Leitsatz (amtlich)
Zur Kündigungsmöglichkeit von formularmäßig abgeschlossenen Internatsverträgen.
Normenkette
BGB §§ 620-621, 626-627; AGBG §§ 9, 11 Nr. 12a, § 6 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 23.05.1984) |
LG Hannover |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle von 23. Mai 1984 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin betreibt in Nordrhein-Westfalen ein Internat; sie ist Trägerin unter anderem einer Hauptschule, die als staatliche Ersatzschule anerkannt ist.
Am 6. August 1982 schloß die Klägerin mit den Beklagten als Eltern des damals 15 Jahre alten Torsten einen formularmäßigen Schul- und Internatsvertrag. Torsten sollte mit Unterrichtsbeginn, am 30. August 1982, in die 9. Klasse der differenzierten Hauptschule aufgenommen werden. Als Internatskosten sollten jährlich 13.020 DM, zahlbar in monatlichen Beträgen von 1.085 DM, entrichtet werden.
Die Vertragsbedingungen bestimmen, daß der Vertrag bis zum Schulabschluß gilt und mit einer Frist von acht Wochen jährlich zum Schuljahresende, das ist der 31. Juli, durch eingeschriebenen Brief gekündigt werden kann. Nach Nr. 8 der Vertragsbedingungen ist eine Kündigung der Internatsvereinbarung unter Aufrechterhaltung des allgemeinen Schulvertrages ausgeschlossen. Auch dann, wenn der Schüler aus Gründen, die das Internat nicht zu vertreten hat, vorzeitig abgemeldet bzw. vom Internat genommen wird, sind die Internatskosten bis zum Ende des laufenden Schuljahres weiter zu zahlen; sie ermäßigen sich aber, beginnend mit dem Monat, der dem „Ausscheidungsmonat” folgt, um 1/10.
Torsten war nach dem 30. August 1982 eine Woche lang im Internat. Nach seinem ersten Wochenendaufenthalt bei den Beklagten kehrten diese mit ihm zurück und erklärten dem Heimleiter in einem Gespräch, sie wollten ihren Sohn aus dem Internat nehmen. Das geschah. Mit Schreiben vom 10. September 1982 wies die Klägerin die Beklagten auf den Ausschluß des Kündigungsrechts und die Zahlungspflicht bis zum Schuljahresende hin und regte an, den am 6. September 1982 gefaßten Entschluß noch einmal zu überdenken. Die Beklagten reagierten darauf nicht.
Die Klägerin fordert die Zahlung des Jahresbetrages der Internatskosten unter Vornahme eines Abschlags von 1/10 ab Oktober 1982.
Das Landgericht verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 11.640 DM nebst – jeweils nach Eintritt des Verzuges gestaffelten – Zinsen. Mit ihrer Berufung griffen die Beklagten dieses Urteil nur insoweit an, als sie zur Zahlung eines Betrages verurteilt wurden, der die für das erste Halbjahr verlangte Summe von 5.781 DM abzüglich eines nach ihrer Behauptung gezahlten Betrages von 300 DM überschreitet. Das Oberlandesgericht wies die Klage in Höhe des Betrages von 5.859 DM, der den um 1/10 ermäßigten Internatskosten für das 2. Schulhalbjahr entspricht, sowie in Höhe eines weiteren Betrages von 300 DM ab. Es ließ die Revision unter Beschränkung auf die Klageabweisung in Höhe von 5.859 DM zu. Die Klägerin möchte mit ihrer im Umfang der Zulassung eingelegten Revision die weitere Verurteilung der Beklagten erreichen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Beschränkung der Revision ist zulässig, weil sie sich auf einen tatsächlich und rechtlich abtrennbaren Teil des Klageanspruchs bezieht, der auch Gegenstand eines Teilurteils sein könnte (vgl. dazu BGHZ 53, 152, 155; BGH, Urt. v. 10. Januar 1979 – IV ZR 76/78 = NJW 1979, 767).
