Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlusskonkurrenz
Leitsatz (amtlich)
Eine verbindliche Reservierung von Einspeisekapazitäten bereits vor der anschlussfertigen Errichtung einer Anlage zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien ist nicht von vornherein ausgeschlossen und kann dem Anschlussanspruch eines anderen Anlagenbetreibers an dem reservierten Verknüpfungspunkt entgegenstehen, selbst wenn dessen Anlage früher anschlussfertig errichtet wird.
Normenkette
EEG 2012 §§ 4, 5 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Februar 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, die eine Freiflächen-Photovoltaikanlage betreibt, verlangt von der beklagten Netzbetreiberin Schadensersatz wegen der Verweisung an einen für sie ungünstigen Netzverknüpfungspunkt.
Rz. 2
Die Anlage der Klägerin mit einer Leistung von etwa 7.600 kWp befindet sich auf den Flurstücken 13/28 und 13/32 der Flur 2 der Gemarkung (nachfolgend: Anlage der Klägerin). Auf den Flurstücken 13/17, 13/19, 13/20 und 13/22 derselben Flur betreibt die Streithelferin in Rechtsnachfolge der E & S Bau GmbH (beide nachfolgend: Streithelferin) eine Freiflächen-Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 6.000 kWp (nachfolgend: konkurrierende Anlage). Die Streithelferin betreibt zudem auf dem Flurstück 13/22 der Flur 2 und dem Flurstück 1/3 der Flur 1 eine Auf-Dach-Photovoltaik-Anlage mit einer Leistung von etwa 400 kWp.
Rz. 3
Nachdem die Anlage der Klägerin und die konkurrierende Anlage im Sommer 2011 bei der Beklagten angemeldet worden waren, teilte die Beklagte jeweils unter anderem mit, dass der Netzverknüpfungspunkt S der geeignete Verknüpfungspunkt sei und eine Reservierung von Netzkapazitäten auf der Basis gültiger Baugenehmigungen erfolge.
Rz. 4
Die Streithelferin übermittelte der Beklagten mit E-Mail vom 1. Juni 2012 die erste Seite einer Baugenehmigung vom 14. Mai 2012. Darin ist als Bauvorhaben unter Bezeichnung der Flurstücke 13/22 der Flur 2 und 1/3 der Flur 1 angegeben "Errichtung einer Photovoltaikanlage". Die Anlagen zur Baugenehmigung, unter anderem die geprüften Bauunterlagen, legte sie nicht vor. Die Klägerin nahm ihre Anlage am 29. Juni 2012 in Betrieb, teilte der Beklagten dies mit und übersandte ihr mit Schreiben vom 13. Juli 2012 eine Baugenehmigung vom 18. April 2012 für ihre Anlage nebst weiterer für den Netzanschluss benötigter Unterlagen.
Rz. 5
Die Beklagte reservierte den Netzverknüpfungspunkt S am 19. Juli 2012 für die konkurrierende Anlage, die am 25. September 2012 in Betrieb genommen wurde. Der Anschluss beider Anlagen in S war aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Die Beklagte teilte der Klägerin daher mit, dass der Anschlusspunkt S nicht mehr zur Verfügung stehe und ihre Anlage am (weiter entfernten) Anschlusspunkt W angeschlossen werden könne.
Rz. 6
Die Klägerin gab im Mai 2013 zwar die Herstellung des Netzanschlusses am Netzverknüpfungspunkt W in Auftrag. Sie teilte der Beklagten aber mit, dass sie diesen nicht als geschuldeten Netzverknüpfungspunkt anerkenne. Im August 2013 übermittelte sie der Beklagten eine Abschrift der vollständigen der Streithelferin erteilten Baugenehmigung vom 14. Mai 2012, aus der sich ergibt, dass diese sich auf eine Auf-Dach-Anlage bezieht. Die Beklagte hielt gleichwohl an ihrer Reservierungsentscheidung fest.
