Leitsatz (amtlich)
Ein von einem Arbeitgeber zur Unterbringung von Gastarbeitern gemietetes Wohnheim ist mangelhaft i. S. von § 537 BGB, wenn die Unterbringung der Gastarbeiter in ihm nicht mehr den entsprechend der gewandelten Verkehrsanschauung in behördlichen Richtlinien festgelegten Mindestanforderungen genügt.
Normenkette
BGB §§ 537, 542
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 10.04.1974) |
LG Hamburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 10. April 1974 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte mietete von der Klägerin die Wohnheime C. straße Nr. 68 und J. allee Nr. 3 als Unterkünfte für ihre Gastarbeiter. Die beiden Mietverträge vom 2. Januar 1967 (C. straße) und vom 10. April 1970 (J. allee) sehen ausdrücklich vor, daß der Mieter (Beklagte) die ihm zugewiesenen Betten in dem betreffenden Wohnheim zur Unterbringung von eigenen Arbeitskräften übernimmt. Im Vertrag vom 2. Januar 1970 wurde der Mietpreis für das Wohnheim C. straße auf 2,50 DM pro Tag und Bett festgesetzt. Weiter heißt es in dem Vertrag: „Der Mieter nimmt von dem Vermieter 26 Plätze fest ab.” Einschließlich der Nebenabgaben errechnet sich die Miete auf monatlich 2.324 DM. Für dieses Mietverhältnis wurde eine Kündigungsfrist von 2 Monaten zum Quartalsende vereinbart. Im Vertrag vom 10. April 1970 wurde der Mietpreis für das Wohnheim J. allee auf monatlich 2.300 DM bemessen, wobei vereinbart wurde, daß die Klägerin der Beklagten insgesamt 20 Betten komplett „leihweise” zur Verfügung stelle. Dieser Vertrag sollte erstmals zum 30. April 1972 kündbar sein.
Die Beklagte kündigte durch Anwaltschreiben vom 23. März 1972 beide Mietverträge für Ende März 1972 fristlos, weil die Räume nicht den im Bundesanzeiger Nr. 63 vom 1. April 1971 bekanntgemachten Richtlinien des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für die Unterkünfte ausländischer Arbeitnehmer entsprächen und deshalb nach Ablauf der bis Ende März 1972 zugestandenen Übergangsfrist der „vertragsgemäße Gebrauch entzogen” sei. Ende März 1972 räumte die Beklagte die Mietobjekte, die in der Folgezeit leer standen.
Mit der Klage hat die Klägerin zuletzt für die Monate April bis September 1972 für beide Wohnheime Zahlung des Mietzinses in Höhe von insgesamt 27.764 DM gefordert. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin den Klaganspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Klage ist in den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden, weil die Klägerin für die Zeit ab 1. April 1972 von der Beklagten für die beiden Wohnheime keine Miete mehr beanspruchen kann. Die Beklagte hat die Mietverträge vom 2. Januar 1967 und vom 10. April 1970 durch ihre fristlose Kündigung bereits mit Wirkung zum 31. März 1972 aufgelöst.
I. Das Berufungsgericht sieht die fristlose Kündigung der Beklagten als wirksam an, weil die der Beklagten zur Unterbringung ausländischer Arbeiter überlassenen Räume den Richtlinien des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung von 1971 nicht entsprächen. Dazu führt das Berufungsgericht aus, weder das Wohnheim Cranachstraße noch das Wohnheim Jürgensallee hätten den unter III Nr. 10 der Richtlinien vorgesehenen Tagesraum gehabt; jedenfalls das Wohnheim J. alle habe zudem auch nicht den in II Nr. 1 der Richtlinien vorgeschriebenen Mindestflächenanteil von je 8 qm für die dort unterzubringenden 20 Arbeitnehmer der Beklagten aufgewiesen. Die gemäß II Nr. 3 der Richtlinien nach den §§ 42 bis 44 der Zweiten Berechnungsverordnung anrechenbare Wohnfläche habe sich nur auf 125 qm belaufen. Unter diesen Umständen habe es jedenfalls für die Zeit ab 1. April 1972 keine vertragsmäßige Gewährung des Mietgebrauchs von seiten der Klägerin mehr dargestellt, wenn sie die Wohnheime nicht den aus den Richtlinien ersichtlichen Erfordernissen angepaßt habe. Da sich die Klägerin geweigert habe, dies ohne Mieterhöhung zu tun und da die diesbezüglichen Verhandlungen der Parteien erst im März 1972 gescheitert seien, habe die Beklagte die Mietverträge über die beiden Wohnheime daraufhin Ende März 1972 fristlos kündigen können.