II.
Das Berufungsgericht unterstellt die Behauptung der Klägerin, daß der Sohn der Beklagten nicht internatstauglich gewesen sei und er es ohne durch die Klägerin zu vertretende Gründe abgelehnt habe, im Internat zu bleiben. Das Berufungsgericht meint, es sei zwar nicht zu beanstanden, daß die Klägerin in dem formularmäßigen Internatsvertrag das Risiko der Internatsfähigkeit des Kindes auf ihren Vertragspartner abgewälzt habe. Dieser müsse das Risiko allerdings infolge der Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts auf das Ende eines Schuljahres im Vergleich zur Regelung des dispositiven Rechts übermäßig lange tragen. Bei deren Maßgeblichkeit könne der von den Parteien geschlossene Vertrag gemäß § 621 Nr. 3 BGB am 15. eines jeden Kalendermonats zum Schluß des Monats gekündigt werden, so daß die Internatskosten längstens für die Dauer von 1 1/2 Monaten nach einer ohne wichtigen Grund erfolgten Herausnahme des Kindes aus dem Internat weiter zu entrichten seien. Die Beklagten wären dann nur zur Zahlung von 2.000 DM verpflichtet gewesen, während die Klägerin unter Berufung auf ihre Vertragsbedingungen fast 10.000 DM mehr verlange. Die finanziellen Belastungen, die den Vertragspartnern der Klägerin durch diese Abweichung von dem dispositiven Recht auferlegt würden, ständen in Fällen, in denen Eltern ihr Kind persönlich nicht betreuen könnten, faktisch der Herausnahme des Kindes aus dem Internat während eines laufenden Schuljahres entgegen, auch wenn der Schüler dort unglücklich sei und in seiner Entwicklung davon betroffen werde. Es liege damit eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Interessen der Vertragspartner der Klägerin vor, die diesen im Rahmen der Inhaltskontrolle gemäß § 9 AGBG nur dann zugemutet werden könne, wenn sich gewichtige Gründe dafür finden ließen, die Interessen des Internats an der Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit höher zu bewerten. Der Berufungsrichter führt aus, die Klägerin wisse, daß er nicht in der Lage sei, solche Interessen festzustellen. Er halte es vielmehr mit den Belangen der Klägerin für vereinbar, die Kündigung zum Ende eines jeden Schulhalbjahres zuzulassen, was auch von anderen Internaten vereinbart werde. Gleichwohl habe die Klägerin die Notwendigkeit des Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts für ein ganzes Schuljahr nicht ausdrücklich gerechtfertigt. Unter diesen Umständen trage sie dafür die Darlegungs- und Beweislast, auch wenn in Fällen des § 9 Abs. 1 AGBG der Vertragspartner des Verwenders grundsätzlich das Vorliegen einer Treu und Glauben widersprechenden, unangemessenen Benachteiligung darlegen und beweisen müsse. Daraus, daß die Klägerin es unterlassen habe, ihr Interesse an der Ausgestaltung ihrer Allgemeinen Vertragsbedingungen darzulegen, müsse geschlossen werden, daß sie dazu nicht in der Lage sei. Schon daraus folge, daß die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf das Ende des Schuljahres in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam sei. Hilfsweise legt der Berufungsrichter dar, aus pädagogischen Gründen sei eine Kündigung des Schul- und Internatsvertrages zum Schulhalbjahr ebenso möglich wie zum Schuljahresende; auch jenes schließe mit der Erteilung von Zeugnissen eine Unterrichtseinheit ab. Auch wirtschaftliche Interessen der Klägerin rechtfertigten es nicht, längere Zeiteinheiten für die Kündigung vorzusehen. Das Ausscheiden von Schülern im Verlaufe eines Schuljahres verändere nicht die Grundlagen der Kalkulation der Schulkosten. Als staatlich anerkannte Ersatzschule erhalte die Klägerin die Kosten für die Lehrkräfte im wesentlichen vom Land ersetzt. Maßgebend sei dafür die Zahl der bei Schuljahresbeginn angemeldeten Schüler. Für die übrige Kostenkalkulation ließen sich – soweit sie nicht ohnehin längerfristig erfolgen müsse – Erfahrungssätze über die Zahl der zum Ende eines Schulhalbjahres ausscheidenden Kinder gewinnen.
