Leitsatz (amtlich)
›Der ernsthafte Selbstmordversuch eines Internatsschülers, der nicht im Internat bleiben will, kann ein wichtiger Grund sein, der die fristlose Kündigung des Internatsschulvertrag durch die Eltern des Schülers rechtfertigt.‹
Verfahrensgang
LG Düsseldorf |
OLG Düsseldorf |
Tatbestand
Der Kläger betreibt mehrere Internate für Jungen und Mädchen zum Besuch der Grund-, Haupt- oder Realschule, darunter das Internat Aggersee. Er ist Hauptgesellschafter und Geschäftsführer der Internat Aggersee GmbH, die seit 1. Januar 1982 Internatsträgerin ist.
Am 7. Juli 1981 schloß er mit den Beklagten einen schriftlichen Internatsvertrag über die Aufnahme des damals 15. Jahre alten Sohnes Wilhelm der Beklagten.
Die formularmäßigen Aufnahmebedingungen bestimmen, daß der Vertrag auf unbestimmte Zeit gilt und mit einer Frist von drei Monaten jeweils zum 31. Januar oder 31. Juli eines Jahres durch eingeschriebenen Brief gekündigt werden kann. Eine Kündigung nach § 627 BGB ist ausgeschlossen. Das Schuljahr beginnt jeweils am 1. August und endet am 31. Juli des folgenden Jahres. Für das Schuljahr 1981/1982 war eine Internatsgebühr von 11.400 DM vereinbart. Sie konnte gegen einen Aufpreis in Raten entrichtet werden, die bei monatlicher Zahlung je 1.020 DM betrugen. Nach Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen sind die Internatsgebühren bis zum nächsten Zeitpunkt für eine fristgerechte Kündigung weiterzuzahlen, wenn ein Schüler aus Gründen, die das Internat nicht zu vertreten hat, vorzeitig das Internat verläßt; sie ermäßigen sich aber, beginnend mit dem Monat, der auf das Ausscheiden des Schüler folgt, um 1/10.
Der Sohn der Beklagten besuchte das Internat Aggersee vom 1. August bis 23. November 1981. Kurz vor diesem Tage unternahm er anläßlich eines Wochenendaufenthalts bei seinen Eltern einen Selbstmordversuch, indem er sich die Pulsadern aufzuschneiden versuchte. Daraufhin kam es am 24. November 1981 im Internat zu einer Aussprache zwischen den Parteien, dem Sohn der Beklagten und einem Mitarbeiter des Klägers, bei der die übrigen Beteiligten vergeblich versuchten, den Sohn der Beklagten zum Verbleib im Internat zu bewegen.
Die Beklagten zahlten ab Dezember 1981 die Internatsgebühren nicht mehr und kündigten durch Schreiben vom 7. Dezember 1981 das Vertragsverhältnis fristlos "wegen verschiedener Vertragsverstöße". Der Kläger widersprach.
Mit der Klage forderte er die Monatsraten für die Zeit vom 1. Dezember 1981 bis zum 31. Juli 1982 abzüglich 10 %, insgesamt 7.344 DM nebst Zinsen.
Das Landgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Oberlandesgericht das Urteil ab und sprach dem Kläger nur 244,80 DM nebst Zinsen zu; im übrigen wies es die Klage ab.
Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I. Der Berufungsrichter meint, der Kläger könne nur eine anteilige Vergütung für die Zeit vom 1. bis 8. Dezember 1981 - dem Tage des Zugangs der fristlosen Kündigung - fordern. Für die Zeit danach stehe ihm ein Vergütungsanspruch nicht zu, weil die Kündigung das Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet habe.
