Entscheidungsstichwort (Thema)
besonders schwere Brandstiftung
Tenor
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 29. August 2000 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben,
- soweit der Angeklagte im Fall II 5 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen, wegen schwerer Brandstiftung in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Brandstiftung in zwei tateinheitlichen Fällen, wegen versuchter schwerer Brandstiftung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen, wegen Brandstiftung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie wegen Sachbeschädigung” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Nebenkläger, der Vater des durch den Brand des Wohnhauses in der -Straße in Bielefeld getöteten sechs Jahre alten Sedat Y. (Fall II 5 der Urteilsgründe), die Verletzung sachlichen Rechts.
I.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Aus der rechtzeitig beim Landgericht eingegangenen Begründungsschrift ergibt sich, daß sich die Revision ungeachtet des umfassenden Aufhebungsantrages allein gegen die Verurteilung des Angeklagten im Fall II 5 der Urteilsgründe richtet und daß mit ihr eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen Mordes und wegen versuchten Mordes und damit wegen Gesetzesverletzungen erstrebt wird, die zum Anschluß des Nebenklägers berechtigen (§§ 395 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 400 Abs. 1 StPO).
II.
Das Rechtsmittel hat im wesentlichen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen legte der Angeklagte, dessen Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Taten aufgrund einer Pyromanie jeweils erheblich vermindert war, 16 Brände. Seiner Verurteilung im Fall II 5 der Urteilsgründe liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Nachdem der Angeklagte in verschiedenen Gaststätten Bier getrunken hatte (BAK: max. 1,85 ‰), machte er sich gegen 2.00 Uhr auf den Heimweg. Als er an dem dreieinhalbgeschossigen Mehrfamilienhaus in der -Straße vorbeiging und bemerkte, „daß es ihm keine Mühe machte, in das Haus zu gelangen, entschloß er sich, obwohl ihm klar war, daß das Haus bewohnt war, d.h. sich zu dieser Zeit Menschen darin aufhielten, in das Haus hineinzugehen, im Keller Feuer zu legen und so das Gebäude in Brand zu setzen.” In einem vom Hauseigentümer als Lagerraum genutzten Kellerraum zündete er „mit seinem Feuerzeug einen in der Nähe der hölzernen Eingangstür stehenden Karton an, der sofort Feuer fing und schon bald in Flammen stand. Als der Angeklagte sah, daß der Karton brannte, verließ er den Kellerraum und ging den Kellerflur zurück in Richtung der Kellertreppe, an der unten links neben dem Treppengeländer mehrere Mülltüten standen, die der Angeklagte nun ebenfalls mit seinem Feuerzeug in Brand setzte. Auch hier dauerte es nur kurze Zeit, bis der Abfall in Flammen stand. Als der Angeklagte erkannte, daß das Feuer die Mülltüten erfaßt hatte, stieg er die Treppen hinauf und verließ das Haus.” Anschließend ließ er sich von einem Taxi nach Hause bringen.
Das Feuer breitete sich über die Holztreppe auf das gesamte hölzerne Treppenhaus aus, erfaßte die Haustür, die aus Holz bestehenden Eingangsbereiche zu den einzelnen Wohnungen und die hölzerne Dachkonstruktion des Hauses. In den vier Wohnungen des Hauses hielten sich „mehr als 25 Personen auf, die alle zu Bett gegangen waren und schliefen”. Infolge der starken Rauch- und Hitzeentwicklung wachte eine der Bewohnerinnen des Hauses gegen 2.20 Uhr auf und weckte ihre Familie. Die von ihrem Sohn alarmierte Feuerwehr rückte nach wenigen Minuten an. Trotz der sofort eingeleiteten Rettungsmaßnahmen verbrannte in der „vom Feuer besonders intensiv in Mitleidenschaft gezogenen Dachgeschoßwohnung” der Familie Y. der sechs Jahre alte Sedat, der „versehentlich nicht geweckt worden und deshalb in der Wohnung verblieben” war. Seine Mutter Naciye Y. hatte seinen jüngeren Bruder, um diesen „vor den bereits in die Wohnung eingedrungenen Flammen zu retten, aus dem Fenster geworfen.” Das Kind erlitt Hämatome, innere Verletzungen und Knochenbrüche. Frau Y. sprang „in ihrer Verzweiflung, nachdem sie sich schon ihre Hände verbrannt und außerdem Verbrennungen am Oberschenkel und an den Ellenbogen erlitten hatte, schließlich ebenfalls aus dem Fenster”. Sie brach sich das rechte Knie und verlor mehrere Zähne. Ein anderer Mieter erlitt bei dem Versuch, sich aus dem Fenster seiner im ersten Stock gelegenen Wohnung abzuseilen, einen Bruch des rechten Fußknochens. Die übrigen Hausbewohner wurden von den Feuerwehrleuten gerettet oder konnten sich selbst rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit wegen besonders schweren Brandstiftung (§ 307 Nr. 1 StGB a.F.) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 223 a StGB a.F.) in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen verurteilt und dazu unter anderem ausgeführt:
