Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 20.12.2002) |
Tenor
I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 20. Dezember 2002
- in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß bei den Angeklagten K. und R. die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer und bei dem Angeklagten G. die Verurteilung wegen Beihilfe hierzu entfällt,
- in den Strafaussprüchen mit den Feststellungen, ausgenommen denjenigen zur Schuldfähigkeit, aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagten K. und R. jeweils des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub, gefährlicher Körperverletzung und Aussetzung für schuldig befunden und gegen den Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten sowie gegen den Angeklagten R. eine solche von vier Jahren und sechs Monaten verhängt. Den Angeklagten G. hat es der Beihilfe zum räuberischen Angriff auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Beihilfe zum Raub, zur gefährlichen Körperverletzung und zur Aussetzung für schuldig befunden und ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Die Rechtsmittel der Angeklagten führen zum Wegfall ihrer Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer bzw. der Beihilfe hierzu und zur Aufhebung der Strafaussprüche; im übrigen sind sie unbegründet.
I.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Am Abend des 1. Februar 2002 hielten sich die drei Angeklagten und das spätere Tatopfer, Danilo S., in der Gaststätte „C.” in Freital auf. K. bemerkte, daß der ihm flüchtig bekannte S. über einen größeren Geldbetrag verfügte. Er teilte dies dem Angeklagten R. mit, worauf beide Angeklagten den Entschluß faßten, den stark angetrunkenen S. unter Hinzuziehung des Angeklagten G. in dessen Pkw unter dem Vorwand, ihn nach Hause bringen zu wollen, an einen entlegenen Ort zu verbringen, um ihm dort das Bargeld unter Anwendung von Gewalt wegzunehmen. G., der in diesen Plan zunächst nicht eingeweiht war, erklärte sich einverstanden. Nachdem S. hinter dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, betätigte der Angeklagte K. die Kindersicherung der betreffenden hinteren rechten Fahrzeugtür, um S. am Aussteigen und an einer möglichen Flucht zu hindern. Während der Fahrt erfuhr der Angeklagte G. von dem Tatplan. „Er erklärte sich damit einverstanden, den von ihm geführten Pkw an einen entlegenen und dunklen Ort außerhalb des bewohnten Gebietes zu steuern, wo für Danilo S. keinerlei Möglichkeit bestand, Hilfe von anderen Personen zu erhalten und gleichzeitig die Wegnahme des Geldes durch die beiden anderen Angeklagten ohne die Gefahr der Entdeckung durchgeführt werden konnte”. Am Ende einer befestigten Straße hielt G. den Pkw an. K. öffnete die hintere rechte Fahrzeugtür, so daß auch S. aussteigen konnte. K. und R. schlugen sodann auf das zu Boden gebrachte Tatopfer ein. K. nahm ihm das Bargeld in Höhe von ca. 300 EUR ab. G., der die Tätlichkeiten der beiden Mitangeklagten wahrnahm, wendete mittlerweile den Pkw, um die Mitangeklagten wieder aufzunehmen. Anschließend fuhren die Angeklagten mit dem Pkw zurück zum Lokal, wobei sie den verletzten und vorübergehend bewußtlosen S. bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt am Tatort liegen ließen.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht ohne Rechtsfehler die Angeklagten K. und R. des gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Aussetzung und den Angeklagten G. der Beihilfe hierzu für schuldig befunden. Dagegen haben die Schuldsprüche keinen Bestand, soweit das Landgericht die Angeklagten auch wegen Beteiligung an einem räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer nach § 316 a StGB verurteilt hat.
