Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufgaben des Nachlasspflegers
Leitsatz (amtlich)
- Der eigene Anspruch des Nachlaßpflegers auf Herausgabe der Nachlaßgegenstände auch gegen den Erbprätendenten geht nicht so weit, daß der mögliche Erbe ihm auch aus seiner Wohnung weichen müßte.
- Zur Frage, wann der (für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung eingegangener Pflichten des Vertragspartners) vorbehaltene Rücktritt vom Erbvertrag Abmahnung voraussetzt.
Normenkette
BGB §§ 1960, 2293; GG Art. 13 Abs. 1, 3
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. Juli 1979 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie der Beklagte verurteilt und seine Feststellungswiderklage abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die am 12. März 1976 verstorbene Erblasserin und der Beklagte schlossen am 23. Juni 1972 einen Erb- und Unterhaltsvertrag, in dem die Erblasserin den Beklagten zu ihrem Alleinerben einsetzte und der Beklagte versprach, die Erblasserin bis zu ihrem Lebensende zu warten, zu verpflegen und ihr eine Rente zu zahlen sowie für sie entstehende Krankheitskosten zu tragen. Für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung dieser Verpflichtungen des Beklagten behielt die Erblasserin sich ein Rücktrittsrecht vor; bei Ausübung dieses Rücktrittsrechtes sollten dem Beklagten lediglich die Hälfte seiner Investitionen in das Haus der Erblasserin sowie die gezahlten Renten ersetzt werden. Bald darauf zog der Beklagte mit seiner Familie in das Haus der Erblasserin, um diese dort besser versorgen zu können.
Am 14. April 1975 erklärte die Erblasserin zu notariellem Protokoll ihren Rücktritt vom Vertrag wegen "Nichtzahlung der Rente, Nichterfüllung der Warteverpflichtungen, Nichtzahlung der Arzt- und Krankenhauskosten". Diese Erklärung wurde dem Beklagten am 18. April 1975 durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers zugestellt; ob dabei eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift der Rücktrittserklärung übergeben wurde, ist ungeklärt.
Die Erblasserin hat sodann Klage erhoben und von dem Beklagten Räumung und Herausgabe der (unentgeltlich) überlassenen Räumlichkeiten und eine Nutzungsentschädigung von monatlich 300 DM für diese Räumlichkeiten für die Zeit ab 19. April 1975 verlangt. Der Beklagte hat Widerklage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß der Erbvertrag durch die Rücktrittserklärung nicht aufgelöst sei, hilfsweise die Erblasserin zur Zahlung von rund 17.000 DM zu verurteilen (Erstattung der Hälfte seiner Investitionen und der gezahlten Unterhaltsrente).
Während des Verfahrens vor dem Landgericht ist die Erblasserin verstorben. Das Amtsgericht hat einen Nachlaßpfleger bestellt mit dem Wirkungskreis "Vertretung und Wahrung der Interessen der Erben ...". Dieser ist anstelle der Erblasserin in den Rechtsstreit eingetreten. Darauf hat der Beklagte gegenüber dem Nachlaßpfleger die Feststellung begehrt, daß er Alleinerbe sei, und hat hilfsweise von den Erben Zahlung verlangt.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Räumung und zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung verurteilt und hat der auf Zahlung gerichteten Widerklage teilweise stattgegeben, und zwar beides zum Teil Zug um Zug gegen die Leistung der anderen Seite; die Feststellungswiderklage hat es als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers hat das Berufungsgericht im wesentlichen zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag und die Feststellungswiderklage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten führt teilweise zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Klage und Widerklage sind zulässig. Die Zulässigkeit von Klage und Widerklage war allerdings nach dem Tode der ursprünglichen Klägerin (Erblasserin) zweifelhaft. Nach dem Eintritt des Nachlaßpflegers in den Rechtsstreit blieb in den Vorinstanzen unklar, wer den Rechtsstreit auf der Klägerseite als Partei fortführte: der Pfleger oder die (unbekannten) Erben, vertreten durch den Pfleger, Das Berufungsgericht ist ohne nähere Prüfung davon ausgegangen, daß nicht der Pfleger, sondern die durch ihn vertretenen unbekannten Erben nunmehr Kläger (und Widerbeklagte) seien. Wäre das zutreffend, dann wären die Klage und die Widerklage möglicherweise unzulässig. Denn revisionsrechtlich ist davon auszugehen, daß der von der Erblasserin erklärte Rücktritt vom Erbvertrag womöglich nicht wirksam und daß der Beklagte daher Alleinerbe geworden ist (dazu vgl. unten zu III), Sollte der Beklagte tatsächlich Alleinerbe geworden sein, dann stünde er aus der Sicht des Berufungsgerichts damit zugleich auch auf der Klägerseite, Das wäre prozessual bedenklich und müßte zur Abweisung von Klage und Widerklage als unzulässig führen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1951 - IV ZR 12/50 = LM BGB § 1960 Nr. 1).
