Verfahrensgang
LG Duisburg (Urteil vom 09.09.2019; Aktenzeichen 133 Js 143/18 35 Ks 1/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Nebenklägers A. wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 9. September 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Der Nebenkläger … A. erstrebt mit sei- ner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
1. Der Angeklagte vermietete an den später getöteten R. A. ein Ge- schäftslokal. Am Tattag wollte der Angeklagte mit seinem Mieter über von diesem ohne Rücksprache begonnene Umbauarbeiten reden. Er stellte hinter einer Kellertür des Miethauses einen Fäustel als Schlagwerkzeug für eine etwaige körperliche Auseinandersetzung bereit, deren für A. möglicherweise tödlichen Aus- gang er in Kauf nahm. Später kam es zu einem zunächst verbal geführten Streit zwischen dem Angeklagten und A.. Anschließend stieß dieser den Angeklag- ten gegen eine Kellertür sowie mit dem Kopf gegen eine Kellerwand und schlug ihn zwei Mal mit der Faust ins Gesicht. A. sah die Auseinandersetzung als be- endet an, wandte sich ab und wollte sich zurück in seine Geschäftsräume im Erdgeschoss des Hauses begeben.
Rz. 4
Der Angeklagte erkannte, dass der Angriff auf ihn beendet war. Er hielt sich wegen des aus seiner Sicht „unhöflichen” Verhaltens für zum Gegenangriff berechtigt. Er setzte dem fortgehenden und sich zur Kellertreppe wendenden A. nach, trat von hinten an diesen heran und schlug ihm wuchtig mit einem Messingrohr gegen den Hinterkopf jedenfalls mit der Absicht, ihm schwere Verletzungen beizufügen. Nachdem der Angegriffene benommen zu Boden gefallen war, holte der Angeklagte den bereitgestellten Fäustel und führte damit mindestens 15 wuchtige Schläge auf den Kopf des am Boden Liegenden mit – spätestens jetzt gegebener – Tötungsabsicht aus. Weil der Angeklagte sicher war, A. getötet zu haben, begann er mit der Spurenbeseitigung und zog A. in einen ‚anderen Kellerraum. Als er bemerkte, dass der später Getötete noch lebte, stieß er diesem das Messingrohr ins Gesicht und drang damit durch ein Auge ins Gehirn ein. Er zog die Stange ein Stück heraus und stieß erneut in Tötungsabsicht zu. Kurz darauf trat der Tod ein.
Rz. 5
2. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte des Totschlags, nicht des Mordes schuldig gemacht habe. Das Mordmerkmal der Heimtücke habe er nicht verwirklicht, da es dem Getöteten wegen des vorangegangenen verbalen Streits und des nachfolgend von ihm ausgehenden Angriffs bereits an der erforderlichen Arglosigkeit gefehlt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Die nach § 400 Abs. 1 StPO zulässige Revision des Nebenklägers hat in der Sache Erfolg.
Rz. 7
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine heimtückische Begehungsweise nach § 211 Abs. 2 StGB verneint hat, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 8
Dies unterliegt auf die zulässig erhobene, eine Verurteilung wegen Mordes erstrebende Sachrüge des Nebenklägers der Prüfung des Senats. Auch wenn der Beschwerdeführer die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke nicht als fehlerhaft ansieht und lediglich die unterbliebene Auseinandersetzung mit dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht beanstandet, ist dem eine darauf bezogene Rechtsmittelbeschränkung – unbeschadet der Frage ihrer Zulässigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 1963 – 4 StR 168/63, BGHSt 19, 46, 48; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 344 Rn. 8) – nicht zu entnehmen.
Rz. 9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 29. November 2011 – 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271 mwN; vgl. auch MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 157).
Rz. 10
b) Daran gemessen ist nach den getroffenen Urteilsfeststellungen eine heimtückische Tatbegehung nicht ausgeschlossen.