III.
Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis den Angriffen der Revision stand. Die Beklagten sind nach der Kündigung des mit der Klägerin geschlossenen Vertrages nicht dazu verpflichtet, die Heimkosten für das zweite Halbjahr des Schuljahres 1982/1983 zu zahlen.
1. Es ist zutreffend und wird auch von der Revision nicht angegriffen, daß das Berufungsgericht den Internatsschulvertrag rechtlich als Dienstvertrag behandelt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 16. Januar 1984 – II ZR 100/83 = FamRZ 1984, 868 = NJW 1984, 2093; Senatsurteil vom 24. Mai 1984 – IX ZR 149/83 = NJW 1984, 2091).
2. Der Revision ist zuzustimmen, daß die Beklagten den Vertrag nicht gemäß § 627 BGB kündigen konnten. Das Berufungsgericht erwägt dies in seinen Entscheidungsgründen auch nicht. Eine außerordentliche Kündigung ist nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn der Verpflichtete nicht in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen steht. Nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats (BGHZ 47, 303, 307), die von dem Senat nach Prüfung der abweichenden Auffassungen von Dörner (NJW 1979, 241, 245/246) und Heinbuch (MDR 1980, 980, 983; NJW 1984, 1532, 1533) fortgeführt wird (BGHZ 90, 280, 282), kann ein dauerndes Dienstverhältnis bereits durch einen auf ein Jahr abgeschlossenen Vertrag begründet werden, wenn es sich um die Verpflichtung für ständige und langfristige Aufgaben handelt und beide Vertragsteile von der Möglichkeit und Zweckmäßigkeit einer Verlängerung ausgehen. Das ist hier der Fall. Der Vertrag sollte bis zum Schulabschluß des in die 9. Klasse der Hauptschule aufgenommenen Sohnes der Beklagten gelten.
3. Der für die Revisionsinstanz maßgebliche Sachverhalt berechtigt die Beklagten auch nicht zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 BGB. Die Umstände, die nach der Unterstellung des Berufungsgerichts maßgebend dafür waren, daß der Sohn der Beklagten Internat und Schule verließ, sind kein wichtiger Grund zur vorzeitigen Vertragskündigung. Zutreffend wertet das Berufungsgericht Umstände nicht als wichtigen Kündigungsgrund, die im Rahmen des dem Kündigenden vertraglich zufallenden Risikos liegen (BGHZ 24, 91, 95). Es ist auch richtig, daß das Berufungsgericht dazu die Internatsfähigkeit eines Schülers zählt. Bereits in seiner Entscheidung vom 24. Mai 1984 aaO hat der Senat darauf hingewiesen, daß beim Internatsvertrag die Fehleinschätzungen der Fähigkeit und der Bereitschaft des Schülers, die Trennung vom Elternhaus zu bewältigen und sich in die Internatsgemeinschaft einzufügen, zu dem Verantwortungsbereich der Eltern gehören.
