Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 07.10.1977) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 7. Oktober 1977 mit den Feststellungen im Fall II 1 (fahrlässiger Vollrausch) sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
I.
Der seit 1962 bereits achtmal wegen Diebstahls und anderer Straftaten zu längeren Freiheitsstrafen verurteilte Angeklagte drang in der Nacht zum 3. Dezember 1976 in Dortmund in ein Radiogeschäft ein und entwendete dort ein Taschenradio, einen Elektronenrechner und 600,00 DM Bargeld. In der Nacht zum 24. Januar 1977 schlug er zusammen mit einem nicht ermittelten Mittäter die Schaufensterscheibe eines anderen Radiogeschäftes ein, um darin ausgestellte Gegenstände zu stehlen.
Im Sommer 1962 war auf den Angeklagten ein Mordanschlag verübt worden, bei dem er von drei Pistolenschüssen getroffen wurde. Zwei Schüsse hatten den Schädelhirnbereich in Mitleidenschaft gezogen. Eine Kugel wurde aus dem linken Seitenhirn operativ entfernt, die andere befindet sich noch heute im Hinterkopf des Angeklagten in der Nähe des Kleinhirns. Der Schuß in das Stirnhirn führte zu einer Schädigung der Hirnsubstanz in diesem Bereich.
Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Rauschtat (Tat vom 3. Dezember 1976, Fall II 1) und wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall (Tat vom 24. Januar 1977, Fall II 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
II.
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung des Verfahrens und des sachlichen Rechts. Während die Verfahrensrüge offensichtlich unbegründet ist, hat die Sachbeschwerde teilweise Erfolg.
1.
Fall II 2 (versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall)
Insoweit ist das Rechtsmittel unbegründet. Die widerspruchsfrei getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten. Auf einen möglicherweise zwischen Urteilsfeststellungen und Akteninhalt bestehenden Widerspruch kann die Revision nicht gestützt werden.
2.
Fall II 1 (fahrlässiger Vollrausch)
a)
Das Landgericht begründet die Verurteilung wegen fahrlässigen Vollrausches wie folgt: Nach den Aussagen der Polizeibeamten, die den Angeklagten am Tatort festgenommen haben, habe er "bei der Festnahme und den nachfolgenden Vernehmungen den Eindruck eines Volltrunkenen gemacht, ohne jedoch Alkohol getrunken zu haben" (UA 10 f). Diese Aussagen stünden im Einklang mit der Bekundung des sachverständigen Zeugen Dr. P., der den Angeklagten nach der Tat auf seine Haftfähigkeit untersucht und diese verneint habe, "weil er sie bei dem Zustand des Angeklagten für nicht gegeben hielt" (UA 11). Bei Berücksichtigung dieser Aussagen könne nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die Einlassung des Angeklagten, er könne sich an nichts erinnern, keine bloße Schutzbehauptung sei, vielmehr seinem durch erhöhten Tablettenkonsum hervorgerufenen Zustand der Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt entspreche. Sie legt dieser Beurteilung die weitere Einlassung des Angeklagten zugrunde, er habe vor der Tat einige Schmerztabletten der Marke Dolviran genommen, da er wegen seiner Kopfverletzungen häufig - so auch in der fraglichen Nacht - unter Kopischmerzen leide (UA 8). Der Angeklagte habe sich durch die Einnahme der Tabletten fahrlässig in einen Rauschzustand versetzt, da ihm von früheren Fällen her bekannt gewesen sei, "daß die Verwendung von Schmerztabletten in den von ihm bevorzugten hohen Dosen nicht nur zur Bekämpfung von Schmerzen diente, sondern auch regelmäßig Rauschzustände hervorrief." Der Angeklagte habe nämlich "schon oft Zustände erlebt, in denen er sich an nichts mehr erinnern konnte", und er habe "auch schon früher Einbrüche begangen und hinterher erklärt, er wisse nicht, wie es dazu gekommen sei, weil er Tabletten eingenommen habe" (UA 11).
b)
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Hirnschädigung des Angeklagten als Mitursache für seine durch die Tabletteneinnahme herbeigeführte Schuldunfähigkeit die Anwendung des § 330 a StGB nicht ausschließt. Für den äußeren Tatbestand des § 330 a StGB ist es unerheblich, ob der Rausch allein durch die Menge des genossenen Rauschmittels herbeigeführt worden ist oder ob das Rauschmittel nur deshalb zur - zumindest nicht ausschließbaren - Schuldunfähigkeit des Täters geführt hat, weil andere in seiner Person angelegte oder von außen hinzugetretene Ursachen dabei mitgewirkt haben. Denn nach allgemein für die Kausalität geltenden Grundsätzen kann es weder auf die Qualität der einzelnen mitwirkenden Ursache noch auf ihren quantitativen Anteil an dem schließlich herbeigeführten Erfolg, der Schuldunfähigkeit, ankommen (BGHSt 26, 363, 365; Willms, LM § 330 a StGB Nr. 19; Lay in LK 9. Aufl. § 330 a Rdn. 25).
Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit ist aber stets, daß der Täter durch einen auf berauschende Mittel zurückzuführenden Rausch in den Zustand der Schuldunfähigkeit geraten ist. Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn der Zustand des Täters nach seinem ganzen Erscheinungsbild als durch den Genuß von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen ist (BGHSt 26, 363, 364; 22, 8, 10; BGH, Urteil vom 13. Dezember 1973 - 4 StR 586/73 - mitgeteilt bei Martin DAR 1974, 117; Lay a.a.O. Rdn. 24). Berauschende Mittel im Sinne dieser Vorschrift sind - wie bei §§ 64, 315 c, 316 StGB - solche, die in ihren Auswirkungen denen des Alkohols vergleichbar sind und zu einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens sowie der intellektuellen und motorischen Fähigkeiten führen (vgl. die Nachweise bei Hürxthal DRiZ 1977, 146). Jedoch müssen diese den alkoholischen Getränken tatbestandsmäßig gleichgestellten berauschenden Mittel nicht notwendig solche sein, die im Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Gleichstellungsverordnungen aufgeführt sind (KG VRS 19, 111, 113; Lay a.a.O. Rdn. 21). Auch zum Schmerzstillen geeignete Mittel können bei entsprechender Dosierung und Anwendungsform als Rauschdrogen wirken (Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie, 4. Aufl. 1976, S. 158) und können dann unter den Tatbestand des § 330 a StGB fallen.
c)
Die Feststellungen lassen nicht ausreichend erkennen, ob das Landgericht zu Recht von einem solchen Rausch im Sinne von § 330 a StGB ausgegangen ist. Die Strafkammer legt ihrer Würdigung des Tatgeschehens die Einlassung des Angeklagten zugrunde. Danach hat er in der Tatnacht wegen starker Kopfschmerzen in einer Apotheke Schmerztabletten der Marke Dolviran geholt und von diesen "einige genommen" (UA 8). Zur Menge der eingenommenen Tabletten enthält das Urteil noch andere Angaben. Neben der UA 8 mitgeteilten Einlassung des Angeklagten spricht das Landgericht UA 11 von einem "erhöhten Tablettenkonsum" des Beschwerdeführers sowie davon, daß er "sie in großen Mengen nehme". Eindeutige Feststellungen zur Menge wären aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob der Angeklagte zur Tatzeit in einem durch Einnahme einer erhöhten Dosis von Dolviran-Tabletten hervorgerufenen Rauschzustand gehandelt hat. Daß die den Angeklagten am Tatort festnehmenden Polizeibeamten den Eindruck hatten, er sei volltrunken gewesen, und der sachverständige Zeuge Dr. P. die Haftfähigkeit "bei dem Zustand des Angeklagten für nicht gegeben hielt" (UA 11), vermag hier diese fehlende Feststellung nicht zu ersetzen. Ob der Angeklagte sich durch die Einnahme der Dolviran-Tabletten in einen Rausch versetzt hat oder ob er durch die Einnahme dieses schmerzstillenden Medikaments schuldunfähig geworden ist, ohne daß ein Rausch im Sinne von § 330 a StGB bejaht werden könnte, bedarf der Klärung (vgl. dazu Schewe, Blutalkohol 1976, 87 ff).
d)
Rechtlichen Bedenken begegnen auch die im angefochtenen Urteil zur inneren Tatseite gemachten Ausführungen. Zwar ist es - wie ausgeführt - für die Erfüllung des äußeren Tatbestandes des § 330 a StGB ohne Bedeutung, aus welcher Richtung und mit welchem Gewicht neben einem Rauschmittelgenuß andere Ursachen - hier der Hirnschaden - zu der Entstehung des Rausches beigetragen haben. Die Stärke und Wirkungsweise der mitursächlichen Umstände sind jedoch bei der Prüfung des Verschuldens des Täters von erheblicher Bedeutung und geben Veranlassung zu besonders sorgfältiger Prüfung der Schuldfrage.
Die Strafkammer hat dem Angeklagten nicht widerlegen können, daß er in der Tatnacht wegen seiner durch die Hirnverletzung verursachten starken Kopfschmerzen eine Nachtdienstapotheke aufgesucht, Dolviran-Tabletten gekauft und davon einige genommen hat (UA 8). Um den Vorwurf des fahrlässigen Sichberauschens zu rechtfertigen, ist in diesem Zusammenhang die Prüfung notwendig, inwieweit der Angeklagte aus medizinischen Gründen auf Schmerzmittel in größerem Umfang angewiesen war, d.h. ob ein möglicherweise gegebener Tablettenmißbrauch dem hirnverletzten Angeklagten überhaupt vorgeworfen werden kann. Die bloße Bemerkung, dem Angeklagten sei aus früheren Fällen bekannt gewesen, "daß die Verwendung von Schmerztabletten in den von ihm bevorzugten hohen Dosen nicht nur zur Bekämpfung von Schmerzen diente, sondern auch regelmäßig Rauschzustände hervorrief", reicht jedenfalls nicht aus, um die Annahme fahrlässigen Handelns zu rechtfertigen.
Das angefochtene Urteil ist daher mit den Feststellungen im Fall II 1 und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben und an das Landgericht zurückzuverweisen. Einer Aufhebung des Strafausspruchs im Fall II 2 bedarf es nicht, da ausgeschlossen werden kann, daß die Bemessung der Einzelstrafe in diesem Fall von der Verurteilung im Fall II 1 mitbeeinflußt worden ist. Zur Klärung der aufgeworfenen Fragen in der neuen Hauptverhandlung wird die Zuziehung eines Sachverständigen geboten sein. Auch für den Fall, daß die Strafkammer in der neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen von § 330 a StGB nicht feststellen kann, gleichwohl aber zur Anwendung der §§ 20 oder 21 StGB gelangt, wird die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 Abs. 1 StGB) zu prüfen sein. Das Verbot der Schlechterstellung stünde der Anordnung einer derartigen Maßregel nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 S. 2 StPO).
Fundstellen