Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsbeschränkung eines Gesellschafters auf konkrete Fährlassigkeit, wenn zu seinen Pflichten das Lenken von Kraftfahrzeugen gehört
Leitsatz (amtlich)
Soweit zu den Pflichten des Gesellschafters das Lenken eines Kraftfahrzeugs gehört, wird seine Haftung nicht durch § 708 BGB auf konkrete Fahrlässigkeit beschränkt (Abweichung von VI ZR 121/59 = VersR 1960, 802).
Normenkette
BGB §§ 708, 823 Abs. 1
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. Dezember 1964 aufgehoben.
- Das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg vom 4. Oktober 1963 wird auf die Berufung der Klägerin wie folgt abgeändert: Der Klageanspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
- Die Kostenentscheidungen der Urteile des ersten und zweiten Rechtszuges werden aufgehoben.
- Die Sache wird zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs sowie über die Kosten des Verfahrens in allen drei Rechtszügen an das Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Beklagte befand sich am Abend des 3. Juli 1958 mit seinen Bekannten V., S. und Vi. einer Gastwirtschaft in M. Die vier Personen beschlossen, von dem Hauderer Kl. einen Kraftwagen zu mieten und damit nach Neheim-Hüsten zu fahren. Die Fahrtkosten sollten geteilt und das Fahrzeug sollte vom Beklagten, der erst kürzlich den Führerschein erworben hatte, gelenkt werden. Der Beklagte ließ ein angetrunkenes Glas Bier stehen und veranlaßte gemeinsam mit Vi., daß Kl. mit dem Wagen - einem "Opel-Rekord" - zur Gastwirtschaft kam. Nachdem Kl. in dem Fahrzeug zu seiner Wohnung zurückgebracht worden war, traten die vier Personen die Fahrt nach Neheim-Hüsten an. Sie verunglückten dabei gegen 22 Uhr auf der Bundesstraße 7. In einer Linkskurve bei Schwitten kam der Beklagte nach rechts von der 6,6 m breiten Fahrbahn ab, als ihm ein anderer, von dem Kaufmann G. gelenkter Personenkraftwagen entgegenkam. Der gemietete Wagen geriet auf den Sommerweg, streifte ein Brückengeländer und wurde, nachdem er gegen einen Baum geprallt war, zurück auf die Straße geschleudert, wo er mit dem entgegenkommenden PKW zusammenstieß. Dabei wurden V., S. und Vi. verletzt. V. ist bei der Klägerin sozialversichert. Diese hat für ihn - wie sie angibt - aus Anlaß des Unfalls 7.515,00 DM aufgewandt; sie begehrt den Ersatz des Betrages nebst Zinsen vom Beklagten.
Die Klägerin ist der Ansicht, daß zwischen ihrem Versicherten und dem Beklagten ein Beförderungsvertrag oder ein Auftragsverhältnis bestanden habe, so daß der Beklagte für jede fahrlässige Schädigung eintreten müsse. Aber auch bei Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses, so hat die Klägerin ausgeführt, ändere sich am Ergebnis nichts. Dem Beklagten falle eine grobe Fahrlässigkeit zur Last, für die er nach § 277 BGB uneingeschränkt hafte. Werde seine Schuld geringer bewertet, so habe er jedenfalls nicht die Sorgfalt beobachtet, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflege. Überdies sei § 708 BGB unter den Beteiligten abbedungen worden, was sich u.a. daraus ergebe, daß der Beklagte ermahnt worden sei, vorsichtig zu fahren. Mindestens aber sei es überholt, den unter Gesellschaftern geltenden Haftungsmaßstab auch bei Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall zugrunde zu legen; die im Straßenverkehr von jedermann zu beobachtende Sorgfalt müsse auch ein Gesellschafter anwenden.
Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Er hat die Klageforderung nach Grund und Höhe bestritten und ist den Rechtsansichten der Klägerin entgegengetreten. Nach seiner Ansicht hat ein Gesellschaftsverhältnis ohne besondere Haftungsabreden bestanden. Die nach § 708 BGB geschuldete Sorgfalt, so hat der Beklagte behauptet, habe er beobachtet. Seine Geschwindigkeit in der Kurve sei mit 50 km/st nicht zu hoch gewesen. Das entgegenkommende Fahrzeug habe ihn geblendet und sei über die auf der Fahrbahn befindliche Mittellinie hinausgeraten. Sofern seine eigene Reaktion als ungeschickt angesehen werden müsse, handle es sich jedenfalls um ein leichtes Versagen, das ihm ebenso unterlaufen wäre, wenn er sich allein in dem Fahrzeug befunden hätte.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision, um deren Zurückweisung der Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Nach der Ansicht des Berufungsgerichts haben sich die Beteiligten durch die Verabredung der gemeinsamen Vergnügungsfahrt unter Teilung der Kosten zu einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen. Das Berufungsgericht ist überzeugt, daß der Beklagte die seinen Mitgesellschaftern nach § 708 BGB geschuldete Sorgfalt gewahrt hat. Es hat nicht als bewiesen angesehen, daß der Beklagte schneller als 50 km/st gefahren ist, und erwogen, daß er bei seiner geringen Fahrpraxis in einer besonders gefährlichen Situation nur leicht fahrlässig falsch reagiert habe, wie dies auch einem gewissenhaften Fahrer jederzeit unterlaufen könne. Das Berufungsgericht hat einen vertraglichen Ausschluß der in § 708 BGB bestimmten Haftungsreglung verneint und es abgelehnt, die Vorschrift bei Ansprüchen aus einem Verkehrsunfall als unanwendbar anzusehen.
Die hiergegen gerichtete Revision mußte im Ergebnis Erfolg haben.
Die Würdigung der getroffenen Abreden als Gesellschaftsvertrag ist allerdings rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Berufungsgericht die gegenseitige Verpflichtung der vier Teilnehmer, den gemeinsamen Zweck der Vergnügungsfahrt durch die vereinbarten Beiträge zu fördern, rechtsirrtumsfrei festgestellt. Es war gerade der Sinn des Zusammenschlusses das Unternehmen durch die Beteiligung und das Zusammenwirken aller vier Personen erschwinglich und praktisch durchführbar zu machen. Diesem Zweck diente als weiterer Gesellschaftsbeitrag auch das Lenken des Fahrzeugs durch den Beklagten; das Berufungsgericht hat mit Recht nicht in Betracht gezogen, daß der Beklagte etwa insoweit als außenstehender Dritter in ein besonderes Vertragsverhältnis zur Gesellschaft getreten sein könnte. Daß ein einzelner Gesellschafter bei der Verteilung der Pflichten eine spezielle und zusätzliche Aufgabe übernimmt, ist nicht außergewöhnlich und steht der Ansicht des Berufungsgerichts nicht entgegen.
Das Berufungsgericht hat ferner, ohne diesen Begriff rechtlich zu verkennen, eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände verneint. Der hiergegen gerichtete Angriff der Revision ist unbegründet. Einem Anfänger unterläuft eine Fehlreaktion eher als einem geübten Fahrer, der hierzu seine Erfahrung und Routine außer Acht lassen müßte. Deshalb kann bei gleichem Verhalten der Schuldvorwurf gegenüber einem Anfänger - abweichend von der Meinung der Revision - sehr wohl geringer wiegen, zumal wenn er die Fahrtteilnehmer über seine geringe Praxis nicht im unklaren gelassen hat.
Der Revision muß jedoch im Ergebnis darin beigetreten werden, daß die festgestellte, nach objektivem Maßstab leichte Fahrlässigkeit des Beklagten ausreicht, seine Haftung gegenüber dem verletzten Mitgesellschafter und damit den Rückgriffsanspruch der Klägerin zu begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts und bisher auch des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 17. Mai 1960 - VI ZR 121/59 = VersR 60, 802), daß der Fahrer in Fällen der vorliegenden Art nach § 708 BGB nur für die in eigenen Angelegenheiten beobachtete Sorgfalt einzustehen habe, hält der Überprüfung nicht stand.
Allerdings ist die Eintrittspflicht des Beklagten nicht mit der Revision daraus herzuleiten, daß in seinem Verhalten zugleich eine unerlaubte Handlung liege, für die er wegen Verletzung der objektiv erforderlichen Sorgfalt hafte. Gegenüber dieser Auffassung ist daran festzuhalten, daß es bei einer gesetzlichen Begrenzung der Vertragshaftung auf bestimmte Schuldformen nicht angeht, wegen derselben Handlung nach Deliktsrecht eine strengere Haftung eintreten zu lassen (RGZ 66, 363; 88, 317; BGH Urteil vom 20. Oktober 1953 - I ZR 125/52 = NJW 54, 145 und das obige Senatsurteil vom 17. Mai 1960; ebenso Larenz, Schuldrecht II, 7. Aufl., S. 475 mit weiteren Nachweisen). Ob der Grund mit dem Reichsgericht darin zu sehen ist, daß eine nach Vertragsrecht hinzunehmende Handlung nicht rechtswidrig sein kann, mag dahinstehen. Selbst wenn nur auf die Schuldform abgestellt wird, erscheint es weder zulässig noch angemessen, den für bestimmte Rechtsverhältnisse geltenden, besonderen Haftungsmaßstab durch Nichtanwendung im Deliktsbereich praktisch weitgehend außer Kraft zu setzen.
Auch das fallweise Zurückgreifen auf den mutmaßlichen Parteiwillen gibt keinen tragfähigen Grund für die Lösung her. Gewiß ist es richtig, daß den Teilnehmern einer Gesellschaftsfahrt der in Rede stehenden Art die Vorstellung fernliegt, der Fahrer brauche ihnen gegenüber die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unter Umständen nicht zu wahren. Indessen scheitern dahingehende Erwägungen durchweg daran, daß sich die Gesellschafter tatsächlich keine Gedanken in dieser Richtung machen. Es muß ihnen deshalb bei dem Streit um oft zufällige Äußerungen - wie vorliegend der Ermahnung des Beklagten zu vorsichtigem Fahren - mehr unterstellt werden, als in ihrer Absicht gelegen haben kann. Deutlich wird dies bei der Frage der versicherungsrechtlichen Auswirkung einer Abdingung von § 708 BGB im Hinblick auf § 11 Nr. 1 AKB, die von den Fahrtteilnehmern sicherlich nicht bedacht worden ist und die auch hier nicht weiter behandelt zu werden braucht.
Die Zuflucht zu einem fiktiven Parteiwillen erfolgt in Wirklichkeit nicht, um den Vertragsinhalt im Einzelfall zutreffend zu deuten, sondern weil der Haftungsmaßstab des § 708 BGB für das Straßenverkehrsrecht allgemein ungeeignet ist. Er kann für diesen Bereich nach der Entstehung und dem Zweck des Gesetzes nicht gewollt sein. Hier besteht kein Grund für eine Haftungsmilderung. Den Fahrgästen ist nicht, nur weil sie sich gesellschaftlich verbunden haben, mangels abweichender Abreden aufzuerlegen, daß sie ihr Leben und ihre Gesundheit von dem Fahrzeuglenker mit geringerer Sorgfalt behandeln lassen müßten, als dies nach dem allgemein gültigen objektiven Maßstab erforderlich wäre. Das liefe dem ständigen gesetzgeberischen Bestreben, den Gefahren des Straßenverkehrs nicht zuletzt durch strenge Haftungsbestimmungen entgegenzuwirken, völlig zuwider. An eine derartige Ausdehnung der Vorschrift auf ein noch weithin unbekanntes Gebiet, das seiner Natur nach keinen Spielraum für individuelle Sorglosigkeit erlaubt, kann bei der Aufnahme der Bestimmung in das Bürgerliche Gesetzbuch schlechterdings nicht gedacht worden sein. Es handelt sich um eine Norm, die nur die Regelung der vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Gesellschaftern im Auge hat, und selbst auf diesem Gebiet läßt sich die rechtspolitische Zweckmäßigkeit der Bestimmung bezweifeln (vgl. BGB-RGRK 11. Aufl., § 708 BGB Anm. 1). Danach verbietet es sich, der Vorschrift ein weites und ganz andersartiges Anwendungsfeld zu eröffnen, wo die körperliche Unversehrtheit der Gesellschafter auf dem Spiele steht und sich die Bestimmung deshalb in nicht gewollter Weise völlig unangemessen auswirken müßte. Dementsprechend ist bereits mehrfach - wenn auch mit unterschiedlicher Begründung - die Ansicht vertreten worden, daß die Haftungserleichterung nach § 708 BGB nicht in Betracht kommen könne, wo es sich um die Erfüllung von Gesellschafterpflichten im Straßenverkehr handelt (vgl. u.a. Böhmer, VersR 60, 943 und MDR 61, 21; Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr 1961, S. 27, 28 und Rother, Haftungsbeschränkung im Schadensrecht 1965, S. 191). Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Es besteht kein sachlicher Grund, den Kraftfahrer nach den allgemeinen Vorschriften haften zu lassen, wenn er zu dem Verletzten in keinen besonderen Rechtsbeziehungen steht oder wenn es sich um die Fahrt eines Vereins handelt, jedoch gewisse Verstöße gegen die Verkehrsregeln hinzunehmen, wenn dadurch ein Mitgesellschafter verletzt worden ist. Im Straßenverkehr rechtfertigt es sich hier wie in den genannten übrigen Fällen nicht, persönlichen Eigenarten des Fahrers Rechnung zu tragen; soweit sie von den Mitfahrenden als gefährlich erkannt und in Kauf genommen werden, genügt die Möglichkeit der Schadensteilung nach § 254 BGB (vgl. BGHZ 34, 355; 39, 156).
Das Berufungsurteil mußte daher auf die Revision der Klägerin aufgehoben werden. Daß dem Beklagten in jedem Fall ein leichtes Verschulden zur Last zu legen ist, hat das Berufungsgericht ausdrücklich und rechtsirrtumsfrei festgestellt. Im übrigen ist die Rückgriffsforderung der Klägerin nur der Höhe nach streitig. Das Urteil des ersten Rechtszuges war deshalb dahin abzuändern, daß der Klageanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Zur Entscheidung über die Höhe der Forderung sowie über die Kosten des Verfahrens einschließlich der Revision war die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Engels
Dr. Bode
Dr. Hauß
Bundesrichter Heinr. Meyer ist erkrankt; Engels
Dr. Pfretzschner
Fundstellen
Haufe-Index 1456417 |
BGHZ, 313 |
NJW 1967, 558 |
MDR 1967, 294 |