Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigentumsstörungen
Leitsatz (amtlich)
Gegen den Anspruch des Eigentümers auf Erstattung von Kosten, die ihm durch die Beseitigung von Eigentumsstörungen entstanden sind, kann der Einwand erhoben werden, daß er die Störungen selbst mitverursacht habe (hier: Eindringen von Baumwurzeln in eine fehlerhaft verlegte Abwasserleitung).
Normenkette
BGB § 254 Abs. 1
Tatbestand
Die Parteien sind Eigentümer von schräg gegenüberliegenden Grundstücken an einer städtischen Straße, in der ein gemeindlicher Hauptsammelkanal verläuft. Vom Grundstück der Kläger ist eine Kanalanschlußleitung zur Straße und anschließend parallel zur Grundstücksgrenze der Beklagten zum Hauptkanal verlegt. Durch Wurzelwachstum einer etwa 130 Jahre alten Traubeneiche auf dem Grundstück der Beklagten wurde im Jahr 1989 die Anschlußleitung der Kläger bei einer undichten Anschlußmuffe im Bereich der Straße verstopft.
Die Kläger verlangen von den Beklagten die Erstattung der Aufwendungen für die Untersuchungen der Ursache der Beeinträchtigung und die von der Gemeinde in Rechnung gestellten Reparaturkosten einschließlich der Kosten des Einbaus eines Revisionsschachtes von insgesamt 13.934,15 DM. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage stattgegeben. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung von 7.501,65 DM verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Revision der Beklagten, die Abweisung der Klage insgesamt erstreben. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels und verfolgen mit der Anschlußrevision das Ziel, daß die Berufung der Beklagten in vollem Umfang zurückgewiesen wird. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Anschlußrevision.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß den Klägern.ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zustehe, für den der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sei. Der Kanalanschluß stehe nach den satzungsrechtlichen Regelungen auch im Verlauf der Straße im Eigentum der Kläger und sei durch das Eindringen der Baumwurzeln und die damit verursachte Verstopfung beeinträchtigt worden. Die Beklagten seien Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Insoweit sei unerheblich, ob durch die Undichtigkeit des Kanalrohres die Störung begünstigt oder erst ermöglicht wurde und ob das Wurzelwachstum abgeschlossen war und erst durch die Undichtigkeit erneut angeregt wurde. Die Kläger seien nicht zur Duldung der Eigentumsbeeinträchtigung verpflichtet gewesen. Die Beseitigung der Wurzeln im gebotenen Umfang hätte die Lebensfähigkeit des Baumes nicht beeinträchtigt und damit nicht in Widerspruch zu der Baumschutzsatzung gestanden. Die Beklagten hätten den Klägern die Aufwendungen für die Kosten der Untersuchungen zur Feststellung der Schadensursachen und der Reparatur zu erstatten, nicht aber diejenigen der Einrichtung eines Revisionsschachtes (2.681,74 DM), der zur Beseitigung der Störung nicht erforderlich gewesen sei. Der verbleibende Anspruch der Kläger mindere sich in entsprechender Anwendung von § 254 BGB um ein Drittel auf 7.501,65 DM, weil zwar der wesentliche Teil des Störungsrisikos bereits im Hineinwachsen der Wurzeln in das Eigentum der Kläger liege, eine Mitverantwortlichkeit der Störung aber auch in der nicht fachgerechten Rohrverlegung und damit in der Risikosphäre der Kläger zu sehen sei.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision und der Anschlußrevision stand.
1.
Hatten die Kläger gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Beseitigung der durch die Baumwurzeln hervorgerufenen Beeinträchtigungen des Anschlußkanals gegen die Beklagten, so sind diese dadurch, daß die Kläger die Arbeiten durchführen ließen, von einer ihnen obliegenden Verpflichtung befreit und deshalb "auf sonstige Weise" im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB bereichert worden.
2.
Die Kläger konnten von den Beklagten nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB Beseitigung der Beeinträchtigung ihres Eigentums verlangen. Der Anschlußkanal steht in seiner ganzen Länge unstreitig im Eigentum der Kläger. Dieses Eigentum war durch das Eindringen der Baumwurzeln und die damit verbundene Verstopfung beeinträchtigt worden. Die Beklagten waren Störer im Sinne des § 1004 BGB. Sie haben auf ihrem Grundstück die Traubeneiche unterhalten, deren Wurzeln in den Anschlußkanal der Kläger eingedrungen sind und ihn verstopft haben (BGHZ 97, 231, 234 f; 106, 142, 144; 122, 283, 286).
