Leitsatz (amtlich)
a) § 513 Abs. 2 ZPO hindert das Berufungsgericht, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gem. § 281 ZPO an ein anderes erstinstanzliches Gericht zu verweisen.
b) § 513 Abs. 2 ZPO schränkt nicht die Nachprüfung der Anwendung von Normen ein, die anderen Zwecken als der Festlegung des zuständigen Gerichts dienen und dabei an die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts lediglich anknüpfen.
c) Ist ein nach § 1 Abs. 1 S. 1 BadWürttSchlG vorgeschriebenes Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden, macht eine im Verlauf des Rechtsstreits erfolgte zulässige Klageerweiterung oder -änderung einen neuen außergerichtlichen Schlichtungsversuch nicht erforderlich.
d) Eine Rechtsstreitigkeit über Ansprüche wegen im Nachbarrechtsgesetz geregelter Rechte i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2e BadWürttSchlG ist gegeben, wenn das Nachbarrechtsgesetz Regelungen enthält, die für den Interessenkonflikt der Nachbarn von Bedeutung sind.
Normenkette
ZPO (2002) §§ 218, 263-264, 513; EGZPO § 15a; BadWürttSchlG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2e
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 13.02.2004; Aktenzeichen 5 S 100/03) |
AG Bruchsal |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Karlsruhe v. 13.2.2004 wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass für die neue Verhandlung und Entscheidung das AG Bruchsal zuständig ist.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Im Bereich ihrer gemeinsamen Grundstücksgrenze trennen eine von der Beklagten im Jahr 2001 erneuerte höhere Mauer, eine niedrige Mauer mit darauf befindlichem Zaun sowie ein Drahtzaun die Grundstücke voneinander.
Mit der Behauptung, Mauern und Zaun stünden fast vollständig auf ihrem Grundstück, verlangen die Kläger deren Beseitigung. Ferner machen sie 313,30 EUR für Vermessungskosten geltend. Ein von den Klägern vor Klageerhebung eingeleitetes außergerichtliches Schlichtungsverfahren ist infolge Nichterscheinens der Beklagten erfolglos geblieben.
In der ersten Instanz haben die Kläger ihre Anträge neu gefasst und die Klage erweitert. Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die geänderte Klage eine erneute Streitschlichtung gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2e des baden-württembergischen Gesetzes zur obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung (BadWürttSchlG) erfordere. Auf die Berufung der Kläger hat das LG die Entscheidung des AG aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG (erstinstanzliche Zivilkammer) zurückverwiesen.
Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Kläger beantragen die Verwerfung, hilfsweise die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht meint, eine weitere außergerichtliche Streitschlichtung sei schon deshalb entbehrlich, weil das Landesschlichtungsgesetz nur auf vor dem AG zu erhebende Klagen Anwendung finde, vorliegend jedoch das LG erstinstanzlich zuständig sei. Das AG habe den - auf 2.500 EUR festgesetzten - Wert des Streitgegenstands zwar in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nach dem klägerischen Interesse an der Rechtsverfolgung bestimmt. Diese Auffassung überzeuge jedoch nicht. Bei unterschiedlich hohem Streitinteresse der Parteien sei das jeweils höhere maßgeblich, hier also das mit 12.000 EUR zu bewertende Interesse der Beklagten, die Mauer- und Zaunanlage nicht beseitigen zu müssen. Im Berufungsurteil sei daher sogleich die Verweisung des Rechtsstreits an das LG (Zivilkammer erster Instanz) auszusprechen gewesen.
II.