Die hier entstandenen prozessualen Bedenken sind jedoch inzwischen ausgeräumt. Nach den beiderseitigen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist inzwischen klargestellt, daß Kläger und Widerbeklagter im vorliegenden Verfahren nicht die (unbekannten) Erben sind; Kläger und Widerbeklagter ist danach vielmehr der Pfleger selbst. Eine derartige Klarstellung ist auch in der Revisionsinstanz noch möglich.
II.
Die Hauptaufgabe des Nachlaßpflegers (§ 1960 Abs. 2 BGB) ist die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses. Er ist insoweit der gesetzliche Vertreter der Erben; das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 49, 1, 4; Urteile vom 10. Mai 1951 - IV ZR 12/50 = LM BGB § 1960 Nr. 1 und vom 21. Juni 1972 - IV ZR 110/72 = LM BGB § 1960 Nr. 3) und des überwiegenden Teils des Schrifttums (A.M. z.B. von Lübtow, Erbrecht S. 754 f) ganz allgemein und muß jedenfalls dann gelten, wenn der dem Pfleger von dem Nachlaßgericht zugewiesene Wirkungskreis - wie hier - ausdrücklich die "Vertretung der Erben" umfaßt. Diese Stellung des Nachlaßpflegers als des gesetzlichen Vertreters der (unbekannten) Erben schließt aber nicht aus, daß der Pfleger selbst die Rolle einer Prozeßpartei wahrnimmt (vgl. §§ 780 Abs. 2 ZPO, 40 Abs. 1 GBO) und (nicht im Namen der Erben, sondern) selbst als Kläger zum Nachlaß gehörige Rechte einklagt. Er hat den Nachlaß an sich zu nehmen und kann von jedem, der Nachlaßgegenstände in Besitz hat, deren Herausgabe verlangen. Dieser Anspruch ergibt sich unmittelbar aus dem Recht des Nachlaßpflegers; ohne ihn könnte der Nachlaßpfleger die ihm übertragenen Aufgaben nicht erfüllen (BGH LM BGB § 1960 Nr. 3; Johannsen in BGB-RGRK, 12. Aufl. § 1960 Rdn. 22).
Demgemäß kann der Nachlaßpfleger auch gegen denjenigen vorgehen, der vorgibt, der Erbe zu sein, dessen Erbrecht aber noch nicht geklärt ist. Erfahrungsgemäß werden die Interessen der wahren Erben nämlich in besonderem Maße von seiten der mit ihnen konkurrierenden übrigen Erbprätendenten gefährdet. Die dem Nachlaßgericht bei ungewisser Erbfolge (§ 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB) obliegende Fürsorge für den Nachlaß ist ihrer Tendenz nach daher bis zur Feststellung der wahren Erben in deren Interesse (vorläufig) gegen sämtliche Erbprätendenten gerichtet. Diese Richtung bestimmt auch die Stellung des Nachlaßpflegers, dessen sich das Nachlaßgericht zur Erfüllung seiner Fürsorgeaufgaben bedient; dementsprechend ist der Nachlaßpfleger berechtigt und verpflichtet, den Nachlaß zunächst einmal vor sämtlichen Erbprätendenten "in Schutz" zu nehmen. Demgegenüber kann der in Anspruch genommene Erbprätendent sich grundsätzlich nicht auf sein Erbrecht berufen (BGH aaO). Sein (mögliches) Erbrecht muß hier hinter das Fürsorgeinteresse vorläufig zurücktreten. Der Sache nach handelt es sich insoweit um eine Art (materiell-rechtlichen) "vorläufigen Rechtsschutzes".
Die Rechte des Nachlaßpflegers sind freilich nicht unbegrenzt. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof (aaO) bereits zu verstehen gegeben, daß er einen Herausgabeanspruch des Nachlaßpflegers nicht annehmen würde, wenn das Erbrecht des in Anspruch genommenen Erbprätendenten dem Nachlaßpfleger gegenüber bereits rechtskräftig festgestellt ist. Eine weitere Einschränkung ist erforderlich, wenn der Nachlaßpfleger - wie hier - die Herausgabe von Wohnräumen verlangt, die dem Erbprätendenten überlassen worden sind und die dieser als solche benutzt. Die dem Nachlaßgericht und dem von ihm bestellten Nachlaßpfleger obliegende Fürsorge für den Nachlaß (§ 1960 BGB) muß daher hier vor dem verfassungsrechtlich geschützten (Art. 13 GG) Interesse des (möglichen) Erben an seiner Wohnung halt machen. Auch somit ist die geltende Rechtsordnung mit der Zulassung von Eingriffen in die Wohnung zum Zwecke vorläufigen Rechtsschutzes äußerst zurückhaltend (vgl. § 940 a ZPO).
Hier wird der (mögliche) Erbe zwar nach Klärung der Erbfolge dem wahren Erben weichen müssen, nicht aber - gewissermaßen vorläufig und ohne Klärung seines Erbrechtes - auch schon dem Nachlaßpfleger. Für den Anspruch auf Nutzungsentschädigung gilt nichts anderes.
Unter diesen Umständen kommt es für die Ansprüche des Klägers auf die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte Frage an, ob die Erblasserin von dem Erbvertrag vom 23. Juni 1972 wirksam zurückgetreten ist oder ob der Beklagte entsprechend diesem Vertrag Erbe geworden ist.