Rz. 11
aa) Die Strafkammer hat zur Verneinung der Arglosigkeit allein darauf abgestellt, dass der Geschädigte angesichts des vorangegangen Streits und seines Angriffs nicht arglos gewesen sei. Dies hat sie weder in der – ansonsten äußerst umfangreichen und sehr kleinteiligen – Beweiswürdigung noch an anderer Stelle im Urteil näher dargelegt. Hiernach ist die Ablehnung der Arglosigkeit nicht nachvollziehbar.
Rz. 12
Die vorangegangene, auch körperliche Auseinandersetzung steht für sich genommen einer Arglosigkeit des Getöteten nicht entgegen, weil dieser die Auseinandersetzung als beendet ansah. Dass er die Konfrontation für abgeschlossen hielt, ergibt sich nicht allein aus den insoweit eindeutigen Feststellungen, sondern überdies aus den entsprechenden Ausführungen dazu im Rahmen der Beweiswürdigung.
Rz. 13
Den Gesamtumständen ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass eine Arglosigkeit nicht in Betracht kommt. Der Angeklagte hatte dem Geschädigten weder gedroht, noch gab sein zuvor stets gewaltfreies Verhalten ohne weiteres Anlass, Tätlichkeiten zu befürchten (s. zu einer entgegengesetzten Konstellation BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21). Mithin ist eine lediglich einseitig erklärte Streitbeendigung seitens des Opfers, auf die der Täter erkennbar nicht einging, sondern an einer feindseligen Einstellung festhielt (vgl. dazu MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 157), nach den Urteilsgründen ebenfalls nicht anzunehmen.
Rz. 14
Daher ist trotz der vorangegangenen Gewalttätigkeit des Geschädigten gerade nicht ersichtlich, dass dieser im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben rechnete (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ 2018, 97, 98). Dies gilt umso mehr, als er dem Angeklagten auf dem Weg aus dem Keller den Rücken zuwandte und die hiermit verbundene Preisgabe von Verteidigungsmöglichkeiten ein gewichtiges Indiz für eine erhalten gebliebene Arglosigkeit sein kann (BGH aaO; Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692).
Rz. 15
bb) Die Urteilsfeststellungen lassen offen, ob es sich bei dem Schlag mit dem Messingrohr um einen bereits mit Tötungsvorsatz geführten Angriff handelte. Der Angeklagte schlug „jedenfalls mit der Absicht” zu, schwere Verletzungen beizufügen. Damit, ob in diesem Zeitpunkt bereits Tötungsvorsatz vorlag, setzen sich die Urteilsgründe insgesamt nicht auseinander. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass hierzu weitere Feststellungen getroffen werden können, zumal der Angeklagte bereits beim Bereitstellen des Fäustels einen für seinen Mieter tödlichen Ausgang der Auseinandersetzung in Kauf genommen hatte.
Rz. 16
Unabhängig davon tötet derjenige heimtückisch, der sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15, NStZ-RR 2016, 43, 44 mwN).
Rz. 17
cc) Da die Strafkammer bereits eine Arglosigkeit des Getöteten abgelehnt hat, hat sie sich – aus ihrer Sicht folgerichtig – nicht mit den subjektiven Merkmalen der Heimtücke auseinandergesetzt. Dass deren Voraussetzungen von vornherein ausscheiden, ergibt sich nicht.
Rz. 18
2. Die nicht tragfähig begründete Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke führt zur Aufhebung des Urteils. Allerdings betreffen die lückenhaften Ausführungen zur Heimtücke lediglich die innere Seite des Geschädigten und des Angeklagten, nicht die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen. Diese sind daher aufrechtzuerhalten (§ 353 Abs. 2 StPO; s. auch BGH, Urteile vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, juris Rn. 31; vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, juris Rn. 26). Ergänzende Feststellungen können hierzu getroffen werden, sofern sie den bestehen bleibenden nicht widersprechen.
Rz. 19
Dem nunmehr zuständigen Tatgericht ist es unbenommen, nach den neu zu treffenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ebenfalls in den Blick zu nehmen.
Unterschriften
Spaniol, RiBGH Dr. Paul ist im Urlaub und damit an der Unterschrift gehindert. Spaniol, Berg, Anstötz, Erbguth
Fundstellen
Haufe-Index 14045053 |
NStZ-RR 2020, 6 |
StV 2021, 110 |