Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung von Statusurteilen von DDR-Gerichten
Leitsatz (amtlich)
a) Statusurteilen, die vor dem Beitritt von Gerichten der ehemaligen DDR gefällt worden sind, ist auch nach dem Beitritt die Anerkennung zu versagen, wenn sie gegen den ordre public der Bundesrepublik verstoßen. Art. 234 § 7 EGBGB enthält ungeschrieben einen entsprechenden Vorbehalt.
b) Zur Wirksamkeit eines die Vaterschaft feststellenden Urteils, das ein Gericht der ehemaligen DDR gefällt hat, ohne ein Abstammungsgutachten einzuholen.
Normenkette
EGBGB Art. 234 § 7; ZPO § 328 Abs. 1 Nrn. 2, 4
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 12.07.1995) |
AG Viersen |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Juli 1995 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte wurde im Jahre 1980 in Dresden nichtehelich geboren. Ihre Mutter hatte innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit dem Kläger.
Der Kläger wohnte in West-Berlin. Die Mutter der Beklagten erhob vor dem Kreisgericht Dresden-Süd Klage mit dem Ziel festzustellen, daß der Kläger der Vater der Beklagten sei. Das Kreisgericht bestimmte Termin und ersuchte das für den Wohnsitz des Klägers (des damaligen Beklagten) zuständige Amtsgericht in West-Berlin, die Klage und die Ladung zum Terrain zuzustellen. Der Senator für Justiz in West-Berlin gab dieses Rechtshilfeersuchen unerledigt zurück. Er übersandte dem Kläger jedoch eine Ausfertigung der Klageschrift mit dein Vermerk, daß dieses Schriftstück zur Kenntnisnahme übermittelt werde und daß diese Übermittlung keine förmliche Zustellung der Klageschrift darstelle. Mit Schreiben vom 5. September 1983 teilte der Ministerrat der DDR dem Kreisgericht mit, daß ein Rechtshilfeverkehr mit West-Berlin nicht stattfinde. Das Kreisgericht sandte daraufhin die Klageschrift, die Ladung zum Termin und eine Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, per Einschreiben gegen Rückschein an den Kläger. Diese Postsendung kam jedoch zurück mit dem Vermerk eines West-Berliner Postbediensteten, der Empfänger habe die Annahme der Sendung verweigert.
Der Kläger beteiligte sich an dem Vaterschaftsprozeß nicht. Durch Urteil vom 27. Januar 1984 stellte das Kreisgericht fest, daß er der Vater der Beklagten sei. Außerdem verurteilte es den Kläger, an die Beklagte laufenden Unterhalt zu zahlen.
Das Kreisgericht hat kein serologisches Gutachten eingeholt. Es sandte das Urteil wieder per Einschreiben gegen Rückschein an den Kläger. Auch diese Sendung kam zurück mit dem Vermerk, der Empfänger habe die Annahme verweigert. Die zu den Akten zurückgelangte Ausfertigung des Urteils ist dann am 23. Juli 1985 dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis übergeben worden. Danach hat der Kläger vergeblich versucht, die Staatsanwaltschaft der Stadt Dresden zu veranlassen, nach § 60 FGB eine Aufhebung des Urteils zu beantragen.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger die Feststellung, das Urteil des Kreisgerichts Dresden-Süd vom 27. Januar 1984 sei unwirksam. Er macht geltend, die das Verfahren einleitende Klageschrift sei ihm nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, ihm sei nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden und es verstoße gegen den deutschen ordre public, daß das Kreisgericht seine Vaterschaft festgestellt habe, ohne vorher ein Gutachten einzuholen.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen (veröffentlicht FamRZ 1996, 176). Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Klägers, mit der er seinen Feststellungsantrag weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Gestützt auf Stimmen in der Literatur macht der Kläger geltend, das Urteil des Kreisgerichts Dresden-Süd sei unwirksam. Eine solche, sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 328 ZPO ergebende Unwirksamkeit kann im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht worden (MünchKomm-BGB, Ergänzungsband/Mutschier, 3. Aufl. Art. 234 EGBGB § 7 Rdn. 36; Staudinger/Rauscher, 12. Aufl. Art. 234 § 7 EGBGB Rdn. 16). Die Beklagte beansprucht aufgrund des die Vaterschaft feststellenden Urteils nach wie vor Unterhalt von dem Kläger. Dieser hat ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Klärung, ob er sich gegen die Unterhaltsansprüche zur Wehr setzen kann mit der Begründung, das Statusurteil sei unwirksam und er sei nicht der Vater der Beklagten.
