Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht der Rechtsbeugung
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. März 1998 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen
Gründe
Gegenstand des Verfahrens ist die Verurteilung des W. wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten durch Justizangehörige der DDR. Mit Urteil vom 21. Juni 1996 hatte das Landgericht Dresden die Angeklagte K. vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und den Angeklagten C. vom Vorwurf der Beihilfe zur Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung freigesprochen. Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom 11. April 1997 (BGHR StGB § 336 DDR-Richter 2) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht die Angeklagten K. und C. erneut freigesprochen. Den Angeklagten R., dessen Verfahren wegen Sachzusammenhangs inzwischen hinzuverbunden worden war, hat das Landgericht von dem Vorwurf der Beihilfe zur Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung ebenfalls freigesprochen. Hiergegen richtet sich die erneute Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den neuerlichen Feststellungen des Landgerichts entschloß sich W. unter dem Eindruck zunehmender Zweifel an der Richtigkeit der Politik der DDR und der Beteiligung der DDR am Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR, die DDR auf „ungesetzlichem Wege” zu verlassen. Er ließ sich von seiner in der Bundesrepublik wohnenden Mutter den Reisepaß seines Bruders, versehen mit seinem Paßbild und einem gefälschten Rahmenstempel in der Größe des CSSR-Einreisestempels, sowie einen Visum-Antrag nach Prag überbringen. Dort verfälschte er den Visum-Antrag und den Reisepaß, um sich den Anschein eines aus der Bundesrepublik in die CSSR eingereisten Touristen zu geben und als solcher über Österreich zurückreisen zu können. Zu diesem Zweck nahm er von seiner Mutter Devisen, Kleidungsstücke westlicher Herkunft und sonstige Unterlagen entgegen. Beim Versuch, die Grenze zu Österreich zu passieren, wurde W. im Zug am 20. August 1973 festgenommen und am 18. Oktober 1973 den Behörden der DDR überstellt. Der Angeklagte R. erhob Anklage wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in Form der versuchten Nichtrückkehr in die DDR und wegen Urkundenfälschung. Er vermerkte in die Handakten der Staatsanwaltschaft einen Strafvorschlag von drei Jahren und acht Monaten. Einen entsprechenden Strafantrag stellte der Angeklagte C. als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dann auch am 14. Januar 1974 in der Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht Dresden-Ost. Am 16. Januar 1974 verhängte das Kreisgericht unter dem Vorsitz der Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall gemäß § 213 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB-DDR sowie wegen Urkundenfälschung gemäß § 240 Abs. 1 StGB-DDR. Von seiner Festnahme an befand sich W. bis zu seiner vorzeitigen Haftentlassung im Zusammenhang mit seinem „Freikauf” durch die Bundesrepublik am 9. Oktober 1974 im Freiheitsentzug.
Das Landgericht hat mit Einzelausführungen sowohl den objektiven Tatbestand als auch den subjektiven Tatbestand der Rechtsbeugung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen vermocht.
2. Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung erneut mit fehlerhafter Begründung verneint.
In seiner ersten Aufhebungsentscheidung vom 11. April 1997 (BGHR StGB § 336 DDR-Richter 2) hat der Senat unter Darlegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung durch Verhängung einer unvertretbar hohen Strafe im einzelnen ausgeführt, daß „in der Verurteilung des 37jährigen zuvor unbestraften und in den Arbeitsprozeß ohne Beanstandung eingegliederten W. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten allein für den Ungehorsam gegenüber der Ausreisegesetzgebung eine offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzung” liege und gleiches auch für die Teilnahmehandlung in Form der Beantragung einer sogar noch höheren Strafe gelte. Der Senat hat weiter ausgeführt, daß angesichts der objektiv gegebenen offensichtlich schweren Menschenrechtsverletzung ein wissentliches Handeln der Angeklagten nicht fernliege, zur Beurteilung aber insoweit der neue Tatrichter berufen sei.
Das Landgericht hat sich an die Beurteilung der Tat als objektiv rechtsbeugerisch durch den Bundesgerichtshof nicht gebunden gefühlt, weil es nach seiner Auffassung nunmehr einen wesentlich anderen Sachverhalt festgestellt hat, auf den die Aufhebungsansicht des Senats nicht mehr zutreffe (UA S. 38 ff.). Diese Auffassung teilt der Senat nicht.
Die Feststellungen zum allgemein höheren Niveau der Strafen am Kreisgericht Dresden-Ost im Verhältnis zu den Strafen der anderen Kreisgerichte des Bezirks Dresden sowie zum Verhältnis der von der Angeklagten K. verhängten Strafen zu denen des Kreisgerichts Dresden-Ost sind, wie der Senat in dieser Sache bereits ausgesprochen hat, für den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung ohne entscheidende Bedeutung.