1. Die hiergegen erhobene Revision ist zulässig.
a) Die Beklagte ist durch die zurückverweisende Entscheidung des Berufungsgerichts beschwert, da ihrem Antrag auf sachliche Entscheidung nicht entsprochen worden ist (BGHZ 31, 358 [361]; BGHZ 59, 82 [83]; BGH, Urt. v. 19.10.1989 - I ZR 22/88, MDR 1990, 413 = NJW-RR 1990, 480 [481]).
b) Die Revisionsbegründung entspricht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 ZPO. Gegen eine kassatorische Entscheidung kann mit der Revision nur geltend gemacht werden, dass die ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung gegen das Gesetz verstößt (BGH, Urt. v. 24.2.1983 - IX ZR 35/82, MDR 1983, 749 = NJW 1984, 495; Urt. v. 18.2.1997 - XI ZR 317/95, NJW 1997, 1710). Dabei kann die Rüge zulässigerweise dahin gehen, dass die Aufhebung und Zurückverweisung fehlerhaft ist, weil das Berufungsgericht bei korrekter Rechtsanwendung selbst in der Sache hätte entscheiden müssen (BGH, Urt. v. 18.2.1997 - XI ZR 317/95, NJW 1997, 1710; Urt. v. 22.5.2001 - VI ZR 74/00, MDR 2001, 1313 = BGHReport 2001, 662 = NJW 2001, 2550). Dem genügt die auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils gerichtete Revision, indem sie geltend macht, bei richtiger Rechtsanwendung hätte das Berufungsgericht die Berufung der Kläger zurückweisen müssen, da das AG die Klage wegen Nichtdurchführung des außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens zu Recht als unzulässig abgewiesen habe.
c) Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Revisionsbeklagten, die Revision sei gem. § 545 Abs. 2 ZPO unzulässig. Da die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt, dieses also verteidigt, wird die Revision nicht darauf gestützt, dass das Gericht des Ersten Rechtszuges - nur auf dieses stellt § 545 Abs. 2 ZPO ab (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 545 Rz. 15; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 545 Rz. 12) - seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet, denn die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits in die erste Instanz sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.
a) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht insoweit den Regelungsgehalt des § 513 Abs. 2 ZPO nicht verkannt. Zwar hindert die Vorschrift, nach der die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, das Berufungsgericht, die Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts zu prüfen (Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 513 Rz. 19). Der Umstand, dass § 1 Abs. 1 BadWürttSchlG eine vor dem AG zu erhebende Klage voraussetzt und deshalb von dem AG nur angewendet werden konnte, wenn es seine Zuständigkeit bejahte, entzieht die Entscheidung - auch hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit --jedoch nicht der Nachprüfung durch das Berufungsgericht. Nach seinem Zweck, Rechtsmittelstreitigkeiten auszuschließen, die allein die Frage der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts zum Gegenstand haben (RegE BT-Drucks. 14/4722, 94), schränkt § 513 Abs. 2 ZPO die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung nämlich nur ein, soweit allein der Festlegung des zuständigen Gerichts dienende Vorschriften in Rede stehen (Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 513 Rz. 22). Die Anwendung sonstiger Normen, die - wie § 1 Abs. 1 S. 1 BadWürttSchlG - einen anderen Zweck verfolgen und dabei an die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts lediglich anknüpfen, ist dagegen nach allgemeinen Grundsätzen zu überprüfen.
b) Die Auffassung des Berufungsgerichts, das baden-württembergische Schlichtungsgesetz sei vorliegend nicht anwendbar, weil der Wert des Streitgegenstandes 12.000 EUR übersteige und der Rechtsstreit damit in die sachliche Zuständigkeit des LG falle (§ 71 Abs. 1 i.V.m. § 23 Nr. 1 GVG), ist rechtsfehlerhaft.
