätte. Der vergebliche Versuch, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen zu erwirken, wäre aber Voraussetzung für eine Verletzung des in Art. 6 Abs. 3 d MRK gewährten Rechts.
3. Die Verfahrensweise des Landgerichts kann - als Ganzes betrachtet - auch nicht unter dem Gesichtspunkt des fair-trial-Grundsatzes (Art. 6 Abs. 1 MRK) beanstandet werden.
In der vorerwähnten Entscheidung vom 20. November 1989 hat der EGMR zwar ausgeführt, grundsätzlich müßten alle Beweise in Gegenwart des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung in Blickrichtung auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden. Damit hat er jedoch die Verwertung von anonymen Zeugenaussagen nicht allgemein für unzulässig gehalten, sondern nur dann, wenn die Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht gewahrt werden. In der Regel verlangen diese Rechte nach Auffassung des EGMR, daß der Angeklagte eine angemessene und geeignete Gelegenheit erhält, die Glaubwürdigkeit eines gegen ihn aussagenden Zeugen überhaupt in Frage zu stellen und ihn zu befragen. Diese Rechte sah der EGMR aufgrund der besonderen Umstände des Falles als nicht gewahrt an, unter anderem weil der Untersuchungsrichter nur eine der beiden anonymen Personen, deren Identität er nicht kannte, vernommen hatte, obwohl das Gericht der Verurteilung auch die polizeilichen Berichte über die Angaben des anderen Informanten zugrundegelegt hatte, die Vernehmung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft, des Angeklagten und des Verteidigers stattgefunden hatte und das Ausmaß der Fragen, die der Verteidiger an die anonymen Personen über den Untersuchungsrichter stellen durfte, beschränkt war.
Dem hier zu entscheidenden Fall liegt dagegen ein anderer Sachverhalt zugrunde. Im Gegensatz zu dem vom EGMR entschiedenen Fall waren die Informanten hier Polizeibeamte, die als verdeckte Ermittler ihr unmittelbares Wissen von den Tatvorgängen in dienstlicher Eigenschaft und in dienstlichem Auftrag gewonnen hatten. Bei ihnen besteht schon allgemein eine wesentlich größere Gewähr für die Zuverlässigkeit ihrer Angaben als bei sonstigen Informanten. Die Gefahr, daß der Angeklagte das Opfer ungerechtfertigter Verdächtigungen oder persönlicher Feindschaft wird, ist bei dieser Sachlage im wesentlichen ausgeschaltet. Diese Gefahr war hier weiter dadurch verringert, daß Behörden verschiedener Länder mit Hilfe verdeckter Ermittler zusammenwirkten. Die verdeckten Ermittler waren überdies in ständiger Absprache mit ihren Dienststellen tätig und unterrichteten diese laufend über die maßgeblichen Vorgänge. Der als Zeuge vernommene Leiter der belgischen verdeckten Ermittlung war, wie bemerkt, sogar zu den Verkaufstreffs in Stuttgart zusammen mit dem Ermittler seiner Behörde eingereist und hat die Vorgänge "aus der Nähe beobachten können".
Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, daß die Rechte der Verteidigung durch die Vernehmung der Verhörspersonen in unangemessener Weise beschränkt worden sind. Abgesehen von dem allgemeinen Hinweis auf die fehlende Möglichkeit zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der verdeckten Ermittler legt auch die Revision nicht dar, welche rechtlich zulässigen Maßnahmen hier konkret in Betracht gekommen wären.
Die allgemein erhobene Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.
Fundstellen
Haufe-Index 2993059 |
NJW 1991, 646 |
DRsp IV(456)152a-b |
NStZ 1991, 194 |
wistra 1991, 149 |
MDR 1991, 271 |
StV 1991, 100 |