4. Es besteht aber im ersten Jahr der Vertragszeit ein Recht der Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Schul- und Internatsvertrages, das nicht erst zum Ende des Schuljahres ausgeübt werden kann. Die in den vorformulierten Vertragsbedingungen der Klägerin vorgesehene generelle Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf das Schuljahresende ist unwirksam, weil sie gemäß § 9 AGBG eine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner darstellt.
a) An dieser Generalklausel des § 9 AGBG kann die Laufzeitregelung des von den Parteien geschlossenen Dienstvertrages gemessen werden, obgleich das Klausel verbot des § 11 Nr. 12 a AGBG nur eine den Vertragspartner des Verwenders länger als 2 Jahre bindende Laufzeit für unwirksam erklärt (allg. Meinung, vgl. Senat in BGHZ 90, 280, 283/284). Die Revision greift das auch nicht an.
b) Der rechtliche Ansatz, mit dem das Berufungsgericht eine Benachteiligung der Beklagten im Sinne des § 9 AGBG prüft, ist zutreffend. Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob ein Rechtsnachteil (vgl. § 8 AGBG) zu Lasten des Vertragspartners des Klausel Verwenders vorliegt, sind die geschriebenen und ungeschriebenen Normen des Vertragsrechts, von denen die Formularbedingungen abweichen (BGH, Urt. v. 6. November 1981 – I ZR 178/79 = NJW 1982, 765; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher AGBG § 9 Rdn. 50). Soweit es an solchen Normen fehlt, muß der Beurteilungsmaßstab der Natur des betreffenden Schuldverhältnisses entnommen werden (Dietlein/Rebmann AGBG aktuell § 9 Rdn. 8). Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht zur Feststellung einer Benachteiligung der Beklagten klärt, wie ihr Kündigungsrecht ohne Geltung der vorformulierten Vertragsbedingungen der Klägerin zu lösen wäre, und wenn es dieser Position die den Beklagten durch die Vertragsbedingungen eingeräumte Stellung gegenüberstellt (vgl. dazu auch Graba in Schlosser/Coester-Waltjen/Graba AGBG § 9 Rdn. 46).
c) Unzutreffend ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Beklagten den Schul- und Internatsvertrag bei Maßgeblichkeit des dispositiven Rechts gemäß § 621 Nr. 3 BGB monatlich kündigen könnten.
aa) § 621 BGB ist gemäß § 620 Abs. 2 BGB nur auf Dienstverhältnisse anzuwenden, deren Dauer weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste zu entnehmen ist. Die Parteien haben hier wirksam einen Dienstvertrag mit bestimmter Dauer geschlossen. Er sollte bis zum Schulabschluß des Sohnes der Beklagten gelten. Eine solche Vertragsdauer entsprach dem Zweck des Vertrages und auch den Interessen der Beklagten. Die Klägerin sagte damit zu, den in die 9. Klasse der Hauptschule aufgenommenen, noch schulpflichtigen (vgl. § 5 des Gesetzes zur Schulpflicht im Lande Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Februar 1980 – GV NW S. 164) Sohn der Beklagten bis zum Hauptschulabschluß, der gemäß § 31 der Allgemeinen Schulordnung vom 8. November 1978 (GV NW S. 552) mit dem erfolgreichen Abschluß der 9. Klasse erreicht wird, auszubilden. Gemäß § 37 Abs. 5 des Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952 (GV NW S. 61) steht der Schulabschluß an einer genehmigten Ersatzschule dem an einer öffentlichen Schule erlangten Schulabschluß gleich. Gemäß § 6 Abs. 5 SchulpflichtG konnte die Schulpflicht durch Besuch der von der Klägerin betriebenen Ersatzschule erfüllt werden.
Das bürgerliche Recht setzt mit den §§ 620, 624 BGB die rechtliche Wirksamkeit eines auch auf mehrere Jahre abgeschlossenen oder durch den Eintritt eines bestimmten Ereignisses befristeten Dienstverhältnisses voraus. Selbst wenn ein seinem Sinn und Zweck nach für eine bestimmte Zeit abgeschlossener Dienstvertrag eine für den Vertragspartner des Verwenders unangemessene Laufzeit haben sollte, handelt es sich doch um einen Vertrag auf bestimmte Dauer im Sinne des § 620 BGB, für den § 621 BGB nicht gilt (vgl. auch Heinbuch NJW 1984, 1532, 1533).
