Leitsatz (amtlich)
›Zur Frage der deutlichen Abhebung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen gegenüber gewöhnlichen Wiedervorlagefristen bei der Notierung im Fristenkalender einer Anwaltskanzlei.‹
Verfahrensgang
LG Kaiserslautern |
OLG Zweibrücken |
Tatbestand
Der Beklagte zu 1 (künftig: Beklagter) ist durch Urteil des Landgerichts - unter Abweisung der weitergehenden, noch gegen einen anderen Beklagten gerichteten Klage - zur Zahlung von 4.366,80 DM nebst Zinsen an den Kläger Zug um Zug gegen Herausgabe eines näher bezeichneten Pkw Mazda verurteilt worden. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten, Rechtsanwalt Dr. N., am 5. Dezember 1986 zugestellt. Der Ablauf der Berufungsfrist wurde im Fristenkalender der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. N. für den 5. Januar 1987 vermerkt; zugleich wurde für den 10. Dezember 1986 eine Vorfrist notiert. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1986 empfahl Rechtsanwalt Dr. N. dem Beklagten, Berufung einzulegen. Unter dem 10. Dezember 1986 bat Rechtsanwalt Dr. N die Rechtsschutzversicherung des Beklagten um Deckungszusage für den zweiten Rechtszug. Mitte Dezember 1986 erklärte der Beklagte dem in der Anwaltskanzlei beschäftigten Bürovorsteher telefonisch, gegen die landgerichtliche Entscheidung solle in jedem Fall Berufung eingelegt werden. Mit Schreiben vom 15. Dezember 1986 wies die Rechtsschutzversicherung Rechtsanwalt Dr. N darauf hin, daß dem Schreiben vom 10. Dezember 1986 nicht, wie angekündigt, das landgerichtliche Urteil und das Anschreiben des Anwalts an den Beklagten vom 9. Dezember 1986 beigelegen hätten. Unter dem 30. Dezember 1986 machte Rechtsanwalt Dr. N die Rechtsschutzversicherung auf den Ablauf der Berufungsfrist am 5. Januar 1987 aufmerksam. In einem Schreiben vom 6. Januar 1987, das am 7. Januar 1987 in der Anwaltskanzlei einging, erklärte sich die Rechtsschutzversicherung mit der Einlegung des Rechtsmittels einverstanden. Mit einem am 15. Januar 1987 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 14. Januar 1987 hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Beklagten, Rechtsanwalt G, für diesen Berufung gegen das landgerichtliche Urteil eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Die Berufung ist sodann fristgerecht begründet worden.
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung hat der Beklagte unter Vorlage zweier eidesstattlicher Versicherungen des Rechtsanwalts Dr. N. und dessen Bürovorstehers geltend gemacht: Rechtsanwalt Dr. N habe R. die ausdrückliche Anweisung gegeben, auch ohne Rücksicht auf die Stellungnahme der Rechtsschutzversicherung den bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt G. mit der Einlegung der Berufung zu beauftragen. R habe ursprünglich die Rückäußerung der Rechtsschutzversicherung auf das von ihm diktierte Schreiben vom 30. Dezember 1986 abwarten, auch ohne eine solche Erklärung aber notfalls telefonisch Rechtsanwalt G. mit der Einlegung der Berufung beauftragen wollen. Am 5. Januar 1987, dem letzten Tag der Berufungsfrist, sei R die Sache infolge erheblichen Betriebs in dem Anwaltsbüro trotz entsprechender Vormerkung der Berufungsfrist im Terminkalender entfallen. Ein derartiger Fehler sei in seiner nahezu 29-jährigen Tätigkeit als Bürovorsteher in der Anwaltskanzlei, in der ihm stets auch die Eintragung und Überwachung der Berufungsfristen im Terminkalender übertragen gewesen sei, noch nie unterlaufen.