Rz. 7
Im September 2013 wurde die von der Klägerin und der Streithelferin gemeinsam genutzte Kabeltrasse zum Verknüpfungspunkt S fertiggestellt. Von dort zweigt die im Januar 2014 fertiggestellte Kabeltrasse der Klägerin zum Netzverknüpfungspunkt W ab. Seit Februar 2014 speist die Anlage der Klägerin dort Strom in das Netz der Beklagten ein.
Rz. 8
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen der Mehrkosten und der Ertragsausfälle, die ihr aufgrund des Anschlusses ihrer Anlage am Netzverknüpfungspunkt W entstanden sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 10
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beklagte habe ihre sich aus § 5 Abs. 1 EEG 2012 ergebenden Pflichten nicht verletzt. Nicht zu beanstanden sei, dass die Beklagte den Anschluss von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien an einem Netzverknüpfungspunkt auf Grundlage einer vorhergehenden Reservierung vergebe. Es sei zulässig, eine Reservierungsentscheidung aufgrund eines transparenten, diskriminierungs- und willkürfreien Verfahrens zu treffen und dabei darauf abzustellen, welcher Anlagenbetreiber zuerst eine gültige Baugenehmigung vorlegt. Die Beklagte habe ihre Pflichten auch nicht dadurch verletzt, dass sie die Baugenehmigung vom 14. Mai 2012 zur Grundlage der Reservierungsentscheidung gemacht habe. Sie habe vom Vorliegen einer gültigen Baugenehmigung ausgehen dürfen. Es hätten keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Manipulationen der Urkunde vorgelegen. Auch wenn die von der Anmeldung umfassten Flurstücke mit den in der Baugenehmigung bezeichneten nur teilweise identisch gewesen seien, habe das keine weitergehenden Prüfpflichten der Beklagten begründet, zumal das Begleitschreiben die bei der Anmeldung vergebene Registriernummer aufgewiesen habe. Die Pflichten des Netzbetreibers würden überspannt, wenn er prüfen müsste, ob die in der Baugenehmigung genannten Flächen größenmäßig ausreichen, um eine Photovoltaik-Anlage mit der angemeldeten Nennleistung aufzunehmen. Zudem wäre selbst bei Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht gegeben. Die Klägerin sei für den bei ihr eingetretenen Schaden mitverantwortlich, weil sie die ihr unter dem 18. April 2012 erteilte Baugenehmigung erst am 13. Juli 2012 bei der Beklagten vorgelegt habe. Dadurch sei ermöglicht worden, dass die Streithelferin die Baugenehmigung vom 14. Mai 2012 zuerst bei der Beklagten vorgelegt habe und die Reservierung des Netzanschlusses am Verknüpfungspunkt S zu ihren Gunsten erfolgt sei.
Rz. 11
II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht verneint werden. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, die Beklagte habe gegenüber der Klägerin ihre aus dem zwischen ihnen bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis folgenden Pflichten nicht verletzt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Rz. 12
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass für den Anschluss der Anlage der Klägerin an das Netz der Beklagten und für deren damit verbundene Pflichten gegenüber der Klägerin das Erneuerbare-Energien-Gesetz vom 25. Oktober 2008 in der vom 1. Januar 2012 bis 31. Juli 2014 geltenden Fassung maßgeblich ist (nachfolgend: EEG 2012). Sowohl der Anschluss der Anlage der Klägerin als auch die behaupteten Pflichtverletzungen durch die Reservierung der Netzkapazitäten und die Verweisung auf den Netzverknüpfungspunkt W fallen in diesen Zeitraum. Soweit sich nicht aus Übergangsvorschriften etwas anderes ergibt, sind daher die in diesem Zeitraum geltenden Vorschriften heranzuziehen (vgl. Gordalla in Greb/Boewe/Sieberg, BeckOK EEG, 13. Edition, § 100 Rn. 4). Übergangsregelungen greifen hier hinsichtlich der Anschlusspflicht des Netzbetreibers gemäß § 5 EEG 2012 nicht ein. Zwar stellt § 100 EEG in den seit dem 1. August 2014 in Kraft getretenen Fassungen - ganz überwiegend in Bezug auf Strom aus Anlagen im Sinn des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Übergangsregelungen bereit (siehe BGH, Urteile vom 26. Januar 2021 - XIII ZR 17/19, RdE 2021, 354 Rn. 15 - Solarpark Tutow; vom 14. Dezember 2021 - XIII ZR 1/21, ZNER 2022, 385 Rn. 10 bis 29 - Sanktion bei Meldepflichtverstoß). Diese sehen aber keine Regelungen hinsichtlich der Anschlusspflicht gemäß § 5 EEG 2012 vor.
