Leitsatz (amtlich)
a) Auch die ordentliche Kündigung eines noch nicht vollzogenen Mietvertrages ist zulässig.
b) Es hängt in erster Linie von den Vereinbarungen der Vertragsteile ab, wann die Frist für eine vor Vollzug des Mietvertrages erklärte ordentliche Kündigung beginnt.
c) Kann eine Abrede hierüber nicht festgestellt werden, so beginnt die Kündigungsfrist mit dem Zugang der Kündigungserklärung.
Normenkette
BGB §§ 535, 565
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 15.03.1978) |
LG Baden-Baden |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 5. Zivilsenat in Freiburg – vom 15. März 1978 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte betreibt ein Altenheim. Mit Vertrag vom 20. Mai 1975 vereinbarten die Parteien die Aufnahme der Klägerin im Hause der Beklagten ab 1. April 1976. In dem Vertrag ist unter Absatz 4 über den Umfang der Leistungen der Beklagten und die Höhe des hierfür von der Klägerin zu entrichtenden Entgeltes vereinbart:
„Der Pensionspreis beträgt monatlich DM 1 500 + gesetzliche Mehrwertsteuer. In ihm ist eingeschlossen: Miete für die Gewährung des Raumes, die Nutzung der für die Bewohner geschaffenen und betriebenen Gemeinschaftseinrichtungen, die normalen Dienstleistungen der Mitarbeiter, sowie drei Mahlzeiten, Wäsche waschen (auch Leibwäsche), Strom, Heizung, Müllabfuhr, Wasser, Badbenutzung, Zimmerreinigung und Betten machen.”
Der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Die Parteien vereinbarten, daß er beiderseits vierteljährlich zum Quartalsende gekündigt werden könne.
Mit Schreiben an die Beklagte vom 24. September 1975 kündigte die Klägerin den Vertrag. Sie gab an, ihre gesundheitliche Verfassung erlaube ihr nicht, in das Haus der Beklagten einzuziehen.
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Kaution, die sie vertragsgemäß in Höhe von 4 500 DM entrichtet hat, zurück. Die Beklagte meint, die Kündigung der Klägerin habe den Vertrag erst zum 30. Juni 1976 beendet. Sie bestreitet das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Kündigung. Sie meint, die Klägerin sei verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1976 zu entrichten. Mit dem Anspruch auf Zahlung dieser Vergütung hat sie gegen die Klageforderung aufgerechnet.
Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 24. September 1975 habe den Vertrag zum 31. Dezember 1975 beendet, weshalb die Beklagte einen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung nicht erworben habe. Es hat deshalb der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie beantragt, nach ihm durch Versäumnisurteil zu erkennen.
Entscheidungsgründe
1. Dem Antrag auf Erlaß eines Versäumnisurteils konnte nicht entsprochen werden, weil die Revision unbegründet ist.
2. Das Berufungsgericht nimmt an, bei dem Vertrag vom 20. Mai 1975 handele es sich um einen Mietvertrag, verbunden mit Elementen anderer Vertragsarten, vor allem des Dienstvertrages. Die Frage, ob der Vertrag wirksam gekündigt worden sei, müsse deshalb nach den Regeln über die Kündigung eines Mietvertrages entschieden werden.
Das ist nicht zu beanstanden. Für den Hotelaufnahmevertrag und den Pensionsvertrag hat der Senat die Auffassung vertreten, sie seien in ihrem Kern Wohnungsmietvertrag (vgl. die Senatsurteile vom 1. April 1963 – VIII ZR 257/61 = NJW 1963, 1449 und vom 29. März 1978 – VIII ZR 220/76 = BGHZ 71, 175). Für den Altenheimvertrag gilt im Ergebnis nichts anderes. Obwohl die Versorgung des Heiminsassen in größerem Umfang als die des Gastes bei den beiden anderen Vertragsarten Vertragsgegenstand ist, ist doch auch hier die Wohnungsüberlassung der wesentlichste Vertragsteil.
3. Das Berufungsgericht meint, eine nach Abschluß des Mietvertrages aber vor dem vereinbarten Leistungsbeginn erklärte ordentliche Kündigung setze beim Altenheimvertrag die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist sofort und nicht erst mit dem als Leistungsbeginn vereinbarten Zeitpunkt in Lauf. Da die Parteien die Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung zum Quartalsende mit vierteljährlicher Kündigungsfrist vereinbart hätten, sei deshalb der Vertrag aufgrund der Kündigung vom 24. September 1975 zum 31. Dezember 1975 beendet worden.
