Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 23.07.1997; Aktenzeichen 17 U 42/92) |
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.01.1992; Aktenzeichen 2/19 O 146/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Entschädigung des Klägers in Höhe von 117.000 DM nebst Zinsen aus einer von ihm seit 1. Juni 1975 bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung. Der Versicherung liegen die aufsichtsrechtlich genehmigten Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen aus dem Jahre 1961 zugrunde. Der Kläger, Chirurg und Unfallarzt, verlor am 11. April 1990 bei einem Sägevorgang seinen linken Zeigefinger. In seiner Unfallschadensanzeige an die Beklagte vom 26. April 1990 schilderte er den Unfallhergang folgendermaßen:
"Beim Holzsägen mit einer elektrischen Säge mit einem Brett abgerutscht. Dabei geriet die linke Hand in die Säge."
Dem von Versichererseite mit der Prüfung, ob der Kläger sich seine Verletzung selbst beigebracht habe oder ob ein Unfallereignis vorliege, beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. B. schilderte der Kläger am 11. Juni 1990 bei einer Ortsbesichtigung auf seinem Wochenendgrundstück, wo sich der Vorfall ereignet hatte, den Hergang, wie in einem vom Kläger genehmigten Protokoll festgehalten, folgendermaßen:
"Ich habe Holz von einem Obstbaum geschnitten. Die Stücke waren teilweise knorrig und nicht gerade, sie wiesen zum Teil abgesägte Astenden auf. Ich habe zunächst ein längeres gebogenes Rundholzstück mit abgesägten Astenden in beiden Händen gehalten und zwar so, daß beide Daumen zu mir zeigten, während die vier Langfinger von meinem Körper weggerichtet waren. Ich habe dann das Rundholz zur Säge geführt. Das Sägeblatt befand sich zwischen den Händen. Immer wenn ein Teil des Holzes abgesägt war, habe ich das längere Ende von links nach rechts seitlich nachgezogen und den Vorgang wiederholt. Ich hatte etwa ein bis eineinhalb Stunden gesägt, als folgendes passierte: Durch die Krümmung des Holzstammes war dieser nicht ganz durchgesägt. Gleichzeitig hat sich der Stamm wegen einer Astgabel auf dem Sägetisch verhakt. Ich schaute nach links und habe gleichzeitig den Stamm mit beiden Händen von mir weggedreht. Bei dem Versuch, das an den Astenden am Tisch verhakte Holz zu mobilisieren und den Stamm gleichzeitig von mir wegzudrehen, geriet ich mit dem linken Zeigefinger in das Sägeblatt. Begünstigt wurde das plötzliche Drehen des Stammes
a) durch die Krümmung des Stammes,
b) als die Zähne des Sägeblattes das Holz faßten, wurde der Stamm plötzlich zum Sägeblatt hineingezogen."
Aufgrund dieser Schilderung stellte der Sachverständige fest, daß sich die Angaben des Klägers mit dem Verletzungsbefund in Einklang bringen ließen und unter dieser Voraussetzung mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit ein unfreiwilliges Schadensereignis im Sinne eines Unfalles anzunehmen sei.
In einer erbetenen ergänzenden Stellungnahme hielt er fest, daß der Verlust des linken Zeigefingers als Folge des Zersägens eines Brettes "weder von den äußeren Bedingungen noch von den morphologischen Befunden als Verletzung nachzuvollziehen" sei.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte es ab, die begehrte Invaliditätsentschädigung zu zahlen.
Die daraufhin erhobene Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Die dagegen eingelegte Berufung führte zur beantragten Verurteilung der Beklagten. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Mit Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe das schon in erster Instanz geltend gemachte und im Berufungsverfahren ausdrücklich wiederholte Vorbringen der Beklagten übergangen, der Kläger habe sich zumindest der Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit schuldig gemacht, was zur Leistungsfreiheit der Beklagten führen müsse. Dafür hatte sich die Beklagte - zulässigerweise, siehe z.B. BGHZ 19, 387, 390 f. - das Klagevorbringen hilfsweise zu eigen gemacht, die sogenannte Rundholzversion entspreche der Wahrheit.
War diese Version richtig, dann hat der Kläger der Beklagten in der von ihr erbetenen Schadensanzeige, die sie zur Prüfung ihrer Leistungspflicht benötigte, die Unwahrheit geschrieben. Gemäß § 6 Abs. 3 VVG trifft in diesem Fall den Kläger die Beweislast dafür, daß er die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat.
Hierauf ist das Berufungsgericht bislang nicht eingegangen. Dies macht die Zurückverweisung der Sache zur weiteren Beweiswürdigung erforderlich. Bei ihr wird zu berücksichtigen sein, wie karg die erste und wie überaus detailreich die Wochen später dem Sachverständigen gegebene Hergangsschilderung ausgefallen sind und ebenso, daß zunächst von Ästen und Stämmen keine Rede war, nach der späteren Schilderung jedoch überhaupt keine Bretter geschnitten worden sein sollen, sondern ein bis anderthalb Stunden lang nur Holz von einem Obstbaum. Gerade dieser Umstand spricht gegen einen Irrtum des Klägers bei der ersten Schilderung. Auch die weiteren Voraussetzungen einer Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 3 VVG bedürfen noch einer tatrichterlichen Prüfung.
Sollte sich im Fortgang des Verfahrens erneut die Frage stellen, ob der Kläger seinen linken Zeigefinger unfreiwillig verloren hat oder nicht, so wird das Berufungsgericht die hierzu erhobenen Rügen der Revision zu berücksichtigen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2993555 |
BGHR VVG § 6 Abs. 3 Obliegenheitsverletzung 4 |
NVersZ 1998, 31 |