Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung der Entlassung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Entlassung einer Richterin auf Probe nach § 22 Abs. 1 DRiG ist, wenn sie zum Ablauf des vierundzwanzigsten Monats nach der Ernennung aus Gründen des Mutterschutzes nicht ausgesprochen werden darf, zu dem nach dessen Wegfall unter Beachtung des § 22 Abs. 5 DRiG nächstmöglichen Zeitpunkt zulässig.

 

Normenkette

DRiG § 22 Abs. 1; NRWMuSchVB § 11

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 01.02.1980)

LG Düsseldorf

 

Tenor

Die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des Dienstgerichtshofs für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm vom 1. Februar 1980 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Antragstellerin ist, nachdem sie 1971 die 1. Juristische Staatsprüfung mit der Note „ausreichend” und am 24. Mai 1976 die 2. Juristische Staatsprüfung mit der Note „befriedigend” (3, 82 Punkte) bestanden hatte, mit Wirkung vom 11. Oktober 1976 unter Berufung in das Richterverhältnis auf Probe zur Staatsanwältin ernannt worden. Bis zum 30. Juni 1977 arbeitete sie bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Deren Leiter bezeichnete ihre Gesamtleistungen in einem Personal- und Befähigungsnachweis vom 3. Mai 1977 als an der unteren Grenze des Durchschnitts liegend; er habe den Eindruck, daß sie zur Staatsanwältin nicht geeignet sei. In einer Beurteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Wuppertal, bei dessen Behörde die Antragstellerin seit dem 1. Juli 1977 beschäftigt war, wird unter dem 31. Oktober 1977 mitgeteilt, daß das ihr verliehene „große Zeichnungsrecht” (Aufhebung der Vorlagepflicht gemäß Nr. 17 Abs. 1 OrgStA) nach Prüfung der von ihr bearbeiteten Vorgänge zurückgenommen werden mußte. Im Hinblick auf ihre als „unterdurchschnittlich” bewerteten Gesamtleistungen erscheine sie für das Amt des Staatsanwalts ungeeignet. Dem schloß sich der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf in einer Äußerung vom 12. Dezember 1977 an. Eine Überprüfung der Leistungen der Antragstellerin anhand von ihr bearbeiteter Vorgänge durch einen Dezernenten seiner Behörde habe ergeben, daß die Antragstellerin eine gründliche Arbeitsweise vermissen lasse und ihre Arbeiten zum Teil mit schwerwiegenden Mängeln behaftet seien. Auch eine weitere Beurteilung durch den Leitenden Oberstaatsanwalt in Wuppertal vom 30. Juni 1978 sowie eine Äußerung des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf hierzu vom 13. Juli 1978 schließen mit einer Bewertung der Leistungen der Antragstellerin als unterdurchschnittlich.

Die Antragstellerin gab zu den ihr bekanntgemachten Beurteilungen am 20. Dezember 1977 sowie am 22. und 28. Juli 1978 Gegenäußerungen ab. Sie vertrat darin die Ansicht, sie mache nicht mehr Fehler als andere Anfänger. Ihr Gegenzeichner habe zu Unrecht den Widerruf des „großen Zeichnungsrechts” veranlaßt; bei vielen seiner Beanstandungen habe es sich lediglich um Stilübungen gehandelt.

Am 29. Mai 1978 gebar die Antragstellerin eine Tochter. Nach Ablauf der Schutzfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen des Landes Nordrhein-Westfalen (MuSchVB) i.d.F. vom 4. Juli 1968 (GV. NW. 1968, 231) wurde ihr am 30. September 1978 die Verfügung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27. September 1978 zugestellt, durch die sie – unter Hinweis auf die Beurteilungen vom 30. Juni und 13. Juli 1978 – mit Ablauf des 11. November 1978 gemäß § 22 Abs. 1, 5 DRiG aus dem Richterverhältnis auf Probe entlassen wurde.

Den Widerspruch der Antragstellerin hiergegen wies der Justizminister mit Bescheid vom 27. Oktober 1978 zurück.

Die Antragstellerin hat nunmehr bei dem Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Düsseldorf das Prüfungsverfahren eingeleitet. Sie hat beantragt,

die Entlassungsverfügung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27. September 1978 und den Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1978 aufzuheben.