bb) Allerdings kann sich aus der Natur des von den Parteien abgeschlossenen Dienstverhältnisses ergeben, daß seine besondere Eigenart und die Interessenlage es gemäß §§ 242, 157 BGB gebieten, dem Vertragspartner des Schul- und Internatsträgers ein nicht an das Vorliegen bestimmter Gründe geknüpftes Recht zur ordentlichen Kündigung des für eine bestimmte Zeit geschlossenen Vertrages einzuräumen. Auch das Gesetz geht in § 624 BGB davon aus, daß es nach der Interessenlage geboten sein kann, trotz rechtsgeschäftlich festgelegter Vertragsdauer ein ordentliches Kündigungsrecht zu gewähren. Von dem Erfordernis eines solchen Rechts geht auch die Klägerin mit ihren vorformulierten Vertragsbedingungen aus. Es wird auch von anderen Internats- und Schulträgern zugestanden und ist damit allgemein üblich und gehört zum Wesen des Vertrages.
cc) Zu klären bleibt, ob die Natur dieses besonderen Schuldverhältnisses auch die Festlegung bestimmter, angemessener Zeitpunkte für die Ausübung eines ordentlichen Kündigungrechts erfordert oder zuläßt.
Dazu kann für den Schul- und Internatsvertrag aus den auch hier zutreffenden Gründen der Entscheidung des Senats in BGHZ 90, 280 nicht auf die Regelung des § 5 des Gesetzes zum Schutze der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG) vom 24. August 1976 (BGBl. I 2525) und die §§ 13, 15 des Berufsausbildungsgesetzes vom 14. August 1969 (BGBl. I 1112) zurückgegriffen werden.
Die Frage kann nur im Rahmen einer Vertragsauslegung entschieden werden. Es ist dabei zu fragen, ob bei Schul- und Internatsverträgen, die bis zur Erreichung eines bestimmten Schulziels abgeschlossen sind, nach der Interessenlage die Festlegung bestimmter Kündigungszeitpunkte zur Herstellung einer ausgewogenen, interessengerechten Vertragsregelung geboten ist.
Die Natur des Schul- und Internatsvertrages wird dadurch geprägt, daß Kinder oder gerade volljährig gewordene Schüler zu erziehen, betreuen und unterrichten sind. Dies erfordert auf Seiten der Schüler die Bereitschaft zur Einordnung und Mitarbeit. Fehlen oder entfallen diese Voraussetzungen, wird ein Interesse an der Lösung vom Vertrag bestehen. Andererseits setzt die Verwirklichung eines bestimmten, vom Internatsträger vertretenen pädagogischen Konzepts oder von ihm verfolgter Erziehungsziele eine längerfristige Ausbildung und Erziehung voraus, zu deren Ziel auch die Überwindung von Kontakt- oder Einordnungsschwierigkeiten gehören mag. Ein Internats- und Schulträger kann die zur Verwirklichung seiner pädagogischen Ziele erforderlichen räumlichen Anlagen und sachlichen Mittel auch nur anbieten sowie die entsprechend qualifizierten Betreuer und Lehrer nur einstellen, wenn er für einen hinreichend langen Zeitraum davon ausgehen kann, daß die Grundlagen seiner Kalkulation bestehen bleiben.
Es muß daher grundsätzlich den Schul- und Internatsträger überlassen bleiben, die Zeiträume der Bindung seiner Schüler und ihrer Eltern an bestimmte Unterrichtseinheiten festzulegen. Dafür können im Einzelfall nicht nur pädagogische Ziele und die finanziellen Möglichkeiten maßgebend sein, sondern auch der Umstand, wie weit etwa der Schul- und Internatsträger nach seiner Organisation, geografischen Lage und seinem Ansehen Anträge auf Aufnahme von Schülern auch während eines laufenden Schuljahres entgegennimmt und erhalten kann.