Das Berufungsgericht hat nach mündlicher Verhandlung durch Urteil dem Beklagten Wiedereinsetzung versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig (§ 547 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet gehalten, weil der Beklagte sich ein Mitverschulden seines erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Rechtsmittelfrist zurechnen lassen müsse. Hierzu hat es ausgeführt: Es gehe zugunsten des Beklagten davon aus, daß Rechtsanwalt Dr. N. die Anweisung, für die Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils durch Rechtsanwalt G zu sorgen, erst nach Eingang des Berufungsauftrages des Beklagten erteilt habe, so daß offenbleiben könne, ob eine solche Anweisung auch vorsorglich gegeben werden dürfe. Zugunsten des Beklagten könne weiter angenommen werden, daß Rechtsanwalt Dr. N den Bürovorsteher R angewiesen habe, mit der Einschaltung des Rechtsanwalts G. bis nach dem Eintreffen der Deckungszusage durch die Rechtsschutzversicherung zu warten und notfalls erst am letzten Tag der Rechtsmittelfrist für die Einlegung der Berufung zu sorgen; deshalb könne ungeprüft bleiben, ob ein erstinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter, der keinen besonderen Grund zum Zuwarten habe, die umgehende Einlegung der Berufung veranlassen müsse. Ein Mitverschulden treffe Rechtsanwalt Dr. N. aber deshalb, weil er nicht durch geeignete organisatorische Vorkehrungen sichergestellt habe, daß die Berufungsfrist auch dann eingehalten werde, wenn am letzten Tag der Frist erheblicher Betrieb in der Anwaltskanzlei herrsche. Dafür reiche die Notierung des Endes der Berufungsfrist im Fristenkalender nicht aus. Da dieser Kalender keine eigene Spalte für Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen aufweise, hätte der Vermerk etwa durch Eintragung in roter Farbe - so hervorgehoben werden müssen, daß er von der Notierung gewöhnlicher Wiedervorlagefristen deutlich abgehoben sei. Eine entsprechende Anweisung habe in der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. N. offenbar nicht bestanden, weil in dem Kalender neben Berufungs- und Berufungsbegründungsfristen unterschiedslos auch einfache Wiedervorlagefristen wie Schriftsatz- und Nachschubfristen verzeichnet seien. Es dränge sich auf, daß der Bürovorsteher R einen mit roter Farbe unterstrichenen Fristvermerk am 5. Januar 1987 trotz des erheblichen Betriebs in der Kanzlei nicht übersehen hätte. Unter diesen Umständen brauche nicht geklärt zu werden, ob es für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sei, daß der Beklagte über den Zeitpunkt der Übersendung der vom Rechtsschutzversicherer unter dem 15. Dezember 1986 angemahnten Unterlagen und über die Beachtung der für den 19. Dezember 1986 notierten Vorfrist nichts vorgetragen habe.
II. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, daß der Beklagte die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt hat (§ 516 ZPO). Es hat ihm aber zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
1. Ein Mitverschulden des Rechtsanwalts Dr. N. an der Fristversäumung, das sich der Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müßte, kann nicht schon darin gesehen werden, daß er seinen Bürovorsteher zur Beauftragung des zweitinstanzlichen Anwalts anwies, ohne die Ausführung dieser Anweisung selbst zu überwachen.
a) Der Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, daß sein sonst zuverlässiges Personal seine Weisungen befolgt. Dieser Grundsatz, der sogar für allgemein erteilte Anweisungen gilt, kommt nach ständiger Rechtsprechung um so mehr zum Tragen, wenn die Weisung - wie hier - konkret auf eine bestimmte Sache bezogen erteilt wird (BGH Beschlüsse vom 22. März 1983 - VI ZB 2/85 = VersR 1983, 641 unter 2 b und vom 24. Juni 1985 - II ZR 69/85 = VersR 1985, 1140; Urteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 = VersR 1988, 185 unter 2 b). Er findet auch in Fristsachen (BGH Beschluß vom 25. November 1985 - II ZB 8/85 = VersR 1986, 345) und für die Weisung, einen Auftrag zur Einlegung der Berufung zu übermitteln, Anwendung (BGH Beschlüsse vom 2. November 1970 III ZR 173/67 = VersR 1971, 175 und vom 27. Februar 1986 III ZB 21/85 = VersR 1986, 764, 765).
Die Erteilung einer derartigen konkreten Anweisung haben Rechtsanwalt Dr. N und der Bürovorsteher R glaubhaft versichert. An der Zuverlässigkeit des seit vielen Jahren in der Anwaltskanzlei ohne vergleichbare Beanstandungen tätigen Bürovorstehers, der zudem nach seiner eigenen eidesstattlichen Versicherung in der Einhaltung der Fristen von Rechtsanwalt Dr. N überwacht wurde, haben weder das Berufungsgericht noch die Revisionserwiderung Zweifel geäußert; es sind auch keine ersichtlich.