Die für die Anwendung des Landesschlichtungsgesetzes erforderliche Feststellung, ob eine Klage vor dem Amts- oder vor dem LG zu erheben ist, richtet sich nach den für die Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts maßgeblichen Grundsätzen. Ist die Feststellung - wie hier - auf der Grundlage von § 3 ZPO, also nach freiem Ermessen, getroffen worden, so kann sie von dem Revisionsgericht zwar nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder das Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (BGH, Urt. v. 20.9.1983 - VI ZR 111/82, VersR 1983, 1160 [1161]; Beschl. v. 10.7.1996 - XII ZB 15/96, FamRZ 1996, 1543 f.; Beschl. v. 27.6.2001 - IV ZB 3/01, MDR 2001, 1183 = BGHReport 2001, 893 = NJW-RR 2001, 1571, für die Bewertung des Rechtsmittelinteresses). Einer solchen Prüfung hält die angefochtene Entscheidung jedoch nicht stand. Die Bewertung des Zuständigkeitsstreitwerts mit über 12.000 EUR überschreitet die durch § 3 ZPO vorgegebenen Grenzen des Ermessens.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass sich der Streitwert bei unterschiedlich zu bewertenden Interessen der klagenden und der beklagten Partei nach dem höheren Interesse richte, steht mit den für die Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts maßgeblichen, an dem Wert des Streitgegenstands ausgerichteten §§ 2 und 3 ZPO nicht in Einklang. Unzutreffend ist bereits der gedankliche Ausgangspunkt, das Gesetz knüpfe über den Begriff des Streitgegenstands an die sich "im Streit" befindlichen Interessen beider Parteien an. Was Streitgegenstand ist, wird durch den Antrag des Klägers bestimmt (BGHZ 59, 17 [18]; BGH v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [5] = MDR 1992, 293; v. 10.12.1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313 [317] = MDR 1994, 839). Sein Rechtsschutzbegehren, konkretisiert durch den Klageantrag und den ihm zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt, bildet den Gegenstand des Rechtsstreits (BGH v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [5] = MDR 1992, 293). Einwendungen des Beklagten sind für den Streitgegenstand grundsätzlich ohne Bedeutung (BGHZ 59, 17 [18]). Auch das Gebot der prozessualen Waffengleichheit, auf das sich das Berufungsgericht maßgeblich stützt, steht einer Bewertung des Zuständigkeitstreitwerts nach dem Interesse des Klägers nicht entgegen (BGH v. 10.12.1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313 [319] = MDR 1994, 839).
Der Zuständigkeitsstreitswert ist deshalb nach dem - von dem AG mit 2.500 EUR bewerteten - klägerischen Interesse an einem Erfolg der Klage zu bestimmen. Dass die Kläger - wie die Revisionserwiderung meint - ihr Interesse ebenfalls mit 12.000 EUR beziffert hätten, trifft nicht zu. Insbesondere folgt dies nicht aus ihrem nur hilfsweise gestellten Antrag, den Rechtsstreit nach einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an das LG zurückzuverweisen.
c) Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits gem. § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
Die Klage durfte von dem AG nicht als unzulässig abgewiesen werden, denn die Änderung der Klageanträge während des erstinstanzlichen Verfahrens machte keinen erneuten Schlichtungsversuch gem. § 1 Abs. 1 S. 1 BadWürttSchlG erforderlich. Der Senat kann die Anwendung dieser Vorschrift durch die Vorinstanzen überprüfen, da ihr räumlicher Geltungsbereich ganz Baden-Württemberg erfasst und sich damit über den Bezirk eines OLG hinaus erstreckt (§ 545 Abs. 1 ZPO).
aa) Zutreffend ist das AG allerdings davon ausgegangen, dass das Verfahren in den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2e BadWürttSchlG fällt. Nach dieser --auf der Öffnungsklausel des § 15a EGZPO beruhenden - Vorschrift ist die Klageerhebung vor den AG in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche wegen der im Nachbarrechtsgesetz (BadWürttNRG) geregelten Nachbarrechte, sofern es sich nicht um Einwirkungen eines gewerblichen Betriebs handelt, erst nach einem außergerichtlichen Schlichtungsversuch zulässig.
Eine Rechtsstreitigkeit über Ansprüche wegen im Nachbarrechtsgesetz geregelter Rechte ist gegeben, wenn dieses Gesetz Regelungen enthält, die für den Interessenkonflikt der Nachbarn im konkreten Fall von Bedeutung sind. Erst durch die Zusammenschau aller gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts, das sich als Bundesrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch findet (§§ 906 ff. BGB) und in den Rechtsvorschriften der landesrechtlichen Nachbargesetze enthalten ist, werden nämlich Inhalt und Schranken der Eigentümerstellung bestimmt. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann ein Eigentümer sich gegen eine von dem Nachbargrundstück ausgehende Beeinträchtigung zur Wehr setzen oder verpflichtet sein, diese zu dulden (BGH, Urt. v. 12.11.1999 - V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537 f.; Schmidt, DAR 2001, 481 [482]).