II. Entgegen der Ansicht der Revision lassen diese Ausführungen des Berufungsgerichts keinen Rechtsfehler erkennen.
1. Die Verfahrensrügen, mit denen die Revision die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Fehlen der nach den Richtlinien erforderlichen Aufenthaltsräume und Mindestwohnflächen angreift, hat der Senat geprüft. Sie sind nicht begründet. Von näheren Ausführungen insoweit wird gemäß Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen vom 15. August 1969 – BGBl I 1141 – abgesehen.
2. Die Revision vertritt die Auffassung, die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, daß die Wohnheime den neuen Richtlinien über die Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften für Gastarbeiter entsprachen; diese Richtlinien hätten als reine Verwaltungsvorschriften nicht in die laufenden Mietverträge der Parteien eingreifen können und hätten deshalb auch nichts an der Vertragsmäßigkeit der Mietobjekte geändert. Hierbei verkennt die Revision die mittelbare Auswirkung, welche die Richtlinien auf die Vertragspflichten der Klägerin gehabt haben.
Da die Klägerin die Wohnheime der Beklagten nicht etwa zur beliebigen Verwendung vermietet hatte, sondern die Unterbringung von 20 (J. allee) bzw. 26 Gastarbeitern (C. straße) ausdrücklich in den Verträgen vereinbart worden war, mußte sie auch dafür sorgen, daß die Wohnheime als Unterkünfte für die vertraglich vorgesehene Anzahl von Gastarbeitern geeignet waren (§ 536 BGB). Die fehlende Eignung der Wohnheime für den vertragsmäßigen Gebrauch hat das Berufungsgericht mit Recht aus II Nr. 1 und III Nr. 10 der vorerwähnten Richtlinien entnommen.
Allerdings ist es richtig, daß diese Richtlinien weder in die laufenden Mietverträge der Parteien eingegriffen haben, noch allgemeinverbindliche Rechtsvorschriften über die bei der Belegung von Gastarbeiterunterkünften einzuhaltenden Mindestanforderungen enthalten. Das folgt daraus, daß es sich lediglich um Verwaltungsvorschriften handelt, die außerdem die an Gastarbeiterunterkünfte zu stellenden Anforderungen nicht allgemein regeln, sondern nur die Unterbringung von ausländischen Arbeitnehmern durch ihre Arbeitgeber zum Gegenstand haben (vgl. auch den erst später in Kraft getretenen § 120 c der Gewerbeordnung). Dennoch sind die Richtlinien über ihren unmittelbaren Geltungsbereich hinaus auch für die Frage maßgebend, in welchem Zustand der Vermieter einer Gastarbeiterunterkunft diese dem Mieter zu überlassen hat.
Räumlichkeiten, die Menschen als Wohnung dienen sollen, müssen bestimmten Mindestanforderungen genügen, die sich vor allem nach der Verkehrsanschauung richten. Für die Erfüllung dieser Anforderungen muß der Vormieter sorgen; anderenfalls befinden sich die Räume nicht in einem zum vertragsmäßigen Gebrauch (als Wohnung) geeigneten Zustand (§ 536 BGB). Die entsprechenden Mindestanforderungen für die Vermietung von Gastarbeiterunterkünften können den Richtlinien über die Unterbringung ausländischer Arbeitnehmer durch ihre Arbeitgeber entnommen werden, wenn und soweit diese Richtlinien über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus zugleich auch eine Konkretisierung allgemeiner Vorstellungen über die menschenwürdige Unterbringung von Gastarbeitern sind.
