Leitsatz (amtlich)
Entsteht nach zwei zeitlich einander folgenden selbständigen Unfällen ein Dauerschaden des Verletzten, haftet der Erstschädiger mangels abgrenzbarer Schadensteile grundsätzlich auch dann für den Dauerschaden, wenn die Folgen des Erstunfalls erst durch den Zweitunfall zum Dauerschaden verstärkt worden sind.
Der Zweitschädiger haftet für den Dauerschaden mangels abgrenzbarer Schadensteile schon dann, wenn der Zweitunfall lediglich mitursächlich für den Dauerschaden ist.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG München II |
OLG München |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 14. Dezember 1999 unter Zurückweisung der weitergehenden Revision wie folgt abgeändert:
Die Klage bleibt abgewiesen, soweit die Klägerin vom Beklagten zu 3 die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung seiner Ersatzpflicht für sämtliche weiteren immateriellen Schäden begehrt.
Im übrigen wird das Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schadensersatz aufgrund zweier Verkehrsunfälle vom 2. August 1987 in F. und 5. August 1988 in M.. Beim ersten Unfall war der Beklagte zu 1 Fahrer und Halter des gegnerischen Fahrzeuges, dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte zu 2 war, beim zweiten Unfall war der Beklagte zu 3 Halter, die Beklagte zu 4 Haftpflichtversicherer.
Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach sowie ein Verschulden der Fahrer der gegnerischen Fahrzeuge ist außer Streit. Die Parteien streiten darüber, welche der von der Klägerin geltend gemachten Schäden Unfallfolgen und auf welchen der Unfälle sie zurückzuführen sind. Die Beklagte zu 2 zahlte vorprozessual 6.000,00 DM an die Klägerin. Die Klägerin nimmt alle Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden in Anspruch.
Das Landgericht hat die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 60.000,00 DM zu zahlen. Wegen der geltend gemachten materiellen Schäden und der begehrten Feststellung der Ersatzpflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden hat es die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Auf die Berufungen der Beklagten hat es die Klage insgesamt abgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Klägerin beim ersten Unfall ein HWS-Schleudertrauma erlitt und auch beim zweiten Unfall verletzt wurde. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einholung von Sachverständigengutachten bleibe aber offen, ob der zweite Unfall entweder keinen Einfluß auf den vom Sachverständigen festgestellten Körperschaden der Klägerin gehabt oder gerade erst zu der Schwere der Verletzung geführt habe, weil die Erstunfallfolge ohne das zweite Ereignis vollständig hätte ausheilen können. Die Klägerin habe deshalb weder nachgewiesen, daß die Folgen ausschließlich auf den Erstunfall und nicht auf den Zweitunfall zurückzuführen seien, noch, daß sie ausschließlich dem Beklagten zu 3 aufgrund des zweiten Unfalls zuzurechnen seien.
Bei dieser Situation helfe auch die Beweiserleichterung des § 287 ZPO der Klägerin nicht, da nicht auf gesicherter Grundlage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, daß die geltend gemachten Folgeschäden auf das erste oder auf das zweite Unfallereignis zurückzuführen seien. Auch eine Haftung nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB komme nicht in Betracht, da es an einer Beteiligung der mehreren Schädiger im Rahmen eines einheitlichen Ereignisses fehle. Soweit schließlich Ansprüche gegen die Beklagten zu 1 und 2 für Schäden aus der Zeit vom 2. August 1987 bis zum 5. August 1988 in Betracht kämen, seien diese jedenfalls durch die bereits gezahlten 6.000,00 DM abgegolten.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die vom Berufungsgericht bisher getroffenen Feststellungen gestatten es nicht, eine Haftung der Beklagten zu 1 und 2 für den vom Sachverständigen Prof. Dr. H. festgestellten Körperschaden der Klägerin (rezidivierende Blockierungen der oberen Halswirbelsäule mit einer dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % aus orthopädischer Sicht) zu verneinen. Es legt seiner Entscheidung rechtsfehlerhaft einen zu geringen Umfang der haftungsrechtlichen Kausalität zugrunde.
a) Ein Anspruch aus §§ 823, 847 BGB, 7, 18 StVG, 3 PflVersG gegen die Beklagten zu 1 und 2 setzt zunächst voraus, daß der Körper der Klägerin beim Unfall am 2. August 1987 verletzt worden ist. Das ist schon deshalb zu bejahen, weil die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei diesem ersten Unfall ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat.