Das Dienstgericht hat den Antrag mit Urteil vom 16. August 1979 als unbegründet zurückgewiesen. Der Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm hat die Berufung der Antragstellerin mit Urteil vom 1. Februar 1980 ebenfalls zurückgewiesen. Mit ihrer im Berufungsurteil zugelassenen Revision verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag weiter. Der Antragsgegner bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die Antragstellerin hält die Entlassungsverfügung vom 27. September 1978 aus zwei Gründen für unzulässig. Sie meint, der Justizminister dürfe die erleichterte Entlassung einer Richterin auf Probe nach § 22 Abs. 1 DRiG ausschließlich zu den in dieser Vorschrift angegebenen Zeitpunkten aussprechen, nämlich zum Ablauf des sechsten, zwölften, achtzehnten oder vierundzwanzigsten Monats nach ihrer Ernennung; stehe dem der Lauf der Schutzfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB entgegen, so sei eine Entlassung erst zum Ablauf des dritten Jahres nach der Ernennung gemäß § 22 Abs. 2 DRiG möglich. Die Antragstellerin meint ferner, ihre Entlassung sei auch deshalb unzulässig, weil sie entgegen den über sie abgegebenen Beurteilungen für das Amt des Staatsanwalts nicht ungeeignet sei.

Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Vorinstanz den Antrag zurückgewiesen hat, halten rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB i.V.m. § 4 Abs. 1 LRiG NW und.§ 86 Nr. 1 LBG NW darf die Entlassung einer Richterin auf Probe innerhalb von vier Monaten nach einer Entbindung gegen ihren Willen nicht ausgesprochen werden.

Das Verbot beschränkt sich nicht auf den Zeitpunkt der Entlassung, sondern betrifft bereits die Erklärung der Entlassung (vgl. für den arbeitsrechtlichen Bereich Zmarzlik/Zipperer, Mutterschutzgesetz 3. Aufl. § 9 Rdn. 13; Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz 4. Aufl. § 9 Rdn 123, 124). Da die Antragstellerin am 29. Mai 1978 entbunden hatte, war die Zustellung einer ihre Entlassung aussprechenden Verfügung daher erst am 30. September 1978 zulässig. Nach § 22 Abs. 5 DRiG mußte der Entlassungstag ferner mindestens sechs Wochen nach dem Tag der Zustellung der Entlassungsverfügung liegen. Dem entspricht die von dem Justizminister ausgesprochene Entlassung mit Ablauf des 11. November 1978. Andererseits stimmt dieser Tag nicht mit dem nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 DRiG zulässigen Entlassungstermin – Ablauf des vierundzwanzigsten Monats nach der Ernennung der Antragstellerin – überein. Dieser Termin wäre der 10. Oktober 1978 gewesen.

Den Konflikt zwischen den beiden Normen – § 22 DRiG einerseits, § 11 MuSchVB andererseits – hat das Berufungsgericht – in Übereinstimmung mit dem Dienstgericht – so gelöst, daß es den Fristen des § 22 Abs. 1 DRiG die ausnahmslose Geltung abspricht. Es stellt auf Sinn und Zweck der beiden kollidierenden Regelungen ab und leitet hieraus das von ihm gefundene Ergebnis ab. § 22 Abs. 1 DRiG, so führt es aus, gewährleiste nicht nur, daß die Entlassung im Interesse der Unabhängigkeit des Richters auf Probe nicht jederzeit ausgesprochen werden könne; er stelle vielmehr auch sicher, daß der Dienstherr das Richterverhältnis während der ersten beiden Probejahre unter erleichterten Voraussetzungen beendigen dürfe. Der zweite Zweck der Bestimmung werde verfehlt, wenn man der Rechtsauffassung der Antragstellerin folge, daß im Falle des Eingreifens des Mutterschutzes eine Entlassung zu dem in § 22 Abs. 1 DRiG vorgesehenen letzten Zeitpunkt unter den erleichterten Voraussetzungen dieses Absatzes unzulässig sei. Auf der anderen Seite handele es sich, so meint das Berufungsgericht weiter, bei den Mutterschutzvorschriften um einen lediglich zeitlichen Bestandsschutz; sie sollten der Mutter über die vier Monate nach der Entbindung endende Entlassungssperre hinaus keine Vorteile verschaffen. Solche Vorteile nehme die Antragstellerin aber in Anspruch, wenn sie im Hinblick auf ihre Mutterschaft eine Entlassung unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 DRiG für unzulässig halte.

