Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Die Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte habe "teils durch Unterlassen trotz seiner Verpflichtung als Ehemann und Garant zum Handeln, teils durch aktives Tun seinen Entschluß, den Tod seiner Ehefrau herbeizuführen, zumindest aber vorzeitig herbeizuführen, in die Tat umgesetzt, indem er spätestens seit Freitag, dem 23.07.1982, als seine Frau einen eigenen Willen nicht mehr entwickeln, äußern und durchsetzen konnte, es unterließ, sie der dringend erforderlichen ärztlichen Hilfe zuzuführen, um ihr Leben zu retten, und indem er zuvor schon jedenfalls gegenüber den Zeuginnen S und F das Gerücht verbreitete, seine Ehefrau sei unheilbar krank und von den Ärzten bereits aufgegeben, um diese davon abzuhalten, ihrerseits einen Arzt zu alarmieren, und indem er ihr mit Fanta verdünnten Korn zu trinken gab mit dem Gedanken, damit sie schneller sterben sollte" (UA S. 17/18).
Die Begründung des Schuldspruchs läßt besorgen, daß die Strafkammer bei ihrer Entscheidung die Rechtsprechung, wonach derjenige, der lediglich die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung eines anderen fördert, im Falle der Verwirklichung des von diesem bewußt eingegangenen Risikos nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar ist (vgl. BGHSt 32, 262), nicht ausreichend beachtet hat. Danach kann die Strafbarkeit erst dort beginnen, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser als der sich selbst Gefährdende erfaßt; ohne rechtliche Bedeutung ist es, wenn dieser hofft oder darauf vertraut, daß es nicht zum Eintritt des Erfolgs kommen werde (BGH a.a.O. S. 265).
Der vorliegende Sachverhalt gibt Anlaß zu prüfen, ob diese Rechtsgrundsätze für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Frau B hatte sich schon 1979 "gegen jede Untersuchung im Hinblick auf ihren verstärkten Alkoholgenuß" gewehrt, "so daß es zunächst bei ärztlichen Ratschlägen blieb" (UA S. 4). "In der Regel lehnte sie eine ärztliche oder Krankenhausbehandlung rigoros ab." Die Kapseln, die ihr Dr. L für die Leber verordnete und die der Angeklagte ihr besorgte, nahm sie nicht ein (a.a.O.). Noch im Juni oder Anfang Juli 1982 wies sie, wie der Zeuge Dr. L bekundet hat, dem "von einem Unbekannten alarmierten Notarzt, der mit dem Klinomobil gekommen war, die Tür". Die Ermahnung des Arztes Dr. L, der am 9. Juli 1982 zur Behandlung des Angeklagten einen Hausbesuch machte, in seine Sprechstunde zu kommen, "stieß bei ihr auf völlige Ablehnung, sie reagierte beinahe aggressiv" (UA S. 8). Ihrer Schwiegermutter stieß sie ein Glas "Hohes C", das diese ihr zum Trinken reichte, aus der Hand (UA S. 11), offenbar weil sie dieses Getränk ohne zugesetzten Alkohol nicht zu sich nehmen wollte.
Dies alles kann dafür sprechen, daß der Angeklagte davon ausging, seine Ehefrau habe sich in freier Selbstbestimmung dazu entschlossen, sich keinesfalls ärztlich behandeln zu lassen und den von ihr gewünschten Alkohol, ungeachtet der Folgen für ihre Gesundheit, weiter zu sich zu nehmen. Der Senat kann dies jedenfalls deswegen nicht ausschließen, weil die Strafkammer davon ausgeht, erst mit dem "präkomativen Zustand" am 23. Juli 1982 sei mit Sicherheit "das Aussetzen ihrer" (d.h. Frau B s) "Entscheidungsfreiheit bezüglich einer ärztlichen Behandlung" eingetreten (UA S. 13). Geht man davon aus, dann läßt sich nicht ausschließen, der Angeklagte selbst habe bis dahin an eine in unbeeinträchtigter Selbstverantwortung frei getroffene Entscheidung seiner Ehefrau in dem bezeichneten Sinne geglaubt. Bei solcher Sachlage würde er sich einen Sachverhalt vorgestellt haben, der selbst dann, wenn es ihm nicht darum ging, diesen Willen seiner Ehefrau zu respektieren - die Strafkammer scheint diese Einlassung des Angeklagten als widerlegt anzusehen (UA S. 15) - zur Straflosigkeit seiner auf Abwehr ärztlicher Behandlung gerichteten Bemühungen und der Alkoholgaben führen könnte, weil beides in seiner Vorstellung dem selbstverantwortlichen Willen der kranken Ehefrau entsprochen hätte. Da eine auf frühzeitige Herbeiführung des Todes seiner Ehefrau gerichtete Handlung des Angeklagten nach dem 22. Juli 1982 nicht festgestellt ist, würde der Schuldspruch, soweit er auf aktives Handeln des Angeklagten abstellt, entfallen. Da dies den auf Versuchsstrafbarkeit wegen Tuns sowie wegen Unterlassens gegründeten Schuldspruch im Schuldumfang wesentlich berührt, kann der Schuldspruch insgesamt nicht bestehen bleiben.
Zwar liegt es nicht fern, daß der Zeitpunkt, in dem die süchtige und körperlich zunehmend verfallende Ehefrau des Angeklagten nicht mehr einen freien, selbstverantwortlichen Willen zur Frage einer ärztlichen Behandlung bilden konnte, schon vor Eintritt des "präkomativen Zustands" am 23. Juli 1982 lag. So mag dies angesichts der Feststellungen zum Befinden von Frau B bei den Besuchen der Zeuginnen S und F am 18. und 19. Juli 1982 (UA S. 9, 10) namentlich für die bezeichneten Tage zu beurteilen sein; dafür, daß der Angeklagte einen Ausschluß freier Selbstbestimmung auch selbst erkannt oder doch für möglich gehalten hat, könnte auch das negative Ergebnis seines Versuchs, den Blick seiner Ehefrau "zu fixieren" (UA S. 9), sprechen. Nicht fern liegt auch die Möglichkeit, daß der Wille der suchtkranken Frau bereits wesentlich früher nicht mehr frei war und daß der Angeklagte dies in seinen Vorsatz mitaufgenommen hat. Hier handelt es sich aber um Fragen tatrichterlicher Feststellung und Bewertung, die der Senat selbst nicht entscheiden kann. Sache des Tatrichters ist es auch zu prüfen, ob nach den Umständen davon auszugehen war, daß ein noch in freier Selbstbestimmung getroffener Entschluß von Frau B, sich nicht behandeln zu lassen, auch für die veränderten Verhältnisse nach Ausschluß voller Fähigkeit zu freier Selbstbestimmung gelten sollte und damit zu respektieren war oder nicht und welche Vorstellung der Angeklagte insoweit hatte. Versuchter Totschlag durch aktives Tun käme auch in Betracht, wenn der Angeklagte als Garant für das Leben seiner Ehefrau im Zeitraum ihrer unbeeinträchtigten Entschließungsfreiheit durch gezielte Maßnahmen einen von ihm für möglich gehaltenen Sinneswandel vermeiden wollte, zu dem eine therapeutische Beratung aus seiner Sicht führen konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 2992897 |
BGHR StGB § 212 Abs. 1 - Selbstgefährdung 1 |
NStZ 1987, 406 |
NStE Nr. 4 zu § 212 StGB |