Leitsatz (amtlich)

›1. Die Pflicht zur Wahrung rechtlichen Gehörs auch bei verspätetem Vorbringen erfordert nicht, schon vor Eingang der Klageerwiderung auf Grund des in der Klageschrift geschilderten vorprozessualen Streitstandes die hierzu benannten Zeugen für den frühen ersten Termin zu laden oder die Ladung ausdrücklich vorzubehalten.

2. Wenn ein Verteidigungsvorbringen in erster Instanz zu Recht zurückgewiesen worden ist, dann sind Indizien für die Richtigkeit dieses Vorbringens unerheblich und müssen auch dann unberücksichtigt bleiben, wenn sie sich erst später ergeben haben und ohne Verspätung vorgetragen worden sind.‹

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf

OLG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt ein Juweliergeschäft. Sie verlangt die Bezahlung eines Colliers. Dieses fertigte sie nach ihrer Darstellung im Auftrag der Beklagten aus einer Smaragdkette, zwei Perlenketten und einem mit einem Opal und Smaragden besetzten Schloß. Nach Eingang der Klage beim Landgericht hat der Vorsitzende der Zivilkammer frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 10. Januar 1985 bestimmt, der Beklagten eine Frist zur Klageerwiderung bis zum 1. Oktober 1984 gesetzt und sie auf die Folgen einer Fristversäumung hingewiesen. Klage nebst Ladung, Fristsetzung und Belehrung wurden der Beklagten am 16. August 1984 zugestellt.

Die Beklagte hat erstmals mit einem am 3. Januar 1985 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz zur Sache Stellung genommen. Sie hat bestritten, bei der Klägerin eine Smaragdkette erworben und Auftrag zur Herstellung eines Colliers erteilt zu haben. Zur Entschuldigung der verspäteten Einreichung der Klageerwiderung hat sie sich auf zwischenzeitlich unter den Parteien geführte Vergleichsverhandlung berufen.

Das Landgericht hat das Vorbringen der Beklagten zur Sache gemäß §§ 275 Abs. 1, 296 Abs. 1 ZPO wegen Verspätung unberücksichtigt gelassen und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Es hat die Vergleichsverhandlungen nicht zur Entschuldigung für die Fristversäumung gelten lassen und ausgeführt, die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen, da für die dann zur Aufklärung des Sachverhalts erforderliche Beweisaufnahme ein neuer Termin hätte angesetzt werden müssen; wegen des späten Eingangs der Klageerwiderung seien prozeßleitende Anordnungen nach § 273 ZPO bis zum frühen ersten Termin nicht mehr möglich gewesen.

In der Berufungsinstanz hat die Beklagte insbesondere geltend gemacht, das Vorbringen der Klageerwiderung habe nach der Rechtsprechung schon deswegen nicht als verspätet unberücksichtigt bleiben dürfen, weil der frühe erste Termin am 10. Januar 1985 lediglich als Durchlauftermin angesetzt worden sei; wegen der Vielzahl der an diesem Tag anberaumten Sachen habe eine abschließende streitige Verhandlung mit Einschluß einer Beweisaufnahme ohnehin nicht durchgeführt werden können. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer - zugelassenen - Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

1. Das Berufungsurteil hat ohne Rechtsfehler im einzelnen dargelegt, daß der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt den geltend gemachten Vergütungsanspruch aus Werklieferungsvertrag ( §§ 651 Abs. 1 Satz 2, 2. Alternative, 631 Abs. 1 ) begründet. Insoweit erhebt auch die Revision keine Beanstandungen.

Die Beklagte hat die ihr gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 ZPO bis zum 1. Oktober 1984 gesetzte Frist zur Klageerwiderung um rund drei Monate überschritten. Ihre Verteidigungsmittel waren daher gemäß § 296 Abs. 1 ZPO vom Landgericht nur zuzulassen, wenn dies die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert oder wenn die Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt hätte. Soweit das Landgericht das Vorbringen der Beklagten unberücksichtigt gelassen hat, mußte es das Vorbringen der Klägerin als unstreitig ansehen ( § 138 Abs. 3 ZPO ) und die Beklagte auf dieser Grundlage antragsgemäß verurteilen. Soweit ihr Vorbringen zu Recht unberücksichtigt gelassen und so zurückgewiesen wurde, blieb die Beklagte damit gemäß § 528 Abs. 3 ZPO auch in der Berufungsinstanz ausgeschlossen. Die Revision rügt, das Landgericht habe das Vorbringen der Beklagten zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Diese Rüge greift nicht durch.

