Entscheidungsstichwort (Thema)
Warenkreditversicherung. Auslegung AVB Warenkredit 1984. Italienisches Insolvenzrecht. Gerichtliche Zulassung eines in Italien ansässigen Unternehmers zum Verfahren der Geschäftsaufsicht als Versicherungsfall
Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung des Versicherungsfalls bei Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens gegen einen dort ansässigen Kunden des Versicherungsnehmers (hier: amministrazione controllata nach Art. 187 ff. des italienischen Konkursgesetzes vom 16. März 1942) im Wege der ergänzenden Auslegung der AVB Warenkredit 1984.
Normenkette
AVB f. Warenkreditvers. (1984) § 9
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Urteil vom 24.01.2001) |
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 20.04.2000) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 24. Januar 2001 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. April 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückzahlung von Versicherungsleistungen aus ungerechtfertigter Bereicherung.
Die J. Sc. & S. KG hatte mit der Klägerin eine Warenkreditversicherung abgeschlossen, in die ab dem 1. Januar 1995 auch die Beklagte einbezogen war. Versichert sind Ausfälle von Forderungen, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages durch Zahlungsunfähigkeit versicherter Kunden mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa entstehen. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherung der Beklagten zugrunde (AVB Warenkredit 1984, übereinstimmend mit den in VerBAV 1984, 98 veröffentlichten AVB Warenkredit 1984).
Die Beklagte hat seit November 1996 gegen eine in Italien ansässige Kapitalgesellschaft fällige Forderungen in Höhe von 262.953,12 DM. Sie reichte in Italien Klage ein, um gegen die Schuldnerin einen Vollstreckungstitel in Gestalt eines Zahlungsdekrets zu erwirken. Dieses Ziel erreichte sie nicht. Die Klage konnte nicht weiterverfolgt werden, weil die Schuldnerin durch richterliches Dekret vom 12. August 1997 zum Verfahren der amministrazione controllata (Geschäftsaufsicht, auch – so im Rechtsstreit – als Zwangsverwaltung bezeichnet) nach Art. 187 ff. des italienischen Konkursgesetzes vom 16. März 1942 (königliches Dekret Nr. 267, Text und Übersetzung bei Bauer/König/Kreuzer, Italienisches Konkursrecht und andere Insolvenzverfahren, 2. Aufl.) zugelassen wurde. Im Hinblick darauf erbrachte die Klägerin an die Beklagte im November 1997 und im Juli 1998 Entschädigungsleistungen in Höhe von insgesamt 121.684,62 DM. Das Versicherungsverhältnis endete zum 31. Dezember 1998 durch Kündigung, wobei ungeklärt geblieben ist, wer gekündigt hat. Das Verfahren der Geschäftsaufsicht war in diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Von der Schuldnerin hat die Beklagte keine Zahlungen erhalten.
Die Klägerin meint, die Beklagte sei zur Rückzahlung der Entschädigung verpflichtet, weil der Versicherungsfall der Zahlungsunfähigkeit im Sinne der in § 9 AVB Warenkredit 1984 genannten Tatbestände während der Vertragslaufzeit nicht eingetreten sei. Die Bestimmung lautet:
„§ 9 Versicherungsfall
1. Der Versicherungsfall tritt ein mit Zahlungsunfähigkeit des Kunden.
Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn
- das Konkursverfahren eröffnet oder dessen Eröffnung vom Gericht mangels Masse abgelehnt worden ist oder
- das gerichtliche Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses eröffnet worden ist oder
- mit sämtlichen Gläubigern ein außergerichtlicher Liquidations- oder Quotenvergleich zustande gekommen ist oder
- eine vom Versicherungsnehmer vorgenommene Zwangsvollstreckung nicht zur vollen Befriedigung geführt hat.
