Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 30. Oktober 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, der Ehefrau des Tatopfers, rügen die Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung hätte der Angeklagte wegen Mordes, jedenfalls aber wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall verurteilt werden müssen. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
I.
Das Landgericht hat festgestellt, daß sich der in einem finanziellen Engpaß fühlende Angeklagte dazu entschlossen hatte, einen Raubüberfall zu begehen. Er klingelte am 18. Dezember 1997 um 9.00 Uhr an der Haustüre der Zeugin S. und beabsichtigte, zunächst in das Haus einzudringen und sodann unter Anwendung körperlicher Gewalt Geld zu verlangen. Der Zeugin, die die Türe geöffnet hatte, dann aber mißtrauisch wurde, gelang es, die Haustüre zuzudrücken, woraufhin der Angeklagte unverzüglich den Tatort verließ. Insoweit ist das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2, Abs. 1 Ziff. 1 StPO eingestellt worden.
Am Abend des nächsten Tages entschloß sich der Angeklagte erneut, einen solchen Raubüberfall durchzuführen. Da er wegen seiner Erfahrung am Vortage mit dem Widerstand der Hausbewohner rechnete, steckte der Angeklagte, der als Schlachter über Erfahrung im Umgang mit Messern verfügte, ein Fleischmesser mit einer Klingenlänge von 18 cm ein, um damit zu drohen und Widerstand zu brechen. Kurz vor 20.00 Uhr zog er sich einen Damenstrumpf über den Kopf, nahm das Messer aus der Jackentasche und klingelte an der Haustüre der Nebenklägerin, der Zeugin M.. Der Angeklagte, der – wie die Kammer rechtsfehlerfrei festgestellt hat – zu diesem Zeitpunkt trotz genossenen Alkohols voll schuldfähig war, hatte die Absicht, die sich im Hause aufhaltenden Personen durch Vorhalten des Messers zu bedrohen und auf diese Weise zur Herausgabe von Geld zu veranlassen. Die den Besuch einer Nachbarin erwartende Nebenklägerin öffnete die Haustüre. Der Angeklagte drängte sofort durch die Tür, hielt der Zeugin das Messer in Brusthöhe vor den Körper und sagte mehrmals „ich will Geld”. Während die Zeugin zurückwich, setzte der Angeklagte mit vorgehaltenem Messer nach und wiederholte die Geldforderung. Als die Nebenklägerin laut nach ihrem Ehemann rief, erkannte der Angeklagte, daß er es zumindest mit zwei Hausbewohnern zu tun hatte. Er schlug die Zeugin mit einem kräftigen Faustschlag nieder; diese fiel bewußtlos zu Boden.
Durch die offene Wohnzimmertüre sah der Angeklagte nun, wie sich das spätere Tatopfer, der 80jährige Ehemann der Nebenklägerin, vom Sofa erhob. Der Angeklagte ging einige Schritte, mindestens zwei bis drei Meter, auf ihn zu. Das Landgericht ist der Überzeugung, „daß der Angeklagte auch zu diesem Zeitpunkt noch an seinem Erpressungsvorhaben festgehalten (hat) und nunmehr Herrn N. bedrohen und Geld von ihm verlangen wollte” (UA S. 24). Entgegen der Erwartung des Angeklagten zeigte sich das spätere Tatopfer aber nicht eingeschüchtert, sondern es ging mit vorgestreckten Armen auf den Angeklagten zu. Dieser versuchte nun, den Ehemann der Nebenklägerin zum Sofa zurückzudrängen. Dabei kam es zu einem kurzen Handgemenge, in dessen Verlauf der Angeklagte seinem Opfer einen wuchtigen Stich, der einen 24 cm langen Stichkanal verursachte, in die linke Körperseite in Höhe des Bauchnabels versetzte. Dabei nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf, daß der Getroffene durch den Stich tödliche Verletzungen erlitt.
„Die Kammer vermochte nicht festzustellen, daß es dem Angeklagten bei der Ausführung des Stichs darum ging, sein ursprüngliches Ziel, die Erlangung von Geld, weiter zu verfolgen. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, daß der Angeklagte Herrn N. niedergestochen hat, um nunmehr selbst in der Wohnung nach Geld oder Wertgegenständen suchen zu können. Auch vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen, daß der Angeklagte Herrn N. deshalb niedergestochen hat, weil er sich einem Festhalten und einer Bestrafung wegen der bereits begonnenen Tat entziehen wollte. Vielmehr hält es die Kammer auch für denkbar und möglich, daß der Angeklagte angesichts der unerwarteten Reaktion des Herrn N. spontan und impulsiv reagierte und den Stich nur deshalb ausgeführt hat, weil er sich aus dem Handgemenge lösen wollte, ohne sich jedoch in diesem Moment weitergehende Vorstellungen über eine etwaige Festnahme und anschließende Strafverfolgung zu machen” (UA S. 17).