Entgegen der Meinung der Revision kommt es insoweit nicht darauf an, ob der 130 Jahre alte Baum schon von Rechtsvorgängern der Beklagten vor der Verlegung des Anschlußkanals gepflanzt worden ist (Staudinger/Gursky, BGB 12. Aufl. § 1004 Rdn. 92 f m.w.N.). Die Störereigenschaft der Beklagten entfällt auch nicht dadurch, daß die Beeinträchtigung des Eigentums der Kläger im Bereich der Straße erfolgte. Auch wenn die Undichtigkeit des Kanalrohres das Eindringen der Baumwurzeln erst ermöglicht oder begünstigt hat, ändert dies nichts daran, daß ohne das Wurzelwachstum die Eigentumsstörung durch Behinderung des Abwasserabflusses nicht eingetreten wäre. Der Abwasserabfluß ist nicht durch die undichte Stelle im Rohr, sondern nur durch die eingedrungenen Baumwurzeln gehemmt worden (vgl. Senatsurteil v. 26. April 1991, V ZR 346/89, NJW 1991, 2826, 2827).
3.
Die Kläger waren zur Duldung der Beeinträchtigung ihres Eigentums nicht verpflichtet (§ 1004 Abs. 2 BGB). Entgegen der Meinung der Revision hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Beseitigung störender Baumwurzeln in dem hier in Betracht kommenden Umfang nicht durch die gemeindliche Baumschutzsatzung ausgeschlossen werde.
4.
Die Kläger haben damit einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Erstattung der notwendigen Kosten, die von den Beklagten zur Erfüllung des Anspruchs der Kläger aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB hätten aufgewendet werden müssen.
Zu den demnach von den Beklagten zu erstattenden notwendigen Kosten für die Beseitigung der Beeinträchtigung gehören die Aufwendungen der Kläger für die Feststellung der Störungsursachen und für die Reparatur. Dies nimmt die Anschlußrevision auch hin.
Für die darüber hinaus geltend gemachten Kosten für den Einbau eines Revisionsschachtes kommt entgegen der Meinung der Anschlußrevision eine Erstattungspflicht der Beklagten nicht in Betracht. Zur Beseitigung der eingetretenen Eigentumsbeeinträchtigung war die Herstellung dieses Schachtes nicht erforderlich. Die Kläger haben zwar unbestritten behauptet, daß der Schacht auf Anraten der Stadt angelegt worden sei, damit bei künftig möglichen Verstopfungen der Kanal ohne größeren Aufwand geöffnet werden könne. Sie haben jedoch nicht geltend gemacht, daß dies zur Beseitigung der Störung durch die Baumwurzeln notwendig gewesen wäre. Aus der vorgelegten Rechnung ergibt sich nur die Durchführung, nicht aber die Notwendigkeit dieser Maßnahme.
5.
Ohne Erfolg wendet sich die Anschlußrevision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß eine Mitverursachung der Beeinträchtigung durch die Kläger in entsprechender Anwendung des § 254 BGB zu berücksichtigen sei.
a)
Die Rechtsprechung geht davon aus, daß § 254 BGB im Rahmen des § 1004 BGB entsprechend anwendbar ist, so daß mitwirkendes Verschulden oder mitursächliches Verhalten den Beseitigungsanspruch oder den Kostenerstattungsanspruch des Eigentümers nach Selbstbeseitigung der Störung inhaltlich beschränken oder ausnahmsweise ganz ausschließen können (vgl. z.B. RGZ 138, 327, 330 f; BGH, Urt. v. 14. Dezember 1954, I ZR 134/53, NJW 1955, 340, 341; v. 8. Juli 1964, V ZR 173/63, WM 1964, 1102, 1104; BGHZ 110, 313, 317). Die Literatur stimmt dem überwiegend zu (vgl. z.B. Soergel/Mühl, BGB 12. Aufl. § 1004 Rdn. 198; Erman/Hefermehl, BGB 9. Aufl. § 1004 Rdn. 26; Palandt/Bassenge, BGB 53. Aufl. § 1004 Rdn. 34; zum Meinungsstand im übrigen vgl. die Nachweise bei Staudinger/Gursky, BGB 12. Aufl. § 1004 Rdn. 109 und Münch-Komm/Medicus, BGB 2. Aufl. § 1004 Rdn. 68 Fn. 126, 127; offengelassen in BGHZ 97, 231, 237; 106, 142, 144; Senatsurt. v. 26. April 1991, V ZR 346/89, NJW 1991, 2826, 2828). Soweit im Schrifttum einige Autoren einen abweichenden Standpunkt vertreten (vgl. vor allem Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch (1972), S. 50 und öfter; Staudinger/Gursky, aaO. Rdn. 129 ff, Rdn. 145), beruht dies auf einem engeren