Leitsatz (amtlich)
a) § 249 AktG ist auf die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Generalversammlung oder Vertreterversammlung einer Genossenschaft auch hinsichtlich der förmlichen Voraussetzungen und der Urteilswirkung entsprechend anwendbar.
b) Dem zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nach a) Berechtigten steht die gewöhnliche Feststellungsklage jedenfalls gegenüber solchen Beschlüssen nicht zur Verfügung, die keine Individualentscheidung zum Gegenstand haben, sondern die Gesamtheit der Genossen betreffen.
Normenkette
GenG § 51; AktG § 249
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 20.01.1977) |
LG Nürnberg-Fürth |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. Januar 1977 wird auf Kosten des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Tatbestand
Die Beklagte ist eine Spar- und Darlehnskasse in der Form einer eingetragenen Genossenschaft. Sie hat über 40.000 Mitglieder aus dem Kreis von Beamten, Angestellten, Arbeitern und Versorgungsempfängern der Deutschen Bundesbahn in einem regional abgegrenzten Geschäftsbereich. Nach § 23 der Satzung der Beklagten vom 21. Mai 1974 werden die Rechte der Mitglieder in den Angelegenheiten der Genossenschaft von Vertretern der Mitglieder in der Vertreterversammlung ausgeübt. Diese werden von den Mitgliedern gewählt, und zwar nach § 25 Nr. 1 je ein Vertreter auf 500 Mitglieder. Nach § 25 Nr. 2 werden die Vertreter in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Nr. 3 enthält Vorschriften über die Bildung von Wahlbezirken, und Nr. 4 behandelt die Wahlordnung.
Eine solche Wahlordnung hat die Vertreterversammlung der Beklagten am 24. Februar 1976 beschlossen. Gegen diesen Beschluß hat der Kläger als Mitglied der Vertreterversammlung Widerspruch erhoben, soweit es um §§ 5 und 12 Abs. 2 der Wahlordnung geht.
§ 5 lautet: Die Wahl wird als Listenwahl durchgeführt.
§ 12 Abs. 2 lautet: Gewählt ist die Liste, die die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das von einem Beisitzer gezogene Los.
Nach Ansicht des Klägers verstoßen diese Vorschriften gegen den Grundsatz der gleichen Wahl. Das Listenwahlrecht müßte deshalb durch ein Verhältniswahlrecht korrigiert werden. Er hat zuletzt beantragt festzustellen, daß der Beschluß der Generalversammlung (Vertreterversammlung) der Beklagten vom 24. Februar 1976 betreffend die §§ 5 und 12 Abs. 2 der Wahlordnung nichtig sei. Die Beklagte verteidigt die Zulässigkeit dieser Bestimmungen und hat Klagabweisung beantragt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, die hiergegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat über die Klage als eine nach § 51 Abs. 1 GenG statthafte Anfechtungsklage entschieden. Hierin kann ihm schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 51 Abs. 1 Satz 2 GenG ordnungsgemäß erhoben worden ist. Dafür wäre gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 GenG auch die fristgerechte Zustellung an den Aufsichtsrat der Klägerin erforderlich gewesen. Ausweislich der Akten ist die Klageschrift vom 17. März 1976, die den Aufsichtsrat als Vertreter der Beklagten nicht aufführt, am 29. März 1976 der Beklagten zu Händen einer ihrer Angestellten übergeben worden. Hierin kann jedenfalls nicht die Zustellung an den Aufsichtsrat gesehen werden. Die Möglichkeit, den Zustellungsmangel gemäß § 187 ZPO durch formlosen Zugang der Klageschrift an ein Mitglied des Aufsichtsrats innerhalb der nach § 51 Abs. 1 Satz 2 GenG in Verbindung mit § 261 b Abs. 3 ZPO a.F. in Betracht kommenden Frist als geheilt anzusehen, scheidet aus, weil hierzu nichts vorgetragen worden ist. Ebenso entfällt ein rechtzeitiger und wirksamer Rügeverzicht nach § 295 ZPO. Denn bei einem solchen Verzicht hätte die Beklagte durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten sein müssen (SenUrt. v. 3.12.73 – II ZR 85/70, LM GenG § 37 Nr. 1 = WM 1974, 131, 132 unter II, ebenso für die Aktiengesellschaft SenUrt. v. 27.5.74 – II ZR 109/72, LM AktG 1965 § 246 Nr. 2 = WM 1974, 713, 714 unter I). Deshalb könnte auch der Umstand, daß die Beklagte den Zustellungsmangel nicht gerügt hat, ihr allenfalls dann entgegengehalten werden, wenn sie sich in der ersten mündlichen Verhandlung durch beide Organe hätte vertreten lassen; hierfür ist aus dem Prozeßstoff nichts ersichtlich. Der in der Ausschlußfrist des § 51 GenG nicht geheilte Vertretungsmangel führt zur Unzulässigkeit der Anfechtungsklage.
II. Dem Senat ist eine Sachprüfung auch unter dem Gesichtspunkt verwehrt, ob der Beschluß nicht nur anfechtbar, sondern nichtig ist. Zwar könnte – anders als bei dem der Entscheidung BGHZ 32, 318, 322 zugrundeliegenden Sachverhalt – den Anträgen des Klägers entnommen werden, daß es ihm zumindest hilfsweise um die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Vertreterversammlung vom 24. Februar 1976 geht, soweit dieser die §§ 5 und 12 Abs. 2 der Wahlordnung betrifft. Aber sowohl eine verbandsrechtliche Nichtigkeitsklage entsprechend § 249 AktG als auch eine gewöhnliche Feststellungsklage nach § 256 ZPO ist im vorliegenden Fall unzulässig.
