Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24. August 1998 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision erhebt die Staatsanwaltschaft die Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen unterhielt der Angeklagte zu der Geschädigten eine Liebesbeziehung, aus der diese ein Kind erwartete. Am 20. April 1998 kam es in der Wohnung der Geschädigten zu einem Streit. Sie konnte die Wohnung nicht verlassen, weil der Angeklagte abgesperrt hatte. Beide rangen miteinander, bis sie zu Boden ging. Ohne Rücksicht auf ihre Schwangerschaft setzte er sich auf die sich heftig wehrende Geschädigte, fesselte ihre Hände mit einer als Dekoration dienenden Handschließe auf den Rücken, knebelte sie mit ihrem Halstuch und band ihre Beine mit dem ebenfalls greifbaren Halsband ihres Hundes zusammen. Nachdem die Geschädigte mindestens zwanzig Minuten gefesselt auf dem Bauch gelegen hatte, band der Angeklagte in nunmehr gefaßter Vergewaltigungsabsicht ihre Füße los, drehte sie um, zog ihr die Hose herunter, riß ihr den Body unten auf, spreizte ihre zusammengepreßten Beine mit Gewalt und band diese mit in der Wohnung befindlichen Lautsprecherkabeln am Heizkörper fest. Danach führte der Angeklagte mit ihr den Geschlechtsverkehr durch.
II.
Das Landgericht hat den Angeklagten zu Recht wegen Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB in der seit dem 1. April 1998 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) verurteilt. Bei der Strafzumessung ist es vom Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB ausgegangen, der eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren vorsieht. Das Vorliegen einer weiteren Alternative nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat die Strafkammer mit der Begründung abgelehnt, „eine schutzlose Lage wurde nicht ausgenutzt, weil diese allein Folge der Gewaltanwendung gegen die sich heftig wehrende Geschädigte war und deshalb von dieser Gewalt umfaßt war”. Auch den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB hat das Landgericht nicht als erfüllt angesehen. Danach ist ein Strafrahmen von nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen, „wenn der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet”. Es hat die Ablehnung damit begründet, die in der Wohnung vorhandenen und greifbaren Fesselungsmittel stellten „in der Art ihrer Anwendung keine gefährlichen Werkzeuge” dar. Schließlich hat die Strafkammer angenommen, die Tat erfülle auch nicht die Qualifikationstatbestände des § 177 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB. Nach Nr. 1 der Vorschrift wird der Täter bestraft, „der eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt”. Nach Nr. 2 ist der Täter zu bestrafen, wenn er „sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden”. Für diese beiden Qualifkationstatbestände ist ein Strafrahmen von nicht unter drei Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Das Landgericht hat insoweit gemeint, daß der Angeklagte „diese ohne sein Zutun in der Wohnung griffbereiten Mittel nicht in Verwendungsabsicht bei sich führte”. Teilweise halten die Auffassungen des Landgerichts zu den Qualifikationstatbeständen des § 177 Abs. 3 und 4 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand, ohne daß der bei allen Qualifikationen innerhalb des Tatbestands einheitlich auf sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung lautende Schuldspruch geändert werden müßte.
1. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, hat das Landgericht die neu eingeführte Nr. 3 des § 177 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei nicht angewandt. Das Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, steht gleichrangig neben den Tatmitteln „Gewalt” und „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben” und erfaßt Fälle, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses die Tat aber aus Angst vor dem Täter über sich ergehen läßt, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand aussichtslos erscheint (BTDrucks. 13/7324 S. 2, 6; vgl. BGH NStZ 1999, 30 und Urt. v. 3. November 1998 - 1 StR 521/98). Zwar hatte der Angeklagte hier die Tür abgesperrt, so daß die Geschädigte die eigene Wohnung nicht verlassen konnte. Im Zusammenhang mit der Vergewaltigung schuf der Angeklagte jedoch erst dadurch eine schutzlose Lage für die Geschädigte, indem er sie gewaltsam fesselte und knebelte. Diese Lage nutzte der Angeklagte aus, um gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben. Bei dieser Sachlage enthält § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB keinen eigenen Unwert (Urt. v. 3. November 1998 - 1 StR 521/98 UA S. 8).
2. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch die Qualifikationstatbestände nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 sowie nach Abs. 3 Nr. 1 StGB mit der Begründung abgelehnt, der Angeklagte habe bei der Fesselung der Geschädigten mit den Lautsprecherkabeln an den Heizkörper „keine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet” bzw. „bei sich geführt”. Dagegen bestehen gegen die Ablehnung des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB durchgreifende rechtliche Bedenken.
a) Der Gesetzgeber hat nach der Neufassung des § 177 StGB im Dreiunddreißigsten Strafrechtsänderungsgesetz (33. StrÄndG) vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) die Vorschrift nochmals neu gefaßt, um sie im Bereich der Regelbeispiele für besonders schwere Fälle, der Qualifikationstatbestände und der Strafdrohungen an inhaltlich und strukturell vergleichbare Vorschriften anzupassen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 13. November 1997, BTDrucks. 13/9064 S. 12). Dies ist u.a. durch Angleichung der Qualifkationstatbestände des § 177 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StGB an die Qualifikationstatbestände des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a und b StGB sowie des § 177 Abs. 4 Nr. 1 an § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfolgt (vgl. Bericht des Rechtsausschusses aaO S. 12/13). Damit gilt hinsichtlich der Tatmittel in § 177 StGB die Auslegung, wie sie der Bundesgerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen zur Neufassung des § 250 StGB dem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien entnommen hat. Durch die Ersetzung des Begriffs der „Schußwaffe” in § 250 StGB durch das einheitliche Begriffspaar „Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug” sollen nunmehr alle Tatmittel erfaßt sein, die geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. BGH NStZ 1998, 567; BGH NJW 1998, 2915 f. zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
b) Als sich der Angeklagte zur Vergewaltigung entschloß, hat er die in der Wohnung befindlichen Lautsprecherkabel nicht nur „bei sich geführt”, sondern sie „verwendet”, indem er damit die Beine der Geschädigten in gespreiztem Zustand am Heizkörper festband. Die Lautsprecherkabel waren aber im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB und Abs. 4 Nr. 1 StGB keine gefährlichen Werkzeuge, weil sie nicht geeignet waren, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH NJW 1998, 2915, 2916).
c) Der Angeklagte hat aber die Lautsprecherkabel als „Werkzeug oder Mittel” im Sinne des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Absicht bei sich geführt, den Widerstand der Geschädigten zu überwinden. Das Landgericht meint, der Angeklagte habe die „ohne sein Zutun in der Wohnung griffbereiten” Lautsprecherkabel nicht „in Verwendungsabsicht bei sich geführt”. Dies trifft nicht zu. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 250 StGB ist es anerkannt, daß ein Täter ein Tatmittel auch dann bei sich führt, wenn er es zu irgendeinem Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung einsatzbereit bei sich hat, wobei es genügt, daß er das Mittel erst am Tatort ergreift (BGHSt 13, 259, 260; 20, 194, 197; BGH MDR 1993, 720; BGH NStZ 1994, 187; BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2 Beisichführen 4).
3. Der Annahme des Qualifikationstatbestandes nach § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB steht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht hätte anders verteidigen können, zumal die den Qualifikationstatbestand ausfüllenden tatsächlichen Feststellungen bereits Gegenstand des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen der unverändert zugelassenen Anklage waren. Der Senat kann ausschließen, daß das Landgericht – selbst wenn es durch seine unzutreffende Rechtsansicht beeinflußt worden sein sollte – tatsächliche Umstände unbeachtet gelassen hat, die zugunsten des Angeklagten hätten sprechen können.
III.
Der Strafausspruch kann somit keinen Bestand haben. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das Landgericht die Strafe anders zugemessen hätte, wenn es von dem höheren Strafrahmen des § 177 Abs. 3 StGB ausgegangen wäre. Die weitergehende Revision war zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils im übrigen keinen Rechtsfehler ergeben hat.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Granderath, Brüning, Boetticher
Fundstellen
Haufe-Index 540164 |
NStZ 1999, 242 |
StV 1999, 208 |