Entgegen der Annahme der Revisionserwiderung ist die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage nicht durch die Anlage I zum Einigungsvertrag, Kapitel III A III 5 i ausgeschlossen. Diese Bestimmung regelt nur, welche Rechtsbehelfe gegen wirksame Entscheidungen der Gerichte der DDR gegeben sind. Sie regelt nicht, auf welche Weise die Unwirksamkeit solcher Entscheidungen geltend gemacht werden kann.
2. Das Berufungsgericht ist jedoch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, das die Vaterschaft des Klägers feststellende Urteil sei in der Bundesrepublik wirksam und deshalb sei die Feststellungsklage unbegründet.
Zur Begründung führt das Berufungsgericht aus, Art. 234 § 7 Abs. 1 EGBGB bestimme, daß Entscheidungen von DDR-Gerichten „unberührt” blieben, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangen seien und durch die festgestellt werde, wer der Vater eines Kindes sei. In Literatur und Rechtsprechung werde die Ansicht vertreten, diese Vorschrift schließe es nicht aus, in entsprechender Anwendung des § 328 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 ZPO die Unwirksamkeit eines solchen Statusurteils geltend zu machen, wenn ein entsprechender ordre-public-Verstoß vorliege. Ob dieser Ansicht zu folgen sei, könne dahingestellt bleiben. Ein ordre-public-Verstoß liege nämlich nicht vor. Die das damalige Statusverfahren einleitende Klageschrift sei dem Kläger des vorliegenden Verfahrens ordnungsgemäß zugestellt worden. Ihm sei auch in hinreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt worden. Daß das Kreisgericht die Vaterschaft festgestellt habe, ohne ein Abstammungsgutachten einzuholen, sei nicht als Verstoß gegen den ordre public zu werten.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten jedenfalls im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand.
3. Der Senat schließt sich der Ansicht an, daß Statusurteilen, die vor dem Beitritt von den Gerichten der ehemaligen DDR gefällt worden sind, auch nach dem Beitritt die Anerkennung zu versagen ist, wenn sie gegen den ordre public verstoßen (ebenso Amtsgericht Hamburg-Wandsbek, DtZ 1991, 307 f. und ihm folgend: Staudinger/Rauscher und MünchKomm-BGB/Mut schier aaO; Palandt/Blöderichsen, BGB 56. Aufl. Art. 234 § 7 BGBGB Rdn. 4). Art. 234 § 7 EGBGB enthält ungeschrieben einen entsprechenden Vorbehalt.
a) Art. 234 § 7 EGBGB setzt die Regelungen des Einigungsvertrages um. Art. 18 Abs. 1 des Einigungsvertrages bestimmt zunächst, daß vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Entscheidungen der Gerichte der DDR wirksam bleiben und „nach Maßgabe des gemäß Art. 8 in Kraft gesetzten oder des gemäß Art. 9 fortgeltenden Rechts” vollstreckt werden können. Weiter heißt es dann:
„Nach diesem Recht richtet sich auch eine Überprüfung der Vereinbarkeit von Entscheidungen und ihrer Vollstreckung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen.”
Aus dieser Formulierung ergibt sich eindeutig, daß nach der Art. 234 § 7 EGBGB zugrundeliegenden Regelung des Einigungsvertrages Entscheidungen der DDR-Gerichte, die rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprechen, nicht in Kraft bleiben sollten.
b) Gesetzestechnisch stellt Art. 234 § 7 EGBGB eine Kollisionsnorm dar. Er bestimmt nämlich, daß unter bestimmten Voraussetzungen Gerichtsurteile, die nicht von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland erlassen worden sind, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – auch der alten Bundesländer – anerkannt werden. Die Anerkennung solcher Urteile steht nach der Regelungsabsicht des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO grundsätzlich unter dem Vorbehalt des ordre public. § 328 ZPO war deshalb vor dem Beitritt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Prüfung der Frage, ob Urteile der DDR-Gerichte in der Bundesrepublik anerkannt werden konnten, entsprechend anzuwenden (vgl. z.B. BGHZ 30, 1, 5 f. m.N.). Würde das im Jahre 1984 von dem Kreisgericht Dresden-Süd erlassene Urteil gegen den ordre public der Bundesrepublik Deutschland verstoßen, so wäre es nach diesen Grundsätzen bis zum Beitritt in der Bundesrepublik unwirksam gewesen. Es spricht nichts dafür, daß der Gesetzgeber Urteilen der DDR-Gerichte, die wegen eines ordre-public-Verstoßes in der Bundesrepublik unwirksam waren, durch Art. 234 § 7 EGBGB für die Zeit nach dem Beitritt Wirksamkeit verleihen wollte.