b) Ob die vom Berufungsgericht als bewiesen angesehenen rezidivierenden Blockierungen mit Dauerfolgen aus orthopädischer Sicht auf dieser Verletzung beruhen, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität und daher nach § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen. Das Berufungsgericht verkennt, daß dieser Ursachenzusammenhang nach seinen eigenen Feststellungen nicht in Zweifel gezogen werden kann. Die Beklagten zu 1 und 2 haften nicht nur dann, wenn die Folgen ausschließlich auf den Erstunfall zurückzuführen sind. Falls – was das Berufungsgericht nicht auszuschließen vermag – erst der zweite Unfall zu der Schwere der (jetzt noch verbliebenen) Verletzung geführt haben sollte, sind dennoch die Beklagten zu 1 und 2 hierfür mitverantwortlich. Die haftungsausfüllende Kausalität entfällt nicht schon dann, wenn ein weiteres Ereignis mitursächlich für den endgültigen Schaden geworden ist (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 1999 – VI ZR 374/97 – VersR 1999, 862; vom 11. November 1997 – VI ZR 146/96 – VersR 1998, 200; vom 5. November 1996 – VI ZR 275/95 – VersR 1997, 122). Ausschlaggebend ist deshalb nicht, ob die Verletzung des ersten Unfalls ohne den zweiten Unfall (möglicherweise) vollständig hätte ausheilen können. Entscheidend ist vielmehr, ob die Verletzungsfolgen des Erstunfalles im Zeitpunkt des zweiten Unfalles bereits ausgeheilt waren und deshalb der zweite Unfall allein zu den nunmehr vorhandenen Schäden geführt hat, oder ob sie noch nicht ausgeheilt waren. Das Berufungsgericht ist ersichtlich von letzterem ausgegangen, wenn es (dem orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. H. folgend) nicht ausschließen kann, daß die „Erstunfallfolge” ohne den zweiten Unfall vollständig hätte ausheilen können. Bei dieser Betrachtungsweise waren zum Zeitpunkt des zweiten Unfalls jedenfalls noch Folgen des ersten Ereignisses vorhanden, die nun (möglicherweise) verstärkt wurden und eine besondere Schwere erhielten. Die damit mindestens gegebene Mitursächlichkeit der beim ersten Unfall erlittenen Verletzungen für die heutigen dauerhaften Folgen genügt für eine Bejahung der Kausalität (vgl. auch Senatsurteil vom 22. Oktober 1963 – VI ZR 187/62 – VersR 1964, 49, 51).
Die Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. H., der Zweitunfall habe die Verletzung des Erstunfalls möglicherweise „richtungsgebend verstärkt”, auf die sich das Berufungsgericht wesentlich stützt, vermag die Kausalität des ersten Unfalls nicht in Frage zu stellen. Diese aus dem Sozialversicherungsrecht (vgl. z.B. BSGE 6, 87; 6, 192; BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 V 11/98 R – SozR 3-3100 § 10 Nr. 6) stammende Formulierung gibt für die Beurteilung der für die zivilrechtliche Haftung notwendigen Ursächlichkeit im naturwissenschaftlichen und logischen Sinn nichts her (vgl. Senatsurteil BGHZ 132, 341, 347).
c) Es gibt auch keine Veranlassung, etwa am haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang zu zweifeln. Dieser kann zwar in Ausnahmefällen unterbrochen sein, wenn sich bei wertender Betrachtung im Zweiteingriff nicht mehr das Schadensrisiko des Ersteingriffs verwirklicht hat, vielmehr dieses Risiko schon gänzlich abgeklungen war und deshalb zwischen beiden Eingriffen nur ein „äußerlicher”, gleichsam „zufälliger” Zusammenhang besteht, so daß vom Erstschädiger billigerweise nicht verlangt werden kann, dem Geschädigten auch für die Folgen des Zweiteingriffs einstehen zu müssen (vgl. Senatsurteile vom 20. September 1988 – VI ZR 37/88 – VersR 1988, 1273 f.; vom 28. Januar 1992 – VI ZR 129/91 – VersR 1992, 498 f. und vom 10. Dezember 1996 – VI ZR 14/96 – VersR 1997, 458; jeweils m.w.N.). Davon kann jedoch keine Rede sein, wenn der erste Unfall noch eine Schadensanfälligkeit hinterlassen hat, auf die die zweite Verletzungshandlung trifft, mag auch erst letztere zu einer besonderen Schwere der Gesundheitsbeschädigung führen.
