Leitsatz (amtlich)
›Verspätetes Vorbringen darf im frühen ersten Termin dann nicht zurückgewiesen werden, wenn nach der Sach- und Rechtslage des Streitfalles eine Streiterledigung in diesem Termin von vornherein ausscheidet.‹
Verfahrensgang
OLG Stuttgart |
LG Stuttgart |
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch, den sie als Folge eines Femurschaftbruches des linken Oberschenkel während einer Hüftgelenksoperation am 9. Mai 1983 zum Zwecke des Einsatzes einer Endoprothese erlitten hat. Sie trägt dazu vor, die Beklagten zu 1) bis 3) hätten ihren Körperschaden durch schuldhafte Behandlungsfehler verursacht; darüberhinaus sei der Eingriff rechtswidrig gewesen, weil sie nicht, wie erforderlich, über das eingetretene Risiko aufgeklärt worden sei. Die Viertbeklagte habe für das Verhalten der beklagten Ärzte mit einzustehen.
Aus der am 1. Juli 1985 beim Landgericht eingegangenen Klage nebst Anlagen ergibt sich, daß die Parteien vorprozessual über einen Schadensausgleich längere Zeit verhandelt haben, die Beklagten indessen eine Haftung abgelehnt hatten, wobei sie im einzelnen auf den nicht einfach liegenden medizinischen Sachverhalt eingegangen sind. Der Vorsitzende der zuständigen Kammer des Landgerichtes bestimmte unter Bezeichnung der Sache als Feriensache frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 20. September 1985, ordnete das persönliche Erscheinen der Klägerin und der Viertbeklagten - das ist die Stadt S. als Trägerin des Krankenhauses - "zur Aufklärung des Sachverhaltes und für einen Güteversuch" an; gleichzeitig setzte er den Beklagten eine Frist von 4 Wochen nach Zustellung der Klageschrift zur Klageerwiderung. Die Zustellung dieser Verfügung an die Beklagten erfolgte am 18. Juli 1985. Auf fernmündlichen Antrag des Anwalts der Beklagten wurde die Klageerwiderungsfrist am 15.8.1985 bis zum 23.8.1985 verlängert. Nach einem erst am 27.8.1985 gestellten Antrag auf nochmalige Verlängerung der Frist, dem nicht entsprochen wurde, ging die Klageerwiderung der Beklagten am 3.9.1985 beim Landgericht ein. Darin traten die Beklagten unter Vorbringen von Einzelheiten und Beweisangeboten der Klage entgegen.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben; das Vorbringen der Beklagten hat es als verspätet zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht hat dieses Urteil nebst dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht meint, das Landgericht habe das Vorbringen der Beklagten in der Klageerwiderung zu Unrecht nach § 296 Abs. 1 i.V.m. § 275 Abs. 1 Satz 1 ZPO zurückgewiesen, so daß das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leide. Dazu erwägt es im wesentlichen: Der frühe erste Termin des Landgerichtes sei erkennbar ein sogenannter Durchlauftermin gewesen; eine abschließende streitige Verhandlung sei von vornherein ausgeschlossen gewesen. Die erforderliche Beweisaufnahme hätte im frühen ersten Termin vom 20. September 1985 nicht durchgeführt werden können, zumal der Vorsitzende bei der Terminsanberaumung außer der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin und eines Vertreters der Viertbeklagten keine den Verhandlungstermin vorbereitende Maßnahmen getroffen habe. In derartigen Fällen werde die Regelung des § 296 Abs. 1 ZPO mißbraucht, wenn der Beklagte mit einem zwar verspätet vorgebrachten, aber im Termin vorliegenden Sachverhalt nicht mehr gehört werde.
II. Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe sind unbegründet.
1. Zutreffend und vom Berufungsgericht ebenfalls nicht in Zweifel gezogen ist allerdings die Rechtsansicht des Landgerichtes, daß auch in einem sogenannten frühen ersten Termin entgegen einer ordnungsgemäßen Fristsetzung zur Klageerwiderung unentschuldigt nicht rechtzeitig angebrachtes Vorbringen der Beklagten nach § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden kann. § 296 Abs. 1 ZPO verweist ausdrücklich auch auf die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Diese Regelung ist, sofern sie nicht "mißbraucht", d.h. ohne Rücksicht auf Sinn und den Zweck der Präklusionsvorschriften angewandt wird, auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschl. vom 30.1.1985 - 1 BvR 99/84 BVerfG 69, 126, 137 ff = NJW 1985, 1149 zu § 296 Abs. 2 ZPO; BGH, Urteil vom 2. Dezember 1982 - VII ZR 71/82 - BGHZ 86, 31, 33 ff).