Der Angeklagte habe durch das Legen des Feuers vorsätzlich drei Personen, nämlich Frau Y., deren jüngsten Sohn und Ethem S., an der Gesundheit beschädigt. Er sei sich darüber im klaren gewesen, daß die Brandlegung zu Verletzungen der Hausbewohner infolge von „Rettungs- bzw. Panikreaktionen” führen würde. Den Tod des Sedat Y. habe der Angeklagte fahrlässig verursacht, da für ihn voraussehbar gewesen sei, „daß es durch das Anzünden des leicht brennbaren Abfalls im Keller am Fuß der Holztreppe zu einer derart schweren Folge” (…) „kommen konnte”. Eine Strafbarkeit wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes scheide aus. Nach den getroffenen Feststellungen sei „vielmehr bei Würdigung der gesamten Umstände davon auszugehen, daß der Angeklagte darauf vertraute, daß infolge des Brandes keiner der Hausbewohner zu Tode kommen werde”, so daß nicht angenommen werden könne, daß er den Tod des Kindes billigend in Kauf genommen habe.
2. Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat aufgrund einer insoweit rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zur Kenntnis des Angeklagten von den für die Beurteilung der Gefahrenlage wesentlichen Umstände unter anderem festgestellt (UA 47/48):
Ihm war, „als er den Brand legte, klar, daß die Bewohner des Hauses schliefen und es deshalb unwahrscheinlich war, daß sie das Feuer sogleich nach dem Legen des Brandes entdeckten. Dem Angeklagten war daher bewußt, daß die Möglichkeit bestand, daß jedenfalls die Hausbewohner auf das Feuer erst dann aufmerksam werden würden, wenn es sich so weit ausgebreitet hatte, daß es zu einer erheblichen, deutlich wahrnehmbaren Hitze- und Rauchentwicklung geführt hatte, was die Gefahr mit sich brachte, daß für die Rettung aller Hausbewohner nicht mehr genügend Zeit blieb. Dem Angeklagten war weiter bewußt, daß wegen der Nachtzeit und des dadurch bedingten geringeren Publikumsverkehrs im und auf der Straße vor dem Haus eine alsbaldige Entdeckung des Feuers nicht eben wahrscheinlich war, wodurch sich die Rettungschancen für die Hausbewohner ebenfalls verschlechterten. Außerdem war dem Angeklagten klar, daß das Treppenhaus wegen des leicht brennbaren hölzernen Materials, aus dem es bestand, sowie wegen der Plazierung des Brandherdes in seiner unmittelbaren Nähe, sehr schnell Feuer fangen würde und daß er auf diese Weise, indem er die Treppe in Brand setzte, den Bewohnern den einzigen natürlichen Fluchtweg abschnitt, was Rettungsbemühungen deutlich erschwerte.”
Nach diesen Feststellungen ist aber nicht lediglich die Voraussehbarkeit des Eintritts des tödlichen Erfolges gegeben, auf die das Landgericht die Annahme der (dannunbewußten) Fahrlässigkeit hinsichtlich der Tötung des Kindes gestützt hat. Vielmehr hat der Angeklagte danach den Erfolgseintritt, und zwar auch soweit es die drei verletzten und die unverletzt gebliebenen Hausbewohner betrifft, als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt. Bei dieser Sachlage kam es für die Frage, ob der Angeklagte bedingt vorsätzlich oder lediglichbewußt fahrlässig gehandelt hat, darauf an, ob der Angeklagte den für möglich gehaltenen Todeserfolg billigend in Kauf genommen hat oder ob er damit nicht einverstanden war und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut hat, er werde nicht eintreten (vgl. BGHSt 36, 1, 9/10; BGH NStZ 1999, 507, 508). Auch das Willenselement dieser im Grenzbereich eng beieinander liegenden Schuldformen muß umfassend in einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geprüft werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9/10; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 41). Dies hat das Landgericht zwar an sich nicht verkannt. Die Annahme, der Angeklagte habe trotz seiner Kenntnis der Gefährlichkeit seines Tuns „auf erfolgreiche, das Leben der Hausbewohner rettende Maßnahmen” vertraut, begegnet aber durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
Das Vertrauen auf ein Ausbleiben des für möglich gehaltenen tödlichen Erfolges wird in der Regel dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, daß nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (vgl. BGHSt 36, 1, 10; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Ob dies zutrifft, kann für das Legen eines Brandes am Fuße einer in ein offenes Treppenhaus führenden Holztreppe in einem von Menschen bewohnten mehrstöckigen Gebäude – ebenso wie für Brandanschläge auf bewohnte Gebäude unter Einsatz von Brandflaschen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter, 38, 39) – nicht allgemein beantwortet werden, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei sind insbesondere von Bedeutung die Beschaffenheit des angegriffenen Hauses im Hinblick auf Fluchtmöglichkeiten und die Brennbarkeit der beim Bau verwendeten Materialien, die Angriffszeit wegen der erhöhten Schutzlosigkeit der Bewohner zur Nachtzeit, die Belegungsdichte sowie die konkrete Angriffsweise (vgl. BGH aaO).
