Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchte Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. Februar 2000 insoweit mit den Feststellungen aufgehoben, als das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Mißbrauch eines Kindes und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer dreijährigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung jedoch abgesehen. Die wegen der Fallbesonderheiten hier wirksam auf die Ablehnung dieser Maßregel beschränkte (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1; BGH NStZ 1999, 473), auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß die formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vorliegen. Es hat den Angeklagten wegen eines versuchten Verbrechens nach § 177 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 2 a) und b) StGB in Tateinheit mit einem versuchten Verbrechen nach § 176 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 StGB sowie mit einer Straftat nach § 224 Nr. 2 und Nr. 5 StGB zu einer Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die einbezogene Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf hatte ein Verbrechen nach § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit einer Straftat nach § 224 Nr. 5 StGB zum Gegenstand. Die materielle Voraussetzung des Hanges i. S. von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat das Landgericht hingegen verneint. Es hat nicht festzustellen vermocht, daß der Angeklagte infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sei. Vielmehr sei nicht auszuschließen, daß die auch nach Auffassung des Landgerichts ungünstige Prognose hinsichtlich weiterer auch sexueller Straftaten des Angeklagten nicht auf einem Hang, sondern auf veränderbaren aktuellen Vorstellungen und Antrieben des Angeklagten beruhe (UA S. 38), in dessen jungem Alter Veränderungen noch eher möglich und zu erwarten seien (UA S. 39). Abgehoben hat das Landgericht dabei auch darauf, daß die Darstellung des Angeklagten, er habe keine Neigungen mehr zu Jungen, nicht widerlegt sei, möge sie auch von den gehörten Gutachtern für nicht überzeugend erachtet worden sein (UA S. 40); damit stehe nicht fest, daß der Angeklagte derzeit eine stabile sexuelle Orientierung zu männlichen Kindern besitze; wegen der Jugend des zum Zeitpunkt der Taten 21 bzw. 22 Jahre alten Angeklagten sei es auch nur schwer zu beurteilen, ob die Taten auf einem eingeschliffenen Zustand oder auf einer vorübergehenden Phase in der Entwicklung des Angeklagten beruhten (UA S. 41).
1. Die Darlegungen des Landgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Ob ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten anzunehmen ist, beurteilt sich bei § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB wie in den Fällen des § 66 Abs. 1 und 2 StGB danach, ob die Vorverurteilung und/oder die abzuurteilenden Anlaßtaten symptomatisch für die verbrecherische Neigung des Täters und die von ihm ausgehende Gefährlichkeit sind. Dies hat zur Folge, daß in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB die Anlaßtaten daraufhin zu würdigen sind, ob aus ihnen bereits auf einen Hang zur Begehung „erheblicher Straftaten”, namentlich solcher, die unter den Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB fallen, geschlossen werden kann, d.h., ob sich bereits in ihnen ein solcher Hang hinreichend deutlich manifestiert hat (vgl. BGHR StGB § 66 III Katalogtat 1 m.w.Nachw.). Dies gilt grundsätzlich auch für einen Täter, der das 21. Lebensjahr noch nicht wesentlich überschritten hat, wenngleich bei ihm die Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Prüfung bedarf (vgl. BGHR StGB § 66 II Gefährlichkeit 1; BGH, Beschl. vom 6. August 1997 – 2 StR 199/97, insoweit in BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 4 nicht abgedruckt).
