Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 06.04.2006) |
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. April 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Gefangenen in Tateinheit mit Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich nicht von seiner Schuld überzeugen konnte. Gegen diesen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft – vertreten von dem Generalbundesanwalt – und der Nebenklägerin.
Rz. 2
Die Rechtsmittel haben Erfolg.
Rz. 3
Dem Angeklagten – einem ehemaligen Polizeibeamten – war zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin zwischen dem 29. und 30. Januar 2004 während seines Nachtdienstes in der Polizeihaftanstalt in N. sexuell missbraucht zu haben. Die Nebenklägerin war damals in der Punkerszene verhaftet, von der sie sich – so das Landgericht – inzwischen gelöst hat.
I.
Rz. 4
Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Das Landgericht konnte sich von der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin … R. nicht überzeugen.
Rz. 5
1. Diese hat in der Hauptverhandlung bekundet, sie sei am Abend des Tattages, nach beleidigenden Äußerungen gegenüber Polizeibeamten aufgrund ihrer Trunkenheit in Gewahrsam genommen worden. Bei dem Vorfall sei ihr damaliger Freund, der Zeuge S., mit seinem und ihrem Hund anwesend gewesen. Sie sei insgesamt dreimal in Gewahrsam genommen worden. Das Zusammentreffen mit dem Angeklagten sei jedenfalls nach der „Geschichte mit den Hunden” gewesen. Vor der Ausnüchterungszelle habe sie Hose und Stiefel ausziehen müssen. Als sie wiederholt eine Decke verlangt habe, sei der Angeklagte gekommen und habe sie – in seiner Begleitung – sich eine Decke von außerhalb ihrer Zelle holen lassen. Einige Zeit später sei sie wach geworden vom Geräusch des Schlüssels an der Zellentür. Der Angeklagte sei zu ihr in den Innenraum der Zelle gekommen und habe gesagt, er müsse sie durchsuchen bzw. untersuchen. Auf seine Weisung habe sie sich mit dem Gesicht zur Wand stellen und die Beine breit machen müssen. Der Angeklagte habe, den Slip beiseite schiebend, von hinten zwei Finger in die Scheide geschoben und „ein wenig hin- und hergemacht”. Dann habe der Angeklagte eine kurze Bemerkung fallen lassen und sich aus ihrer Zelle entfernt. Nach ihrer Entlassung am nächsten Morgen habe sie ihrem damaligen Freund noch am gleichen Tag erzählt, dass es „schlimm war”, sie sei „sexuell belästigt worden”. Dabei habe sie „Rotz und Wasser geheult”. Er habe gesagt, niemand werde ihr glauben. Deshalb habe sie niemandem davon erzählt. Ca. ein Jahr später habe sie „den Brief von der Kripo gekriegt” und nicht gewusst, worum es gehe. Deshalb habe sie ihn ihrer Bewährungshelferin gezeigt, die telefonisch nachgefragt habe, worum es gehe.
Rz. 6
2. Die Zeugin KHK'in H. hat nach dem Urteil des Landgerichts geschildert, warum die Dienstzeiten des Angeklagten mit dem Aufenthalt weiblicher Gefangener in der Polizeihaftanstalt im Polizeipräsidium N. abgeglichen worden seien. Auf einen Musterbrief an alle entsprechenden Personen habe sich die Bewährungshelferin von … R. telefonisch gemeldet. Nach Übergabe des Telefonhörers an die Nebenklägerin habe sie (KHK'in H.) ihr „von Übergriffen durch einen Kollegen in der Haftanstalt” berichtet. … R. habe „dann gleich mehr oder minder eine Personenbeschreibung gegeben und gefragt, ob der es denn wäre”. Nachdem sie, die Zeugin, dies bejaht habe, sei von … R. angegeben worden, sie habe „die Beine breit machen” müssen und sei „betatscht” worden.
Rz. 7
3. Der Zeuge S. hat bestätigt, dass die Nebenklägerin nach einer „Nacht in der Ausnüchterungszelle fertig gewesen” sei, geheult und ihm erzählt habe, sie sei „mit Fingern im Genitalbereich betatscht” worden. Er meine allerdings, dass dies nach einer Ingewahrsamnahme im März 2004 nach einem anderen Vorfall gewesen sei.
