Leitsatz

Zur Bestimmung des Versicherungsfalls bei Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens gegen einen dort ansässigen Kunden des Versicherungsnehmers (hier: amministrazione controllata nach Art. 187 ff. des italienischen Konkursgesetzes vom 16.3.1942) im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung der AVB Warenkredit 1984.

 

Sachverhalt

Die Kl. verlangt von der Bekl. die Rückzahlung von Versicherungsleistungen aus ungerechtfertigter Bereicherung. Die J+S KG hatte mit der Kl. eine Warenkreditversicherung abgeschlossen, in die ab dem 1.1.1995 auch die Bekl. einbezogen war. Versichert waren Ausfälle von Forderungen, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags durch Zahlungsunfähigkeit versicherter Kunden mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa entstanden. Dem Vertrag lagen die AVB Warenkredit 1984 zugrunde. Die Bekl. hatte seit November 1996 gegen eine in Italien ansässige Kapitalgesellschaft fällige Forderungen in Höhe von 262.953,12 DM. Sie reichte in Italien Klage ein, um gegen die Schuldnerin einen Vollstreckungstitel in Gestalt eines Zahlungsdekrets zu erwirken. Dieses Ziel erreichte sie nicht. Die Klage konnte wegen Eröffnung des Verfahrens der Geschäftsaufsicht in Italien nicht weiterverfolgt werden.

Im Hinblick darauf erbrachte die Kl. an die Bekl. im November 1997 und im Juli 1998 Entschädigungsleistungen in Höhe von insgesamt 121.684,62 DM. Das Versicherungsverhältnis endete zum 31.12.1998 durch Kündigung. Das in Italien laufende Verfahren war in diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Von der Schuldnerin erhielt die Bekl. keine Zahlungen. Die Kl. meinte, die Bekl. sei zur Rückzahlung der Entschädigung verpflichtet, weil der Versicherungsfall der Zahlungsunfähigkeit im Sinne der in § 9 AVB Warenkredit 1984 genannten Tatbestände während der Vertragslaufzeit nicht eingetreten sei. Die Bestimmung lautet:

㤠9 (Versicherungsfall)

Der Versicherungsfall tritt ein mit der Zahlungsunfähigkeit des Kunden. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn

das Konkursverfahren eröffnet oder dessen Eröffnung vom Gericht mangels Masse abgelehnt worden ist oder

das gerichtliche Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses eröffnet worden ist oder

mit sämtlichen Gläubigern ein außergerichtlicher Liquidations- oder Quotenvergleich zustande gekommen ist oder

eine vom Versicherungsnehmer Zwangsvollstreckung nicht zur vollen Befriedigung geführt hat.

Als Zeitpunkt für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gilt im Falle a) und b) der Tag des Gerichtsbeschlusses,

im Falle c) der Tag, an dem sämtliche Gläubiger ihre Zustimmung zum Vergleich gegeben haben,

im Falle d) der Tag der Zwangsvollstreckung.”

Ob die mit dem Verfahren der Geschäftsaufsicht in Italien bezweckte Sanierung des Unternehmens gescheitert sei und es zu einem Konkurs- oder Vergleichsverfahren komme, stehe, so die Kl., erst mit Beendigung des längstens zwei Jahre dauernden Verfahrens fest.

Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Mit ihrer Revision strebte die Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.

Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des BGH hat die Kl. keinen Anspruch auf Rückzahlung der Entschädigung, weil der Versicherungsfall durch die gerichtliche Zulassung der Schuldnerin zum Verfahren der Geschäftsaufsicht in Italien während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eingetreten ist.

Das Berufungsgericht habe im Ansatz zutreffend gesehen, dass die Entscheidung von einer ergänzenden Vertragsauslegung abhänge. § 9 AVB Warenkredit 1984 sei mit den in Nr. 1 Satz 2 genannten Tatbeständen ersichtlich darauf zugeschnitten, dass ein in Deutschland ansässiger Kunde des Versicherungsnehmers zahlungsunfähig werde. Verwirkliche sich bei einem Kunden mit Sitz im Ausland ein vergleichbarer Tatbestand (z. B. Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahrens, erfolglose Zwangsvollstreckung), was hier aber nicht der Fall sei, liege die Annahme des Versicherungsfalls schon bei sinngemäßer Auslegung von § 9 AVB Warenkredit 1984 nahe. Für die in dieser Bestimmung nicht aufgeführte Geschäftsaufsicht nach italienischem Konkursgesetz sei dagegen auf die ergänzende Auslegung zurückzugreifen, weil die Geschäftsaufsicht seinerzeit im deutschen Insolvenzrecht keine Entsprechung gehabt habe. Ziel dieser Auslegung sei es, einen Versicherungsschutz zu gewährleisten, der hinter dem bei Zahlungsunfähigkeit von Kunden mit Sitz im Inland nicht zurückbleibe, aber auch nicht darüber hinausgehe. Denn hinsichtlich des versprochenen Versicherungsschutzes werde zwischen Kunden mit Sitz im Inland und im Ausland nicht differenziert.

Das Berufungsgericht habe bei der ergänzenden Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die revisionsrechtlich voll überprüfbar sei, im Wesentlichen auf die Voraussetzungen für die Einleitung des Verfahrens der Geschäftsaufsicht und die Vergleichbarkei...

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