Der Internatsvertrag sei ein Dienstvertrag. Das Recht der Beklagten, ihn aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen, ergebe sich aus § 626 BGB. Es könne dahingestellt bleiben, ob Vertragsverletzungen des Klägers vorgelegen und die Kündigung ermöglicht hätten. Auch objektive Gründe, die von dem Verhalten der Vertragsparteien unabhängig seien, könnten die Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen. Dazu gehöre der Selbstmordversuch eines in einem Internat untergebrachten Schülers, der sich weigere, das Internat noch länger zu besuchen. Der Selbstmordversuch habe die Beklagten genötigt, das Internatsverhältnis zu beenden. Dabei könne offenbleiben, ob bei dem Selbstmordversuch des Sohnes objektiv Lebensgefahr bestanden habe. Jedenfalls habe er es als nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, daß das Kind einen weiteren Anschlag auf sein Leben unternehmen könnte. Diese Ungewißheit in Kauf zu nehmen, sei den Beklagten nicht zuzumuten. Der Kläger könne nicht einwenden, daß er nur die Bezahlung der vereinbarten Vergütung, nicht aber die Fortsetzung der Ausbildung des Kindes verlange. Zu einer sinnvollen Durchführung des Vertrages gehöre die Fortsetzung der Ausbildung. Sei sie aus Gründen, die in der Person des Schülers lägen, nicht mehr gewährleistet, liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vor. Der Zweck des Internatsschulvertrages setze die kontinuierliche Mitarbeit des Schülers voraus. Er werde vereitelt, wenn die Lernfähigkeit des Schülers durch Krankheit oder Schicksalsschläge nachhaltig beeinträchtigt werde. Ein solcher Schicksalsschlag sei der Selbstmordversuch eines Schülers, der nicht in das Internat zurückkehren wolle. Er sei eine Leistungsstörung, die aus den denkbaren Eingriffen in das Internatsverhältnis weit herausrage, und lasse eine weiteren Internatsbesuch schon deshalb nicht zu, weil die Eltern auf Grund der Pflicht zur elterlichen Sorge, die ihnen eine Garantenstellung für das Leben des Kindes im strafrechtlichen Sinne zuweise, eine durch den Selbstmordversuch indizierte Wiederholungsgefahr ausschließen müßten. Eine fristlose Kündigung nach § 626 BGB könne zwar nicht auf einen Umstand gestützt werden, der nach dem Inhalt des Vertrages in den Risikobereich des Kündigenden falle. Dazu zähle aber der Selbstmordversuch des Sohnes der Beklagten nicht. Ein solches Ereignis falle nicht typischerweise in den Risikobereich der Eltern. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Beklagten bei Abschluß des Internatsvertrages einen Selbstmordversuch ihres Kindes in ihre Überlegungen hätten einbeziehen müssen. Es überschreite die zumutbare Opfergrenze, wenn ihnen dennoch dieses Risiko auferlegt würde. Der Internatsvertrag sei ein fremdbestimmter Vertrag. Die Ungewißheit, die in der für das Kind getroffenen Bestimmung liege, ein Internat zu besuchen, gehe zwar in erster Linie zu Lasten der Eltern. Der Internatsträger müsse aber auf Belange der Eltern Rücksicht nehmen, die diesen die Durchführung der einmal getroffenen Fremdbestimmung praktisch unmöglich machten; dies gelte insbesondere für einen Selbstmordversuch des Kindes, der sich jederzeit "mit Erfolg" wiederholen könne.
Die Beklagten hätten auch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gekündigt. Zwar habe sich der Selbstmordversuch schon vor dem 23. November 1981 ereignet. Den Zusammenhang mit der Weigerung des Sohnes, das Internat weiterhin zu besuchen, hätten die Beklagten aber erst bei der Besprechung am 24. November 1981 erkannt.
Aus Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen könne der Kläger einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung für die Zeit nach der Kündigung nicht herleiten. Die Bestimmung sei in ihrem hier interessierenden Teil gemäß § 9 AGBG unwirksam. Sie weiche in unangemessener Weise zum Nachteil der Beklagten von § 628 BGB ab, der für den Fall einer fristlosen Kündigung des Dienstvertrages einen gerechten Interessenausgleich gewährleiste.
Auch ein Anspruch auf pauschalierten Schadensersatz lasse sich aus der Vertragsbestimmung nicht ableiten. Sie könne nach Wortlaut und Inhalt nicht als Regelung eines Schadensersatzanspruchs verstanden werden.
Schließlich sei die Klageforderung für die Zeit ab 9. Dezember 1981 auch nicht gemäß § 628 Abs. 2 BGB gerechtfertigt. Den Beklagten selbst sei schuldhaftes Verhalten nicht vorzuwerfen. Ein etwaiges Verschulden Ihres Sohnes sei ihnen nicht zuzurechnen; § 278 BGB sei nicht anwendbar.
II. Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
1. Zutreffend geht der Berufungsrichter davon aus, daß der Internatsschulvertrag rechtlich als Dienstvertrag zu behandeln ist, der gemäß § 626 BGB fristlos gekündigt werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Der Vertrag enthält zwar auch Elemente anderer Vertragsarten. Jedoch bilden die für die Schulausbildung und erzieherische Betreuung des Schülers erforderlichen Dienstleistungen den Schwerpunkt der Vertragspflichten des Klägers. Das rechtfertigt es, den Vertrag grundsätzlich dem Dienstvertragsrecht zu unterstellen (vgl. BGH, Urt. v. 16. Januar 1984 - II ZR 100/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt; MünchKomm/Voelskow, vor § 535 BGB Rnr. 30).