Rz. 8
4. Von den Polizeibeamten, die in der betreffenden Dienstschicht in der Polizeihaftanstalt anwesend waren, konnte sich nur eine Beamtin an die Nebenklägerin erinnern, aber auch keine konkreten Angaben zum verfahrensrelevanten Geschehen machen. Die übrigen vier Beamten konnten sich an die Nebenklägerin nicht erinnern, auch auf Vorhalt nicht an eine Gefangene, die sich in Begleitung eines Polizeibeamten selbst eine Decke holen musste oder an eine Frau im Slip im Zellentrakt.
Rz. 9
5. Das Landgericht hat die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin u.a. damit begründet, dass nicht sicher geklärt werden konnte, ob sie sich tatsächlich ohne Überhose in ihrer Zelle befunden hat, weil keiner der diensthabenden Polizeibeamten sich an eine Frau ohne Überhose und an eine solche, die sich von außerhalb ihrer Zelle eine Decke holen musste, erinnern konnte. Letztlich meinte das Landgericht, eine Absprache zwischen der Nebenklägerin und dem Zeugen S. dahingehend, einen Polizeibeamten zu Unrecht zu belasten, nicht sicher ausschließen zu können, da beide schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hatten.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 10
Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 11
1. Die Ausführungen des Landgerichts werden den Anforderungen an die Begründungspflicht eines freisprechenden Urteils nicht gerecht. Das Landgericht beschränkt sich darauf, nach Mitteilung des Anklagevorwurfs und der Einlassung des Angeklagten die Bekundungen von Zeugen wiederzugeben. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter jedoch zunächst darlegen, welchen Sachverhalt er als festgestellt erachtet (st. Rspr., BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7 m.w.N.). Derartige Feststellungen zum Tatgeschehen selbst und zur Vorgeschichte fehlen. Die Wiedergabe allein von Bekundungen der vernommenen Zeugen genügt der Begründungspflicht nicht (BGHR aaO m.w.N.).
Rz. 12
2. Darüber hinaus hält die Beweiswürdigung der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 13
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Rz. 14
a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft.
Rz. 15
aa) Das Landgericht teilt zwar im Rahmen der wiedergegebenen Zeugenaussage der KHK'in H. mit, diese habe geschildert, warum die Dienstzeiten des Angeklagten mit dem Aufenthalt weiblicher Gefangener in der Polizeihaftanstalt abgeglichen worden seien und dass ein Musterbrief an alle entsprechenden Personen ergangen sei, nennt aber den Grund des Abgleichs nicht und gibt auch den Inhalt des Musterbriefes nicht wieder. Hierbei könnte es sich um beweiserhebliche Indiztatsachen für die Täterschaft des Angeklagten handeln, wenn die Kommissarin der Nebenklägerin berichtete, dass es um Übergriffe durch einen Kollegen in der Haftanstalt gehe. Eine Auseinandersetzung mit dem Grund des Abgleichs und dem Inhalt des Musterbriefes hätte es schon deshalb bedurft, weil die Ermittlungen gegen den Angeklagten ersichtlich nicht auf die Nebenklägerin beschränkt waren und auf einer vorangegangenen Initiative beruhten.
Rz. 16
bb) Die Entstehungsgeschichte der Aussage von … R. wird vom Landgericht nicht gewürdigt.
Rz. 17
Das Landgericht hätte die Tatsache, dass sie keine Eigeninitiative im Hinblick auf die Anzeige ergriffen hat, weil ihr niemand glauben werde, sondern erst der Musterbrief ca. ein Jahr später die Anzeige auslöste, erörtern und bewerten müssen. Denn die Aussageentstehung ist ein wesentliches Indiz im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung von belastenden Aussagen. Auch zu der spontanen Personenbeschreibung des Angeklagten am Telefon durch die Nebenklägerin gegenüber der KHK'in H. nach der bloßen Mitteilung, dass es um Übergriffe durch einen Kollegen in der Haftanstalt gehe, verhält sich die Beweiswürdigung nicht. Ebenso fehlt eine Auseinandersetzung mit der spontanen Beschreibung der Tathandlung am Telefon.