a) Allerdings wäre die den Schuldsprüchen nach § 316 a StGB zugrundeliegende Rechtsauffassung des Landgerichts vom Standpunkt der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu beanstanden. So hat der erkennende Senat schon in der Entscheidung in BGHSt 13, 27 ff. in einem gleich gelagerten Fall die Verurteilung des Täters nach § 316 a StGB a.F. ausdrücklich bestätigt. Für die Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs müsse sich zwar auch das sich gegen einen Mitfahrer richtende räuberische Unternehmen „die Fortbewegung des Kraftfahrzeuges und die dadurch geschaffene erhöhte Gefahrenlage zunutze machen, um auf Fahrer oder Mitfahrer an einer dazu geeigneten Stelle den in § 316 a StGB bezeichneten Angriff zu machen” (BGHSt aaO 30). Auch sei die Vorschrift nicht anwendbar, wenn das Fahrzeug nur als Beförderungsmittel zum Tatort benutzt werde, dieser aber zu dem Verkehr selbst keine ihm wesenseigene Beziehung habe. In Fällen hingegen, in denen ein Insasse des Kraftfahrzeugs an eine einsame Stelle gelockt, dort zum Aussteigen veranlaßt und unter Ausnutzung eines solchen Erfolges der Beförderung alsbald überfallen werde, realisiere sich die aus dem Kraftfahrzeugverkehr ergebende Gefahr der von § 316 a StGB erfaßten Art (BGHSt aaO S. 30).
b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht länger fest. Wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Strafsache 4 StR 150/03 (zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) im einzelnen dargelegt hat, erachtet er – auch im Hinblick auf die Änderung des § 316 a StGB durch das 6. StrRG (BGBl 1998 I 164) – eine enger als bisher am Schutzzweck und den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 316 a StGB orientierte Auslegung für geboten.
Entscheidungsgründe
II.
Danach setzt der Tatbestand des § 316 a StGB nach seinem Wortlaut eine zeitliche Verknüpfung dergestalt voraus, daß im Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, das Tatopfer (noch) „Führer” oder „Mitfahrer” eines Kraftfahrzeugs ist. Daran fehlt es hier: Solange der Geschädigte Mitfahrer war, haben die Angeklagten K. und R. ihn nicht angegriffen; als die Täter nach dem Aussteigen aus dem Pkw mit dem räuberischen Überfall begannen, war der Geschädigte aber nicht mehr Mitfahrer.
1. Der Geschädigte S. war, als er von den Angeklagten unter Verdeckung ihrer räuberischen Absicht veranlaßt wurde, im Pkw mitzufahren, nach Antritt der Fahrt Mitfahrer im Sinne des § 316 a StGB und damit grundsätzlich taugliches Tatopfer eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer. Solange er sich im Fahrzeug befand, haben die Angeklagten aber keinen tatbestandsmäßigen Angriff auf ihn verübt. In Betracht käme hier allein ein Angriff auf seine Entschlußfreiheit. Für einen solchen Angriff fehlt es aber an den begrifflichen Voraussetzungen:
a) Einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlußfreiheit verübt, wer in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine objektiv gegen die Entschlußfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung braucht es dagegen nicht erkannt zu haben. Danach kann bloße List oder Täuschung grundsätzlich noch nicht als Angriff auf die Entschlußfreiheit angesehen werden. Deshalb stellt nach Auffassung des Senats – insoweit unter Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung – der bloße Fahrtantritt mit Raubabsicht ebenso wie die täuschende Angabe eines vermeintlichen Fahrziels oder -zwecks – hier das unter Täuschung erlangte Einverständnis des S., sich von den Angeklagten im Pkw nach Hause bringen zu lassen – noch kein „Verüben eines Angriffs” dar. Vielmehr handelt es sich dabei regelmäßig um ein nach der Vorstellung des Täters den Angriff vorbereitendes Geschehen, das jedenfalls nach der Neufassung des § 316 a StGB durch das 6. StrRG für die Vollendung des Tatbestandes nicht mehr genügt. Ein Angriff auf die Entschlußfreiheit ergibt sich hier auch nicht aus dem Umstand, daß sich der Wille des Geschädigten auf eine Fahrt zu seiner Wohnung bezog, während die Angeklagten ihn an den entlegenen Tatort brachten. Denn solange der Geschädigte keinen entgegenstehenden Willen gebildet hatte, beruhte auch das Mitfahren zu einem anderen als dem angegebenen Fahrtziel (noch) auf der Täuschung.
b) Die Angeklagten haben auch nicht dadurch einen (vollendeten) „Angriff auf die Entschlußfreiheit” des Geschädigten verübt, daß der Angeklagte K. gleich nach dem Einsteigen in den Pkw die Kindersicherung „aktivierte” und es hierbei bis zum Anhalten am Tatort beließ. Zwar hat das Landgericht festgestellt, daß der Angeklagte damit bezweckte, den Geschädigten „am Aussteigen und einer möglichen Flucht zu hindern”. Doch liegt darin schon deshalb kein tatbestandsmäßiger Angriff auf die Entschlußfreiheit, weil dieser – wie ausgeführt – voraussetzt, daß das Opfer jedenfalls den objektiven Nötigungscharakter der Handlung wahrnimmt. Tatsächlich hat S. von der Betätigung der Kindersicherung aber schon aufgrund seines stark alkoholisierten Zustandes bis zum Anhalten am Tatort nichts bemerkt.
