Entscheidungsstichwort (Thema)
Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob eine juristische Person mit Sitz im Ausland, deren sämtliche Anteilsrechte im Ausland konfisziert worden sind, ihr im Inland befindliches Vermögen gerichtlich geltend machen kann, betrifft die Sachlegitimation und ist im Zusammenhang mit der sich aus der Konfiskation ergebenden materiellen Rechtslage zu prüfen.
2. Das inländische Vermögen einer ausländischen juristischen Person wird – mit Rücksicht auf das Territorialitätsprinzip – von der vom ausländischen Staat vorgenommenen Konfiskation nicht erfasst und kann daher von der auf diesem Wege praktisch verstaatlichten juristischen Person nicht in Anspruch genommen werden.
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 25. Juni 1959 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine nach niederländischem Recht errichtete, in Form einer juristischen Person betriebene Handelsgesellschaft (naamlooze vennootschap). Sämtliche Mitgliedschaftsrechte (andeelen) gehörten bis zum Ende des Krieges der in Hamburg ansässigen Niedersachsen Versicherungs-Aktiengesellschaft. Die als Inhaberpapiere ausgestellten Urkunden über die Mitgliedschaftsrechte befanden sich in deren Depot bei dem niederländischen Bankhaus de B. … in Amsterdam. Auf Grund der niederländischen Verordnung über Feindvermögen vom 20. Oktober 1944 wurden die Anteilsrechte zugunsten des niederländischen Staates konfisziert. Die Urkunden wurden an die mit der Verwaltung des Feindvermögens bestimmte Stelle abgeliefert.
Die Klägerin unterhielt seit der Vorkriegszeit bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der D. … Bank in B. …, später der N. … Bank, Aktiengesellschaft in H …, an deren Stelle nunmehr die Beklagte getreten ist, ein Girokonto und ein Wertpapierdepot (Streifbanddepot und Sammeldepot). Die Klägerin, vertreten durch die vom Nederlandse Beheersinstitut, der niederländischen Feindvermögensbehörde, als Verwalterin eingesetzte „Stichting Beheer, Bestuur en Toezicht Rechtspersonen”, hat von der Beklagten Zahlung des Guthabens von 9.129, 28 DM und Herausgabe der im Depot befindlichen Wertpapiere verlangt, hilfsweise die Feststellung ihrer Verfügungsbefugnis begehrt. Sie hat sich darauf berufen, daß die niederländischen Enteignungsmaßnahmen nur gegen die in den Niederlanden, belegenen Mitgliedschaftsrechte gerichtet gewesen seien. Ihre in Deutschland belegenen Vermögenswerte könne sie auch nach der Enteignung der Anteilsrechte durch ihren von der zuständigen Behörde bestellten Verwalter in Anspruch nehmen. Die Beklagte habe auch die Verfügungsbefugnis der Klägerin anerkannt.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie hat die Prozeßführungsbefugnis des Verwalters der Klägerin und die Anerkennung ihrer Verfügungsmacht bestritten. Die Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte könne nicht Wirkungen auf das Auslandsvermögen der juristischen Person äußern.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Zu Unrecht behandelt das Berufungsgericht die Frage, ob eine juristische Person mit dem Sitz im Ausland, deren sämtliche Anteilsrechte im Ausland konfisziert worden sind, ihr im Inland befindliches Vermögen gerichtlich geltend machen kann, als eine Frage der Prozeßführungsbefugnis. Diese Frage betrifft die Sachlegitimation und ist im Zusammenhang mit der sich aus der Konfiskation ergebenden materiellen Rechtslage zu prüfen. Gegen die Vertretung der Klägerin nach Vorschrift der Gesetze (§ 56 ZPO) bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Für die Frage der Legitimation des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht darauf an, ob die Bestellung der Stichting Beheer, die durch das Nederlandes Beheersinstitut gemäß Art. 99 der niederländischen Verordnung zur Wiederherstellung des Rechtsverkehrs vom 17. September 1944 vorgenommen worden ist (vgl. BGH WM 1957, 1047, 1048 zu A), mittelbar auf eine von der deutschen Rechtsordnung nicht anzuerkennende Konfiskationsmaßnahme zurückzuführen ist. Die Wirkungen der Konfiskation sind bei der Beurteilung der materiellen Rechtsfrage zu erörtern. Die Befugnis der nach niederländischem Recht wirksam bestellten Stichting Beheer, die Klägerin dem über diese frage zu führenden Rechtsstreit vor deutschen Gerichten zu vertreten, kann nicht in Zweifel gezogen werden (BGHZ 32, 256, 258 = WM 1960, 717 zu I). Ob sich dieses Recht auch aus Art. 2 Abs. 1 des mit den Niederlanden geschlossenen Staatsvertrages vom 11. Februar 1907 (RGBl 1908, 65) ergibt, der nach der Bekanntmachung vom 29. Februar 1952 (BGBl II 435) wieder anzuwenden ist, kann unerörtert bleiben.