Hiergegen wendet die Revision sich ohne Erfolg.
a) Die Frage, ob ein Dauerschuldverhältnis vor Beginn seines Vollzuges überhaupt gekündigt werden kann, war in der Rechtsprechung und im Schrifttum früher streitig. Das Reichsarbeitsgericht hat angenommen, die ordentliche Kündigung eines Arbeitsvertrages sei vor Aufnahme der Beschäftigung nicht statthaft (RAGE 13, 80). Es war der Meinung, die Kündigung setze begrifflich voraus, daß das Arbeitsverhältnis bereits begonnen habe. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung nicht übernommen. Es meint, das Vertragsverhältnis trete bereits mit Abschluß des Vertrages in Kraft und erzeuge deshalb bereits von diesem Zeitpunkt an Rechtswirkungen. Es hält daher die ordentliche Kündigung auch des noch nicht vollzogenen Arbeitsverhältnisses für statthaft (BAGE 16, 204 = NJW 1965, 171 = AP BGB § 620 Nr. 1 mit Anmerkung von A. Hueck und BAG Urteil vom 6. März 1974 – 4 AZR 72/73 = AP BGB § 620 Nr. 2 mit Anmerkung von G. Hueck = NJV 1974, 1399 nur Leitsatz). Diese Auffassung, die im Schrifttum Zustimmung gefunden hat (vgl. Hueck aaO; Beitzke SAE 1963, 77; Haberkorn NJV 1965, 988; Wolf JuS 1968, 65, 68 und Schmidt NJW 1975, 678), teilt der Senat. Der Mietvertrag hat keine Besonderheiten, die eine andere Beurteilung der Frage der Zulässigkeit der Kündigung vor Vertragsbeginn rechtfertigen könnten.
b) Noch umstritten ist die Frage, wann die für die vertraglichen Beziehungen der Vertragsteile geltende Kündigungsfrist zu laufen beginnt, wenn die ordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses vor Vollzug des Vertrages erklärt wird. Für den Mietvertrag wird überwiegend die Auffassung vertreten, die Kündigungsfrist beginne erst mit dem Zeitpunkt des vereinbarten Vollzugs des Mietverhältnisses (vgl. Mittelstein, Die Miete, 4. Aufl. S. 466; Staudinger/Kiefersauer, BGB, 11. Aufl. § 564 Rdn. 20; offenbar auch Staudinger/Sonnenschein, BGB, 12. Aufl. § 564 Rdn. 18; Planck/Knoke, BGB, 4. Aufl. § 564 Anm. 2 i; Oertmann, BGB, 5. Aufl. § 564 Anm. 2 h; Erman/Schopp, BGB, 6. Aufl. § 564 Rdn. 11; Arnold Seuff Bl. 63, 357; Hartwig Recht 1905, 641; a.A. Fürst Recht 1905, 589; Reichel LeipZ 1923, 524). Für den Arbeitsvertrag überwiegt inzwischen die Auffassung, die Kündigungsfrist beginne bereits mit dem Zugang der Kündigungserklärung zu laufen mit der Folge, daß der Vertrag nicht in Vollzug gesetzt werde, falls die Kündigungsfrist im Zeitpunkt des vereinbarten Beginns des Arbeitsverhältnisses bereits abgelaufen sei (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., 1. Bd. S. 555; Hueck AP 52 S. 452; Soergel/Wlotzke-Volze. BGB, 10. Aufl. vor § 620 Rdn. 40; Reichel aaO; Fauth Betr. 1961, 707; Feller JZ 1964, 210; Haberkorn aaO; Diekhoff BB 1963, 978; Schmidt aaO; LAG Niedersachsen Betr. 1961, 311; LAG Kiel BB 1959, 739; a.A. BAGE 16, 204; LAG Bremen AP 52 Nr. 94; Nikisch, Arbeitsrecht, 1, Bd. 3. Aufl. S. 698; Beitzke aaO; Wolf aaO).
Nach Auffassung des Senats hängt es in erster Linie von den zwischen den Vertragsteilen getroffenen Vereinbarungen ab, ob die Frist für eine vor Beginn des Vollzuges des Mietvertrages ausgesprochene ordentliche Kündigung bereits mit dem Zugang der Kündigungserklärung beginnt. Falls die Parteien eine Abrede hierüber nicht getroffen haben und eine solche auch nicht im Wege der Auslegung des Vertrages anzunehmen ist, beginnt die Frist mit dem Zugang der Kündigungserklärung.
aa) Soweit nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, können die Vertragsteile vereinbaren, von welchem Zeitpunkt an eine vereinbarte oder gesetzliche Kündigungsfrist zu laufen beginnt. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Der Umstand, daß der Vertrag eine ausdrückliche Regelung dieser Frage nicht enthält, steht der Annahme einer entsprechenden Vereinbarung nicht entgegen, falls die Auslegung der Erklärungen der Vertragsteile ergibt, daß diese einen Fristbeginn festlegen wollten. Die Notwendigkeit einer – unter Umständen ergänzenden – Vertragsauslegung kann sich vor allem aus der Interessenlage der Vertragsteile ergeben (vgl. G. Hueck zum BAG Urteil vom 6. März 1974 aaO); so etwa, wenn der Vermieter – erkennbar für den Mieter – größere Aufwendungen gemacht hat, die im Zusammenhang mit dem Mietvertrag stehen, und er erwarten durfte, durch die Miete, die sein Vertragspartner zahlen sollte, einen wirtschaftlichen Ausgleich zu erhalten.