b) Für die vom Berufungsgericht angedeutete Möglichkeit, Rechtsanwalt Dr. N. könne die Anweisung an den Bürovorsteher schon vor dem Berufungsauftrag des Beklagten erteilt haben, ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt. Im Gegenteil ist dem zeitlichen Ablauf und dem Wortlaut der eidesstattlichen Versicherung des Bürovorstehers zu entnehmen, daß Rechtsanwalt Dr. N die Anweisung erst nach dem Anruf des Beklagten erteilt hat. Er hatte nämlich dem Beklagten mit Schreiben vom 9. Dezember 1986 erst empfohlen, Berufung einlegen zu lassen; dem kam der Beklagte Mitte Dezember 1986 nach. R hat versichert, Rechtsanwalt Dr. N habe die Anweisung gegeben, Berufung auch ohne Rücksicht auf die Stellungnahme der Rechtsschutzversicherung einlegen zu lassen, "zumal Herr K. R. (Beklagter) mir Mitte Dezember 1986 schon am Telefon erklärt hatte" (Unterstreichung durch den Senat), er wünsche auf jeden Fall die Berufungseinlegung.
c) Kein Raum ist auch für die vom Berufungsgericht erwogene Auffassung, ein Verschulden des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten komme in Betracht, wenn er nicht entweder den Bürovorsteher angewiesen habe, umgehend für die Einlegung der Berufung zu sorgen, oder ihm eine Anweisung zum Zuwarten gegeben habe. Zwar geben der Vortrag des Beklagten und die eidesstattlichen Versicherungen über den Inhalt der Anweisung in diesem Punkt keinen Aufschluß. Bei keiner der in Betracht kommenden Möglichkeiten ist indessen die Annahme eines für die Fristversäumung ursächlichen Verschuldens des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten gerechtfertigt: Gab Rechtsanwalt Dr. N. die Anweisung zur umgehenden Beauftragung des zweitinstanzlichen Anwalts, so müßte er sich eine Mißachtung dieser Weisung durch seinen sonst zuverlässigen Bürovorsteher nicht als eigenes Verschulden anlasten lassen. Erteilte er eine ausdrückliche Anweisung zum Zuwarten so will offenbar auch das Berufungsgericht hierin - zu Recht - kein Verschulden sehen, weil die Berufungsfrist grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden durfte und wegen der ausstehenden Antwort der Rechtsschutzversicherung selbst dann ein besonderer Grund zum Zuwarten bestand, wenn das Rechtsmittel notfalls auch ohne Deckungszusage durchgeführt werden sollte. Wies schließlich Rechtsanwalt Dr. N den Bürovorsteher ausdrücklich weder zur umgehenden Beauftragung des zweitinstanzlichen Anwalts noch zum Zuwarten bis zum letzten Tag der Berufungsfrist an, so wäre ein hierin etwa liegendes Verschulden jedenfalls nicht ursächlich für die Fristversäumung geworden, weil der Bürovorsteher nach seiner eidesstattlichen Versicherung zu dem Entschluß gekommen war, zunächst die Rückäußerung der Versicherung abzuwarten, in jedem Fall aber noch vor Fristablauf notfalls telefonisch Rechtsanwalt G zu beauftragen.
d) Die Revisionserwiderung hat zwar darin Recht, daß sich bei Ausnutzung einer Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag erhöhte Sorgfaltsanforderungen für den Anwalt ergeben können (z.B. BGH Beschlüsse vom 10. März 1971 - VIII ZB 33/70 = VersR 1971, 643, 644 und vom 7. November 1979 IV ZB 157/79 = NJW 1980, 457) und daß dies auch bei Vorliegen besonderer Umstände wie etwa einer - für die Zeit des Ablaufs der Berufungsfrist angeblich zu erwartenden - Arbeitsüberlastung des Kanzleipersonals gelten müsse (dazu Senatsbeschluß vom 16. September 1981 - VIII ZB 48/81 = VersR 1982, 67 unter 3 m.Nachw.). Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall gleichwohl kein schuldhaftes Verhalten des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Beklagten. Die Beauftragung des Rechtsanwalts G erforderte nur ein kurzes Telefongespräch; daß der Übernahme des Mandats durch diesen Anwalt auch noch am letzten Tag der Frist irgendwelche Hindernisse entgegengestanden hätten, ist nicht ersichtlich. Auch bei starker Belastung des Kanzleipersonals kann einem Anwalt nicht ein Verschulden angelastet werden, wenn er die Ausführung der einem zuverlässigen Angestellten gegebenen, derart einfachen Anweisung nicht selbst überprüft (Senatsbeschluß vom 16. September 1981 aaO.).