2. Einen Angriff – nunmehr zugleich auf Leib oder Leben des Geschädigten – haben die Angeklagten K. und R. erst nach dem Aussteigen aus dem Pkw verübt, als sie die geplante Raubtat ausführten. In diesem Zeitpunkt war der Geschädigte aber nicht mehr Mitfahrer. Deshalb richtete sich die (weitere) Tatausführung nicht mehr gegen ein taugliches Tatopfer im Sinne des § 316 a StGB (vgl. Günther JZ 1987, 369 f.). Denn derjenige, der das Kraftfahrzeug verlassen hat, ist schon begrifflich kein Mitfahrer mehr.
Für diese enge Auslegung des Begriffs spricht nicht nur die Wortlautschranke, sondern auch der Zweck der Strafvorschrift des § 316 a StGB, die der gerade aus den Umständen des Straßenverkehrs für den Führer und Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs erwachsenden Gefahr begegnen soll, leichter Opfer eines räuberischen Angriffs zu werden. Der Mitfahrer ebenso wie der Fahrer selbst befindet sich bei einem gegen ihn außerhalb des Fahrzeugs gerichteten Angriff aber in keiner anderen Lage als das Opfer eines Raubes, bei dem der Täter sich in sonstiger Weise die günstigen Umstände der Tatsituation zunutze macht, ohne daß in spezifischer Weise gerade die Sicherheit des Kraftverkehrs berührt ist.
3. Die Verwirklichung einer vollendeten Tat nach § 316 a StGB durch die Angeklagten scheidet danach aus, ohne daß es noch auf die weitere Frage ankäme, ob die Angeklagten „die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs” ausgenutzt haben. Aber auch eine Verurteilung wegen Versuchs eines räuberischen Angriffs kommt hier nicht in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob die Angeklagten mit der Betätigung der Kindersicherung (s.o. 1 b) nach ihrer Vorstellung unmittelbar zu einem tatbestandsmäßigen Angriff angesetzt haben. Selbst dann, wenn darin ein beendeter Versuch zu sehen sein sollte, könnten die Angeklagten nicht nach § 316 a StGB bestraft werden; denn jedenfalls läge darin, daß der Angeklagte K. nach dem Anhalten die hintere rechte Tür des Pkw öffnete und S. aussteigen ließ, ein strafbefreiender Rücktritt von dem Versuch.
III.
1. Der Senat schließt aus, daß sich aufgrund neuer Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen treffen lassen, die eine Verurteilung nach § 316 a StGB tragen könnten. Er ändert deshalb hinsichtlich der Angeklagten die Schuldsprüche in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin ab, daß die auf § 316 a StGB gestützte Verurteilung jeweils entfällt.
2. Die Änderung der Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Strafaussprüche. Denn das Landgericht hat die Strafen dem § 316 a StGB entnommen und bei den Angeklagten ausdrücklich straferschwerend gewertet, daß sie mehrere in Tateinheit zueinander stehende Straftatbestände verwirkt haben. Der Senat kann deshalb nicht mit genügender Sicherheit ausschließen, daß das Landgericht ohne Verurteilung der Angeklagten nach § 316 a StGB auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Der neue Tatrichter ist jedoch nicht gehindert, bei der Bemessung der wegen Raubes nach § 249 StGB zu verhängenden Strafen strafschärfend zu werten, daß der Geschädigte zur Ausführung der Tat planmäßig in einen Hinterhalt gelockt wurde.
Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten werden von dem Aufhebungsgrund jedoch nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2558062 |
NStZ 2004, 501 |
VRS 2004, 200 |
JWO-VerkehrsR 2004, 27 |
NPA 2005, 0 |
RÜ 2004, 149 |
StV 2004, 140 |
LL 2004, 622 |