II. Das Berufungsgericht verneint, daß die Beklagte die erhobenen Ansprüche durch ihren Geschäftsverkehr mit den von den niederländischen Behörden eingesetzten Verwaltern, insbesondere durch die anfängliche Ausführung ihrer Verfügungen, anerkannt habe. Die Rügen der Revision, das Berufungsgericht habe aus der vorbehaltlosen Ausführung von Aufträgen der Verwalter ein Anerkenntnis die streitigen Werte der Klägerin in ihrer jetzigen Organisationsform zu schulden, entnehmen müssen, sind nicht begründet. Die Ausführung einzelner Verfügungen enthielt, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Erklärung, im vollen Umfange zur Zahlung des Guthabens und zur Aushändigung aller Wertpapiere an die Klägerin als der Berechtigten bereit zu sein. Wie das Berufungsgericht im einzelnen darlegt, hat die Beklagte auch mehrfach ausdrücklich Bedenken gegen die Berechtigung der Klägerin geäußert und Vorbehalte gemacht.
III. Die Frage der Reichweite der Konfiskation in dem Falle, daß der ausländische Staat nicht das Vermögen einer juristischen Person, sondern die Mitgliedschaftsrechte an ihr enteignet hat, ist vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 5. Mai 1960 – VII ZR 92/58 – (BGHZ 32, 256 = NJW 1960, 1569 = MDR 1960, 664 = WM 1960, 717; vgl. auch Urt. v. 6. Oktober 1960 – VII ZR 136/59, BGHZ 33, 195 = NJW 1961, 22 = WM 1960, 1272) dahin beurteilt worden, daß mit Rücksicht auf das Territorialitätsprinzip das inländische Vermögen einer ausländischen juristischen Person nicht von der vom ausländischen Staat vorgenommenen Konfiskation aller oder fast aller Mitgliedschaftsrechte erfaßt werde und daher von der auf diesem Wege praktisch verstaatlichten juristischen Person in Anspruch genommen werden könne. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. (vgl. bereits BGHZ 25, 134). Die Revision bringt nichts vor, was diese grundsätzliche Auffassung erschüttern könnte. Sie meint nur, daß der Staatsvertrag vom 11. Februar 1907 in Verbindung mit den Verhandlungen über seine Wiederanwendung dahin führen müsse, daß die Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte sich auf das Vermögen, der Gesellschaft im Gebiet der Bundesrepublik erstrecke. Wie ausgeführt, läßt die deutsche Rechtsordnung die Geltendmachung von im Inland belegenen Rechten durch eine ausländische juristische Person nicht zu, wenn ihre Mitgliedschaftsrechte ganz oder fast ganz durch einen ausländischen Staat enteignet worden sind. Eine Pflicht zur Anerkennung solcher Maßnahmen auch mit Wirkung für das Inlandsvermögen der juristischen Person ist dem Staatsvertrag, der sich nur mit der Anerkennung der juristischen Personen im allgemeinen und ihrer Zulassung zum Gewerbe- oder Geschäftsbetrieb und zum Erwerb von Grundstücken sowie anderem Vermögen nach den inländischen Vorschriften befaßt, nicht zu entnehmen. Auch durch die Vereinbarung über die Wiederanwendung ist an diesem Inhalt des Staatsvertrages nichts geändert worden. Die Tragweite konfiskatorischer Maßnahmen wird von ihm nicht berührt, so daß es dahingestellt bleiben kann, ob die Bundesregierung bei den Verhandlungen darüber unterrichtet war, welche Wirkung die niederländische Regierung der Beschlagnahme von Mitgliedschaftsrechten an Handelsgesellschaften gemäß der Verordnung vom 20. Oktober 1944 für das in Deutschland belegene Vermögen beimaß. Auch allgemeine Grundsätze des Völkerrechts (Art. 25 GG) stehen der hier für richtig erachteten Begrenzung der Wirksamkeit konfiskatorischer Maßnahmen, die sich gegen Mitgliedschaftsrechte richten, nicht entgegen. Der Schutz des Privateigentums wird nicht angetastet, wenn die Möglichkeiten einer Konfiskation eingeschränkt werden. Der Territorialitätsgrundsatz ist für die Wirkung von Enteignungen völkerrechtlich allgemein anerkannt.
IV. Die niederländischen Maßnahmen sind auch nicht gemäß Art. 3 des VI. Teiles des Überleitungsvertrages als für das Inlandsvermögen der Klägerin wirksam hinzunehmen. Der Beschlagnahme fehlte die Wirkung für die in Deutschland belegenen Rechte. Sie ist auch nicht durch Maßnahmen der Besatzungsmächte (etwa KRG Nr. 5 oder AHKG Nr. 63) oder durch den Überleitungsvertrag geschaffen worden (BGHZ 25, 127; 131; 25, 134, 141). Ob die Beschlagnahme nach der niederländischen Auffassung auch das in Deutschland befindliche Vermögen der Aktiengesellschaft erfassen sollte und welche Vorstellungen bei den Alliierten Nächten über die etwaige Wirkung der Beschlagnahme von Aktienrechten beim Abschluß des Überleitungsvertrages bestanden haben, kann entgegen den Ausführungen der Revision angesichts des eindeutigen Wortlautes und Sinnes des Art. 3 ÜbV VI keine. Bedeutung haben.
V. Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 97 ZPO zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 609353 |
JZ 1961, 374 |
MDR 1961, 393 |