Rz. 13
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass als Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB heranzuziehen ist. Bereits vor Errichtung der Anlage und Herstellung eines Netzanschlusses besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Einspeisewilligen und dem Netzbetreiber (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 - VIII ZR 235/04, RdE 2007, 56 Rn. 12 zu § 4 Abs. 1 Satz 1 EEG 2004; Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften vom 18. Februar 2008, BT-Drucks. 16/8148 S. 41; OLG Dresden, REE 2011, 32 [juris Rn. 30]). Die Verletzung von Pflichten aus diesem Schuldverhältnis kann Schadensersatzansprüche gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Mai 2016 - VIII ZR 123/15, RdE 2016, 404 Rn. 18).
Rz. 14
3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber eine Verletzung der Netzanschlusspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 durch die Beklagte verneint. Durch die Weigerung der Beklagten, die Anlage der Klägerin am Netzverknüpfungspunkt S anzuschließen, und ihre Verweisung an den Netzverknüpfungspunkt W hat die Beklagte ihre sich aus dieser Regelung ergebende Netzanschlusspflicht verletzt.
Rz. 15
a) Allerdings geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es einem Netzbetreiber durch § 5 Abs. 1 EEG 2012 nicht grundsätzlich verwehrt ist, bereits vor der anschlussfertigen Errichtung einer Anlage Einspeisekapazitäten an einem bestimmten Netzverknüpfungspunkt zugunsten dieser Anlage zu reservieren, so dass diese Kapazitäten für andere Anlagen nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine Pflichtverletzung der Beklagten liegt daher nicht schon darin, dass sie überhaupt eine Reservierung vorgenommen hat.
Rz. 16
aa) Ohne ein Reservierungsverfahren hätte die Anlage der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 am Verknüpfungspunkt S angeschlossen werden müssen, weil sie zuerst anschlussbereit war.
Rz. 17
(1) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 sind Netzbetreiber verpflichtet, Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien und aus Grubengas unverzüglich vorrangig an der Stelle an ihr Netz anzuschließen (Verknüpfungspunkt), die im Hinblick auf die Spannungsebene geeignet ist und die in der Luftlinie kürzeste Entfernung zum Standort der Anlage aufweist, wenn nicht ein anderes Netz einen technisch und wirtschaftlich günstigeren Verknüpfungspunkt aufweist. Dabei ist zur Bestimmung des Verknüpfungspunkts, an dem der Anschluss gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 geschuldet ist, auch bei alternativen Standorten innerhalb desselben Netzes eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung anzustellen (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2010 - VIII ZR 362/11, BGHZ 195, 73 Rn. 24), um auf diese Weise die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten zu verringern (BGH, aaO, Rn. 28; Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich vom 1. April 2004, BT-Drucks. 15/2864, S. 33).
Rz. 18
(2) Der Anspruch auf Anschluss entsteht jedenfalls dann, wenn die Anlage anschlussfertig errichtet ist (vgl. BT-Drucks. 16/8148, S. 41; Altrock in Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, 4. Aufl. § 5 Rn. 31; BGH, RdE 2007, 56 Rn. 10 zu § 4 Abs. 1 Satz 1 EEG 2004). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es - wie die Revision zu Recht rügt - für die Entstehung dieses Anspruchs nicht darauf an, ob die Anschlussleitung bereits errichtet ist. Das ist lediglich für den Abnahmeanspruch gemäß § 8 Abs. 1 EEG 2012 von Bedeutung (BGH, aaO, Rn. 10). Wenn an einem Verknüpfungspunkt keine ausreichenden Einspeisekapazitäten für mehrere Anlagen bestehen, kommt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 dort die zuerst anschlussfertig errichtete Anlage zum Zuge, während der Anschlussanspruch des Betreibers einer später anschlussfertig errichteten Anlage sich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 auf den nächstgünstigen Verknüpfungspunkt bezieht (vgl. Altrock in Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, 4. Aufl., § 5 Rn. 48; Salje, EEG 2023, 10. Aufl., § 8 Rn. 28; Scholz in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 5. Aufl., § 8 EEG Rn. 19).
Rz. 19
(3) Nach diesen Grundsätzen hätte die Anlage der Klägerin ohne das von der Beklagten durchgeführte Reservierungsverfahren und die Reservierung der Einspeisekapazitäten für die konkurrierende Anlage am gesamtwirtschaftlich günstigsten Netzverknüpfungspunkt S angeschlossen werden müssen.
Rz. 20
(a) Die Anlage der Klägerin ist am 29. Juni 2012 und damit sowohl vor der Reservierungsentscheidung der Beklagten am 19. Juli 2012 als auch vor der konkurrierenden Anlage in Betrieb genommen worden. Dies hat die Klägerin der Beklagten noch am gleichen Tage mitgeteilt und am 13. Juli 2012 unter Übersendung der Baugenehmigung vom 18. April 2012 und der für den Netzanschluss erforderlichen Unterlagen um ein Netzanschlussangebot gebeten.
Rz. 21
(b) Einen anderen Netzverknüpfungspunkt gemäß § 5 Abs. 2 EEG 2012 hatte die Klägerin nicht gewählt. Ob die Beklagte berechtigt gewesen wäre, der Klägerin den Verknüpfungspunkt W gemäß § 5 Abs. 3 EEG 2012 zuzuweisen, ist unerheblich, da sie das Zuweisungsrecht nicht ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 267/11, ZNER 2012, 396 Rn. 9). Dass die von der Anlage der Klägerin zum Netzverknüpfungspunkt S führende Kabeltrasse erst im September 2013 fertiggestellt wurde, steht nach dem Ausgeführten (vgl. oben Rn. 18) ebenfalls nicht entgegen.
Rz. 22
bb) Es war der Beklagten indes nicht grundsätzlich verwehrt, ein Reservierungsverfahren für Einspeisekapazitäten durchzuführen und auf der Grundlage des vor Herstellung der Anschlussbereitschaft der Anlage der Klägerin begonnenen Reservierungsverfahrens auch noch nach deren Anschlussbereitschaft eine Reservierung für die konkurrierende Anlage vorzunehmen.
Rz. 23
(1) Ob der Netzbetreiber eine anschlussbereite Anlage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 2 Satz 1 EEG 2012 ausnahmslos vorrangig an dem für diese günstigsten Netzverknüpfungspunkt anzuschließen hat, oder ob er ein Reservierungsverfahren für Einspeisekapazitäten durchführen darf, ist umstritten. Nach einer Ansicht hat stets die zuerst anschlussbereite Anlage Vorrang, weil dies dem Zweck des Gesetzes, anschlussreife Anlagen zügig in das Netzsystem zu integrieren, besser entspreche (Altrock in Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, 4. Aufl. § 5 Rn. 39; Cosack in Frenz/Müggenborg/Cosack/Henning/Schomerus, EEG, 5. Aufl., § 8 Rn. 33; Scholz in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 5. Aufl., § 8 EEG Rn. 19; Salje, EEG 2023, 10. Aufl., § 8 Rn. 28; Salje, Versorgungswirtschaft 2008, 153, 158). Nach anderer Ansicht ist § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 dahin auszulegen, dass der Netzbetreiber berechtigt ist, bereits vor der anschlussfertigen Errichtung einer Anlage Einspeisekapazitäten für diese verbindlich zu reservieren. Die Reservierung steht danach dem Anschlussanspruch eines anderen Anlagenbetreibers an dem reservierten Verknüpfungspunkt entgegen, selbst wenn dessen Anlage früher anschlussfertig errichtet wird (so Schulz-Gardyan in Baumann/Gabler/Günther, EEG, 2019, § 8 Rn. 42 f.; Dix in Theobald/Kühling, Energierecht, Stand: Februar 2021, § 8 EEG 2021 Rn. 33; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 11 U 71/13, juris Rn. 18).