1. Der Senat hält es, wie schon wiederholt von ihm entschieden, für notwendig, die aktienrechtlichen Grundsätze über die Nichtigkeitsgründe und die Nichtigkeitsklage im Genossenschaftsrecht entsprechend anzuwenden (BGHZ 18, 334, 338; 32, 318, 323 f). Hierunter fällt auch die in § 249 in Verb, mit § 246 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und § 248 AktG getroffene Regelung. Sie kommt dem im Genossenschaftsrecht ebenso wie im Aktienrecht vorhandenen Bedürfnis entgegen, die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses nicht anders, als es § 51 Abs. 3 und 5 GenG für die Anfechtungsklage ausdrücklich bestimmen, von besonderen förmlichen Voraussetzungen abhängig zu machen, dem daraufhin ergangenen, die Nichtigkeit feststellenden Urteil aber Wirkung für und gegen alle Verbandsangehörigen (Aktionäre, Genossen) beizulegen.
Die Nichtigkeitsklage ist an keine Frist gebunden. Die Beklagte ist aber auch gegenüber einer Nichtigkeitsklage nicht ordnungsgemäß vertreten und diese daher unzulässig. Denn entsprechend §§ 249 Abs. 1, 246 Abs. 2 AktG wird die Genossenschaft hier ebenso wie nach § 51 Abs. 3 Satz 2 GenG gegenüber einer Anfechtungsklage durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten (zum Zweck einer solchen Regelung vgl. BGHZ 32, 114, 117). An der Vertretung durch den Aufsichtsrat fehlt es jedoch, wie bereits ausgeführt worden ist. Hieran vermögen auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat für den Kläger abgegebenen Erklärungen nichts zu ändern. Er hat – bei vorsorglichem Bestreiten durch die Beklagte – erstmals vorgetragen, deren Aufsichtsrat sei voll über den Prozeßverlauf informiert gewesen. Dieser Vortrag erlaubt es nicht, die Zustellung nach § 187 ZPO als an den Aufsichtsrat bewirkt anzusehen; ob er als neue Tatsachenbehauptung überhaupt noch berücksichtigt werden dürfte, kann auf sich beruhen. Für die Heilung von Zustellungsmängeln nach § 187 ZPO wird nämlich vorausgesetzt, daß die Klageschrift dem Aufsichtsrat tatsächlich zugegangen ist; bloße Unterrichtung über ihren Inhalt genügt nicht (vgl. Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl., § 187 II 1). Einen Rügeverzicht nach § 295 ZPO kann der Kläger auch aufgrund der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mit Erfolg geltend machen. Denn der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat erklärt, er sei nicht ermächtigt, für den Aufsichtsrat aufzutreten; der Korrespondenzanwalt der Beklagten habe ihn ferner darüber informiert, daß der Aufsichtsrat auch nicht beabsichtige, dem Rechtsstreit beizutreten und den bisherigen Prozeßverlauf zu genehmigen. Irgendwelche besonderen Gründe für die Annahme, es sei arglistig von der Beklagten, daß sie keinen Rügeverzicht erklärt, sind nicht ersichtlich. Infolgedessen hat auch die Erwägung des Klägers seinen Vertagungsantrag nicht gerechtfertigt, dem Aufsichtsrat der Beklagten sollte Gelegenheit gegeben werden, nunmehr die Beklagte zu vertreten und das Verfahren zu genehmigen. Denn dies steht im freien Ermessen des Aufsichtsrats, und die bloße Möglichkeit eines solchen Schritts läßt die Entscheidungsreife des Rechtsstreits, wie sie sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung darstellt, unberührt.
2. Die gewöhnliche Feststellungsklage nach § 256 ZPO steht dem Kläger neben der Nichtigkeitsklage nicht zur Verfügung. Diese Auffassung wird zu § 249 AktG allgemein vertreten (vgl. Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl., § 249 Anm. 5; Schilling in Großkomm. AktG § 249 Anm. 2; Zöllner in Köln. Komm. z. AktG § 249 Anm. 3, 4; wohl auch Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 249 Anm. 2). Sie ist auch allein mit dem in § 248 AktG und § 51 Abs. 5 GenG positivrechtlich anerkannten Bedürfnis vereinbar, daß die Feststellung oder Erklärung der Nichtigkeit von Beschlüssen in einem Rechtsstreit zwischen dem Verband und einzelnen Verbandsangehörigen für und gegen alle Verbandsangehörigen wirkt. An einer nur zwischen den Parteien wirkenden Feststellung besteht jedenfalls für solche Beschlüsse kein schutzwürdiges Interesse, die – wie der Beschluß zur Wahlordnung – alle Verbandsangehörigen und nicht nur die Rechtsverhältnisse einzelner Personen betreffen. Zudem wäre es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und -klarheit untragbar, wenn ein solcher Beschluß im Verhältnis zu einem einzelnen Verbandsangehörigen als nichtig zu behandeln, gegenüber allen anderen aber verbindlich wäre.
Das angefochtene Urteil ist daher im Ergebnis zu bestätigen. Allerdings hat der Senat klargestellt, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Denn wegen der nicht ordnungsgemäßen Vertretung der Beklagten gegenüber der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sowie des Ausschlusses der gewöhnlichen Feststellungsklage hat kein Urteil in der Sache ergehen können.
Unterschriften
Fleck, Dr. Schulze, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Dr. Skibbe
Fundstellen
Haufe-Index 1778297 |
BGHZ |
BGHZ, 384 |
NJW 1978, 1325 |
Nachschlagewerk BGH |