Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 02.07.2001) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 2. Juli 2001 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 15 der Anklage freigesprochen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten, dem zahlreiche Straftaten zur Last gelegt wurden, in vollem Umfang freigesprochen.
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, richtet sich mit der Sachrüge gegen den Freispruch im Fall 15 der Anklage. Sie hat Erfolg.
1. Dem Angeklagten wird in diesem Fall zur Last gelegt, im September 2000 in P. an die zu diesem Zeitpunkt 15-jährige … C. 0,5 g Kokain zu deren Verbrauch als „Entschädigung” dafür übergeben zu haben, daß er sie zuvor sexuell bedrängt hatte. In der Anklageschrift wird dies als Verbrechen nach § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG gewertet. Das Landgericht teilt in dem angefochtenen Urteil hierzu mit, daß die Zeugin C. zwar bekundet hat, daß sie den Angeklagten um „Koks” gebeten und von diesem auch 0,5 g als Entschädigung dafür erhalten habe, daß er sie zuvor sexuell bedrängt hätte. Die Zeugin habe jedoch auch ausgesagt, daß sie – obwohl dies der erste Konsum von „Koks” gewesen sei – außer einer laufenden Nase keinerlei Auswirkungen verspürt habe. Nach Anhörung eines Sachverständigen hierzu ist die Strafkammer der Auffassung, daß für eine Strafbarkeit nach § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG keine ausreichend sicheren Feststellungen zu Art und Menge der abgegebenen Substanz getroffen werden können. Eine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 6 BtMG scheide aus, da dem Angeklagten Kenntnis und Vorsatz hinsichtlich eines möglichen Imitats nicht nachweisbar seien.
2. Der Freispruch hat insoweit rechtlich keinen Bestand.
Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß nach den getroffenen Feststellungen die Prüfung eines Versuchs der Abgabe (§ 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 23 Abs. 1 StGB) sich für den Tatrichter aufdrängte. Denn es lag nahe, daß der Angeklagte zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich der Beschaffenheit als Betäubungsmittel hatte. Diese Erörterung hat der Tatrichter hier rechtsfehlerhaft unterlassen. Insoweit war das freisprechende Urteil aufzuheben.
Sollte der neue Tatrichter sich keine Überzeugung vom Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Betäubungsmittelqualität verschaffen können, wird er näher zu begründen haben, warum er sich dann nicht zu einer Verurteilung nach § 29 Abs. 6 BtMG verstehen kann. Die bloße Behauptung, dem Angeklagten seien Kenntnis und Vorsatz hinsichtlich eines möglichen Imitats nicht nachweisbar, reicht nicht aus, wenn man jetzt davon ausgeht, daß der Angeklagte einerseits noch nicht einmal bedingten Vorsatz hinsichtlich der Betäubungsmittelqualität hatte und andererseits den Stoff als „Koks” an die Minderjährige abgab, was die Ausgabe als Betäubungsmittel im Sinne des § 29 Abs. 6 BtMG nahelegt.
3. Durch die Teilaufhebung des freisprechenden Urteils wird die Entschädigungsentscheidung – auch wenn sie hier unzutreffender Weise nicht im angefochtenen Urteil (vgl. § 8 StrEG) sondern in einem Beschluß getroffen wurde – genauso gegenstandslos wie die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
Unterschriften
Jähnke, Detter, Rothfuß, Fischer, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2559664 |
NStZ 2002, 439 |