2. Ohne Rechtsverstoß wertet der Berufungsrichter den Selbstmordversuch des Sohnes der Beklagten als einen wichtigen Grund, der die fristlose Kündigung rechtfertigt.
a) Nach § 626 Abs. 1 BGB ist ein wichtiger Grund gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Entscheidung darüber verantwortet in erster Linie der Tatrichter. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes richtig angewendet hat, das heißt ob ein bestimmter Vorgang an sich ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Im übrigen sind die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nur darauf nachzuprüfen, ob das Berufungsgericht Rechtsvorschriften und Erfahrungssätze nicht oder nicht richtig angewendet und ob es bei seiner Würdigung Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat (BGH, Urteil vom 28. April 1960 - VII ZR 218/59 = LM BGB § 626 Nr. 10).
b) Der Berufungsrichter stellt als zugestanden fest, daß der Sohn der Beklagten kurz vor dem 23. November 1981 einen Selbstmordversuch unternommen hat. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Für das Revisionsverfahren ist deshalb davon auszugehen, daß der Sohn der Beklagten in Selbsttötungsabsicht handelte, als er sich die Pulsadern aufzuschneiden versuchte.
Dem Berufungsurteil ist weiter die Feststellung zu entnehmen, daß das Kind den Selbstmordversuch verübte, weil es eine Rückkehr in das Internat verhindern wollte. Die dagegen gerichtete Verfahrensrüge greift nicht durch; von einer Begründung wird abgesehen (§ 565 a ZPO).
Der Berufungsrichter unterstellt, daß die von den Beklagten behaupteten Mißstände im Internat nicht vorlagen und der Kläger es daher nicht zu vertreten hat, daß der Sohn der Beklagten nicht im Internat bleiben wollte. Er stellt andererseits fest, daß auch keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich ein Verschulden der Beklagten an dem Selbstmordversuch ihres Sohnes ergeben könnte. Die Revision erhebt insoweit keine Beanstandungen. Für das Revisionsverfahren ist deshalb davon auszugehen, daß keine Partei ein Verschulden an dem Selbstmordversuch trifft.
c) Der festgestellte Sachverhalt ist geeignet, einen wichtigen Kündigungsgrund für die Beklagten abzugeben. Verübt ein Internatsschüler einen Selbstmordversuch, weil er einen weiteren Aufenthalt im Internat ablehnt, so kann dies für seine Eltern auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Internatsträgers hinreichender Grund sein, sich fristlos von dem Internatsvertrag zu lösen. Es ist nicht erforderlich, daß die Einstellung des Schülers sich auf ein Fehlverhalten des Internatsträgers oder seiner Hilfskräfte, auf Mißstände im Internat oder sonstige vom Internatsträger zu verantwortende Umstände gründet, wenngleich in einem solchen Fall ein wichtiger Kündigungsgrund eher angenommen werden kann.