Rz. 24
(2) Der Senat entscheidet die Rechtsfrage dahin, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 nach Wortlaut, systematischer Stellung und insbesondere nach seinem Sinn und Zweck eine Auslegung im letztgenannten Sinn erlaubt und daher eine Reservierung von Einspeisekapazitäten nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
Rz. 25
(a) Der Wortlaut der Vorschrift ist unergiebig. Sie enthält keine Regelung einer Konkurrenzsituation zwischen Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien und schließt ein Reservierungsverfahren nicht aus.
Rz. 26
(b) Die systematische Stellung von § 5 Abs. 1 EEG 2012 im Zusammenhang mit § 5 Abs. 5 und 6 EEG 2012 spricht für die Zulässigkeit eines Reservierungsverfahrens.
Rz. 27
(aa) Nach den letztgenannten Regelungen sind Netzbetreiber verpflichtet, Einspeisewilligen nach Eingang eines Netzanschlussbegehrens unverzüglich einen genauen Zeitplan für die Bearbeitung des Netzanschlussbegehrens zu übermitteln. Darin ist unter anderem anzugeben, in welchen Arbeitsschritten das Netzanschlussbegehren bearbeitet wird und welche Informationen die Einspeisewilligen übermitteln müssen, damit die Netzbetreiber den Verknüpfungspunkt ermitteln können. Nach Eingang der erforderlichen Informationen sind Netzbetreiber verpflichtet, Einspeisewilligen unverzüglich, spätestens aber innerhalb von acht Wochen einen Zeitplan für die Herstellung des Netzanschlusses, die Informationen, die die Einspeisewilligen für die Prüfung des Verknüpfungspunkts benötigen, sowie auf Antrag die für die Netzverträglichkeitsprüfung erforderlichen Netzdaten und einen nachvollziehbaren und detaillierten Voranschlag der Kosten für den Netzanschluss zu übermitteln. Dabei ergibt sich bereits aus dem Wortlaut ("Einspeisewilligen"), dass die Informationsansprüche gemäß § 5 Abs. 5 und 6 EEG 2012 denjenigen zustehen, die den Betrieb einer Anlage (erst) beabsichtigen (BGH, Urteil vom 18. Juli 2007 - VIII ZR 288/05, RdE 2008, 18 Rn. 20 zu § 4 EEG 2004; Altrock in Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, 4. Aufl., § 5 Rn. 101 f.). Ein frühes Planungsstadium reicht daher aus. Die durch Art. 1 Nr. 3 des Europarechtsanpassungsgesetzes Erneuerbare Energien vom 12. April 2011 konkretisierten Informationspflichten sollen Planungssicherheit gewährleisten und eine Investitionsentscheidung erst ermöglichen (siehe zur Vorgängervorschrift § 5 Abs. 5 EEG 2009 BT-Drucks. 16/8148, S. 42; Beschlussempfehlung und Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/28/EG zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen vom 23. Februar 2011, BT-Drucks. 17/4895, S. 1, 20; Schulz-Gardyan in Baumann/Gabler/Günther, EEG, 2019, § 8 Rn. 112).
Rz. 28
(bb) Planungssicherheit als Grundlage für weitreichende Investitionsentscheidungen kann es indes nicht geben, wenn nicht gewährleistet werden kann, dass die mitgeteilten Informationen, insbesondere zum günstigsten Netzverknüpfungspunkt, ab einem bestimmten - für die Investitionsentscheidung maßgeblichen - Zeitpunkt für eine gewisse Zeit verbindlich bleiben. Angesichts des jederzeit möglichen Entstehens von Anschlussansprüchen anderer Erneuerbare-Energien-Anlagen am selben Verknüpfungspunkt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 und des somit für jeden Investor bestehenden Konkurrenzrisikos kann daher nur eine Reservierung von Netzverknüpfungspunkten und Einspeisekapazitäten die von § 5 Abs. 5 und 6 EEG 2012 bezweckte Planungssicherheit gewährleisten.