4. Entgegen der Annahme der Revision schließt jedoch § 328 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 ZPO die Anerkennung des Statusurteils des Kreisgerichts nicht aus.
a) Nach § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO kann das Urteil nicht anerkannt werden, wenn der Beklagte sich auf das dem Urteil vorausgehende Verfahren nicht eingelassen hat und sich darauf beruft und wenn die das Verfahren einleitende Klageschrift ihm nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Das Kreisgericht hat jedoch die ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift zu Recht bejaht.
Die ordnungsgemäße Zustellung der Klage ist nach den im Urteilsstaat geltenden Zustellungsregeln einschließlich der dort geltenden Staatsverträge zu beurteilen, hier also nach dem Zustellungsrecht der ehemaligen DDR (lex fori: vgl. Senatsurteil BGHZ 120, 305, 311 m.N.). Verträge, die die DDR verpflichtet hätten, im Verhältnis zur Bundesrepublik bestimmte Zustellungsregeln einzuhalten, bestanden nicht. Insbesondere war die DDR nicht dem Haager Zustellungsübereinkommen beigetreten (vgl. die Zusammenstellung der Vertragsstaaten: MünchKomm-ZPO/von Feldmann, Anh. § 202 Rdn. 6). Die Wirksamkeit der Zustellung ist somit nach den Zustellungsregeln der ZPO-DDR zu beurteilen. Nach § 189 Abs. 3 ZPO-DDR hatte die Zustellung durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zu erfolgen, wenn sie außerhalb des Gebietes der DDR vorzunehmen und eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe nicht möglich war. Vertragliche Übereinkommen über Zustellungen im Wege der Rechtshilfe in West-Berlin bestanden mit der ehemaligen DDR nicht. Ebenso wie die Gerichte in West-Berlin keine Möglichkeit hatten, im Wege der Rechtshilfe Zustellungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR durchzusetzen (vgl. hierzu Kammergericht, NJW 1983, 2950), hatten umgekehrt die Gerichte der DDR keine Möglichkeit, die zuständigen Stellen in West-Berlin dazu zu bewegen, einem Rechtshilfeersuchen um Zustellung zu entsprechen. Nachdem der Senator für Justiz in West-Berlin ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen des Kreisgerichts unerledigt zurückgesandt hatte, ist das Kreisgericht zu Recht davon ausgegangen, daß eine Zustellung der Klage in West-Berlin im Wege der Rechtshilfe i.S. des § 189 Abs. 3 ZPO-DDR nicht möglich sei.
Die Zustellung durch Einschreiben gegen Rückschein war deshalb gerechtfertigt. Die ZPO-DDR enthält allerdings keine Regelungen darüber, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn bei einer Zustellung durch Einschreiben gegen Rückschein die Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstückes von dem Empfänger verweigert wird. Die Erwähnung des internationalen Postrechts in § 189 Abs. 3 ZPO-DDR klärt diese Frage nicht, weil auch das internationale Postrecht keine Regelungen enthält, die Rückschlüsse auf die zivilprozessualen Konsequenzen einer solchen Annahmeverweigerung zuließen. Das Berufungsgericht legt § 189 Abs. 3 ZPO-DDR aber zu Recht ergänzend dahin aus, daß im Falle einer Annahmeverweigerung die Zustellung als ordnungsgemäß bewirkt anzusehen ist. Andernfalls hätte ein außerhalb der DDR lebender Beklagter, wenn die Voraussetzungen einer Zustellung durch Einschreiben gegen Rückschein gegeben waren, die Durchführung des Prozesses durch Nichtannahme der Postsendung endgültig verhindern können.
Da die Klageschrift nach dem Recht der DDR ordnungsgemäß zugestellt worden ist, kommt es nicht darauf an, ob das Recht der DDR – ähnlich wie § 187 ZPO – die Heilung von Zustellungsmängeln kannte (vgl. hierzu BGHZ 120 a.a.O. m.N.).