Die fristlose Kündigung nach § 626 BGB setzt ein vertragswidriges oder gar schuldhaftes Verhalten des anderen Vertragspartners nicht voraus. Auch Umstände, die der andere Teil nicht zu verantworten hat, können bewirken, daß dem Kündigenden eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. MünchKomm/Schwerdtner, § 626 BGB Rnr. 27; Staudinger/Neumann BGB 12. Aufl. § 626 Rnr. 38, 39, 52; Soergel/Kraft, BGB 11. Aufl. § 626 Rnr. 8; Erman/Küchenhoff, BGB 7. Aufl. § 626 Rnr. 54, 58). Allerdings scheiden als wichtiger Kündigungsgrund in der Regel solche Umstände aus, die im Rahmen des von dem Kündigenden vertraglich übernommenen Risikos liegen (BGHZ 24, 91, 95) oder gar von ihm vertreten sind (vgl. MünchKomm/Schwerdtner aaO). Ein solcher Umstand liegt hier aber nicht vor.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Beklagten den Selbstmordversuch ihres Sohnes nicht verschuldet. Ein etwaiges Verschulden ihres Sohnes haben sie nicht zu vertreten; es gibt keinen Rechtssatz, der Eltern in einem solchen Fall die Haftung für ihre Kinder auferlegt. Der Selbstmordversuch fällt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht in den Risikobereich der Beklagten. Zwar haben sich nach dem Vortrag des Klägers den Internatsvertrag abgeschlossen, obwohl sie von Anfang an wußten, daß ihr Sohn einen Internatsaufenthalt entschieden ablehnte. Das ist mangels anderer Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren zu unterstellen. Damit fallen schulische und erzieherische Schwierigkeiten, die sich aus der ablehnenden Einstellung des Sohnes ergeben, grundsätzlich in ihren Risikobereich. Bei einem Schulvertrag sind Fehleinschätzungen der Lernbereitschaft, der Belastbarkeit und der intellektuellen Fähigkeiten des Schülers sowie der Anziehungskraft des Lehrstoffes grundsätzlich von dem Schüler - sofern er selbst Vertragspartei ist - oder von dem zu verantworten, der den Vertrag zu seinen Gunsten abschließt (BGH, Urteil vom 8. März 1984 - IX ZR 144/83, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Das gilt auch für den Internatsschulvertrag. Bei ihm gehören zu diesem Verantwortungsbereich auch Fehleinschätzungen der Fähigkeit oder Bereitschaft des Schülers, die Trennung von Eltern, Freunden und der sonstigen häuslichen Umgebung zu bewältigen und sich in die Internatsgemeinschaft einzufügen. Erweist sich die Internatsausbildung aus einem dieser Gründe als undurchführbar, so ist dies regelmäßig kein ausreichender Grund für den Vertragspartner des Internatsträgers, sich vorzeitig vom Vertrag zu lösen.
Mit Recht ist der Berufungsrichter aber der Ansicht, daß der Selbstmordversuch des Sohnes das Risiko überschreitet, das die Beklagten mit Abschluß des Vertrages übernommen haben. Auch wenn sie wußten, daß das Kind den Internatsaufenthalt ablehnte, konnten sie davon ausgehen, daß sich der Widerstand des Sohnes nach einer Zeit der Eingewöhnung verlieren werde. Nach den getroffenen Feststellungen brauchten sie mit einer solch ungewöhnlichen und gefährlichen Reaktion nicht zu rechnen. Nachdem sie und der Kläger am 24. November 1981 vergeblich versucht hatten, den Sohn umzustimmen, war nach den Feststellungen des Berufungsrichters nicht auszuschließen, daß bei einem weiteren erzwungenen Internatsaufenthalt - der bis zum Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist noch rund acht Monate gedauert hätte - ein neuer Selbstmordversuch drohte. Das übernommene Vertragsrisiko rechtfertigt es regelmäßig nicht, den Eltern auch eine solche außergewöhnliche Gefährdung ihres Kindes aufzubürden.
Dagegen läßt sich nicht einwenden, niemand habe die Beklagten gehindert, das Kind vorzeitig vom Internat zu nehmen, der Kläger verlange von ihnen nur eine Fortzahlung der Vergütung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Damit wird die durch § 626 BGB vorgeschriebene Zumutbarkeitsprüfung unzulässig verkürzt. Die Vorschrift stellt darauf ab, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Dienstverhältnisses seinem ganzen Inhalt nach bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Es geht deshalb hier nicht nur darum, ob die Fortzahlung des Honorars ohne Gegenleistung zumutbar ist, sondern auch darum, ob es dem Beklagten zuzumuten war, die Dienste des Klägers weiterhin in Anspruch zu nehmen.
Vergebens beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe die Interessen des Klägers nicht gewürdigt. Nach seinem Vortrag kam allein sein Interesse an einer Fortzahlung der vereinbarten Vergütung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in Betracht. Es lag auf der Hand und bedurfte keiner besonderen Erwähnung. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß der Berufungsrichter dieses begrenzte finanzielle Interesse geringer bewertet hat als die Belange der Beklagten, die einen weiteren Selbstmordversuch ihres Sohnes vermeiden wollten. Das ist bei Berücksichtigung der Eigenart des Internatsschulvertrages rechtlich nicht zu beanstanden. Es handelt sich nicht um einen rein vermögensrechtlichen Austauschvertrag. Vielmehr bildet für den Internatsträger die erzieherische Aufgabe den Schwerpunkt der Vertragspflichten. Er übernimmt Verantwortung für das Wohl des Schülers. Besteht bei einem Internatsaufenthalt für den Schüler Selbstmordgefahr, so darf auch für den Internatsträger auf Grund seiner erzieherischen Verantwortung nicht das finanzielle Interesse an der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den Ausschlag geben. Diesen Gesichtspunkt hat der Berufungsrichter - wenn auch mit anderen Worten - zutreffend in seine Interessenabwägung einbezogen.