d) Schließlich bleibt die Gegenrüge der Beklagten zu 1 und 2 ohne Erfolg, mit der sie geltend machen, die Feststellungen des Berufungsgerichts zur (Mit-)Ursächlichkeit des HWS-Schleudertraumas für den noch vorhandenen Gesundheitsschaden seien nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden. Sie legen keine Umstände dar, nach denen das Berufungsgericht gehalten gewesen wäre, den Sachverständigen Prof. Dr. H. zur Erläuterung seiner schriftlichen Gutachten (§ 411 Abs. 3 ZPO) zu laden. Insbesondere ist nicht dargetan, daß dies zur Beseitigung von Zweifeln und Unklarheiten des Gutachtens geboten gewesen wäre (vgl. etwa Senatsurteil vom 10. Dezember 1991 – VI ZR 234/90 – VersR 1992, 722 = NJW 1992, 1459). Die Revisionserwiderung setzt lediglich ihre eigene medizinische Würdigung an die Stelle der Wertungen des Sachverständigen und des Berufungsgerichts; sie zeigt nicht auf, daß nach den schriftlichen Gutachten weiterer Aufklärungsbedarf bestand, dem das Berufungsgericht hätte nachgehen müssen.
2. Auch die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten zu 3 und 4 verneint hat, begegnet durchgreifenden Bedenken.
a) Richtig ist zwar, daß ein Anspruch gegen die Beklagten zu 3 und 4 nicht bestehen kann, falls der zweite Unfall keinen Einfluß auf den vom Sachverständigen festgestellten Körperschaden der Klägerin gehabt hat, was das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für möglich hält.
b) Andererseits sieht sich das Berufungsgericht an einer Verurteilung der Beklagten zu 3 und 4 (nur) deshalb gehindert, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß die 20%ige Erwerbsminderung auf einer „ausschließlich” dem Beklagten zu 3 „zurechenbaren Verursachung” beruhe. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht auch hier – ebenso wie hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 2 – verkannt hat, daß mangels abgrenzbarer Schadensteile (vgl. hierzu OLG Hamm VersR 1996, 1371 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. März 1996 – VI ZR 244/95) jede Mitursächlichkeit zu einer Haftung für den ganzen Schaden ausreichen und zu einer gesamtschuldnerischen Haftung mit den Beklagten zu 1 und 2 nach § 840 Abs. 1 BGB führen würde. Unschädlich wäre es auch, wenn die Verletzungshandlung auf eine besondere Schadensanfälligkeit der Klägerin getroffen wäre (vgl. Senatsurteile vom 22. Oktober 1963 aaO; BGHZ 132, 341, 345; vom 5. November 1996 aaO; vom 11. November 1997 aaO). Im Rahmen des auch hier maßgeblichen § 287 ZPO ist keine sichere Gewißheit im Sinne einer vollen Überzeugung des Gerichts für eine Mitursächlichkeit der durch den zweiten Unfall erlittenen Verletzung der Klägerin für den heute noch vorliegenden Dauerschaden erforderlich. Eine Haftung der Beklagten zu 3 und 4 scheitert daher nicht zwingend, wenn – wie hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts – lediglich nicht auszuschließen ist, daß allein der erste Unfall die geklagten Folgen herbeigeführt hat. Das Berufungsgericht wird deshalb unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erneut zu prüfen haben, ob es mit der nach § 287 Abs. 1 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen kann, daß die Verletzung der Klägerin beim zweiten Unfall zumindest mitursächlich für den festgestellten Dauerschaden war.
3. Erfolglos muß die Revision dagegen bleiben, soweit die Klägerin auch vom Beklagten zu 3 Ersatz ihres immateriellen Schadens begehrt. Die Klage ist insoweit schon nach ihrem eigenen Vorbringen unbegründet. Der Beklagte zu 3 wird nur als Halter des gegnerischen Fahrzeugs beim zweiten Unfall in Anspruch genommen. Er haftet damit allenfalls nach §§ 7, 11 StVG auf Ersatz materiellen Schadens. Die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes kommt nach bislang geltendem Recht nicht in Betracht (§ 253 BGB).
III.
Im dargestellten Umfang war daher das klageabweisende Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß eine Haftung der Beklagten zu 3 und 4 für vor dem 5. August 1988 entstandene Schäden – entgegen den pauschalen Klageanträgen, die insoweit gegebenenfalls noch konkretisiert werden können – ausgeschlossen ist. Es wird zudem prüfen müssen, inwieweit die geltend gemachten Schadenspositionen deshalb nicht berechtigt sind, weil die Klägerin – wovon das Berufungsgericht offenbar ausgeht – unfallunabhängig beruflich nicht belastbar ist.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Greiner, Wellner, Pauge, Stöhr
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.11.2001 durch Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 666310 |
NJW 2002, 504 |
BGHR 2002, 194 |
EBE/BGH 2002, 11 |
NJW-RR 2002, 527 |
JurBüro 2002, 330 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2002, 74 |
MDR 2002, 215 |
NZV 2002, 113 |
VRS 2002, 1 |
VersR 2002, 200 |
ZfS 2002, 121 |
PVR 2002, 223 |