Nach dem Stich wandte sich der Angeklagte von seinem Opfer, das kurze Zeit später durch inneres Verbluten verstarb, ab und bemerkte, daß die Nebenklägerin inzwischen aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht war und das Haus verlassen hatte. Da er alsbald mit dem Eintreffen der Polizei rechnete, hielt er es für ausgeschlossen, nunmehr noch Geld oder Wertgegenstände zu finden, und verließ das Haus.
II.
Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil zu besorgen ist, daß die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt worden sind.
Die Feststellung von Tatsachen verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewißheit. Es genügt vielmehr, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die eines realen Anknüpfungspunktes entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (BGH NStZ 1988, 236 f. m.w.Nachw.). Ein auf die Sachrüge zu beanstandender Rechtsfehler liegt vor, wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25, 22, 5). Die bloße gedankliche Möglichkeit, daß der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, kann die Verurteilung nicht hindern (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 212 (Nr. 25) m.w.Nachw.). Diesen Grundsätzen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Nach den getroffenen Feststellungen war das Landgericht der Überzeugung, daß der Angeklagte, als er auf den Ehemann der Nebenklägerin zuging, an seinem Erpressungsvorhaben festhielt, ihn bedrohen und Geld von ihm verlangen wollte. Unmittelbar danach stach er wuchtig und mit tödlicher Wirkung auf sein Opfer ein. Daß bei festgestellter fortbestehender Erpressungsabsicht Sekunden vor dem Zustechen ein Täter, der geplant und zielgerichtet sein Tage vorher überlegtes Erpressungsvorhaben (nun zum zweiten Mal) in die Tat umsetzt, ganz plötzlich den Stich nur deshalb geführt haben könnte, weil er sich aus dem von ihm provozierten Handgemenge lösen wollte, ohne sich in diesem Moment weitergehende Vorstellungen zu machen, ist nicht nachvollziehbar. Mit der Lebenserfahrung ist mangels gegenteiliger realer Anhaltspunkte die Erwägung der Kammer unvereinbar, daß der Angeklagte nur spontan und impulsiv deshalb zugestochen haben könnte, weil das Tatopfer mit vorgestreckten Armen auf ihn zugekommen ist und dies für ihn eine unerwartete Reaktion des Opfers darstellte. Dies gilt um so mehr, als es sich bei dem Angeklagten um einen zur Tatzeit 27jährigen Mann handelte, der sich gegen ein 80 Jahre altes Tatopfer zur Wehr gesetzt hat. Angesichts der Vorerfahrung des Angeklagten am Vortage, dem Verhalten der Nebenklägerin und seiner bereits ihr gegenüber gezielt eingesetzten Gewalt, seiner Bewaffnung, um seiner Erpressung besonderen Nachdruck verleihen zu können, sowie seiner festgestellten fortbestehenden Erpressungsabsicht stellt diese im übrigen nicht näher begründete Erwägung eine bloße theoretische Möglichkeit dar.
Für die Auffassung der Strafkammer fehlt es auch in der in den Urteilsgründen mitgeteilten Einlassung des Angeklagten, soweit die Kammer ihr gefolgt ist, an konkreten Anhaltspunkten. Der Angeklagte hat ausgesagt, er habe Angst gehabt, von dem Ehemann der Nebenklägerin festgehalten zu werden. Er habe den Mann, als dieser vom Sofa aufgestanden war, nicht mehr bedrohen oder berauben wollen, sondern nur noch weggewollt. Er habe sein Opfer deshalb auf das Sofa zurückdrücken wollen, an das Messer in seiner Hand habe er nicht mehr gedacht. Angesichts des Tatbildes und des Sachverständigengutachtens hält die Kammer diese Aussage für widerlegt und stellt rechtsfehlerfrei fest, daß der Angeklagte nicht etwa „aus Angst”, festgehalten zu werden, sofort zugestochen hat, sondern zunächst mehrere Schritte – zwei bis drei Meter – auf sein Opfer zugegangen ist und es erst dann zu dem Handgemenge kam, in dessen Verlauf der Angeklagte zugestochen hat. Wäre die Strafkammer der Einlassung des Angeklagten – unerwartetes Handgemenge unmittelbar nach dem Niederschlagen der Ehefrau – gefolgt, hätten ihre Überlegungen konkrete Anhaltspunkte. Diese fehlen jedoch, wenn die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten gerade in diesem Punkt für widerlegt ansieht und in Übereinstimmung mit dem Tatbild davon ausgeht, daß der Angeklagte mit gezückter Waffe vor dem Beginn des Handgemenges bei fortbestehender Erpressungsabsicht mehrere Meter auf sein Opfer zugegangen ist.
Im übrigen steht das Streben des Täters, sich zu befreien und loszukommen, der Annahme der Verdeckungsabsicht nicht entgegen (BGH NJW 1999, 1039, 1040 m.w.Nachw.).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Blauth, Miebach, Winkler, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 540464 |
NStZ-RR 1999, 332 |