Seine Entscheidung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil die Beklagten ihre fristlose Kündigung zunächst auf andere Gründe gestützt und erst auf den Hinweis des Berufungsgerichts den - bereits anderweitig vorgetragenen - Selbstmordversuch ihres Sohnes zur Begründung herangezogen haben. Die Kündigungserklärung nach § 626 BGB bedarf zu ihrer Wirksamkeit keiner Begründung. Es kommt nur darauf an, ob ein wichtiger Kündigungsgrund objektiv vorlag. Deshalb ist er möglich, auch nachträglich Kündigungsgründe nachzuschieben, sofern sie nur im Zeitpunkt der Kündigung bereits gegeben waren (BGHZ 27, 220, 223 ff). Allerdings kann sich daraus, daß ein bestimmter Grund zunächst nicht angeführt wird, ergeben, daß der Kündigende die Fortsetzung der Vertragsverhältnisse auf Grund dieses Umstandes nicht als unzumutbar angesehen hat. Auch kann darin eine Beschränkung auf die zunächst vorgetragenen Gründe liegen (BGHZ 27, 220, 225 ff). Hier hat der Tatrichter dem Verhalten der Beklagten eine solche Bedeutung nicht beigelegt. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Unstreitig hat der Selbstmordversuch die Beklagten veranlaßt, ihren Sohn nach der erfolglosen Aussprache am 24. November 1981 vom Internat zu nehmen; kurz darauf haben sie die fristlose Kündigung ausgesprochen. Das legt die Annahme nahe, daß für sie der Selbstmordversuch von ausschlaggebender Bedeutung war. Davon ist auch der Kläger ausgegangen. Die Beklagten mögen es für rechtlich aussichtsreicher gehalten haben, zunächst Kündigungsgründe anzuführen, die - falls sie vorlagen - eindeutig von dem Kläger zu verantworten sind. Sie haben dem Kläger aber keinen Anlaß gegeben, darauf zu vertrauen, daß sie den von ihm selbst in den Rechtsstreit eingeführten Selbstmordversuch des Sohnes nicht zur Begründung ihrer Kündigung heranziehen würden.
d) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Kündigungserklärung vom 7. Dezember 1981 die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Revision hat dagegen nichts vorgebracht.
3. Nach § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB hat die von keiner Partei zu vertretene fristlose Kündigung zur Folge, daß der Kläger für die Zeit nach Wirksamwerden der Kündigung keine Vergütung mehr fordern kann.
Die Auffassung des Berufungsrichter, aus Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen lasse für die Zeit nach Zugang der Kündigung ein Vergütungs- oder Schadensersatzanspruch des Klägers nicht herzuleiten, ist jedenfalls im Ergebnis richtig. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Bestimmung den Fall einer Kündigung aus wichtigem Grund überhaupt trifft. Auch braucht nicht entschieden zu werden, ob sie gemäß § 9 AGBG unwirksam ist, wie der Berufungsrichter annimmt. Beträfe sie den vorliegenden Fall, daß der Dienstberechtigte den Internatsvertrag aus einem wichtigen Grund kündigt, den er nicht zu vertreten hat, so wäre sie wegen Verstoßes gegen § 626 BGB unwirksam. Nach allgemeiner Auffassung ist das Kündigungsrecht aus § 626 BGB unabdingbar; es kann vertraglich weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Es wäre aber eine unzulässige Beschränkung dieses Rechts, wenn der Vertrag den Dienstberechtigten verpflichtete, auch bei einer von ihm nicht zu vertretenden Kündigung die vereinbarte Vergütung weiterzuzahlen. Dabei spielt es keine Rolle, ob eine solche Forderung rechtlich als Erfüllungs- oder als Schadensersatzanspruch ausgestaltet wird (vgl. MünchKomm/Schwerdtner, § 626 BGB Rnr. 52; Staudinger/Neumann, § 626 BGB Rnr. 14).
Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten aus § 628 Abs. 2 BGB besteht nicht, wie der Berufungsrichter zutreffend dargelegt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2992739 |
NJW 1984, 2091 |
JZ 1984, 1046 |
MDR 1985, 51 |