2. Die Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im frühen ersten Termin hätte hier nicht zu einer längeren Prozeßdauer als bei rechtzeitigem Vorbringen führen können. Es handelt sich um einen nicht einfach liegenden Arzthaftungsprozeß, dessen Entscheidung von der Klärung der zwischen den Parteien strittigen medizinischen Fragen abhängt, die in einem frühen ersten Termin nicht hätte erfolgen können, auch wenn die Beklagten innerhalb der ihnen gesetzten Frist auf die Klage erwidert hätten. Andererseits hätte die Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten aber, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich genügt (vgl. die Nachweise BGH aaO. S. 34), die Erledigung des Prozesses durch eine Entscheidung im frühen ersten Termin nicht zugelassen. Der Streitfall nötigt den erkennenden Senat nicht dazu, auf die Kritik im Schrifttum zu dem in der Rechtsprechung verwandten sog. absoluten Verzögerungsbegriff und dessen Anwendung auf die Durchführung des frühen ersten Termines einzugehen (s. insbes. Hermisson NJW 1983, 2229, 2331 f; Wolf JZ 1983, 312; Leipold ZZP 97, S. 395 ff; Waldner ZZP 98, 451 ff; Deubner NJW 1985, 1140 f). Auch unter Zugrundelegung des strengen Verzögerungsbegriffes und der Übertragung seiner Anwendung auf den frühen ersten Termin durfte das Landgericht, wie das Oberlandesgericht richtig erkannt hat, das Vorbringen der Beklagten nicht zurückweisen. Das beruht auf folgenden Erwägungen:
a) Der frühe erste Termin dient seiner Funktion nach in erster Linie als Alternative zum schriftlichen Vorverfahren (§ 276 ZPO) der Vorbereitung des Haupttermines (§ 272 Abs. 1 ZPO), in dem der Prozeß dann möglichst entscheidungsreif sein soll (vgl. dazu im einzelnen Lange NJW 1986, 1728 ff; eingehend dazu vor allem auch Leipold aaO. S. 401 ff). In einfach gelagerten Fällen kann er, vor allem nach entsprechender, kurzfristig möglicher Vorbereitung durch das Gericht, sicherlich auch schon für eine abschließende Erledigung des Prozesses geplant und geeignet sein (BGH aaO. S. 36). In einem schon nach dem Klagevorbringen offensichtlich schwierigen und komplizierten Arzthaftungsprozeß wird das freilich kaum jemals möglich sein. Vielmehr wird der frühe erste Termin hier meistens schon der Sache nach ein sogenannter Durchlauftermin sein, in dem es darum geht, mit den Parteien den Streitstoff zu erörtern und ihn zu ordnen, Unklarheiten nach Möglichkeit zu beseitigen und diejenigen Maßnahmen vorzubereiten, die einen abschließenden Haupttermin ermöglichen können. Handelt es sich um einen solchen Durchlauftermin, ist es auch nach Meinung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes jedenfalls dann ein Mißbrauch der Regelung des § 296 Abs. 1 ZPO, wenn ein Beklagter mit einem zwar verspäteten, aber im Termin vorliegenden Sachvortrag nicht mehr gehört wird (BGH aaO. S. 39). Allerdings ist nach Auffassung des VII. Zivilsenats weiter erforderlich, daß die Bestimmung des frühen ersten Termins zu einem bloßen Durchlauftermin eindeutig erkennbar ist; nach seiner Auffassung genügt dazu nicht, daß der Rechtsstreit möglicherweise auch bei Einhaltung der Erwiderungsfrist einen Haupttermin erfordert hätte (vgl. BGH aaO. S. 36, 39; Bliesener LM ZPO § 275 Nr. 9). Für den Fall des § 296 Abs. 2 ZPO hat auch das Bundesverfassungsgericht aaO. ausgeführt, der Ausschluß von Angriffs- und Verteidigungsmitteln lasse sich nicht mehr mit Art. 103 Abs. 1 GG (Wahrung des rechtlichen Gehörs) vereinbaren, soweit das Gericht einen frühen ersten Termin als Durchlauftermin geplant und auch abgehalten habe, wobei das Bundesverfassungsgericht darauf abstellt, daß das Gericht eine zur Streitentscheidung geeignete Verfahrensvorbereitung für den frühen ersten Termin erkennbar nicht getroffen hat (BVerfG aaO. S. 139). In dem zugrundeliegenden Fall schloß die Terminslage die Durchführung einer "abschließenden streitigen Verhandlung, die eine Beweisaufnahme eingeschlossen hätte", aus. Nach Ansicht des erkennenden Senates würde sich aus verfassungsrechtlicher Sicht das Ergebnis ebenso aus einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, ferner aus einem Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens (sog. Waffengleichheit), den auch das Bundesverfassungsgericht anführt.