2. Die Revision führt aus, eine Verspätung könne schon deswegen nicht angenommen werden, weil die Klägerin ihren Anspruch nicht schon mit der Klageschrift, sondern erst mit Schriftsatz vom 7. Januar 1985, d. h. nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist, schlüssig begründet habe. Das Berufungsurteil hat zwar die Schlüssigkeit des Klagevorbringens auf der Grundlage eines Schreibens der Klägerin vom 23. November 1984 dargelegt, das diese erst mit Schriftsatz vom 7. Januar 1985 zum Gegenstand ihres Prozeßvortrages gemacht hat. Die Vorinstanzen haben jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie die Klageschrift für unschlüssig gehalten haben. Das war auch nicht der Fall. Die Klageschrift enthielt bereits die Darstellung, daß die Beklagte der Klägerin den Auftrag erteilt hatte, aus einer Smaragdkette, zwei Perlenketten und einem mit einem Opal und Smaragden versehenen Schloß ein Collier herzustellen. Die Höhe der Klageforderung ergab sich aus der als Anlage K 5 a mit ergänzendem Schriftsatz vom 16. August 1984 und lange vor Ablauf der Klageerwiderungsfrist vorgelegten Rechnung.

3. Ohne Erfolg rügt die Revision, das Landgericht habe die Präklusionsvorschriften deswegen nicht anwenden dürfen, weil es eine etwa drohende Verzögerung durch zumutbare Vorbereitungsmaßnahmen hätte vermeiden können.

Bei der praktischen Handhabung der Präklusionsvorschriften muß dem Verfassungsgebot des rechtlichen Gehörs in angemessener Weise Rechnung getragen werden ( vgl. BVerfGE 69, 126, 139= NJW 1985, 1149, 1150 ). Der frühe erste Termin darf vom Gericht daher nicht als sogenannter Durchlauftermin geplant und durchgeführt werden, in dem eine abschließende mündliche Verhandlung mit Erörterung und Beweisaufnahme begrenzten Umfangs von vornherein nicht möglich ist, weil entweder die Zeitspanne zwischen Fristablauf und Termin für eine zur Streitentscheidung geeignete Verfahrensvorbereitung mit Anordnungen nach § 273 Abs. 2 ZPO zu kurz bemessen ist ( BGHZ 86, 31, 39 ) oder weil wegen der Vielzahl angesetzter Sachen keine angemessene Zeit für eine streitige Verhandlung zur Verfügung steht ( BVerfGE 69, 126, 140 ). Das Gericht hat auch bei verspätetem Vorbringen zu prüfen, ob nicht zur Vermeidung einer Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits vorbereitende Maßnahmen möglich und geboten sind ( BGHZ 75, 138, 142 ). Wenn das Gericht die Möglichkeiten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs bei verspätetem Vorbringen nicht wahrnimmt, ist die Anwendung der Präklusionsvorschriften mißbräuchlich und unzulässig ( BVerfGE aaO.; BGHZ 86, 31, 39 ). Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.

Entgegen der Rüge der Revision war das Langgericht nicht schon auf Grund der Darstellungen der Klageschrift gehalten, die Ladung der von der Klägerin genannten Zeugen anzuordnen oder ausdrücklich vorzubehalten. Auch bei Kenntnis des vorprozessualen Streitstandes kann das Gericht nicht hinreichend zuverlässig vorhersehen, ob und wie sich die beklagte Partei im Prozeß verteidigen wird. und in welchem Umfang eine Beweisaufnahme erforderlich sein wird. Der Übergang in das streitige Gerichtsverfahren gibt erfahrungsgemäß den Parteien Veranlassung, ihren bisherigen Standpunkt neu zu überprüfen und gegebenenfalls einige oder alle Streitpunkte fallen zu lassen oder neue Streitpunkte ins Spiel zu bringen. Mit gutem Grund ist daher in § 273 Abs. 3 ZPO bestimmt, daß vorbereitende Ladungen von Zeugen und Sachverständigen nur ergehen sollen, wenn der Beklagte dem Klageanspruch bereits ( im Prozeß ) widersprochen hat. Das Landgericht hat sich an diese gesetzliche Regel gehalten. Dadurch, daß es zwischen Ablauf der Klageerwiderungsfrist und den Termin zur mündlichen Verhandlungen eine Zeitspanne von drei Monaten vorgesehen hatte, hatte es sich in ausreichender Weise die Möglichkeit offengehalten, unter Berücksichtigung der Klageerwiderung für den Verhandlungstermin vorbereitende Anordnungen einschließlich einer etwaigen Ladung von Zeugen zu treffen. Eines ausdrücklichen Vorbehalts bedurfte es insoweit nicht.