Begriff der Beeinträchtigung und ihrer Beseitigung, bei dem für die entsprechende Anwendung von § 254 BGB weder Bedürfnis noch Legitimation besteht. Vom weiteren Beeinträchtigungsbegriff der herrschenden Meinung ausgehend, ist dies jedoch unerläßlich, um zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen (vgl. auch Grunsky, AcP 183 (1983), S. 209, 211 f). Die hiergegen vorgetragenen Bedenken überzeugen nicht. Es mag zutreffend sein, daß § 1004 BGB darauf abzielt, den gesetzmäßigen Zustand sicherzustellen, und daß die Haftung des Störers auf seiner rechtlichen Herrschaft über die Störungsquelle beruht. Gleiches gilt aber auch für den Eigentumer, wenn die Störung durch in seinem Herrschaftsbereich liegende Umstände mitverursacht wird. Dann sind auch die Verantwortlichkeiten dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 254 BGB entsprechend zu verteilen. Auf ein Verschulden kann es dabei nicht ankommen. Ebensowenig wie der Störungsbeseitigungsanspruch des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an ein schuldhaftes Verhalten des Störers anknüpft, setzt die Mitverantwortlichkeit des gestörten Eigentümers für die eingetretene Störung einen Schuldvorwurf voraus (BGHZ 110, 313, 317 m.w.N.).
§ 254 BGB ist deshalb auch für den hier in Rede stehenden Kostenerstattungsanspruch des Eigentümers nach Selbstbeseitigung der Störung entsprechend anwendbar.
b)
Demgemäß hat das Berufungsgericht den Klägern die ihrer Risikosphäre zuzurechnende mangelhafte Ausführung der Kanalverlegung angelastet. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Berufungsgerichts sind die Muffen nicht fachgerecht verbunden worden, so daß sie sich gegeneinander verschoben haben (Muffenversatz) und die Verbindung undicht geworden ist. Dadurch ist das Eindringen der Baumwurzeln ermöglicht und begünstigt worden, weil die austretenden Stoffe das Wurzelwachstum in diesem Bereich angeregt haben.
c)
Das Berufungsgericht hat unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile den bereicherungsrechtlichen Anspruch der Kläger um ein Drittel ermäßigt. Die Gewichtung der einzelnen Verursachungsbeiträge im Rahmen einer Abwägung nach § 254 BGB ist - wie auch die Revision nicht verkennt - Aufgabe des Tatrichters und im Revisionsverfahren deshalb grundsätzlich nicht nachprüfbar. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde liegen und dabei alle Umstände vollständig und richtig berücksichtigt sind und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen wurde (BGH, Beschl. v. 21. Dezember 1988, III ZR 54/88, NJW-RR 1989, 676, 677 m.w.N.). Derartige Rechtsfehler sind nicht erkennbar.
Ein Erfahrungssatz - wie ihn die Revision geltend macht - dahingehend, daß bei einer undichten Abwasserleitung der entscheidende Verursachungsbeitrag nicht von der Pflanze, sondern von der Undichtigkeit ausgeht, weil sich das unterirdische Wachstum von Pflanzen nicht beeinflussen lasse, besteht nicht. Vielmehr ist nicht zu übersehen, daß ursächlich beide Umstände sind, die Beeinträchtigung durch die Verstopfung von der natürlichen Entwicklung des Wurzelbereichs, also aus dem vom Willen des Eigentümers getragenen natürlichen Wachstum, ausgegangen ist (vgl. BGHZ 122, 283, 286 m.w.N.). Es stellt daher keinen Verstoß gegen § 286 ZPO dar, daß das Berufungsgericht eine Mitverursachung der Kläger nur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens der Beklagten in die ordnungsgemäße Herstellung und Unterhaltung der Anschlußleitung angenommen und einen weitergehenden Mitverursachungsbeitrag im Hinblick auf die bereits im Hineinwachsen der Wurzeln in das fremde Eigentum liegende Störung verneint hat. Ob bei der Abwägung weitere Umstände zu berücksichtigen sind, kann dahingestellt bleiben. Insoweit ist dem vorgetragenen Tatsachenstoff nichts zu entnehmen und von der Revision auch keine Rüge erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1456434 |
NJW 1995, 395 |
JZ 1995, 410 |