b) Im Streitfall war, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, der frühe erste Termin vom 20. September 1985 erkennbar und eindeutig von vornherein als ein sogenannter Durchlauftermin geplant. Offensichtlich deshalb, weil schon die umfangreiche Klageschrift nebst Anlagen ausschloß, daß das Verfahren im frühen ersten Termin ohne Beweisaufnahme, insbesondere ohne kompetente sachverständige Beratung abzuschließen war, hat der Vorsitzende keine vorbereitenden Maßnahmen für eine Streiterledigung bereits in diesem Termin (§ 273 Abs. 2 ZPO) getroffen. Er hat nur das persönliche Erscheinen der Klägerin und eines Vertreters der mitbeklagten Stadt angeordnet, soweit erkennbar allein in der Absicht, mit den Parteien den Prozeßvortrag zu erörtern und eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreites zu versuchen; damit hatte der Vorsitzende ja auch die Ladung der Parteien ausdrücklich begründet. Eine frühzeitige Entscheidung schon im Termin vom 20. September 1985 war auch nicht deswegen möglich, weil die Klägerin ihre Klage nicht nur auf einen Behandlungsfehler, sondern auch auf die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht gestützt hatte. Auch diese Frage war, wie das in Arzthaftungsprozessen ganz allgemein zu fordern ist, nicht ohne sachverständige Beratung zu entscheiden. Nicht nur war damit, wie sogleich zu erörtern sein wird, der Sache nach eine zur Streitentscheidung im frühen ersten Termin geeignete Verfahrensvorbereitung entgegen der Ansicht der Revision von vornherein ausgeschlossen. Die Umstände des Falles ließen das auch für jeden Verfahrensbeteiligten klar erkennen. Entgegen der Ansicht der Revision gehört der Streitfall damit zu den Fällen, für die der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs und das Bundesverfassungsgericht die Anwendung der Präklusionsvorschrift als mißbräuchlich ansehen.
Dafür kann es nicht entscheidend darauf ankommen, daß die kurze Zeitspanne zwischen dem Ende der Frist zur Klageerwiderung und dem frühen ersten Termin (so das vom VII. Zivilsenat angeführte Beispiel) oder die Terminslage (so in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall) den frühen ersten Termin eindeutig als Durchlauftermin kennzeichnen. Auch wenn nach der Sach- und Rechtslage des Streitfalles offensichtlich ist, daß der frühe erste Termin von vornherein für eine Streiterledigung ausscheidet, wäre eine Präklusion durch das Verfahrensrecht nicht mehr legitimiert.
c) Im Streitfall kann auch das Landgericht nicht aufzeigen, daß trotz allem nach ausreichender Vorbereitung eine Streitentscheidung im frühen ersten Termin wenigstens dann möglich gewesen wäre, wenn die Klageerwiderung innerhalb der gesetzten Frist eingegangen wäre. Dafür gibt es auch nicht den geringsten Anhalt. Auch der Zeitraum zwischen dem 24. August 1985, dem Tag nach Ablauf der Klagerwiderungsfrist, und dem Terminstag vom 20. September 1985 hätte nicht ausgereicht, durch vorbereitende Maßnahmen eine abschließende Beweisaufnahme durchzuführen. Solche Maßnahmen hat, wie gesagt, der Vorsitzende bei Bestimmung des frühen ersten Termins offensichtlich ohnehin von vornherein nicht ernsthaft ins Auge gefaßt. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß ein früher erster Termin schon aus seiner Sicht nur als sogenannter Durchlauftermin in Betracht kam, und zwar unabhängig davon, was er unter einem Durchlauftermin verstanden haben sollte. Dann aber ist die Zurückweisung der Klageerwiderung aus dem rein formalen Grund, sie sei nicht innerhalb der nach § 275 Abs. 1 Satz 1 ZPO gesetzten Frist vorgebracht worden, ein offensichtlicher Mißbrauch der Präklusionsvorschriften. Die Vorschriften über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens sollen einer Straffung und Beschleunigung des Verfahrens dienen. Nicht aber soll die prozessuale Nachlässigkeit einer Partei als solche sanktioniert werden, und schon gar nicht soll die Anwendung dieser Vorschrift dem Gericht die Mühe einer der Sache nach gebotenen sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung ersparen.
3. Erweist sich schon danach das angefochtene Urteil als zutreffend, braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, welche rechtliche Bedeutung dem im Revisionsverfahren zu unterstellenden Vortrag der Beklagten zukommt, der Kammervorsitzende beim Landgericht habe ihrem Anwalt noch am 27. August 1985 mündlich erklärt, es reiche aus, wenn die Klageerwiderung bis zum 9. September 1985 eingehen werde.
Fundstellen
Haufe-Index 2992871 |
BGHZ 98, 368 |
BGHZ, 368 |
BB 1987, 438 |
NJW 1987, 500 |
BGHR ZPO § 275 Abs. 1 Satz 1 Zurückweisung, (Vorbringen) 1 |
BGHR ZPO § 296 Abs. 1 Früher erster Termin 1 |
JZ 1987, 416 |
JuS 1987, 410 |
MDR 1987, 225 |
DfS Nr. 1994/389 |