Es gibt nach allem grundsätzlich keine einheitliche Interessenlage, die die Feststellung erlaubt, daß vertragstypischer, ausgewogener Inhalt eines Schul- und Internatsvertrags ein nicht erst zum Schuljahresende ausübbares ordentliches Kündigungsrecht ist.
Anders ist dies jedoch für das erste Schuljahr, das ein Kind nach seiner Aufnahme in einem Internat zu verbringen hat. In dieser Phase der Umstellung des Schülers auf ganz neue Lebensumstände außerhalb des Elternhauses und des Erlebens eines Schulwechsels kann deutlich werden, daß ein Kind die neuen Anforderungen nicht bewältigen kann. Es erweist sich damit als nicht internatsfähig.
Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Internatsvertrages gemäß § 626 BGB besteht bei dieser Situation – wie oben dargelegt – nicht. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die zwar zum Risikobereich der Eltern gehörende Fehleinschätzung der Internatseignung ihres Kindes in der Regel nicht auf mangelnder elterlicher Sorgfalt beruht. Die Eigenschaften und Fähigkeiten eines Kindes kennt im allgemeinen niemand besser als die Eitern. Sie streben normalerweise auch danach, die Lebensverhältnisse des Kindes so zu gestalten, wie sie für seine Entwicklung am besten sind. Es ist aber Eltern nicht immer möglich, die Persönlichkeit des Kindes so zu kennen, daß sie dessen Anpassungsfähigkeit an künftige, neue Lebensbedingungen sicher beurteilen können. Diese mit Unsicherheiten behaftete Prognose ist bei jedem Abschluß eines Schul- und Internatsvertrages anzustellen. Sein Vertragsinhalt ist nur ausgewogen, wenn dieses besondere Risiko berücksichtigt ist. Das kann durch Vereinbarung einer angemessenen Probezeit geschehen. Fehlt eine solche vertragliche Regelung, so ist gemäß §§ 157, 242 BGB im Wege ergänzender Vertragsgestaltung im ersten Jahr der Vertragsbindung ein zusätzliches ordentliches Kündigungsrecht der Vertragspartner des Schul- und Internatsvertrages zuzulassen, das nach einem Zeitraum zu ermöglichen ist, der lang genug ist, um verfrühtes Resignieren des Kindes und voreiliges elterliches Nachgeben zu verhindern.
Das Schulhalbjahr ist eine Unterrichtseinheit, die sich als Zeitpunkt für die Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung seitens der Eltern anbietet. Die Unterteilung des Schuljahres in Semester ist in den für die Klägerin maßgeblichen Schulgesetzen des Landes Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Nach Abschluß des ersten Halbjahres wird ein Zeugnis erteilt (vgl. z. B. § 2 der Verordnung über die Abschlüsse und die Versetzung in der Sekundarstufe I (AVO-SI) vom 19. Juli 1984 (GV NW S. 412). Es ist vorgesehen, daß gewisse Lernbereiche nur im Halbjahresunterricht unterrichtet werden (vgl. z. B. § 3 AVO-SI). Nach dem Schulhalbjahr kann auch der Stundenplan wechseln. Auch dem Klassenverband kann zu diesem Zeitpunkt die mit einem Ausscheiden und eventuellen Neueintritt von Schülern verbundene Unruhe zugemutet werden.
d) Von dieser nach Inhalt und Wesen eines Schul- und Internatsvertrages angemessenen Regelung weichen die Vertragsbedingungen der Klägerin erheblich ab, weil sie weder eine Probezeit noch ein zusätzliches ordentliches Kündigungsrecht im ersten Jahr der Vertragsbindung gewähren. Dies benachteiligt im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG Eltern und Schüler unangemessen. Die Klägerin setzt damit einseitig für sich eine ungerechtfertigte Bevorzugung durch.
