Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 12.03.2002) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. März 2002 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, hiervon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Nötigung und Beleidigung, sowie wegen Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von zwei Jahren bestimmt. Mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft, die allein die Strafzumessung und insbesondere die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB bei der Tat vom 23. September 2001 (Fall II. 3. der Urteilsgründe – Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten) beanstandet, die Aufhebung aller Strafaussprüche. Das zulässig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte bereits am 20. September 2001 die Nebenklägerin, seine frühere Lebensgefährtin, in seinem Auto vergewaltigt (Fall II. 2. der Urteilsgründe). Drei Tage später wollte er sie unter Vorhalt einer Schere zuerst dazu bringen, erneut in sein Auto einzusteigen. Nachdem sie sich geweigert hatte, zwang er sie, mit ihm in ihre Wohnung zu gehen. Dort nahm er ihr den Wohnungsschlüssel ab, versperrte die Wohnungstür und fesselte ihr mit Handschellen die Hände auf den Rücken. Nachdem er die weinende Frau und sich selbst teilweise entkleidet hatte, vollzog er mit ihr gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr, wobei die Schere immer noch griffbereit im Zimmer lag.
2. Die Strafzumessung im Fall II. 3. der Urteilsgründe hält der begrenzten Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 9 m. w. N.) stand. Das Landgericht hat bei der zur Annahme eines minder schweren Falles erforderlichen Gesamtbetrachtung (vgl. BGHSt 26, 97, 98 f.; BGHR StGB vor § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 1, 5, 6, 8, 10) keine wesentlichen, den Angeklagten belastenden Umstände außer Acht gelassen.
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte neben dem Qualifika- tionstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB (Drohung mit der Schere) auch die Voraussetzungen des Absatzes 3 Nr. 2 erfüllt, weil er dem Opfer zur Verhinderung von Widerstandshandlungen Handschellen angelegt hat. Hierin liegt ein eigenständiges Unrecht, welches von Absatz 4 nicht erfaßt wird und über den Gefährlichkeits- und Gefährdungsaspekt des Absatzes 1 Nr. 1 hinausgeht. Die Beschwerdeführerin weist darauf unter Bezug auf das Urteil des Senats (BGH NStZ 2001, 646) im Grundsatz zutreffend hin. Diese Entscheidung darf aber nicht dahin verstanden werden, daß allein die unzutreffende Bewertung des Konkurrenzverhältnisses zur rechtsfehlerhaften Annahme eines minder schweren Falles führt. Der Senat hat in ihr nur zum Ausdruck bringen wollen, daß das hinter der Verwirklichung der weiteren Qualifikation liegende Unrecht bei der Beurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf. Dies kann dem Tatrichter – anders als in dem der Entscheidung NStZ 2001, 646 zugrundeliegenden Fall – hier nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn er hat hinsichtlich beider Vergewaltigungstaten die „erhebliche Aggressivität” des Angeklagten (UA S. 12) und im konkreten Fall auch die von der Fesselung „ausgehenden Schmerzen” (UA S. 13) berücksichtigt.
b) Daß der Angeklagte drei Tage vor der Tat das Opfer unter einem Vorwand in sein Auto gelockt, es sodann über mehrere Stunden seiner Freiheit beraubt und vergewaltigt hatte, mußte das Landgericht hier im Rahmen der Prüfung des minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB nicht mehr erörtern. Der Senat kann ausschließen, daß diese Tat dem Landgericht in diesem Zusammenhang nicht mehr bewußt war. Gleiches gilt für den Umstand, daß der Angeklagte sowohl vor als auch nach dieser Tat insgesamt dreimal gegen die Frau tätlich geworden ist.
3. Einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der nach § 301 StPO auch zugunsten des Angeklagten wirkenden Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben. Dies gilt im Ergebnis auch für die vom Landgericht im Fall II. 3. der Urteilsgründe getroffene Strafrahmenwahl.
Die Strafkammer hat bei der Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB bedacht, daß durch den Angeklagten auch das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verwirklicht worden ist. Sie ist sodann von einem Strafrahmen von zwei Jahren bis 15 Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insofern, als danach bei Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB jedenfalls die Untergrenze des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 StGB zu beachten ist, wenn ohne das Vorliegen der Qualifikation nach Absatz 4 der Strafrahmen des Absatzes 2 gegeben wäre (BGH NStZ 2000, 419; 2001, 646; BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 3; zu dem für den Tatrichter hieraus erwachsenden argumentativen Aufwand vgl. Pfister NStZ-RR 2000, 353, 358). Ob in einem solchen Fall auch die Obergrenze des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 StGB zu beachten ist, hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Hierfür könnte sprechen, daß der Strafrahmen des minder schweren Falles nach Absatz 5 Halbs. 2 nicht differenziert, welche Art sexueller Handlung dem Opfer abgenötigt wird, und so möglicherweise ein Bedürfnis besteht, die im Einzelfall bestehenden Unterschiede auch in der Strafrahmenobergrenze zu berücksichtigen. Dagegen könnte eingewandt werden, daß § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB für den Fall tateinheitlich zusammentreffender Delikte die Sperrwirkung eines nach Abs. 2 Satz 1 bei der Strafzumessung grundsätzlich zurücktretenden Delikts nur auf die Untergrenze des Strafrahmens beschränkt.
Der Senat braucht die Frage nicht zu entscheiden. Auch wenn es bei der Obergrenze des § 177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB zu verbleiben hätte, so daß ein Strafrahmen von zwei Jahren bis zu lediglich zehn Jahren zur Verfügung stünde, während das Landgericht von einem solchen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren ausgegangen ist, würde auf einem solchen Fehler zum Nachteil des Angeklagten die Strafe nicht beruhen, da sich das Landgericht mit der Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkennbar am rechtsfehlerfrei bestimmten unteren Rand des Strafrahmens orientiert hat.
Unterschriften
Tolksdorf, Winkler, Pfister, von Lienen, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2558901 |
StV 2003, 395 |