Diese Voraussetzung erfüllt zumindest die Richtlinie II Nr. 1. Die Forderung, daß in Gemeinschaftsunterkünften für die Unterbringung von Gastarbeitern mindestens 8 qm Wohnfläche je Bewohner bereitzustellen sind, entspricht bei Berücksichtigung sowohl des durchschnittlichen Lebensstandards in der BRD als auch der besonderen Verhältnisse der Gastarbeiter allgemeinen Vorstellungen über das unbedingt Notwendige.
Das gleiche gilt aber zumindest in einem Fall wie dem hier zu entscheidenden auch für die Richtlinie III Nr. 10, wonach derartige Gemeinschaftsunterkünfte einen Tagesraum haben sollen. Diese Forderung wird man zwar nicht allgemein als unabdingbar ansehen können (vgl. auch § 120 c GewO, wo dieses Erfordernis nicht mehr aufgeführt wird). Weist aber eine Gemeinschaftsunterkunft nicht einmal die notwendige Wohnfläche von 8 qm je Bewohner auf, wie hier die Unterkunft J. allee, oder erfüllt sie in dieser Hinsicht kaum mehr als die Minimalforderungen der Richtlinien, wie nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin das Wohnheim Cranachstraße, dessen angebliche Wohnfläche von 232,38 qm (BU S. 6) sich auf 26 unterzubringende Gastarbeiter verteilt, so erscheint ein Tagesraum für 20 bzw. 26 Heimbewohner als unentbehrlich; irgendein Ausgleich dieses Fehlbestandes wird von der Klägerin selbst nicht behauptet.
3. Somit wiesen beide Wohnheime Mängel auf, die ihren vertragsmäßigen Gebrauch beeinträchtigten (§ 537 BGB), weil sie keinen Tagesraum hatten und weil zudem die Wohnfläche des Wohnheimes J. allee das für die vereinbarte Unterbringung von 20 Gastarbeitern erforderliche Maß erheblich unterschritt. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die vom Berufungsgericht vorgenommene zehnprozentige Kürzung der ermittelten Wohnfläche gemäß § 44 Abs. 3 II BVO berechtigt war. Auch ohne diese Kürzung stand nach der insoweit fehlerfreien Feststellung des Berufungsgerichts jedenfalls nur eine Wohnfläche von insgesamt 137,85 qm zur Verfügung (BU S. 14); das entspricht einem Anteil von knapp 7 qm je Bewohner.
Ob darüber hinaus auch das Wohnheim C. straße eine für die im Vertrag vorgesehene Anzahl der unterzubringenden Gastarbeiter wesentlich zu geringe Wohnfläche hatte, wie die Beklagte behauptet und wie auch das Landgericht angenommen hat, konnte das Berufungsgericht ungeprüft lassen, weil schon die festgestellten Mängel die Beklagte zur fristlosen Kündigung berechtigten, nachdem die Klägerin sich unstreitig geweigert hatte, Abhilfe ohne Mietaufschlag zu schaffen.
4. Zu Unrecht meint die Revision, die Mängel seien kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gewesen, weil der Beklagten ein Festhalten an den Mietverträgen bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfristen zuzumuten gewesen sei.
Gemäß § 542 BGB war die Beklagte schon aus dem Grunde zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil die Klägerin sich nach der Feststellung des Berufungsgerichts weigerte, vorhandene Mängel der Mietsache ohne eine Gegenleistung der Beklagten zu beseitigen. Nur soweit die durch diese Mängel bewirkte Entziehung des vertragsmäßigen Gebrauchs der Wohnheime unerheblich war, begründete sie kein Kündigungsrecht (§ 542 Abs. 2 BGB). Dieser Kündigungsausschluß greift hier jedoch nicht ein.