Die vom Landgericht (UA S. 38 f.) einzeln aufgeführten „Erschwerungsgründe” sind mit einer Ausnahme bereits in der vom Angeklagten R. verfaßten Anklage oder dem von der Angeklagten K. verfaßten Urteil aufgeführt oder sind auf andere Weise bereits im ersten Urteil des Landgerichts Dresden festgestellt. Die Feststellungen des ersten landgerichtlichen Urteils und nicht der Sachbericht im Revisionsurteil des Senats bilden die Grundlage für die Bindungswirkung nach § 358 StPO. Soweit das Landgericht neu feststellt, der Angeklagte habe vor dem Fluchtversuch persönliche Dinge und Unterlagen zu einer Großtante verbracht, handelt es sich um eine unbedeutende Nebensächlichkeit, bei der angesichts der mitgeteilten Darstellung des W. (UA S. 35) zudem naheliegt, daß sie den Strafverfolgungsbehörden der DDR damals nicht bekannt war.
Auf den im wesentlichen unveränderten Sachverhalt trifft dessen rechtliche Beurteilung als objektive Rechtsbeugung, die der Senat in seiner Entscheidung vom 11. April 1997 vorgenommen hat, weiterhin zu. Das gilt nun auch für den Angeklagten R., dessen Tat nicht Gegenstand dieser Senatsentscheidung war, der aber mit dem Strafvorschlag von drei Jahren und acht Monaten bei Anklageerhebung einen Unterstützungsbeitrag zu dieser Rechtsbeugung geleistet hat.
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt gleichwohl ohne Erfolg, weil sich das Landgericht im Ergebnis ohne durchgreifenden Rechtsfehler nach dem Grundsatz in dubio pro reo von der Wissentlichkeit des Handelns der Angeklagten K. nicht hat überzeugen können.
Die rechtsfehlerhafte Verneinung des objektiven Tatbestandes legt zwar zunächst die Besorgnis nahe, das Landgericht habe sich möglicherweise den Blick für eine zutreffende Prüfung der Frage verstellt, ob die Angeklagten wissentlich gehandelt haben; denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der objektive Tatbestand für den Rückschluß auf den Rechtsbeugungsvorsatz ein wesentliches Kriterium (vgl. BGHR StGB § 336 DDR-Richter 2, DDR-Recht 12; BGH NStZ-RR 1996, 201, 202). Die auf den konkreten Einzelfall bezogenen Ausführungen des Landgerichts (UA S. 52 ff.) machen aber hinreichend deutlich, daß sich das Landgericht bei dieser Beurteilung von dem Fehler gelöst hat. Daß das Landgericht angesichts dieser Umstände Zweifel am Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer Rechtsbeugung nicht überwinden konnte, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Daran ändern auch die Feststellungen des Landgerichts zu dem Vorfall vom Oktober 1974 nichts. Damals hatten die Angeklagten C. und R. als Staatsanwälte die Angeklagte K. als Vorsitzende des Kreisgerichts Dresden-Ost in einem anderen Strafverfahren in Unterbrechung der Urteilsberatung zu drängen versucht, eine höhere Strafe als beantragt zu verhängen, nachdem ihnen die Weisung der Generalstaatsanwaltschaft, eine höhere Strafe zu beantragen, erst nach dem Plädoyer zur Kenntnis gekommen war. Die Bedenken der Angeklagten K. versuchten sie zu zerstreuen, wobei der Angeklagte C. in Bezug auf die in jenem Verfahren angeklagte Frau zur Angeklagten K. äußerte: „Du tust der sowieso nicht weh, ob du ihr 1,6 Jahre gibst oder 2 Jahre Freiheitsentzug. Denke daran, die Republik braucht Devisen.” Diese Äußerung hätte als Indiz für die Bejahung des Beihilfevorsatzes bei den Angeklagten C. und R. Bedeutung haben können, weil es auf deren Kenntnis von der Funktion der Strafverfahren gegen „Republikflüchtlinge” als Devisenquelle hindeuten kann (vgl. BGHR StGB § 336 DDR-Recht 9; Staatsanwalt 1; BGH, Urt. vom 10. Dezember 1998 - 5 StR 322/98 - zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Urt. vom 21. Januar 1999 - 5 StR 565/98); für den insoweit entscheidenden Vorsatz der Angeklagten K. war dies ohne Belang, denn diese zeigte sich nach den Feststellungen über den Auftritt der Staatsanwälte empört und brachte diesen Vorfall innerdienstlich zur Meldung.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Pfister
Fundstellen