Rz. 29
(c) Auch Sinn und Zweck des § 5 EEG 2012 erfordert eine Auslegung von § 5 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 2 Satz 1 EEG 2012 dahin, dass eine vom Netzbetreiber aufgrund eines Reservierungsverfahrens getroffene Reservierungsentscheidung als der Vorschrift immanente Beschränkung des sich aus dieser Regelung ergebenden Anschlussanspruchs des Betreibers einer anschlussbereiten Anlage im Grundsatz zulässig ist.
Rz. 30
(aa) Zweck des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2012 ist es gemäß § 1 Abs. 1 EEG 2012, eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und eine Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu fördern. Um dies zu erreichen, soll gemäß § 1 Abs. 2 EEG 2012 der Ausbau der erneuerbaren Energien erhöht und sollen die so erzeugten Strommengen in das Versorgungssystem integriert werden.
Rz. 31
(bb) Diesem Zweck dient der vorrangig und unverzüglich zu gewährleistende Anschlussanspruch aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012. Allerdings besteht für den Einspeisewilligen vor Errichtung der Anlage - wie bereits ausgeführt - ein erhebliches Bedürfnis nach Planungssicherheit, dem auch der Gesetzgeber Rechnung tragen wollte, um Finanzierungsschwierigkeiten und Investitionshemmnisse zu vermeiden (BT-Drucks. 16/8148, S. 41; vgl. auch BGH, RdE 2007, 56 Rn. 16 zu § 4 EEG 2004). Daraus folgt, dass Sinn und Zweck des § 5 EEG 2012, den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern und diesen Ausbau gesamtwirtschaftlich zu optimieren (§ 1 EEG 2012), auch durch eine verbindliche Reservierung von Einspeisekapazitäten an bestimmten Netzverknüpfungspunkten gefördert und sogar begünstigt werden kann. Das gilt wegen der erheblichen Bedeutung von Planungssicherheit für Investitionsentscheidungen in diesem Bereich gesamtwirtschaftlich betrachtet auch dann, wenn der Netzbetreiber eine zuerst anschlussbereite Anlage aufgrund der Reservierung an einen anderen, ungünstigeren Netzverknüpfungspunkt verweisen muss.
Rz. 32
(cc) Bei der Ausgestaltung des Reservierungsverfahrens wird der Netzbetreiber allerdings zu berücksichtigen haben, dass eine Reservierung eine der Vorschrift des § 5 EEG 2012 immanente Beschränkung des Anschlussanspruchs desjenigen Anlagenbetreibers zur Folge haben kann, dessen Anlage zuerst anschlussbereit ist. Er muss daher die Interessen der Beteiligten bei der Verfahrensgestaltung und Reservierungsentscheidung angemessen berücksichtigen. Das wird jedenfalls - wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt - ein transparentes, diskriminierungs- und willkürfreies Verfahren erfordern. Der Netzbetreiber muss zudem sicherstellen, dass das Reservierungsverfahren den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht entgegen der obigen Zielsetzung behindert, was etwa Anlass geben dürfte, Reservierungen in geeigneter Weise zu befristen.
Rz. 33
b) Im vorliegenden Fall kann indes dahinstehen, wie ein Reservierungsverfahren, das zu einer wirksamen Beschränkung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 2 EEG 2012 ergebenden Ansprüche von Anlagenbetreibern führen soll, im Einzelnen auszugestalten ist, ab welchem Zeitpunkt und aufgrund welcher Kriterien eine Reservierung erfolgen darf und ob das von der Beklagten durchgeführte Verfahren diesen Anforderungen genügt hätte. Denn eine die Schadensersatzpflicht gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB begründende Pflichtverletzung der Beklagten liegt im Verhältnis zur Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon darin, dass sie aufgrund der von der Streithelferin mit E-Mail vom 1. Juni 2012 eingereichten ersten Seite einer Baugenehmigung vom 14. Mai 2012 eine Reservierung zugunsten der konkurrierenden Anlage vorgenommen hat.