Wie der Senat schon wiederholt ausgesprochen hat, findet § 542 BGB gerade auch bei Mängeln der Mietsache Anwendung (vgl. Senatsurteile vom 15. Februar 1967 – VIII ZR 222/64 = WM 1967, 515, 517 und vom 18. September 1974 – VIII ZR 63/73 = WM 1974, 1131). Einer Fristsetzung zur Abhilfe gemäß § 542 Abs. 1 Satz 2 BGB bedurfte es nicht, weil die Klägerin die Abhilfe, soweit ihr eine solche überhaupt möglich war, jedenfalls ernstlich und endgültig verweigert hat (vgl. Palandt/Putzo, BGB 34. Aufl. § 542 Anm. 3 d).
Auch daß die Richtlinien nach der Übergangsregelung hinsichtlich der hier zu beanstandenden Punkte erst am 1. April 1972 wirksam wurden, war kein Grund, der Beklagten die Kündigungsmöglichkeit vor diesem Zeitpunkt zu versagen. Die Eignung der Wohnheime für den vorgesehenen Zweck war infolge der allgemeine Maßstäbe setzenden Auswirkung der Richtlinien schon vor dem 1. April 1972 nicht mehr gegeben. Nur behinderte dies die Weiterbenutzung zunächst nicht erheblich, solange die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen für Gastarbeiterunterkünfte für die Beklagte persönlich noch keine nachteiligen Folgen haben konnte. Mit solchen Folgen mußte die Beklagte jedoch am 23. März 1972 angesichts des unmittelbar bevorstehenden Ablaufs der Übergangsfrist am 31. März 1972 nunmehr ernsthaft rechnen, so daß sich die Mängel der Wohnheime für die Beklagte bereits als eine erhebliche Hinderung ihres vertragsmäßigen Gebrauchs auswirkten (§ 542 Abs. 2 BGB).
Ohne Erfolg versucht die Revision, die Erheblichkeit der bei den Wohnheimen festgestellten Mängel mit der Erwägung auszuräumen, die ab 1. April 1972 geltenden Richtlinien hätten nur für die erstmalige Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte nach diesem Zeitpunkt Bedeutung gehabt, nicht aber auch für die Wohnverhältnisse der schon vorher untergebrachten Gastarbeiter; die Beklagte habe nicht dargelegt, daß sie Ende März 1972 demnächst neu zu vermittelnde ausländische Arbeitskräfte habe unterbringen wollen. Damit verkennt die Revision die sich aus § 542 BGB ergebende Verteilung der Darlegungslast. Da infolge der mangelnden Eignung der Wohnheime für die vorgesehene Unterbringung der Gastarbeiter der Beklagten der vertragsmäßige Gebrauch der Mietsache entzogen war, wäre es Sache der Klägerin gewesen, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, daß die Vorenthaltung des vertragsmäßigen Gebrauchs gleichwohl unerheblich war. Im übrigen wäre es der Beklagten aber selbst dann, wenn sie sich vorerst keine weiteren ausländischen Arbeitnehmer vermitteln lassen wollte, nicht zuzumuten gewesen, ihre bisherigen Arbeitnehmer in Wohnheimen zu belassen, die wegen Nichterfüllung der an derartige Unterkünfte zu stellenden Mindestanforderungen inzwischen auf allgemeine Mißbilligung stießen.
Somit wurden die Mietverträge über die beiden Wohnheime durch die fristlose Kündigung der Beklagten bereits zum 31. März 1972 beendet. Für die Folgezeit entfiel daher auch die Verpflichtung der Beklagten zur Entrichtung des Mietzinses.
III. Da die Revision mithin keinen Erfolg hat, war sie mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Haidinger, Claßen, Dr. Hiddemann Hoffmann, Merz
Fundstellen
Haufe-Index 542351 |
NJW 1976, 796 |
Nachschlagewerk BGH |