III.
1.
Das Berufungsgericht hält den Rücktritt der Erblasserin für berechtigt und wirksam und den Beklagten daher nicht für den Erben. Es stellt fest, der Beklagte habe seine Pflichten aus dem Unterhaltsvertrag verletzt, indem er auf eine Krankenhausrechnung in Höhe von 2.857,95 für die Erblasserin nur 600 DM gezahlt habe und indem er die Rechnungen der Ärzte Dr. Hohnen und Dr. Fesser nicht bezahlt habe. Die vereinbarte Unterhaltsrente habe er seit September 1974 nicht mehr gezahlt. Eine Abmahnung durch die Erblasserin sei nicht erforderlich gewesen.
2.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
Nicht zu beanstanden ist, daß das Berufungsgericht Nicht- bzw. Schlechterfüllung der Pflichten des Beklagten im Sinn der vereinbarten Rücktrittsklausel angenommen hat. Auch die Revision hat hiergegen nichts zu erinnern. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht eine Abmahnung durch die Erblasserin vor Ausübung des Rücktrittsrechts nicht für erforderlich gehalten. Allerdings hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes eine solche Abmahnung gemäß § 242 BGB vor Ausübung eines vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrecht bei einem Erb- und Unterhaltsvertrag für erforderlich gehalten (Urteil vom 10. Juli 1967 - III ZR 109/66 = LM BGB § 242 (Cd) Nr. 118). Dabei handelte es sich aber um einen anders gelagerten Fall, in dem der Rücktritt vom Erbvertrag erklärt worden war, weil der Vertragserbe seine nur allgemein umschriebene Verpflichtung, die Erblasserin zu verpflegen ("so zu halten, wie diese es bisher gewohnt war"), verletzt hatte. Bei einer solchen Vereinbarung, in der der Umfang der übernommenen Verpflichtungen nur sehr ungenau festgelegt ist, kann es mit Rücksicht auf Treu und Glauben in der Tat geboten sein, den Rücktritt nur bei Vorliegen ganz klarer Verstöße und deshalb gegebenenfalls nicht ohne vorangegangene Abmahnung zuzulassen. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Vielmehr hat das Berufungsgericht mit Recht hervorgehoben, daß es sich hier um völlig klare Vertragspflichten und ebenso klare Rechtsverstöße des Beklagten handelte. Der Feststellung einer besonderen Abmahnung bedurfte es daher nicht. Auch eine Fristsetzung entsprechend § 326 BGB war hier nicht erforderlich. Dabei kann dahinstehen, ob diese Vorschrift auf den Erb- und Unterhaltsvertrag von 1972 überhaupt anwendbar ist. Selbst wenn das der Fall sein sollte, mußte § 326 BGB hier zurücktreten, weil es nicht um die Geltendmachung der Rechtsbehelfe aus dieser Vorschrift, sondern um die Ausübung eines vertraglich vereinbarten und an besondere Voraussetzungen geknüpften Rücktrittsrechts geht.
Demgegenüber beanstandet die Revision mit Recht, daß das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob bei der Zustellung der Rücktrittserklärung eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift der notariellen Erklärung der Erblasserin übergeben worden ist.
Der Rücktritt vom Erbvertrag erfolgt gemäß § 2296 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragsteil. Die Erklärung bedarf der notariellen Beurkundung. Er wird wirksam, wenn die Erklärung dem anderen Teil zugeht (§ 130 Abs. 1 BGB) oder wenn sie diesem durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung zugestellt wird (§ 132 Abs. 1 BGB). Nach der Rechtsprechung des III. und des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (BGHZ 31, 5, 7; 36, 201, 204; 48, 374, 378) und auch schon des Reichsgerichtes (RGZ 65, 270, 274) ist dabei die Übergabe einer Ausfertigung der notariellen Widerrufserklärung erforderlich; die Übergabe einer beglaubigten Abschrift dieser Erklärung reicht dagegen nicht aus. Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum überwiegend Zustimmung gefunden (vgl. z.B. Johannsen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 2296 Rdn. 3 m.w.N.; MünchKomm-Förschler, § 132 BGB Fn. 4; Palandt/Keidel, 39. Aufl. § 2296 BGB Anm. 1). Der erkennende Senat schließt sich ihr an.
Demgemäß kommt es für die Klage und für die mit der Revision weiter verfolgte Widerklage darauf an, ob dem Beklagten bei der Zustellung am 18. April 1975 eine beglaubigte Abschrift (so die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers) oder eine Ausfertigung der Rücktrittserklärung (so das Begleitschreiben des Notars) zugegangen ist. Entgegen der Meinung der Revisionserwiderung liegt ein gerichtliches Geständnis insoweit nicht vor. Eigene Feststellungen sind dem Senat insoweit verwehrt. Das Berufungsgericht wird die entsprechenden Feststellungen daher (ggfs. unter Hinzuziehung der Nebenakten des Notars und der Akten des Gerichtsvollziehers) nachholen müssen.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Rottmüller
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Fundstellen
Haufe-Index 1456438 |
NJW 1981, 2299 |
DNotZ 1983, 117 |