Daß der Versuch einer Zustellung durch Einschreiben gegen Rückschein nicht so rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin erfolgt ist, daß der Kläger seine Verteidigung gegen die Klage ordnungsgemäß vorbereiten, evtl. in Dresden einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen konnte, macht der Kläger zu Recht nicht geltend.
b) Es liegt auch kein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public vor (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Zu den elementaren Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens und damit zum verfahrensrechtlichen ordre public gehört zwar, daß den Parteien in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt werden muß (Bonner Kommentar zum GG/Rüping, Art. 103 Abs. 1 Rdn. 85 m.N.; Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. § 328 Rdn. 242; Zöller/Geimer, ZPO 20. Aufl. § 328 Rdn. 155). Rechtliches Gehör ist dem Kläger in dem damaligen Verfahren jedoch in ausreichendem Maße gewährt worden. Die Revision meint, nachdem der Senator für Justiz ihm die Klageschrift nur formlos übersandt habe mit dem Vermerk, diese Übersendung stelle keine förmliche Zustellung dar, habe er darauf vertrauen dürfen, daß er zunächst zu seiner Rechtsverteidigung nichts unternehmen müsse. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß der Kläger erst einige Zeit nach dieser Mitteilung des Senators für Justiz die Annahme der vom Kreisgericht an ihn durch Einschreiben gegen Rückschein gesandten Klageschrift verweigert hat. Nach dem Verfassungsgebot, rechtliches Gehör zu gewähren, muß der Betroffene lediglich die Möglichkeit zur Beteiligung an dem Verfahren haben. Es ist ihm anheim gestellt, ob er von der eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht (Bonner Kommentar/Rüping a.a.O. Rdn. 30). Nimmt er die durch Art. 103 Abs. 1 GG eröffnete Äußerungsmöglichkeit nicht wahr, so ist die Wirkung der Vorschrift erschöpft. Wer es zurechenbar versäumt, sich in gerichtlichen Verfahren Gehör zu verschaffen, kann keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend machen (Maunz/Dürich/Schmidt-Aßmann, GG Art. 103 Abs. 1 Rdn. 81 m.N.; vgl. auch BGHZ 118, 312, 322 f.).
Hätte der Kläger die Postsendung entgegengenommen, so hätte er den ihm übersandten Schriftstücken eindeutig entnehmen können, daß das Kreisgericht in der Übersendung durch Einschreiben gegen Rückschein eine förmliche Zustellung der Klageschrift und der Ladung zum Termin sah. Damit wäre ihm die Möglichkeit eröffnet gewesen, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Es ist unstreitig, daß er ungehindert in die DDR einreisen konnte und auch eingereist ist. Wenn er nicht selbst zu dem Termin nach Dresden fahren wollte, hätte er zumindest einen dort zugelassenen Rechtsanwalt mit der Wahrung seiner Interessen beauftragen können.
Selbst wenn nach der formal ordnungsgemäßen Zustellung der Klageschrift das erstinstanzliche Verfahren an einem Verstoß gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs gelitten hätte, könnte der Kläger diesen Verstoß im übrigen im Rahmen des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nur geltend machen, wenn er in dem Urteilsstaat alles Notwendige unternommen hätte, um sich Gehör zu verschaffen, notfalls im Rechtsmittelwege (Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. Rdn. 2774; vgl. auch BVerfG NJW 1988, 1462, 1464). Hätte der Kläger nicht auch die Entgegennahme des durch Einschreiben gegen Rückschein an ihn gesandten Urteils des Kreisgerichts verweigert, hätte er davon Kenntnis nehmen können, daß das Kreisgericht seine Vaterschaft festgestellt hat, und hätte gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel einlegen können.
c) Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public ist auch nicht darin zu sehen, daß das Kreisgericht die Vaterschaft des Klägers festgestellt hat, ohne ein Abstammungsgutachten einzuholen. Zwar gilt nach deutschem Recht in Kindschaftssachen der Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 640, 616 Abs. 1 ZPO). Die danach gebotene Erhebung aller sachdienlicher Beweise von Amts wogen zwingt den deutschen Richter in einem Rechtsstreit um die Feststellung der Vaterschaft im Regelfall, ein Blutgruppengutachten und evtl. weitere zur Überzeugungsbildung notwendige medizinische Gutachten einzuholen (BGHZ 61, 165, 170; Senatsurteile vom 9. April 1986 – IVb ZR 28/85 – FamRZ 1986, 665, 667 f. und vom 14. März 1990 – XII ZR 56/89 – FamRZ 1990, 615 f.). Die Frage, ob bei gleicher Verfahrensweise ein deutsches Gericht gegen tragende Grundsätze des deutschen Verfahrensrechts verstoßen hätte, gibt aber nicht den Maßstab dafür ab, ob das Urteil des ausländischen Gerichts mit dem verfahrensrechtlichen ordre public im Widerspruch steht. Ein außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ergangenes Urteil verstößt vielmehr nur dann gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, wenn es in einem Verfahren ergangen ist, das den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße widerspricht, daß das Urteil nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (BGHZ 48, 327, 331; Senatsurteil vom 9. April 1986 a.a.O. m.w.N.). Der Senat hat im Jahre 1986 entschieden, nach diesen Grundsätzen liege ein die Anerkennung eines ausländischen Urteils ausschließender Verstoß gegen den deutschen ordre public nicht vor, wenn das ausländische Gericht (im entschiedenen Fall: ein Gericht des ehemaligen Jugoslawien) die Vaterschaft allein aufgrund der Aussage der Mutter festgestellt habe (Senatsurteil vom 9. April 1986 aaO).