2. Als Zeitpunkt für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gilt
- im Falle a) und b) der Tag des Gerichtsbeschlusses,
- im Falle c) der Tag, an dem sämtliche Gläubiger ihre Zustimmung zum Vergleich gegeben haben,
- im Falle d) der Tag der Zwangsvollstreckung.”
Ob die mit dem Verfahren der Geschäftsaufsicht bezweckte Sanierung des Unternehmens gescheitert sei und es zu einem Konkurs- oder Vergleichsverfahren komme, stehe, so die Klägerin, erst mit Beendigung des längstens zwei Jahre dauernden Verfahrens fest.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der Entschädigung, weil der Versicherungsfall durch die gerichtliche Zulassung der Schuldnerin zum Verfahren der Geschäftsaufsicht während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eingetreten ist.
I. Das Berufungsgericht meint, § 9 AVB Warenkredit 1984 beziehe sich seinem Inhalt nach nur auf die Zahlungsunfähigkeit inländischer Kunden. Dies folge daraus, daß die für die Zahlungsunfähigkeit maßgeblichen Fälle ausschließlich mit Begriffen des im Jahr 1984 geltenden deutschen Rechts erfaßt würden. Da aber nach dem Vertrag Italien zu den versicherten Ländern gehöre, wiesen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen insofern eine Regelungslücke auf. Deshalb sei im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu ermitteln, wann ein italienischer Kunde als zahlungsunfähig anzusehen sei. Hätten die Parteien des Versicherungsvertrags das italienische Insolvenzrecht berücksichtigt, hätten sie den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit dem deutschen Recht entsprechend geregelt. Es komme also darauf an, in welchen Fällen nach italienischem Recht die Zahlungsunfähigkeit mit ähnlicher Sicherheit nach außen dokumentiert sei wie in dem abschließenden Katalog der in § 9 Nr. 1 Satz 2 AVB Warenkredit 1984 genannten Fälle des deutschen Rechts.
Die Anordnung der Zwangsverwaltung (amministrazione controllata) sei noch kein manifestes Kriterium für die Zahlungsunfähigkeit und stehe deshalb keinem der in § 9 Nr. 1 Satz 2 AVB Warenkredit 1984 angeführten Fälle gleich. Diese Anordnung setze nach Art. 187 des italienischen Konkursgesetzes nicht die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers voraus, sondern nur, daß er sich in vorübergehenden Schwierigkeiten befinde, seine Verpflichtungen zu erfüllen. Die Zwangsverwaltung brauche nicht in einen Konkurs (fallimento, Art. 5 ff.) oder in einen Vergleich zur Abwendung des Konkurses (concordato preventivo, Art. 160 ff.) zu münden. Vielmehr könne es auch zur Aufhebung der Zwangsverwaltung kommen, wenn der Unternehmer nachweislich in der Lage sei, seine Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen (Art. 193). Aus dem Schreiben des Zwangsverwalters ergebe sich hier, daß die Schuldnerin nach Ablauf der für die Zwangsverwaltung geltenden Zweijahresfrist des Art. 187 das Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses beantragt habe, das durch Gerichtsbeschluß vom 4. Oktober 1999 eingeleitet worden sei. Erst dieser Beschluß würde dem in § 9 Nr. 1 Satz 2 b AVB Warenkredit 1984 geregelten Fall der gerichtlichen Eröffnung des Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses entsprechen. In diesem Zeitpunkt sei das Versicherungsverhältnis bereits beendet gewesen.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis nicht.
1. Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend gesehen, daß die Entscheidung von einer ergänzenden Vertragsauslegung abhängt. Davon gehen auch die Revision und die Revisionserwiderung aus. § 9 AVB Warenkredit 1984 ist mit den in Nr. 1 Satz 2 genannten Tatbeständen ersichtlich darauf zugeschnitten, daß ein in Deutschland ansässiger Kunde des Versicherungsnehmers zahlungsunfähig wird. Verwirklicht sich bei einem Kunden mit Sitz im Ausland ein vergleichbarer Tatbestand (z.B. Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahrens, erfolglose Zwangsvollstreckung), was hier aber nicht der Fall ist, liegt die Annahme des Versicherungsfalls schon bei sinngemäßer Auslegung von § 9 AVB Warenkredit 1984 nahe. Für die in dieser Bestimmung nicht aufgeführte Geschäftsaufsicht nach dem italienischen Konkursgesetz ist dagegen auf die ergänzende Auslegung zurückzugreifen, weil die Geschäftsaufsicht seinerzeit im deutschen Insolvenzrecht keine Entsprechung hatte. Ziel dieser Auslegung ist es, einen Versicherungsschutz zu gewährleisten, der hinter dem bei Zahlungsunfähigkeit von Kunden mit Sitz im Inland nicht zurückbleibt, aber auch nicht darüber hinausgeht (vgl. zur ergänzenden Vertragsauslegung bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen BGHZ 117, 92, 98 ff. und H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 9. Aufl. § 6 Rdn. 31, 32). Denn hinsichtlich des versprochenen Versicherungsschutzes wird zwischen Kunden mit Sitz im Inland und im Ausland nicht differenziert.
2. Das Berufungsgericht hat bei der ergänzenden Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die revisionsrechtlich voll überprüfbar ist (vgl. H. Schmidt, aaO Rdn. 32), im wesentlichen auf die Voraussetzungen für die Einleitung des Verfahrens der Geschäftsaufsicht und die Vergleichbarkeit mit der in § 9 Nr. 1 Satz 2 b AVB Warenkredit 1984 genannten Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses abgestellt. Bei der vergleichenden Betrachtung ist der Blick aber nach dem Zweck der Warenkreditversicherung insbesondere darauf zu richten, welche Auswirkungen das gerichtliche Verfahren der Geschäftsaufsicht auf die Durchsetzbarkeit der Forderung des Versicherungsnehmers hat und ob diese Auswirkungen denen vergleichbar sind, die nach § 9 AVB Warenkredit 1984 den Versicherungsfall auslösen. Dabei darf sich die Prüfung entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht darauf beschränken, ob die Geschäftsaufsicht jeweils einem einzelnen in § 9 Nr. 1 Satz 2 AVB Warenkredit 1984 genannten Tatbestand entspricht. Es ist vielmehr eine vergleichende Gesamtbetrachtung vorzunehmen.
a) Die Warenkreditversicherung bietet Schutz gegen den Ausfall von Forderungen durch Zahlungsunfähigkeit versicherter Kunden. Wann ein Ausfall durch Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist in § 9 AVB Warenkredit 1984 geregelt.
Der Blick auf die einzelnen in Nr. 1 Satz 2 aufgeführten Tatbestände zeigt, daß Zahlungsunfähigkeit nicht voraussetzt, daß der Versicherungsnehmer mit seiner Forderung endgültig und in vollem Umfang ausfällt. Selbst im Konkursverfahren kann sich ergeben, daß die einfachen Konkursgläubiger noch eine Quote erhalten. Zur Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens und zum Zwangsvergleich kommt es nur, wenn eine bestimmte Quote zu erwarten ist und gezahlt werden kann. Bei einem außergerichtlichen Liquidations- oder Quotenvergleich erhält der Versicherungsnehmer eine teilweise Befriedigung. Eine ganz oder teilweise erfolglose Zwangsvollstreckung bedeutet keinesfalls, daß der Schuldner überhaupt oder dauernd zahlungsunfähig ist und die Forderung des Versicherungsnehmers nicht mehr durchsetzbar ist. Die Erfolglosigkeit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme kann auch darauf beruhen, daß der Schuldner sich nur in vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten befindet oder zahlungsunwillig ist oder daß dem Gläubiger vorhandene Vermögenswerte nicht bekannt sind.