Die Rechtssache der Parteien betrifft hiernach Ansprüche wegen der im Nachbarrechtsgesetz geregelten Nachbarrechte i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2e BadWürttSchlG. Die Parteien streiten in erster Linie, ob die vorhandene, ihre Grundstücke trennende Mauer- und Zaunanlage an der jetzigen Stelle verbleiben kann. Da sich § 11 BadWürttNRG mit dem zulässigen Standort für Einfriedungen befasst, sind dessen Regelungen zur Bestimmung von Inhalt und Umfang eines Beseitigungsanspruchs der Kläger heranzuziehen. Ob daneben mit den für Grenzanlagen geltenden §§ 921, 922 BGB, die allerdings nur die Benutzung und Unterhaltung solcher Anlagen regeln, nicht dagegen eine Duldungspflicht des Nachbarn begründen (BGH v. 25.5.1984 - V ZR 199/82, BGHZ 91, 282 [286] = MDR 1984, 924; Urt. v. 11.10.1996 - V ZR 3/96, MDR 1997, 138 = NJW-RR 1997, 16), auch bundesrechtliche Vorschriften von Bedeutung sein können, ist für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2e BadWürttSchlG ohne Belang.
bb) Die Kläger haben den Versuch unternommen, die Streitigkeit mittels eines Schlichtungsverfahrens einvernehmlich beizulegen und mit der Klage die gem. § 1 Abs. 1 S. 2 BadWürttSchlG erforderliche Bescheinigung hierüber vorgelegt. Ihre somit zulässige Klage ist durch die im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens erfolgte Umstellung der Klageanträge nicht unzulässig geworden.
Dabei kann dahinstehen, inwieweit die Kläger den im Schlichtungsverfahren zu Grunde gelegten, in erster Linie auf die Entfernung und Zurücksetzung einer ca. 45m langen Mauer/Zaunanlage gerichteten Antrag durch den erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag, welcher zwischen dem im Vorderbereich der Grundstücke befindlichen Drahtzaun, der auf einer Länge von 32,3m im Gartenbereich stehenden niedrigen Mauer mit Drahtzaun und der höheren Mauer unterscheidet und mit dem nun auch die Reduzierung der höheren Mauer auf 1,5m verlangt wird, geändert, erweitert oder bloß präzisiert haben. In keinem Fall erforderte die Veränderung der Anträge ein erneutes außergerichtliches Schlichtungsverfahren.
Ziel des dem Landesschlichtungsgesetz zu Grunde liegenden Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitschlichtung v. 15.12.1999 (BGBl. I, 2400) ist die Entlastung der Zivilgerichte (BT-Drucks. 14/980, 5). Zu diesem Zweck wurde es den Ländern durch die Öffnungsklausel des § 15a EGZPO ermöglicht, die Zulässigkeit einer zivilrechtlichen Klage in bestimmten Fällen von der vorherigen Durchführung eines außergerichtlichen Schlichtungsversuchs abhängig zu machen. Hierdurch sollen geeignete Streitigkeiten ohne Einschaltung der Gerichte beigelegt werden. Dieses Ziel lässt sich indessen nicht mehr erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben und die Streitigkeit bei Gericht anhängig geworden ist. Das Gerichtsverfahren ist deshalb wie jedes andere Verfahren nach den allgemeinen Vorschriften durchzuführen. Insbesondere kann die klagende Partei die Klage erweitern (§ 264 Nr. 2 ZPO) oder nach Maßgabe von § 263 ZPO ändern, ohne dass hierdurch die Zulässigkeit der Klage nachträglich entfiele. Dies folgt im Übrigen auch daraus, dass § 15a EGZPO die Länder in den in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Fällen nur ermächtigt, die Klageerhebung, nicht aber auch eine Klageerweiterung oder -änderung von der vorherigen Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen.