Rz. 34
aa) Die Beklagte hat das von ihr aufgestellte Reservierungskriterium - die Vorlage einer gültigen Baugenehmigung - nicht beachtet. Sie hat am Netzverknüpfungspunkt S Einspeisekapazitäten für die konkurrierende Anlage reserviert, obwohl ihr nur die erste Seite einer Baugenehmigung vorlag, die sich auf eine auf den Flurstücken 1/3 der Flur 1 und 13/22 der Flur 2 zu errichtende Anlage bezog, während die konkurrierende Anlage sich nach der Anmeldung auch auf weitere Flurstücke erstrecken sollte. Damit ging aus dem vorgelegten Teil der Baugenehmigung nicht hervor, welche geplante Anlage diese betraf, insbesondere nicht, dass für die konkurrierende Anlage eine Baugenehmigung erteilt worden war. Auf dieser Grundlage durfte die Beklagte schon nach ihren eigenen Kriterien keine Reservierung für die konkurrierende Anlage vornehmen.
Rz. 35
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war die Beklagte von einer Überprüfung der Baugenehmigung nicht entbunden.
Rz. 36
(1) Führt der Netzbetreiber ein Reservierungsverfahren durch, obliegt ihm nach dem oben Ausgeführten eine gewisse Verfahrensverantwortung. Er ist insbesondere gegenüber demjenigen Anlagenbetreiber, dessen Anschlussanspruch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EEG 2012 durch die Reservierungsentscheidung beschränkt wird, verpflichtet, das Vorliegen der von ihm vorgegebenen Reservierungskriterien zu überprüfen und eine Reservierung zugunsten einer konkurrierenden Anlage nur vorzunehmen, wenn die Kriterien eingehalten worden sind.
Rz. 37
(2) Diese Pflicht hat die Beklagte hier nicht erfüllt. Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, dass Änderungen an Bauvorhaben im Lauf eines Projekts nicht ungewöhnlich sind. Es bestand aus diesem Grund - für die Beklagte ohne weiteres erkennbar - Anlass, die Übereinstimmung der Baugenehmigung mit dem fast ein Jahr zuvor angemeldeten Vorhaben zu überprüfen. Auf die Angabe der bei der Anmeldung vergebenen Registriernummer im Begleitschreiben kommt es dabei entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht an, da Reservierungskriterium allein die Vorlage einer gültigen Baugenehmigung war.
Rz. 38
4. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht ferner angenommen, dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen eines überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin ausgeschlossen ist.
Rz. 39
a) Das Berufungsgericht hat die in ständiger Rechtsprechung anerkannte Lehre zum Schutzzweck der Norm nicht beachtet. Danach steht die adäquate Zurechnung eines Schadens unter dem Vorbehalt eines haftungserweiternden oder -begrenzenden besonderen Zwecks der Haftungsnorm oder des der Haftung zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden aus dem Bereich der Gefahren stammt, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist. Das ist auch bei der Prüfung eines Mitverschuldens nach § 254 BGB und auch bei der Verletzung einer bloßen Obliegenheit zu beachten (BGH, Urteil vom 14. März 2006 - X ZR 46/04, NJW-RR 2006, 965 Rn. 9 mwN).
Rz. 40
b) Die Klägerin war nicht verpflichtet, die ihr erteilte Baugenehmigung möglichst frühzeitig einzureichen, um die Beklagte vor einer unrichtigen Reservierungsentscheidung im Hinblick auf eine andere eingereichte Baugenehmigung zu schützen. Die Einreichung der Baugenehmigung oblag ihr - sofern eine solche Obliegenheit überhaupt zu bejahen ist - allein im eigenen Interesse. Die Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin scheidet deshalb aus.
Rz. 41
III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das Berufungsgericht - nach seiner rechtlichen Beurteilung folgerichtig - keine Feststellungen zum Schaden getroffen hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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