Daraus ergibt sich bei einer Gesamtbetrachtung auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer einer Warenkreditversicherung, daß Zahlungsunfähigkeit und damit der Eintritt des Versicherungsfalls bereits dann anzunehmen sind, wenn durch einen bestimmten, ohne weiteres nachprüfbaren Umstand dokumentiert ist (vgl. dazu BGHZ 120, 290, 296 ff. und BGH, Urteil vom 17. September 1986 – IVa ZR 73/85 – VersR 1987, 68 unter I 1 c), daß die Forderung des Versicherungsnehmers in absehbarer Zeit nicht oder jedenfalls nicht in vollem Umfang durchsetzbar ist. Dies entspricht auch dem Zweck der Versicherung, die auf die Absicherung des nur kurzfristigen Warenkredits angelegt ist, was sich insbesondere aus den Bestimmungen über das äußerste Kreditziel (hier sieben Monate) ergibt (§§ 2 Nr. 2 Abs. 2, 7 AVB Warenkredit 1984). Die Warenkreditversicherung dient demgemäß nicht nur dem Schutz des Versicherungsnehmers vor einem (irgendwann eintretenden) endgültigen Verlust seiner Forderung, sondern auch dem Schutz vor zeitweiligen Einschränkungen seiner Liquidität. Denn diese können dazu führen, daß der Versicherungsnehmer selbst zahlungsunfähig wird (oder in seiner Person ein Tatbestand des § 9 Nr. 1 AVB Warenkredit 1984 eintritt, was den Versicherer nach § 15 AVB Warenkredit 1984 zur Vertragsaufhebung mit sofortiger Wirkung berechtigt).
b) Während des Verfahrens der Geschäftsaufsicht nach dem italienischen Konkursgesetz kann nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien kein Klageverfahren durchgeführt werden, also nicht einmal ein Vollstreckungstitel erwirkt werden. Die Eröffnung eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens auf Antrag eines Gläubigers ist nicht möglich. Eine Einzelzwangsvollstreckung ist unzulässig (Art. 188 Abs. 2 i.V. mit Art. 168 Abs. 1). Das bedeutet, daß der Versicherungsnehmer während der Dauer des Verfahrens, das auf einen längeren Zeitraum angelegt ist, bis zu zwei Jahren dauern kann und hier auch gedauert hat, rechtlich daran gehindert ist, seine Forderung zwangsweise durchzusetzen oder den Versicherungsfall der Konkurs- oder Vergleichseröffnung entsprechend der Regelung in § 9 Abs. 1 AVB Warenkredit 1984 herbeizuführen.
c) Das Verfahren der Geschäftsaufsicht hat damit für die Durchsetzbarkeit der Forderungen eines Versicherungsnehmers nachteilige Auswirkungen der Art, die denen zumindest gleichkommen, die bei der Gesamtbetrachtung von § 9 AVB Warenkredit 1984 den Versicherungsfall auslösen. Hätten die Vertragsparteien das gesehen und bedacht, hätten sie redlicherweise vereinbart, daß die gerichtliche und damit eindeutig nach außen hin dokumentierte Zulassung eines in Italien ansässigen Unternehmers zum Verfahren der Geschäftsaufsicht generell als Versicherungsfall anzusehen ist. Nur so ist gewährleistet, daß hinsichtlich solcher Kunden des Versicherungsnehmers sein Versicherungsschutz nicht hinter dem zurückbleibt, der nach dem Vertrag für diese und für Kunden mit Sitz im Inland in gleicher Weise versprochen wird.
Unterschriften
Terno, Seiffert, Ambrosius, Wendt, Felsch
Fundstellen
BGHR 2002, 822 |
NJW-RR 2002, 1346 |
KTS 2003, 234 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 537 |
EuZW 2003, 380 |
MDR 2002, 1063 |
NVersZ 2002, 418 |
NZI 2002, 507 |
RIW 2002, 715 |
VersR 2002, 845 |
ZInsO 2002, 626 |
IHR 2002, 28 |