Der Angeklagte hat innerhalb von drei Monaten zwei erhebliche Sexualdelikte begangen. Bei der ersten Tat kam es auf einer öffentlichen Toilettenanlage mit einem 11 Jahre alten Jungen zum einvernehmlichen wechselseitigen Mundverkehr, ehe der Angeklagte seinen Finger und sein Glied in den After des Opfers einführte. Erst als dieses unmittelbar danach mit der Aufdeckung des Tatgeschehens drohte, wurde der Angeklagte körperlich tätlich und griff dem Opfer u.a. so fest an den Hals, daß später noch Rötungen zu sehen waren. Der Junge wurde durch die Tat in seiner ohnehin erschwerten Entwicklung durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom von erheblichem Ausmaß weiter eingeschränkt. Bei der zweiten Tat hatte der Angeklagte einem acht Jahre alten Jungen im BUGA-Park in Düsseldorf von hinten den Mantelgürtel um den Hals geschlungen und so fest und dauerhaft zugezogen, daß das Opfer Stauungsblutungen im Kopfbereich erlitt und einmal kurzzeitig bewußtlos wurde und dabei in die Gefahr einer Hirnschädigung und sogar des Todes geriet. Er wollte damit von vorneherein jeden Widerstand gegen das Vorhaben, seinen Finger und sein Glied in den After des Opfers einzuführen, unterdrücken. Gewaltsam öffnete der Angeklagte den Gürtel und die Knöpfe der Hose und ließ erst von seinem Opfer ab, als Jogger auf ihn aufmerksam wurden. Die Folgen der Tat waren für das Opfers erheblich: Der Junge wurde als Folge leichter hirnorganischer Veränderungen infolge der Drosselung aggressiver, griff auch seiner Mutter mehrfach an den Hals und sprach mit obszönen Worten häufig sexuelle Themen an.
Das Amtsgericht Düsseldorf hatte bei der Verurteilung wegen der ersten Tat eine pädophile Neigung bei dem Angeklagten festgestellt. Fünfeinhalb Monate nach diesem Urteil hat das Landgericht nunmehr – von denselben Sachverständigen beraten – festgestellt, beim Angeklagten lägen neben einer heterosexuellen Ausrichtung „jedenfalls zur Tatzeit” eine pädophil-homophile Orientierung und soziopathische Persönlichkeitszüge vor. Bei der Bewertung der pädophilen Orientierung ist das Landgericht den Gutachtern in einem entscheidenden Punkt nicht gefolgt. Diese hatten (aus psychologischer Sicht) eine stabile pädophil-homophile Orientierung des Angeklagten, die mit sozial rücksichtslosen, aggressiven Neigungen verknüpft sei, sowie (aus psychiatrischer Sicht) eine verfestigte pädophil-homosexuelle Neigung festgestellt. Das Landgericht hat hingegen nicht auszuschließen vermocht, daß diese Neigung nicht verfestigt sei, sondern auf veränderbaren aktuellen Vorstellungen des Angeklagten beruhe. Dabei durfte es sich nicht allein auf die Angaben des Angeklagten verlassen, er habe während der Haftzeit auch über sein Sexualleben nachgedacht, sei nunmehr zu der Überzeugung gekommen, daß er sich zu Mädchen hingezogen fühle, und denke in sexuellem Zusammenhang nicht mehr an Jungen. Es hätte vielmehr einer Auseinandersetzung damit bedurft, ob hierin nicht lediglich eine Schutzbehauptung des Angeklagten zu sehen ist, nachdem es das Landgericht als unwiderlegt angesehen hatte, daß der Angeklagte nach der ersten Straftat nicht mehr an sexuelle Handlungen mit Jungen gedacht haben will, gleichwohl aber die neue Tat zu dem Zeitpunkt beging, zu dem eine kurzzeitige Beziehung mit einem Mädchen geendet hatte. Einer Abwägung dieser Aussage mit den durch die Sachverständigen festgestellten Persönlichkeitsmerkmalen hätte es bedurft, zumal der psychologische Sachverständige dargelegt hatte, ihn überzeuge diese Erklärung des Angeklagten nicht, und der psychiatrische Sachverständige die eine sexuelle Orientierung prägende Kraft schon einer einzigen positiv erlebten Sexualhandlung hervorgehoben hatte. Einer besonders sorgfältigen Prüfung hätte es zudem deshalb bedurft, weil die zweite Tat eine in zweifacher Hinsicht gesteigerte Gewaltanwendung durch den Angeklagten aufgewiesen hat: Er hat nicht nur bereits bei Tatbeginn sofort Gewalt eingesetzt, die Gewaltanwendung war auch besonders gefährlich und mit einem hohen Lebensrisiko für das Opfer verbunden.
2. Sollte der neue Tatrichter auch die materielle Voraussetzung der Sicherungsverwahrung feststellen, wird er nach pflichtgemäßem Ermessen über deren Anordnung zu entscheiden haben. Zu dem bei dieser Ermessensentscheidung anzulegenden Maßstab verweist der Senat auf seine Entscheidung BGHR StGB § 66 III Begründung 1 = NStZ 1999, 473.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 512512 |
NStZ-RR 2001, 13 |