Die Revision macht geltend, es bestehe Veranlassung, diese Rechtsprechung zu überprüfen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Aussage der Entscheidung des Senates vom 9. April 1986 für jedwede Fallgestaltung aufrecht zu erhalten ist oder nicht. Im vorliegenden Fall sind Besonderheiten gegeben, die einen Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public jedenfalls ausschließen.
Das Kreisgericht hat schon nicht ausschließlich aufgrund der Aussage der Mutter entschieden, sie habe während der Empfängniszeit mit keinem anderen Mann Verkehr gehabt. Dem Kreisgericht war vielmehr bekannt, daß der Kläger beim Jugendamt in West-Berlin vorgesprochen und dort eingeräumt hatte, er habe während der Empfängniszeit mit der Mutter der Beklagten Geschlechtsverkehr gehabt und er könne derzeit jedenfalls keine Mehrverkehrszeugen namentlich benennen. Außerdem hat die Mutter der Beklagten nicht nur ausgesagt, sie habe in der Empfängnis zeit: mit keinem anderen Mann Geschlechtsverkehr gehabt:, sie hat auch bekundet, der Kläger habe nach der Geburt sie und das Kind besucht, er habe Geschenke mitgebracht und zunächst angekündigt, er werde die Vaterschaft auch ohne Prozeß anerkennen.
Insbesondere aber hat der Kläger durch seine Weigerung, die Klageschrift und die Terminladung entgegenzunehmen und sich an dem Verfahren zu beteiligen, ersichtlich selbst bewirkt, daß das Kreisgericht von dem Versuch, ein Abstammungsgutachten einzuholen, abgesehen hat. Auch die Gerichte der DDR waren in Vaterschaftsprozessen jedenfalls dann, wenn der Beklagte seine Vaterschaft in Zweifel zog, regelmäßig gehalten, ein Abstammungsgutachten einzuholen (vgl. die Richtlinie Nr. 23 des Plenums des Obersten Gerichts der DDR zur Feststellung und Anfechtung der Vaterschaft). Das Einholen eines solchen Gutachtens war aber nur sinnvoll, wenn die Möglichkeit bestand, den heutigen Kläger in die Begutachtung einzubeziehen. Nach dem Verhalten des Klägers konnte das Kreisgericht nicht davon ausgehen, daß der Kläger zu einer Mitwirkung freiwillig bereit war. Eine Möglichkeit, den in West-Berlin lebenden Kläger zur Mitwirkung zu zwingen, hatte das Kreisgericht nicht. Insofern hat die Fallkonstellation zumindest Ähnlichkeit mit dem vom Senat entschiedenen Fall, daß im Inland ein auf Vaterschaftsfeststellung in Anspruch genommener Mann unberechtigt notwendige Untersuchungen, die nicht zwangsweise durchgesetzt werden können, verweigert. Der Senat hat entschieden, daß in solchen Fällen nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung von der Einholung eines Gutachtens abgesehen werden kann (BGHZ 121, 266, 272 f.). Angesichts dieser Rechtsprechung kann es nicht als ein Verfahrensverstoß angesehen werden, durch den der verfahrensrechtliche ordre public der Bundesrepublik verletzt würde, wenn das Kreisgericht wegen der Weigerung des außerhalb der DDR lebenden Klägers, sich an dem Verfahren zu beteiligen, von der Einholung eines Abstammungsgutachtens abgesehen hat.
Im übrigen hatte der Kläger die Möglichkeit, gegen das Urteil des Kreisgerichts Berufung einzulegen, in der Berufungsinstanz die Einholung eines Abstammungsgutachtens zu beantragen und zu erklären, daß er bereit sei, bei der Erstellung eines solchen Gutachtens mitzuwirken. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht (vgl. BVerfG aaO).
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1128080 |
NJW 1997, 2051 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1997, 574 |
NJ 1997, 131 |