2. Da mithin die Weisung des Rechtsanwalts Dr. N an seinen Bürovorsteher nicht zu beanstanden war und sich der Beklagte den Fehler des Bürovorstehers nicht wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß, durfte die Wiedereinsetzung nur versagt werden, wenn dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Beklagten ein anderes Verschulden anzulasten wäre, ohne das die Fristversäumung möglicherweise hätte verhindert werden können. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann es nicht in der Organisation der Fristennotierung in dem Kalender gesehen werden. Es entspricht zwar gefestigter Rechtsprechung, daß Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen so notiert werden müssen, daß sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben (BGH Beschlüsse vom 15. Februar 1978 - IV ZB 65/77 = JurBüro 1978 Sp. 1160 f und IV ZB 42/77 = JurBüro 1978 Sp. 1162 f; vom 18. Mai 1983 - VIII ZB 18/83 = VersR 1983, 777 unter 2 b und vom 18. Dezember 1985 IVa ZR 223/84 = VersR 1986, 469, 470; B AG AP ZPO § 232 Nr. 6 m.Anm. Pohle). Die Handhabung der Fristennotierung in der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. N entsprach indessen diesen Anforderungen. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Bei der in der Rechtsprechung erörterten Führung eines besonderen Promptfristenkalenders (dazu RG HRR 1938 Nr. 834), der Verwendung eines Kalenders mit besonderen Spalten für Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen (dazu RG JW 1939, 365) oder der farblichen Kennzeichnung bestimmter Fristen (dazu BGH Beschluß vom 28. Juni 1979 - VII ZB 2/79 = VersR 1979, 961) handelt es sich nur um Beispiele verschiedener Möglichkeiten. Auch im anwaltlichen Schrifttum wird eine bestimmte Art der Kennzeichnung etwa von Berufungs- und Berufungsbegründungsfristen weder empfohlen noch als üblich bezeichnet (vgl. z.B. Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 2. Aufl., S. 364; Borgmann AnwBl 1982, Sonderheft S. 14; Tieling u.a. AnwBl 1978, 85, 88; Commichau, Die anwaltliche Praxis in Zivilsachen, 1983, 206; D AV-Ratgeber, 3. Aufl., S. 75, 82 f).
Das Berufungsgericht hat der Ausgestaltung des in der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. N verwendeten Fristenkalenders nicht hinreichend Beachtung geschenkt. Auf der rechten Seite des für jeden Tag vorgesehenen Blattes enthält er zwei gesonderte Spalten "Vorfrist in Sachen" in der linken und "Fristablauf heute" in der rechten Hälfte. Für die Monate November 1986 bis Januar 1987, hinsichtlich derer das Berufungsgericht die Kalender eingesehen und Ablichtungen zu den Akten genommen hat, finden sich in der rechten Spalte Eintragungen lediglich von Berufungs- und Berufungsbegründungsfristen, Widerrufs- und Widerspruchsfristen sowie von Schriftsatz- und Nachschubfristen. Dort waren also keineswegs alle Wiedervorlagefristen vermerkt, sondern nur solche sich aus dem Gesetz oder richterlicher Verfügung ergebenden Not- und andere Promptfristen, deren Nichtbeachtung Rechtsnachteile nach sich zog. Von den - in der linken Spalte aufgeführten - Vorfristen waren sie ebenso getrennt wie von den - in diesen Kalendern gar nicht notierten - sonstigen Fristen, etwa den vom Anwalt selbst verfügten Fristen zur Verfahrensförderung, z.B. zwecks Abwartens auf eine Äußerung des Mandanten oder der Gegenseite oder eine Handlung des Gerichts. Die in der Spalte "Fristablauf heute" notierten Fristen waren auch untereinander hinreichend abgehoben, nämlich durch die in der weiteren Spalte " Art der Frist" vorgesehenen und vorgenommenen Eintragungen (z.B. "Beruf", "Ber.begr", "SS" oder "NSch"). Nicht viel anders als bei einer unterschiedlichen farblichen Kennzeichnung ermöglichte dem Büropersonal ein kurzer Blick auf diese rechts außen im Kalender stehende Spalte, die Art der Frist, deren Ablauf drohte, zu erfassen. Die Erreichung des Zwecks der besonderen Kennzeichnung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen, der der Forderung der Rechtsprechung nach deutlicher Abhebung von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen zugrunde liegt, war somit ausreichend gewährleistet. Mit der Eintragung in der Spalte "Fristablauf heute" und