Leitsatz (amtlich)

›Zur Frage, ob der Versicherer beweisen kann, daß der Versicherungsnehmer, der als Arzt mit besonderer Gliedertaxe bei einem unfreiwilligen Verlust eines Fingers infolge eines Unfalls Anspruch auf eine hohe Versicherungsleistung hätte, sich einen Zeigefinger mit einer Handkreissäge freiwillig abgetrennt hat (Beweis im Entscheidungsfall aufgrund der Umstände als geführt angesehen).‹

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 11 O 521/94)

 

Tatbestand

Der Kläger beansprucht Invaliditätsleistungen aus einer bei der Beklagten im Jahre 1986 abgeschlossenen Unfallversicherung (AUB GA 15 ff., Police GA 13/14). Die vereinbarte Invaliditätssumme belief sich ursprünglich auf 300.000 DM und hatte sich bis 1993 auf 353.000 DM erhöht (Nachtrag GA 70).

Die Gliedertaxe der AUB ist u.a. dahin modifiziert, daß bei Verlust eines Zeigefingers Ansprüche in Höhe von 60 % der Invaliditätssumme bestehen.

Am 30. April 1993 trennte sich der Kläger - von Geburt aus Linkshänder - mit einer Handkreissäge den Zeigefinger der linken Hand ab. Der Versuch, das Amputat zu replantieren, mißlang. Der Kläger befand sich damals als Assistenzarzt in der Facharztausbildung als Gynäkologe.

Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 21. März 1994 (GA 24) Versicherungsleistungen mit der Begründung, der Kläger habe die Verletzung nicht unfreiwillig erlitten.

Der Kläger hat behauptet, am Unfallabend habe er aus einem dachlattenähnlichen Brett - jedoch mit gerundeten Kanten (GA 369) - von etwa 50 cm Länge, einer Breite von 5 bis 6 cm und einer Stärke von etwa 2 cm, das seine Kinder am vorausgegangenen Wochenende (24./25. April) am Nordseestrand in H gefunden hätten, ein Schiffchen basteln wollen (GA 4). Es sei beabsichtigt gewesen, das Holzstück an beiden Enden abzuschrägen, in der Mitte ein Loch zu bohren, in das ein kleiner Stab gestellt und angeleimt habe werden sollen; ferner habe er vorgehabt, das Brett anzumalen (GA 108). Im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsrechtszug hat der Kläger dazu erläutert, er habe ein Kleiderbrettchen in Form eines Schiffchens für das Kinderzimmer fertigen wollen. Mit den Arbeiten habe er im Keller gegen 17.30 Uhr begonnen, als die Kinder noch bei Nachbarn (im Berufungsrechtszug GA 500: bei den Großeltern in K ) gewesen seien. Als Auflage habe er einen im Keller abgestellten Hängeschrank einer alten Kücheneinrichtung verwenden wollen. Er habe die Säge an die Steckdose des Nachbarkellers angeschlossen, weil ihm bekannt gewesen sei, daß im Moment der Inbetriebsetzung der Handsäge jedesmal die Sicherung herausgesprungen sei, wenn er die in seinem Werkraum befindliche Steckdose benutzt habe. Nachdem er den Stecker eingesteckt gehabt habe, sei er in den Werkraum zurückgegangen und habe aus dem dort befindlichen Regal die Handkreissäge und das Brett herausgenommen. Mit der rechten Hand habe er die Säge und mit der linken Hand das Werkstück ergriffen. Sodann habe er die Säge in Betrieb gesetzt (vgl. GA 5). Die Schutzhaube des Sägeblatts sei in zurückgeklappter Stellung fixiert gewesen. Mit laufender Säge in der rechten Hand und dem Holzstück in der linken Hand sei er auf die "Werkbank" (Hängeschrank) zugegangen. Dabei sei er über die Kante einer ca. 2 cm starken Hartfaserplatte gestolpert, die auf dem Kellerboden ca. 1 m von der Kellertür entfernt gelegen habe. Der Abstand von "Stolperkante" und "Werkbank" habe ca. 50 bis 70 cm betragen. Er habe versucht, das Stolpern abzufangen, indem er sich mit der linken Hand, in der sich noch das Holzstück befunden habe, auf dem Podest abzustützen versucht habe. Der dritte bis fünfte Finger und Daumen hätten das Brett umfaßt, während der Zeigefinger ausgestreckt auf der Oberseite des Brettes gelegen habe. In dieser Haltung sei er mit der linken Hand auf dem Podest aufgekommen (GA 357). Infolge des durch das Stolpern ausgelösten Schwungs habe sich auch die rechte Hand mit der Säge nach vorne bewegt. Dabei habe das Sägeblatt den Zeigefinger der linken Hand erfaßt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 211.800 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe sich die Verletzung absichtlich zugefügt. Gestützt auf ein von ihr vorgerichtlich eingeholtes Gutachten des Rechtsmediziners Prof. B (GA 26 ff.; Fotos GA 192 ff.; Protokoll GA 355 ff.) hat sie geltend gemacht, die isolierte Abtrennung des linken Zeigefingers ohne Mitverletzung sonstiger Finger sei mit einem unfreiwilligen, unfallmäßigen Geschehen unvereinbar. Dabei bleibe es trotz der abweichenden Einschätzungen durch Prof. K (GA 84/87), den Ausführungen des vom Oberlandesgericht Köln in einem Parallelprozeß (5 U 35/96) beauftragten Sachverständigen Prof. S (GA 208 ff.) - Stellungnahme von Prof. B dazu GA 232 ff. -, dem vom Kläger vorgelegten Gutachten Prof. E / Prof. B (GA 242 ff.) - Entgegnung von Prof. B dazu GA 262 ff. -, zumal das vom Landgericht eingeholte gerichtliche Gutachten des Sachverständigen Prof. S (GA 1...

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