Diesen Erwägungen des Berufungsgerichts stimmt der Senat zu. Der Widerstreit zwischen den Belangen des Mutterschutzes und deren des Richterdienstrechts läßt sich auch nach seiner Auffassung sinnvoll nur so ausgleichen, daß die Entlassung einer Richterin auf Probe nach § 22 Abs. 1 DRiG dann, wenn sie zum Ablauf des vierundzwanzigsten Monats nach der Ernennung aus Gründen des Mutterschutzes nicht ausgesprochen werden darf, zu dem nach dessen Wegfall unter Beachtung des § 22 Abs. 5 DRiG nächstmöglichen Zeitpunkt zulässig ist. Damit bleibt der Schutz der Mutter vor Entlassung während eines bestimmten Zeitraums voll gewahrt. Andererseits wird dem Dienstherrn nicht die im öffentlichen Interesse liegende Möglichkeit genommen, ein Richterverhältnis auf Probe aufgrund der in den ersten zwei Jahren seines Bestehens gewonnenen Erkenntnisse zu beenden, ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 DRiG nachweisen zu müssen.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dem Dienstherrn bleibe auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Antragstellerin die Möglichkeit, nach Wegfall des Mutterschutzes sofort die Entlassung zu dem nächsten nach § 22 Abs. 2 DRiG zulässigen Termin auszusprechen. Die genannte Vorschrift setzt das Vorliegen besonderer Entlassungsgründe voraus, würde der Richterin auf Probe also im Falle ihrer Anwendung Vorteile verschaffen, die über den mit den Mutterschutzvorschriften angestrebten Schutz vor unzeitiger Entlassung hinausgingen. Das würde schon dann gelten, wenn man die Erklärung der Entlassung unmittelbar nach Ablauf der Schutzfrist zuließe. Eine so frühzeitige Erklärung würde indes der Bedeutung des § 22 Abs. 2 Nr. 1 DRiG insofern nicht gerecht, als die Eignung der Richterin im Sinne der genannten Vorschrift im Hinblick auf denkbare Entwicklungsmöglichkeiten zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden könnte. In dem Zeitpunkt, zu dem über die Eignung der Richterin zu befinden wäre, bestände aber die Möglichkeit erneuter Schwangerschaft, die eine Entlassung wiederum unzulässig machen würde. Dasselbe könnte vor dem letzten möglichen Entlassungstermin – Ablauf des vierten Jahres nach der Ernennung – nochmals geschehen mit der Folge, daß die Richterin auch im Falle eindeutiger Nichteignung auf Lebenszeit in den Justizdienst übernommen werden müßte. Dieser – worauf das Berufungsgericht ebenfalls schon hingewiesen hat – untragbaren Folge der Rechtsauffassung der Antragstellerin könnte allenfalls in der Weise ausgewichen werden, daß eine Entlassung unter den erleichterten Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 DRiG unmittelbar nach Ablauf der Schutzfrist zu dem nächsten in § 22 Abs. 2 DRiG vorgesehenen Termin für zulässig erachtet würde. Das liefe indes auf eine durch nichts gerechtfertigte Verlängerung der Fristen des gesetzlichen Mutterschutzes hinaus.

2. Die nach alledem zum richtigen Termin ausgesprochene Entlassung der Antragstellerin ist auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Entlassung des Richters auf Probe nach § 22 Abs. 1 DRiG aus jedem sachlichen Grund zulässig. Daß der Justizminister ohne einen solchen Grund ermessensfehlerhaft oder gar willkürlich gehandelt hätte, hat das Berufungsgericht mit rechtsfehlerfreien Erwägungen verneint. Dem ist nichts hinzuzufügen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für den Revisionsrechtszug auf 36.000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG).

 

Unterschriften

Salger, Dr. Bauer, Dr. Thumm, Schauenburg, Ruß

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502512

BGHZ

BGHZ, 93

NJW 1981, 763

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