Eine andere Auslegung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 BadWürttSchlG führte zudem zu unnötigem Zeitverzug und Kosten in Form eines weiteren Schlichtungsversuchs. Dieser Aufwand ließe sich entgegen der Auffassung des AG auch dann nicht rechtfertigen, wenn die veränderte Fassung der Anträge die Einigungsbereitschaft der Parteien und damit die Chance einer nicht streitigen Erledigung der Sache erhöht hat. In einem solchen Fall hat das Gericht, das in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht sein soll (§ 278 Abs. 1 ZPO), die Einigungschance selbst zu ergreifen und auf eine vergleichsweise Regelung hinzuwirken.
Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn sich eine Klageänderung als rechtsmissbräuchlich darstellt (LG Kassel v. 18.4.2002 - 1 S 640/01, NJW 2002, 2256; LG München I v. 9.7.2003 - 15 S 2004/03, MDR 2003, 1313, für den Fall, dass der Klageerhebung kein Schlichtungsverfahren vorausging), bedarf keiner Entscheidung, weil eine solche Annahme hier fern liegt. Im Übrigen dürfte der klagenden Partei, die ein Schlichtungsverfahren durchgeführt hat, kaum jemals vorzuwerfen sein, dass sie eine Klageänderung nur vornimmt, um das Erfordernis einer obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung zu umgehen.
d) Das amtsgerichtliche Urteil konnte daher keinen Bestand haben. Die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache gem. § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist allerdings insoweit verfahrensfehlerhaft, als das Berufungsgericht die Möglichkeit einer eigenen Sachentscheidung nicht erwogen, also von dem ihm durch § 538 ZPO eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat (BGH, Urt. v. 30.3.2001 - V ZR 461/99, MDR 2001, 801 = BGHReport 2001, 492 = NJW 2001, 2551, m.w.N.). Mangels einer entsprechenden Verfahrensrüge ist der Senat jedoch an die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Sache in die erste Instanz zurückzuverweisen, gebunden (§ 557 Abs. 3 S. 2 ZPO).
3. Zu Recht rügt die Revision aber, dass die mit der Zurückverweisung in die erste Instanz verbundene Verweisung des Rechtsstreits an das LG (erstinstanzliche Zivilkammer) gegen § 513 Abs. 2 ZPO verstößt.
a) Im Rechtsmittelverfahren ist eine - die gleichzeitige Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils erfordernde (BGHZ 10, 155 [163], BGH, Beschl. v. 15.6.1988 - I ARZ 331/88, MDR 1989, 41 = NJW-RR 1988, 1405) - Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich oder sachlich zuständige Gericht erster Instanz nur möglich, sofern die Unzuständigkeit des Erstgerichts noch geltend gemacht werden kann (BGHZ 16, 339 [345]). Das war hier nicht der Fall. Nach § 513 Abs. 2 ZPO i.d.F. des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) kann die Berufung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Die Vorschrift entzieht dem Berufungsgericht die Nachprüfung des angefochtenen Urteils insoweit, als das Erstgericht seine Zuständigkeit - wie hier - bejaht hat. Der umfassende, der Verfahrensbeschleunigung und Entlastung der Berufungsgerichte dienende Prüfungsausschluss (Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 513 Rz. 3; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 513 Rz. 6 f.) hindert das Berufungsgericht auch, die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts mit Blick auf § 281 ZPO zu prüfen. Ihm fehlt damit die Kompetenz, den Rechtsstreit an ein anderes erstinstanzliches Gericht zu verweisen. Eine im Berufungsurteil dennoch ausgesprochene Verweisung unterliegt - sofern gegen das Urteil in zulässiger Weise Revision eingelegt worden ist - der Aufhebung durch das Revisionsgericht.
b) Da das AG schon aus diesem Grund für die neue Verhandlung und Entscheidung der Sache zuständig geblieben ist, kommt es nicht darauf an, dass das Verfahren des Berufungsgerichts auch deshalb fehlerhaft war, weil eine Berufungskammer des LG den Rechtsstreit nicht an eine erstinstanzliche Kammer desselben Gerichts verweisen kann (RGZ 119, 379 [384]; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 281 Rz. 9).
4. In der Sache bleibt die Revision allerdings ohne Erfolg und ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
BGHR 2005, 326 |
NJW-RR 2005, 501 |
ZfIR 2005, 329 |
MDR 2005, 265 |
ProzRB 2005, 142 |