der Ausfüllung der Spalte " Art der Frist" wurde zugleich - jedenfalls unter den gegebenen Umständen des zu entscheidenden Falles - eine "Signalwirkung" erzielt. Dabei kann der Umfang der Fristeintragungen in der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. N. nicht unberücksichtigt bleiben. Es war nämlich nicht so, daß in der Spalte "Fristablauf heute" im fraglichen Zeitraum jeweils eine große Zahl von Eintragungen vermerkt gewesen wäre. Für 37 Werktage findet sich keine einzige Eintragung, für 19 Tage - wie auch für den 5. Januar 1987 - war nur eine Frist notiert, für 8 Tage waren zwei und für 3 Tage drei Eintragungen vermerkt; mehr als drei Fristen waren für den Zeitraum eines Vierteljahres an keinem Tag eingetragen. Daraus folgt, daß der durch Notierung nur bestimmter Fristen und durch Kennzeichnung ihrer Art erstrebte Warneffekt nicht durch eine Vielzahl von Eintragungen wieder in Frage gestellt oder vereitelt wurde. Bei einem Vergleich dieser Art der Fristennotierung mit der vom Berufungsgericht für erforderlich oder doch ratsam gehaltenen Rötung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen muß zudem bedacht werden, daß im letzteren Fall auch die anderen in der Spalte "Fristablauf heute" eingetragenen Fristen, deren Versäumung ebenfalls unmittelbar mit Rechtsnachteilen verbunden sein konnte, durch eine andere - farbliche Kennzeichnung hätten hervorgehoben werden müssen; ob dies ein sichererer Weg zur Vermeidung eines Übersehens oder Vergessens einer einzelnen Frist gewesen wäre als die in der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. N. vorgenommene "verbale" Unterscheidung, ist zweifelhaft.
3. Es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, die einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehen.
a) Eines Vortrages des Beklagten dazu, ob die auf den 19. Dezember 1986 eingetragene Vorfrist beachtet wurde, bedurfte es nicht. Hinsichtlich der Berufungseinlegungsfrist kann eine allgemeine Pflicht zur Notierung einer - im gegebenen Fall möglicherweise in Erwartung der am 19. Dezember 1986 dann noch ausstehenden Antwort der Rechtsschutzversicherung eingetragenen - Vorfrist nicht angenommen werden (BGH Beschlüsse vom 11. Juli 1962 - VIII ZB 18/62 = VersR 1962, 838, 839; vom 24. Mai 1973 - III ZB 5/73 = VersR 1973, 840, 841 und vom 30. Januar 1985 - IVa ZB 18 + 19/84 = VersR 1985, 396; Borgmann/Haug aaO.). Die etwaige Nichtbeachtung der Vorfrist könnte dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Beklagten deshalb allenfalls dann zum Vorwurf gereichen, wenn durch ihre Eintragung eine Fehlerquelle geschaffen wurde, die zur Versäumung der Berufungsfrist geführt haben könnte. Dafür fehlt jeder Anhaltspunkt.
b) Unschädlich bleibt auch, daß der Beklagte nicht vorgetragen hat, wann sein Prozeßbevollmächtigter der Rechtsschutzversicherung die angemahnten Unterlagen übersandt hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß Rechtsanwalt Dr. N durch eine denkbare Verzögerung die dann eingetretene Fristversäumung schuldhaft verursacht hat. Denn nach den glaubhaften eidesstattlichen Versicherungen sollte die Einlegung der Berufung unabhängig von der Deckungszusage erfolgen.
4. Einer weiteren Aufklärung über ein der Wiedereinsetzung etwa entgegenstehendes Hindernis bedarf es nicht, so daß die Versagung der Wiedereinsetzung durch das Berufungsgericht aufzuheben und dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren war. Damit erweist sich zugleich die Verwerfung der Berufung gemäß § 519 b ZPO durch das Berufungsgericht als unrichtig. Zur Nachholung der Entscheidung über die Begründetheit der Berufung war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Wegen der ihm vorbehaltenen Entscheidung über die Kosten der Wiedereinsetzung wird auf § 238 Abs. 4 ZPO verwiesen (zur Behandlung der Kosten einer erfolgreichen Beschwerde vgl. BGH Beschluß vom 31. Januar 1979 IV ZB 44/78 = VersR 1979, 443).
Fundstellen
Haufe-Index 2992969 |
NJW 1989, 2393 |
BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 11 |
BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelauftrag 6 |
BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelfrist 1 |
MDR 1989, 444 |