Nach Eingang der Klageerwiderung knapp eine Woche vor dem Verhandlungstermin konnten nach der Darstellung des landgerichtlichen Urteils keine prozeßleitenden Anordnungen nach § 273 ZPO mehr ergehen; die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens hätte die Durchführung einer Beweisaufnahme in einem neuen Termin erforderlich gemacht. Davon geht ersichtlich auch das Berufungsurteil aus und weist ergänzend darauf hin, daß die Vernehmung von drei Zeugen erforderlich gewesen wäre. Die Revision erhebt insoweit keine Beanstandungen.

Es sind keine Einzelheiten für die Annahme vorgetragen, das Landgericht habe den frühen ersten Termin lediglich als Durchlauftermin geplant und abgehalten. Die Zeitspanne von drei Monaten zwischen Ablauf der Klageerwiderungsfrist und Verhandlungstermin war für etwaige vorbereitende Anordnung nach § 273 Abs. 2 ZPO reichlich bemessen.. Daß sich das Gericht die Möglichkeit einer - nicht zu umfangreichen - Beweisaufnahme im frühen ersten Termin durch Terminierung einer Vielzahl anderer Sachen von vornherein verbaut habe, hat die Beklagte in der Berufungsinstanz zwar in pauschaler Form behauptet, jedoch nicht mit Angaben von Einzelheiten begründet. Es wird nicht einmal die Zahl aller für den gleichen Tag terminierte Sachen angegeben; erst recht fehlt eine Differenzierung nach der Uhrzeit und danach, wie weit von den insgesamt terminierten Sachen gerade der zuständige Einzelrichter betroffen war, dem die Sache übertragen worden war. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob dem Berufungsurteil darin zu folgen ist, daß es bei Prüfung mißbräuchlicher Anwendung der Präklusionsvorschriften in Verbindung mit Durchlaufterminen allein auf die bei Ablauf der Klageerwiderungsfrist bestehende Terminslage abstellen will.

4. Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe das Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes im Sinne des § 296 Abs. 3 ZPO verkannt, der zur Zulassung des verspäteten Vorbringens hätte führen müssen. Die Revision verweist insoweit allein auf zwischen den Parteien geführte Vergleichsverhandlungen. Solche Verhandlungen sind jedoch auf den Lauf der im Verfahren gesetzten Fristen ohne Einfluß. Die Vergleichsverhandlungen hätten allenfalls Anlaß geben können, eine Verlängerung der Klageerwiderungsfrist zu beantragen. Warum dies unterblieben ist, hat die Beklagt nicht erklärt.

5. Die Revision rügt schließlich, das Berufungsgericht habe nicht die der Beklagten erst nach der erstinstanzlichen Entscheidung bekanntgewordende und in der Berufungsinstanz behauptete Tatsache unberücksichtigt lassen dürfen, die geschäftsführende Gesellschafterin der Klägerin habe am 17. Mai 1985 erklärt, die Beklagte habe das Smaragdcollier niemals bestellt. Auch diese Rüge greift nicht durch.

Da sich der erwähnte Vorfall erst nach Abschluß der ersten Instanz zugetragen haben soll, konnte er nicht vorher vorgetragen werden und unterliegt nicht den Präklusionsvorschriften der §§ 275 Abs. 1 Satz 1, 296 Abs. 1, 528 Abs. 3 ZPO. Er war jedoch für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß zwischen den Parteien ein Werklieferungsvertrag zustande gekommen und damit der geltend gemachte Anspruch entstanden ist. Für den Bestand diese Anspruchs ist es ohne Bedeutung, ob die geschäftsführende Gesellschafterin der Klägerin bei späterer Gelegenheit eine abweichende Sachdarstellung gegeben hat. Dies wäre lediglich als Indiztatsache von Bedeutung im Rahmen einer Beweiswürdigung über das Zustandekommen des Werklieferungsvertrages. Eine solche Beweiswürdigung ist jedoch gegenstandslos, da die Beklagte - wie ausgeführt - mit ihrem verspäteten Bestreiten einer Auftragserteilung nicht mehr gehört werden kann ( §§ 275 Abs. 1, Satz 1, 296, , 528Abs. 1 ) und daher als zugestanden angesehen werden muß ( §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO ) ,daß tatsächlich ein Auftrag zur Herstellung des Colliers erteilt und angenommen worden ist.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993634

BB 1987, 438

NJW 1987, 499

BGHR ZPO § 273 Abs. 3 Satz 1 Rechtliches Gehör 1

BGHR ZPO § 296 Abs. 1 Maßnahmen, vorbereitende 1

BGHR ZPO § 528 Abs. 3 Tatsachen, neue 1

MDR 1987, 230

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