Unter Berücksichtigung der festgestellten besonderen gefahrerhöhenden Umstände, insbesondere der Gefahr, daß das Treppenhaus wegen des leicht brennbaren hölzernen Materials sehr schnell Feuer fangen und den Bewohnern dadurch der einzige natürliche Fluchtweg abgeschnitten würde, liegt die Annahme, der Angeklagte habe gleichwohl ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter, 3, 24) auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolges vertraut, eher fern. Da der Angeklagte den Brand in Kenntnis der besonderen Gefährlichkeit seines Tuns legte, es nur kurze Zeit dauerte, bis der Abfall in den Mülltüten, die neben dem Treppengeländer standen, „in Flammen stand”, er erst danach das Haus verließ und so eine Steuerung des von ihm in Gang gesetzten, riskanten Tatgeschehens aus der Hand gab, liegt es vielmehr nahe, daß er die weitere Entwicklung dem Zufall überließ.
Dem steht nicht entgegen, daß der Angeklagte annahm, „daß das Feuer, da er es im Keller und nicht in unmittelbarer Nähe oder – etwa durch Hineinwerfen eines Brandsatzes – direkt in den einzelnen Wohnungen gelegt hatte, einige Zeit brauchen würde, bis es die Wohnungen erreicht hatte.” Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe „also” gewußt, daß den Bewohnern einige Zeit zur Verfügung stand, um Rettungsmaßnahmen zu ergreifen und sich in Sicherheit zu bringen, läßt sich nämlich weder mit dem festgestellten Geschehensablauf noch damit vereinbaren, daß dem Angeklagten „bewußt (war), daß jedenfalls die Hausbewohner auf das Feuer erst dann aufmerksam werden würden, wenn es sich soweit ausgebreitet hatte, daß es zu einer deutlich wahrnehmbaren Hitze- und Rauchentwicklung geführt hatte.” Der Angeklagte wußte mithin, daß die Feuerwehr dann trotz der Nähe der Feuerwache – wie geschehen – Rettungsmaßnahmen erst nach dem Übergreifen des Brandes auf das gesamte Treppenhaus würde ergreifen können. Soweit das Landgericht davon ausgeht, der Angeklagte habe auf eine baldige Entdeckung des Brandes durch „Außenstehende” vertraut, enthält das Urteil einen weiteren nicht aufzulösenden Widerspruch. Wenn dem Angeklagten bewußt war, „daß wegen der Nachtzeit und des dadurch bedingten geringen Publikumsverkehrs in und auf der Straße vor dem Haus eine alsbaldige Entdeckung des Feuers nicht eben wahrscheinlich war” konnte er nach seiner Kenntnis „von den Gegebenheiten der Örtlichkeit” nicht „andererseits” davon ausgehen, daß „eine recht baldige Entdeckung des Brandes durch Außenstehende nicht eben unwahrscheinlich war, da die -Straße keine ruhige Wohn- und Anliegerstraße ist, sondern auch zur Nachtzeit durchaus nicht selten befahren wird”.
Die Erwägungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, daß es zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Für die Feststellung von (hier: inneren) Tatsachen genügt nämlich, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, an dem vernünftige Zweifel nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben, sondern sich auf die Annahme einer bloß abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (st. Rspr., vgl. BGH NStZ-RR 1999, 332, 333 m.w.N.).
3. Soweit der Angeklagte im Fall II 5 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Verurteilung in diesem Fall nötigt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können jedoch bestehen bleiben.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Tolksdorf, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen