Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.11.1980) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 1980 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes und Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt.
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Sie hat keinen Erfolg.
I.
Die Verfahrensrügen
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Gericht habe vier von der Verteidigung überreichte Lichtbilder nicht verwertet und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 244 Abs. 2 StPO). Aus diesen Lichtbildern gehe hervor, daß sich in der Nähe des Tatorts Telefonzellen und Notrufsäulen befänden. Da der Zeuge D. sich dieser Einrichtungen nicht bedient habe, um die Polizei zu verständigen, treffe es entgegen seiner Aussage nicht zu, daß ihm daran gelegen gewesen sei, schnelle Hilfe herbeizuholen. Die Verwertung der Lichtbilder, gegebenenfalls in Verbindung mit einer weiteren Ortsbesichtigung, hätte die Unglaubwürdigkeit des Zeugen ergeben.
Die Rüge ist unbegründet. Die von der Revision vermißte Sachaufklärung brauchte sich dem Gericht nicht aufzudrängen. Seine Überzeugung, daß kein Unglücksfall oder Selbstmord vorlag, stützte sich vor allem auf die Feststellungen am Tatort und die Art der Verletzungen des Opfers, nur daneben auch auf die Aussage des Zeugen D. Dieser hatte bekundet, der schwerverletzte J. habe gesagt, er sei "aus dem Fenster geschmissen" worden. Insoweit hat die Kammer dem Zeugen geglaubt, obgleich sie sich bewußt war, daß der Zeuge zur eigenen Person und Beschäftigung unrichtige Angaben gemacht hatte (UA S. 15). Bei dieser Beweislage mußte das Gericht keine Nachforschungen darüber anstellen, ob der Zeuge ein unzutreffendes Bild von seiner Hilfsbereitschaft entworfen hatte, soweit er etwa näherliegende Möglichkeiten, rasche Hilfe zu holen, ungenutzt ließ.
2.
Gleichfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge, das Gericht habe die Vernehmung weiterer Sachverständiger zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu Unrecht abgelehnt.
Der Beweisantrag hatte eine doppelte Behauptung zum Gegenstand: zum einen, daß bei dem Angeklagten zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 3 Promille vorgelegen habe, zum anderen, daß er auf Grund der Alkoholbelastung und seiner psychischen Situation nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Das Gericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil durch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. das Gegenteil der behaupteten Tatsachen bereits erwiesen sei (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO).
a)
Die Behandlung des Beweisantrags ist insoweit fehlerhaft, als er die Behauptung enthielt, die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten habe zur Tatzeit mindestens 3 Promille betragen. Aus der Begründung des Gerichtsbeschlusses wird nicht erkennbar, wie sich die Kammer zu dieser Behauptung gestellt hat. Der von ihr angegebene Ablehnungsgrund, das Gegenteil sei schon erwiesen, bezog sich - entgegen dem ersten Anschein - nicht auf den von der Verteidigung behaupteten Blutalkoholgehalt, sondern nur auf die weitere Behauptung, der Angeklagte sei infolge der Alkoholbelastung und seiner psychischen Verfassung schuldunfähig gewesen. Das ergibt sich aus der Beschlußbegründung; denn dort wird die Frage, wie hoch die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit gewesen ist, weder beantwortet noch als bereits entschieden behandelt. Daß ein bestimmter (maximaler) Blutalkoholwert für bewiesen erachtet würde, läßt sich aus dem Ablehnungsbeschluß nicht ersehen, im übrigen auch nicht aus sonstigen Umständen ableiten, zumal selbst das Urteil den Blutalkoholgehalt des Angeklagten an keiner Stelle beziffert. Andererseits ist den Gründen des Ablehnungsbeschlusses aber auch nicht zu entnehmen, daß die Kammer die Behauptung des Verteidigers zum Blutalkoholgehalt etwa als wahr unterstellt hätte. Für eine derartige Auslegung ist kein Raum. Sie kann insbesondere nicht darauf gestützt werden, daß die Beschlußbegründung betont, der vernommene Sachverständige habe auf Grund der Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung dessen Blutalkoholkonzentration überschlägig berechnet und selbst hiernach noch eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit ausgeschlossen. Denn dies besagt nicht, daß sich die Kammer die überschlägige Berechnung des Sachverständigen, deren Ergebnis sie nicht einmal mitteilt, zu eigen gemacht hätte. Gegen die Annahme einer (verdeckten) Wahrunterstellung spricht überdies, daß die Berechnung des Sachverständigen auf solchen Angaben des Angeklagten fußte, die das Gericht seiner Urteilsfindung gerade nicht zugrunde gelegt, sondern als Schutzbehauptung gewertet hat (UA S. 18 f.). Bei dieser Sachlage ist zu besorgen, daß die Kammer den Beweisantrag zur Blutalkoholkonzentration entweder überhaupt nicht beschieden oder ohne Begründung abgelehnt hat.
Der damit aufgezeigte Verfahrensfehler verhilft der Revision jedoch nicht zum Erfolg, da das Urteil nicht darauf beruht. Wieviel Alkohol der Angeklagte vor der Tat getrunken hatte, war nach der Überzeugung des Gerichts nicht mehr zu klären. Die Kammer hat zwar die Alkoholaufnahme des Angeklagten in seiner Wohnung (4 Flaschen Bier) und in der Wohnung der Eltern (Apfelkorn, "keinesfalls jedoch die ganze Flasche") entsprechend seinen Angaben bei der Polizei in etwa bestimmt und seine spätere Einlassung, er habe mehr getrunken, für widerlegt erachtet (UA S. 5, 18 f.); sie hat sich jedoch außerstande gesehen, Feststellungen über die von ihm in den "Patrizier-Stuben" getrunkenen Alkoholmengen zu treffen (UA S. 6, 19) und somit die Gesamtmenge des vor der Tat genossenen Alkohols zu ermitteln. Daß eine Blutprobe entnommen worden wäre, ist nicht ersichtlich; sie hätte auch keine Rückschlüsse auf den Grad der Alkoholisierung zur Tatzeit erlaubt, weil der Angeklagte erst einen vollen Tag nach der Tat festgenommen wurde (UA S. 6, 10). Ohne Feststellung der Trinkmengen und ohne Blutprobe ließ sich aber der Blutalkoholgehalt des Angeklagten zur Tatzeit auch von einem Sachverständigen nicht berechnen. Die Kammer hätte deshalb den Beweisantrag zur Blutalkoholkonzentration mit der Begründung ablehnen können, der Sachverständige sei hier ein völlig ungeeignetes Beweismittel, da es keine Möglichkeit gebe, ihm die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, die er für sein Gutachten brauche (BGHSt 14, 339, 342; BGH bei Holtz MDR 1978, 281; BGH, Urteil vom 15. Juli 1980 - 5 StR 344/80 -, Leitsatz abgedruckt in NStZ 1981, 32). Wäre aber stattdessen die insoweit beantragte Beweisaufnahme durchgeführt worden, so hätte sie den genannten Ablehnungsgrund nur bestätigt, also kein verwertbares Beweisergebnis erbracht. Unter diesen Umständen ist auszuschließen, daß sich der erörterte Verfahrensfehler auf das Urteil ausgewirkt hat.
b)
Soweit der Beweisantrag die Behauptung enthielt, der Angeklagte sei auf Grund der Alkoholbelastung und seiner psychischen Situation schuldunfähig gewesen, ist die Vernehmung eines weiteren Sachverständigen zu Recht abgelehnt worden; die dafür gegebene Begründung, durch das frühere Gutachten sei das Gegenteil schon erwiesen, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. hatte in seinem Gutachten die volle Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht, insbesondere auch eine erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen. Die Kammer brauchte die Sachkunde des Gutachters, der als Leiter einer psychiatrischen Universitätsklinik derartige Gutachten seit Jahren erstattet, nicht zu bezweifeln. Der Angriff der Revision, dem Sachverständigen habe es an der fachlichen Kompetenz zur Bestimmung von Blutalkoholwerten gefehlt, geht ins Leere. Da sich - wie dargelegt - der Blutalkoholgehalt des Angeklagten zur Tatzeit mangels hinreichender tatsächlicher Grundlagen nicht mehr ermitteln ließ, konnte es nicht darauf ankommen, ob der Sachverständige in diesem Bereich über das notwendige Spezialwissen verfügte, insbesondere hinlänglich befähigt war, Blutalkoholwerte richtig zu berechnen und ihre Bedeutung für die Beurteilung der Schuldfähigkeit zutreffend einzuschätzen. Der Sachverständige ist - wie die Begründung des Beschlusses im einzelnen darlegt - auch nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß sein Gutachten Widersprüche enthielte oder einem anderen Sachverständigen überlegene Forschungsmittel zu Gebote gestanden hätten, soweit sie im vorliegenden Fall von Bedeutung sein könnten.
II.
Die Sachrüge
Die auf die Sachrüge vorgenommene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Verurteilung wegen Raubes und Totschlags wird von den Feststellungen getragen.
Die Revision bekämpft das Urteil vor allem insoweit, als es den Vorwurf des Totschlags zum Gegenstand hat. Sie vermißt den erforderlichen Nachweis der Tat; was sie gegen die Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten ins Feld führt, erschöpft sich jedoch in unzulässigen Angriffen auf die dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung. Diese weist keine Widersprüche oder Denkfehler auf. Vergeblich versucht der Beschwerdeführer, das Gegenteil darzutun, indem er die Glaubwürdigkeit bestimmter Zeugen anders beurteilt, aus den Einzelergebnissen der Beweisaufnahme abweichende Schlußfolgerungen zieht und damit insgesamt seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts setzt. Solches Vorbringen ist in der Revisionsinstanz unbeachtlich.
Den bedingten Tötungsvorsatz hat die Kammer aus den äußeren Umständen des Tathergangs geschlossen: wer einen 70-jährigen Menschen aus einer Höhe von ca. 4,50 Metern aus dem Fenster stürze, nehme den Tod des Opfers billigend in Kauf; bei der Gefährlichkeit dieser Handlungsweise könne er nicht auf einen glücklichen Ausgang vertrauen (UA S. 26). Dieser Schluß ist möglich - zwingend braucht er nicht zu sein(BGH NJW 1951, 325; BGHSt 10, 208, 210; 25, 365, 367 ständige Rechtsprechung).
Daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge des Alkoholgenusses weder ausgeschlossen noch erheblich vermindert war, hat die Kammer hinreichend dargelegt und begründet. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang behauptet, es wäre möglich gewesen, die Gesamtmenge des genossenen Alkohols zu ermitteln und demgemäß die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit zu berechnen, kann dieses Vorbringen keine Berücksichtigung finden; denn die Revision stützt sich hierfür auf solche Angaben des Angeklagten und Zeugenaussagen, denen die Kammer gerade nicht gefolgt ist. Auch insoweit entfernt sich der Beschwerdeführer in unzulässiger Weise von der tatrichterlichen Beweiswürdigung, wie sie dem Urteil zugrunde liegt.
Rechtlich einwandfrei ist die Annahme des Gerichts, daß - da die Gesamttrinkmenge des Angeklagten nicht feststellbar sei - der Grad seiner Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt nur auf Grund der äußeren und inneren Merkmale des Individualgeschehens und der Gesamtumstände, insbesondere des vom Angeklagten gezeigten Leistungsverhaltens, beurteilt werden könne. Die Kammer hat dabei - hierin dem Gutachten des Sachverständigen folgend - auf die Erinnerungsfähigkeit des Angeklagten, sein "motivisch begründetes Handeln" und seine körperliche Geschicklichkeit ("voll erhaltene Feinmotorik") abgestellt, die ihn befähigte, von einer Mülltonne aus das Vordach des Hauses zu erklettern, in etwa 4 m Höhe auf einem 9 cm schmalen Sims zu "balancieren und dabei noch ein 1 m hohes Reklameschild zu übersteigen. Diese Umstände konnten ohne Rechtsfehler als Anzeichen dafür gewertet werden, daß eine hochgradige Alkoholisierung bei dem Angeklagten nicht vorlag und seine Schuldfähigkeit deshalb weder ausgeschlossen noch erheblich vermindert war.
Zwar braucht planmäßiges, zielstrebiges und folgerichtiges Verhalten des Täters ebensowenig wie dessen ungetrübte Erinnerung an das Tatgeschehen der Annahme einer erheblichen Verminderung seines Hemmungsvermögens entgegenzustehen (BGHSt 1, 384, 385; BGH GA 1955, 269, 271; BGH bei Holtz MDR 1976, 632, 633; BGH NStZ 1981, 298; BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1980 - 2 StR 257/80 - und 11. Juni 1981 - 1 StR 14/81 -; Urteile vom 16. Juli 1980 - 2 StR 78/80 - und 7. Oktober 1981 - 2 StR 356/81 -). Dies hat der Bundesgerichtshof vor allem in solchen Fällen betont, in denen der Tatrichter derartige Anzeichen erkennbar überbewertet und demgegenüber die Aussagekraft des festgestellten oder doch feststellbaren Blutalkoholgehalts zu Unrecht vernachlässigt hatte. Ein solcher Fall lag jedoch hier nicht vor, weil sich die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten nicht mehr bestimmen ließ. Davon abgesehen geben die Ausführungen der Kammer aber auch keinen Anlaß zu der Besorgnis, daß sie den begrenzten Beweiswert der Erinnerungsfähigkeit des Täters und seines Leistungsverhaltens für die Beurteilung der Schuldfähigkeit verkannt hätte. Sie hat das Erinnerungsvermögen des Angeklagten nicht - was fehlerhaft wäre - als Umstand gewertet, der eine Minderung der Schuldfähigkeit zwingend ausschließen würde; auch war sie sich bewußt, daß selbst bei hochgradiger Alkoholisierung die Fähigkeit des Täters zu äußerlich zielgesteuertem Handeln - jedenfalls innerhalb bestimmter Grenzen ("Grobmotorik") - erhalten geblieben sein kann.
Demgemäß bestehen keine Bedenken gegen die Begründung, mit der die Kammer zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Angeklagte uneingeschränkt schuldfähig war. Sie hat in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hingewiesen, daß die Taten für den Angeklagten keineswegs "atypisch", also persönlichkeitsfremd waren, und die Vorverurteilungen als Beleg für seine Neigung zu aggressiven Handlungen angeführt (UA S. 20; vgl. BGH NStZ 1981, 298).
Fundstellen