bb) Haben die Parteien eine Vereinbarung nicht getroffen und ist eine solche auch nicht im Wege der Vertragsauslegung festzustellen, so beginnt auch die Kündigungsfrist für den noch nicht vollzogenen Mietvertrag bereits mit dem Zugang der Kündigung. Das ergibt sich aus dem Zweck der Kündigungsfrist. Diese besteht nach allgemeiner Meinung darin, dem Vertragsteil, dem gekündigt wird, genügend Zeit zu lassen, sich einen anderen Vertragspartner zu suchen. Dieser Grund trifft aber nicht nur unter der Voraussetzung zu, daß der Mietvertrag bereits durch Beginn des Mietverhältnisses vollzogen ist, sondern auch dann, wenn das Mietverhältnis noch nicht begonnen hat. Die Bindungen der Vertragsteile in der Zeit bis zum Vollzug des Vertrages sind im allgemeinen nicht stärker als nachher. Wer verhindern will, daß es zu einer Aufhebung des Mietverhältnisses vor dessen Vollzug kommt, muß dies durch eine entsprechende Vereinbarung oder dadurch, daß er den Mietvertrag nur auf bestimmte Zeit abschließt, sicherstellen.
Die Argumente der Vertreter der Gegenmeinung überzeugen nicht. Die Auslegung, aus dem Gebrauch des Wortes „Mietverhältnis” in § 564 BGB folge, daß durch die Kündigung nur ein in Kraft getretenes Rechtsverhältnis aufgelöst werden könne (Mittelstein, Planck/Knoke, Oertmann, jeweils aaO), haftet zu sehr am Buchstaben des Gesetzes und berücksichtigt nicht hinreichend den Zweck der Kündigung. Daß die Kündigung zum Vertragsbeginn auf eine Verweigerung der Vertragserfüllung hinausläuft (Staudinger/Kiefersauer, Erman/Schopp, Arnold, Hartwig, jeweils aaO), ist zwar richtig. Auch in der nach Beginn des Vertragsvollzuges erklärten ordentlichen Kündigung ist aber eine Erfüllungsverweigerung zu sehen. Es kann deshalb nicht auf die Erfüllungsverweigerung als solche ankommen, entscheidend ist vielmehr, ob diese berechtigt ist oder nicht. Diese Frage kann für die vor Vertragsvollzug erklärte ordentliche Kündigung nicht anders beantwortet werden als für die danach ausgesprochene, bei der die Kündigungsfrist mit dem Zugang der Kündigungserklärung beginnt.
Soweit geltend gemacht wird, die Anerkennung der ordentlichen Kündigung vor Vollzug des Vertrages führe dazu, den Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht zu gewähren, das im Gesetz nicht vorgesehen sei (vgl. Nikisch Arbeitsrecht, 1. Bd. 3. Aufl. S. 698), wird verkannt, daß eine Kündigung das Vertragsverhältnis nur für die Zukunft auflöst, der Rücktritt aber zurückwirkt, was nur zu rechtfertigen ist, wenn ein Rücktrittsrecht vertraglich vereinbart ist (§ 346 BGB) oder die besonderen Voraussetzungen gegeben sind, bei deren Vorliegen ein vertraglich nicht vereinbarter Rücktritt erklärt werden kann (§§ 325, 326 BGB).
cc) Ob für die Kündigung eines Arbeitsvertrages wegen der Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses dieselben Grundsätze zu gelten haben, hat der Senat nicht zu entscheiden. Einer Auseinandersetzung mit den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts BAGE 16, 204 und AP § 620 BGB Nr. 2 bedurfte es daher nicht.
c) Aus dem Dargelegten folgt, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden ist. Der Vertrag vom 20. Mai 1975 enthält keine Regelung der Frage, von welchem Zeitpunkt an die Frist einer vor Vollzug des Mietverhältnisses erklärten Kündigung beginnt. Für die Feststellung eines mutmaßlichen Parteiwillens und damit für eine ergänzende Auslegung fehlen Anhaltspunkte. Da in einem solchen Fall anzunehmen ist, daß die Kündigungsfrist mit dem Zugang an den anderen Vertragsteil beginnt und hier eine Kündigungsfrist von drei Monaten vereinbart ist, ist die Kündigung aufgrund der Erklärung der Klägerin vom 24. September 1975 mit Ablauf des 31. Dezember 1975 wirksam geworden.
4. Demnach ist die Revision der Beklagten unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
Da das Rechtsmittel der Beklagten keinen Erfolg hatte, muß diese die Kosten des Revisionsverfahrens tragen (§ 97 ZPO).
Unterschriften
Braxmaier, Claßen, Merz, Treier, Dr. Brunotte
Fundstellen
Haufe-Index 537567 |
BGHZ |
BGHZ, 350 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1979, 400 |