Auch nach Abwägung der Interessen, die die Klägerin an einem Kündigungsrecht nur zum Ende des Schuljahres haben kann, stellt sich dessen Festlegung durch vorformulierte Vertragsbedingungen als Verstoß gegen die aus Treu und Glauben fließende Verpflichtung zur Rücksichtnahme gegenüber dem Vertragspartner dar.
aa) Diese Interessenabwägung hat entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch dann zu erfolgen, wenn der Verwender seine Interessen an der von ihm gewählten Vertragsgestaltung nicht im einzelnen vorträgt. Die Würdigung der Interessen jeder der Vertragsparteien muß zur Entscheidung des unbestimmten Rechtsbegriffes der unangemessenen Benachteiligung vorgenommen werden. Das Gericht hat dabei, auch wenn eine Partei konkrete Interessen nicht vorträgt, aus dem offenkundigen und unstreitigen Sachverhalt Feststellungen darüber zu treffen, welche als schutzwürdig anzuerkennenden Interessen auf jeder der beiden Seiten vorliegen. Sodann hat das Gericht zu entscheiden, ob auf einer Seite Interessen überwiegen. Es hat die Bewertung der beiderseitigen Interessen abzuschätzen (Hubmann ACP 1956, 85, 88). Gemäß § 9 AGBG zu berücksichtigende Interessen lassen sich aus offenkundigem und unstreitigem Sachverhalt regelmäßig finden. Es wird daher kaum notwendig, im Rahmen des § 9 Abs. 1 AGBG eine Entscheidung auf die Darlegungs- und Beweislast zu stützen (Graba aaO Rdn. 60). Das Berufungsgericht hatte somit – wie es dies auch mit der Hilfsbegründung getan hat – die typische Interessenlage beider Parteien festzustellen und sie sodann zu bewerten.
Die Tatsachen, die das Berufungsgericht für die Bewertung der beiderseitigen Interessen berücksichtigt, greift die Revision nicht an. Die Feststellung, ob dieser Sachverhalt Interessen begründet und deren Abwägung kann der Senat selbst vornehmen.
bb) Pädagogische Ziele und die Sicherung einer Kalkulationsgrundlage können zwar grundsätzlich die Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts auf das jeweilige Schuljahresende rechtfertigen. Die aufgezeigten besonderen Interessen von Eltern und Schülern an einer Lösungsmöglichkeit im ersten Jahr der Vertragsbindung erfordern es aber, daß der Schul- und Internatsträger für diese Zeit die Zurücksetzung seiner Belange hinnimmt. Diese Rücksichtnahme ist ihm zumutbar. Er bietet in der Regel wirksame Ausbildung und Erziehung auch für solche Kinder an, mit deren bisheriger persönlicher oder schulischer Entwicklung die Eltern nicht zufrieden sind. Die Beurteilung der Internatseignung von Kindern, bei denen bereits Probleme auf getreten sind, kann aber besonders unsicher sein. Mit der Erhaltung seiner Kalkulationsgrundlagen kann der Internatsträger es daher nicht rechtfertigen, daß er es den Eltern zumutet, diese vertragstypischen, erheblichen Risiken allein zu tragen. Er kennt die mit dem Eintritt von Kindern in Internatserziehung auftretenden Eingewöhnungsschwierigkeiten und die Gefahr nicht überwindbarer Internatsunfähigkeit aus vielen Fällen besser als die jeweiligen Eltern. Es ist ihm daher zuzumuten, aufgrund seiner Erfahrungen die Zahl der Kinder annähernd zu schätzen, deren Internatsfähigkeit von den Eltern falsch beurteilt wird und die daher die Umstellung nicht bewältigen. Dies muß er von vornherein bei seiner Kalkulation berücksichtigen.
Die Fallgestaltung bei einem Schul- und Internatsvertrag unterscheidet sich insoweit grundlegend von der eines Direktschulvertrages, den Volljährige für sich selbst abschließen und der nicht mit einem vollkommenen Wechsel auch des privaten Lebenskreises verbunden ist. Die Interessenlage des vorliegenden Falles wird daher durch andere Gesichtspunkte geprägt als die Umstände, deren Würdigung in der Entscheidung des Senats in BGHZ 90, 280, 285 f maßgebend für die Wirksamkeit einer einjährigen Bindung an einen Direktschulvertrag war.
