Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 23.04.2012) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 23. April 2012, soweit es den Angeklagten B. betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das – vom Generalbundesanwalt vertretene – Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Die Strafrahmenbestimmung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Anwendung des gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes gemäß § 46b StGB ist nicht rechtsfehlerfrei begründet.
Rz. 3
Der Generalbundesanwalt hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
„Gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB kann das Gericht anstelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von nicht unter zehn Jahren verhängen, wenn der Angeklagte durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 46b Abs. 3 StGB) wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat im Sinne von § 100a Abs. 2 StPO aufgedeckt werden konnte. Dabei muss sich der Beitrag des Angeklagten zur Aufklärung der Tat, sofern er an ihr beteiligt war, über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken (§ 46b Abs. 1 Satz 3 StGB). Sind diese Voraussetzungen nach den Feststellungen des Tatrichters gegeben, ist diesem ein mit der Revision nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum eröffnet, innerhalb dessen er aufgrund einer umfassenden Würdigung sämtlicher relevanten Umstände zu entscheiden hat, ob eine Strafmilderung nach Abs. 1 Satz 1 geboten ist (Fischer StGB 59. Aufl. § 46b Rn. 25).
Das Gesetz führt hierzu in § 46b Abs. 2 StGB – nicht abschließend – Kriterien auf, anhand derer die gerichtliche Entscheidung zu treffen ist (vgl. BT-Drucks. 16/6268, S. 13 und Fischer aaO Rn. 26 ff.). Während § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB mit der Art und dem Umfang der offenbarten Tatsachen, deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, dem Zeitpunkt der Offenbarung, dem Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und der Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, vornehmlich ‚aufklärungsspezifische Kriterien’ umfasst, enthält § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB ‚unrechts- und schuldspezifische Kriterien’, zu denen die unter Nr. 1 genannten Gesichtspunkte ins Verhältnis zu setzen sind (Fischer aaO Rn. 27 f. und Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 46b Rn. 16).
An der danach vorzunehmenden Gesamtabwägung, der im Hinblick auf den Schuldgrundsatz besondere Bedeutung zukommt (so BVerfG NJW 1993, 190 f. zu §§ 1 und 2 der vormaligen ‚Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten’, Art. 4 des Gesetz[es] zur ‚Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten’ vom 9. Juni 1989, BGBl. I S. 1059), fehlt es im vorliegenden Fall. Das Schwurgericht hat im Rahmen seiner Ermessensausübung lediglich festgestellt, die Aussage des Angeklagten B., ohne die der Mitangeklagte T. nicht zu überführen gewesen wäre, habe zur Aufklärung einer ‚schweren Straftat’ geführt und sei mit dem nicht notwendigen Geständnis verbunden gewesen, selbst an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Dass der Angeklagte B. eine ‚außerordentlich schwerwiegende Straftat’ begangen habe, stehe einer Strafmilderung gemäß § 46b StGB nicht entgegen; denn andernfalls könne eine Anwendung der Norm bei Mord, für den der Gesetzgeber in § 46b Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz StGB eine ‚spezielle Strafzumessungsregel’ geschaffen habe, nie in Betracht kommen (UA S. 60 f.).
Diese Ausführungen genügen für eine rechtsfehlerfreie Ausübung des in § 46b StGB eingeräumten Ermessens nicht. Sie lassen besorgen, dass das Tatgericht bei seiner Entscheidung allein ‚aufklärungsspezifische Kriterien’ in den Blick genommen hat, ohne diese konkret zu der Schwere des Unrechts der abgeurteilten Tat und zu dem Grad des Verschuldens des Angeklagten in Relation zu setzen. Eine besonders sorgfältige, auf den Einzelfall bezogene Abwägung aller infrage kommenden Gesichtspunkte erscheint vorliegend aber schon deshalb unentbehrlich, weil eine Strafmilderung angesichts der Gesamtumstände – vor allem der äußerst brutalen, von erheblicher krimineller Energie zeugenden und insgesamt drei Mordmerkmale erfüllenden Handlungen des Angeklagten auf der einen Seite sowie seines mehrfach wechselnden Aussageverhaltens auf der anderen Seite (zu letzterem siehe BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1984 – 2 StR 467/84, StV 1985, 14, Beschluss vom 30. August 2011 – 2 StR 141/11, BGHR StGB § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufdeckung 2 und BT-Drucks. 16/6268, S. 14) – nicht nahe lag.
Rz. 4
Dem stimmt der Senat zu.
Rz. 5
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung des aufgezeigten Rechtsfehlers von der fakultativen Strafmilderung abgesehen und gegen den Angeklagten die lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hätte.
Unterschriften
Becker, Pfister, Hubert, Mayer, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 3577988 |
StV 2013, 629 |