Leitsatz (amtlich)

Zwar ist gemäß § 180a VVG a.F. die Unfreiwilligkeit einer Gesundheitsbeschädigung (hier: Amputation eines Unterschenkels sowie von je zwei Fingern sowohl der rechten als auch der linken Hand mittels einer Kreissäge) bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten. Das Gegenteil ist jedoch bewiesen, wenn feststeht, dass die mehrfach geänderte Unfallschilderung des Versicherten nicht zutreffen kann, weil sie in wesentlichen Punkten nicht mit der Realität oder mit objektiven ärztlichen Befunden über das Verletzungsbild in Einklang zu bringen ist.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Entscheidung vom 28.02.2011; Aktenzeichen 115 O 86/09)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.02.2011 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A. Der Kläger begehrt aufgrund eines von ihm behaupteten Unfallereignisses vom 12.12.2006 Leistungen aus einer bei dem Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung, der u.a. die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (L AUB 2005), die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel und einer erhöhten Mehrleistung ab 70 oder 90 Prozent Invalidität Progression Plus (BB Progression Plus 2005) sowie die Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer monatlichen Unfall-Rente ab 50 Prozent Invalidität (BB Unfall-Rente 2005) zugrunde liegen. Ausweislich des Versicherungsscheins beträgt die Invaliditätsgrundssumme 200.000,00 €, die monatliche Unfallrente im Leistungsfall 1.000,00 €.

Unstreitig hat der Kläger am 12.12.2006 eine traumatische Unterschenkelamputation links (und zwar am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel) sowie Teilamputationen von Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand sowie von kleinem und Ringfinger der linken Hand (jeweils etwa in Höhe der Mittelgelenke) erlitten. Der Kläger behauptet hierzu, er habe sich die Verletzungen im Zusammenhang mit einem Sturz von einer Leiter, in dessen Verlauf er in eine laufende Kreissäge geraten sei, zugezogen. Der Beklagte behauptet demgegenüber, der Kläger habe sich die in Rede stehenden Verletzungen freiwillig zugefügt, um in den Genuss der klageweise geltend gemachten Invaliditätsleistungen zu gelangen.

Wegen des Sach- und Streitstandes 1. Instanz wird gemäß § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Münster Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers und Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. med. T und Dipl.-Ing. F abgewiesen. Zwar liege nach dem äußeren Geschehen vom 12.12.2006 ein Unfall im Sinne des § 1 Ziff. 3 der dem Vertrag zugrunde liegenden L AUB 2005 vor. Der insoweit beweispflichtige Beklagte habe aber bewiesen, dass der Kläger sich die in Rede stehenden Verletzungen freiwillig im Sinne des § 180a VVG a.F. zugefügt habe.

Hierfür genüge, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen sei, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit bzw. ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen. Bei der Wertung sei zunächst die Unfalldarstellung des Verletzten darauf zu überprüfen, ob sie naturwissenschaftlich so möglich sei. In diesem Zusammenhang sei vorliegend auffällig, dass der Kläger seine Schilderung zum Unfallhergang im Verlauf des Prozesses modizifiert habe. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass insbesondere bei schweren Unfällen eine besondere physische und psychische Belastung des Verletzten bestehe und Ungereimtheiten allein deshalb noch nicht für eine Freiwilligkeit der Schädigung sprächen.

Ein unfreiwilliges Unfallereignis sei nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme allerdings zur Überzeugung des Landgerichts unmöglich. Die bei dem Kläger festgestellten Verletzungen habe dieser sich nicht durch einen Unfall entsprechend seiner ursprünglichen Unfalldarstellung, wie er sie gegenüber den Gutachtern des Beklagten abgegeben habe, zuziehen können. Denn bei der damals vorgegebenen Anordnung der Geräte und Leitern habe der Kläger nicht auf den Sägetisch stürzen können, sondern hätte zwingend in den Zwischenraum zwischen Sägetisch und Leitern fallen müssen. Aber auch unter Berücksichtigung der gegenüber den gerichtlich bestellten Sachverständigen vom Kläger abgegebenen Unfallschilderung sei ein unfreiwilliges Geschehen, das zu den in Rede stehenden Verletzungen geführt haben könnte, nicht nachvollziehbar. Zum einen sei diese mit den vorgefunden Bluts...

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