Die von der Klägerin in ihren vorformulierten Vertragsbedingungen vorgesehene Kündigungsregelung für den bis zum Schulabschluß abgeschlossenen Schul- und Internatsvertrag ist nach allem gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam, weil die Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung auf das Schuljahresende auch für das erste Jahr der Vertragsbindung unangemessen ist.
Der Senat weicht damit nicht von der Wertung des VI. Zivilsenats in dem den Parteien bekannten Urteil vom 21. Februar 1984 – VI ZR 185/82 – ab. Der VI. Zivilsenat hat den Ausschluß des Kündigungsrechts während eines laufenden Schuljahres „jedenfalls” dann nicht beanstandet, wenn – was dort nur zu entscheiden war – ein solcher Vertrag nicht im ersten Jahr gekündigt wird.
e) An die Stelle der unwirksamen Kündigungsregelung treten gemäß § 6 Abs. 2 AGBG die gesetzlichen Vorschriften. Eine ausdrückliche Regelung des dispositiven Rechts fehlt dafür allerdings. § 621 BGB ist – wie dargestellt – nicht anwendbar. Ein ordentliches Kündigungsrecht während der Vertragslaufzeit ist im Gesetz nicht vorgesehen, sondern folgt aus dem Wesen des Vertrages. In einem solchen Fall ist die sich aus dem allgemeinen Grundsatz der Vertragsauslegung ergebende Rechtslage die gemäß § 6 Abs. 2 AGBG anwendbare (vgl. auch BGH, Urt. v. 18. Mai 1982 – KZR 14/81 = BB 1983, 662, 663; BGHZ 90, 69, 75 f); Palandt/Heinrichs BGB 44. Aufl. § 6 AGBG Bem. 3; MünchKomm/Kötz BGB 2. Aufl. § 6 AGBG Rdn. 17, Lindacher in Wolf/Horn/Lindacher AGBG § 6 Rdn. 6, 7). Die unwirksame Kündigungsregelung ist daher durch die Rechtslage zu ersetzen, die aufgrund der Vertragsauslegung zu gelten hat. Diese führt – wie dargestellt – zur Annahme eines Kündigungsrechts zum Ende des ersten in der Vertragszeit liegenden Schulhalbjahres und läßt im übrigen die Festlegung großzügiger Kündigungsmöglichkeiten als zum Schuljahresabschluß nicht zu, weil insoweit eine einheitliche, vertragstypische Interessenlage fehlt.
5. Die Beklagten haben das ihnen zum Ende des Schulhalbjahres 1982/1983 zustehende Kündigungsrecht wirksam ausgeübt.
Das Berufungsgericht stellt dazu fest, daß die Beklagten den Vertrag am 6. September 1982 gekündigt haben, als sie dem Heimleiter erklärten, ihr Sohn werde nicht in das Internat zurückkehren. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, daß jener nicht berechtigt gewesen sei, sie zu vertreten, und daß eine Kündigung nicht durch eingeschriebenen Brief erfolgt sei. Nach dem Schreiben des Verwaltungsdirektors der Klägerin vom 10. September 1982 hätten die Beklagten davon ausgehen können, daß die Klägerin nicht auf einer förmlichen Kündigung bestehe.
Die Revision greift dies nicht an. Rechtsfehler enthält diese von § 242 BGB gerechtfertigte Begründung nicht. Soweit die Vertragsbedingungen der Klägerin den Zugang der schriftlichen Kündigung durch eingeschriebenen Brief vorsehen, sind sie ohnehin gemäß § 11 Nr. 16 AGBG unwirksam.
Die Revision der Klägerin ist nach allem mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Merz, Zorn, Gärtner, Winter, Graßhof
Fundstellen
NJW 1985, 2585 |
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