Rz. 18
b) Die erforderliche Gesamtwürdigung enthält das Urteil nicht.
Rz. 19
Das Landgericht hat einige den Angeklagten entlastende Indiztatsachen aufgeführt. Damit werden die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin begründet (UA S. 9). Belastende Indiztatsachen bleiben unerwähnt. Eine Abwägung enthält das Urteil nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung hinsichtlich einer Absprache zwischen der Nebenklägerin und ihrem damaligen Freund – den Angeklagten zu Unrecht zu belasten – gelangt wäre, wenn es die oben aufgezeigten unerwähnten Indiztatsachen in eine zusammenschauende Würdigung einbezogen hätte.
Rz. 20
Nach alledem muss die Sache schon aufgrund der Sachrüge neu verhandelt werden.
Rz. 21
3. Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft zwar dem Wortlaut nach nur die Verletzung materiellen Rechts gerügt, der Sache nach aber auch eine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Damit hat sie ebenfalls Erfolg.
Rz. 22
a) Wenn die Staatsanwaltschaft beanstandet, das Landgericht habe in der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte bereits eine fast identische Tat begangen hat, die durch Verlesen des Urteils des Amtsgerichts – Schöffengericht – N. vom 16. November 2004, rechtskräftig seit dem 22. März 2006, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist darin eine Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO zu sehen. Dass die Beschwerdeführerin die Nichtverwertung einer gemäß § 249 Abs. 1 StPO verlesenen Urkunde im Zusammenhang mit ihren Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unschädlich. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Rüge, sondern ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist (vgl. BGHSt 19, 273, 275; BGH StV 1993, 459; BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 – 5 StR 62/06; zuletzt Urteil vom 16. Oktober 2006 – 1 StR 180/06). In der Revisionsbegründung werden die tatsächlichen Grundlagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen. Die Beschwerdeführerin legt den festgestellten Sachverhalt zum Tatgeschehen aus dem Strafurteil dar. Das auszugsweise Verlesen des Urteils im allgemeinen Einverständnis wird durch das Protokoll belegt (Sachakte Bd. III Bl. 541). Die Staatsanwältin hat in ihrem Schlussvortrag eine Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Strafe aus obigem Urteil beantragt (Sachakte Bd. III Bl. 551).
Rz. 23
b) Nach dem dargelegten und im genannten Strafurteil festgestellten Sachverhalt ist der Angeklagte wegen einer der ihm hier vorgeworfenen sehr stark ähnelnden Tat, begangen ca. einen Monat später im Rahmen seines Dienstes in der betreffenden Haftanstalt zur Nachtzeit, rechtskräftig verurteilt worden. Eine aufgrund eines Vorführungsbefehls inhaftierte Frau verlangte ebenfalls Bettzeug und musste es sich in Begleitung des Angeklagten selbst aus dem Zellentrakt holen. Im Zelleninnenraum erklärte er ihr, er müsse sie für die Personenbeschreibung vermessen. Er forderte sie auf, „ihre Beine breit zu machen”. Nachdem er ihr Hose und Unterhose ein Stück heruntergezogen hatte, streichelte er sie außen an der Scheide, schob ihren BH hoch und umfasste mit beiden Händen ihre Brüste.
Rz. 24
Diese rechtskräftig abgeurteilte und in die Hauptverhandlung eingeführte Tat hätte das Landgericht schon deshalb in seinem Urteil verwerten und als beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen müssen, weil in Betracht kommen kann, dass die vorgeworfene Tat dem Angeklagten nicht wesensfremd ist, und sie zudem gravierende Parallelen im Tatablauf aufweist. Diese wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sind durchaus geeignet, die Überzeugungsbildung des Tatrichters zu beeinflussen.
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Kolz, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2554640 |
NStZ-RR 2009, 36 |
NPA 2007 |