Leitsatz (amtlich)
Auch im Arzthaftungsprozeß beginnt die Verjährung, wenn mehrere Ersatzpflichtige ernsthaft in Betracht kommen, erst mit dem Zeitpunkt, in dem begründete Zweifel über die Person des Ersatzpflichtigen nicht mehr bestehen.
Normenkette
BGB § 852 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Aktenzeichen 5 U 41/97) |
LG Osnabrück (Aktenzeichen 4 O 428/95) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 16. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der 1972 geborene Kläger wurde am 11. Oktober 1975 wegen Atemnot von Dr. K. behandelt, der einen Nottracheotomie (Kehlkopfschnitt) vornahm. Noch am selben Tage wurde der Kläger in ein Krankenhaus in M. verlegt, wo eine weitere Tracheotomie durchgeführt wurde. In der Folgezeit trat beim Kläger eine Lähmung des linken Unterarms und der Hand ein. Der Kläger, vertreten durch den jetzt verklagten Rechtsanwalt, erhob 1983 eine Schadensersatzklage gegen den behandelnden Arzt und den Träger des Krankenhauses in M. Diese Klage wurde 1984 mit der Begründung abgewiesen, die Lähmung sei nicht im Krankenhaus M. verursacht worden. Nach Verhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer des Dr. K. verklagte der Kläger, wieder vertreten durch den Beklagten, jenen Arzt auf Schadensersatz. Diese Klage wurde 1995 wegen Verjährung abgewiesen.
Mit der vorliegenden, am 21. Dezember 1995 eingereichten und am 5. Januar 1996 zugestellten Klage verlangt der Kläger vom Beklagten Schadensersatz wegen des Verlusts von Ansprüchen gegen Dr. K. Der Beklagte hatte am 16. April 1995 für die Zukunft befristet auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Im einzelnen begehrt der Kläger den Ersatz materieller Schäden und der Kosten des Vorprozesses sowie von entgangenem Schmerzensgeld. Wegen des Kostenerstattungsanspruchs hat das Landgericht der Klage in Höhe von 46.872,64 DM durch Teilurteil stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht auch den in erster Instanz anhängig gebliebenen Streitteil an sich gezogen und die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten seien gemäß § 51 b BRAO am 24. März 1995 – also schon vor seinem Einredeverzicht – verjährt. Der vom Kläger erlittene Schaden sei nämlich am 24. März 1992 eingetreten, indem an diesem Tage seine Ansprüche gegen Dr. K. verjährt seien. Die Verjährung dieser Ansprüche habe gemäß § 852 BGB am 24. November 1983 begonnen, weil an diesem Tage dem Beklagten als Verfahrensbevollmächtigten des Klägers in dem Prozeß gegen den Träger des Krankenhauses in M. die Erwiderung der damaligen Beklagten zugestellt worden sei. Aufgrund der darin enthaltenen Angaben hätten die Eltern des Klägers als seine gesetzlichen Vertreter die notwendigen Tatsachen gekannt, um Dr. K. wenigstens den Streit zu verkünden. Die Verjährung der gegen diesen gerichteten Ansprüche sei durch die Verhandlung mit dessen Versicherung nur vom 8. Februar 1985 bis 8. Juni 1990 unterbrochen gewesen. Ein sekundärer Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten bestehe nicht, weil der Kläger seit 1994 auch über Regreßforderungen anderweitig anwaltlich beraten worden sei.
II.
Dagegen wendet sich die Revision mit Recht. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 51 b BRAO (§ 51 BRAO a.F.) ist nicht abgelaufen. Insbesondere ist der Schaden, dessen Ersatz hier begehrt wird, nicht schon am 24. März 1992 eingetreten. Die Verjährung des Ersatzanspruchs gegen Dr. K. hat nicht bereits am 24. November 1983 begonnen.
1. Gemäß § 852 Abs. 1 BGB verjährt der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt.
Im vorliegenden Falle war vor allem zweifelhaft, welcher der beiden beteiligten Ärzte den Schaden des Klägers verursacht hat. Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen hat der Verletzte nicht, solange er nicht Tatsachen kennt, die auf ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers hinweisen, welches den Schaden verursacht haben kann; diese Kenntnis muß so weit gehen, daß der Geschädigte in der Lage ist, eine Schadensersatzklage erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos zu begründen (BGHZ 102, 246, 248). Insbesondere gehört zur Kenntnis von einem schuldhaften Behandlungsfehler eines Arztes das Wissen von den wesentlichen Umständen des Behandlungsverlaufs (BGH, Urt. v. 23. April 1985 - VI ZR 207/83, VersR 1985, 740, 741). Ferner muß der Patient als medizinischer Laie die Tatsachen kennen, aus denen sich ein Abweichen des Arztes vom ärztlichen Standard ergibt (BGH, Urt. v. 29. April 1991 - VI ZR 161/90, NJW 1991, 2350 f; v. 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR 1995, 659, 660, jeweils m.w.N.). Der Hinweis sogar eines Arztes auf nur mögliche Schadensursachen vermittelt noch keine Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen (BGH, Urt. v. 11. Januar 1994 - VI ZR 41/93, NJW 1994, 932, 934). Ein bloßes Kennenmüssen schadet dem Geschädigten – von Fällen des Rechtsmißbrauchs abgesehen – auch dann nicht, wenn es auf grober Fahrlässigkeit beruht (BGHZ 133, 192, 198 f; BGH, Urt. v. 6. Februar 1990 - VI ZR 75/89, VersR 1990, 539; v. 17. Januar 1991 - IX ZR 77/90, NJW 1991, 1172, 1183, jeweils m.w.N.).
2. Insbesondere wenn für die Folgen einer unerlaubten Handlung mehrere Ersatzpflichtige in Betracht kommen, beginnt die Verjährung erst mit dem Zeitpunkt, in dem begründete Zweifel über die Person des Ersatzpflcihtigen nicht mehr bestehen (BGH, Urt. v. 11. Mai 1964 - VII ZR 177/62, VersR 1964, 927, 928; RG JW 1935, 3154, 3155 f). Begründete Zweifel daran, daß nicht die Verantwortlichen des Krankenhauses in M., sonden Dr. K. der Schädiger war, entfielen für die Eltern des Klägers nicht vor dem 7. Juni 1984. Die Klageerwiderungsschrift des Trägers des Krankenhauses M. vom 14. November 1983 in dem gegen diesen gerichteten Prozeß war noch nicht geeignet, derartige Zweifel auszuräumen.
a) Zwar wurde in diesem Schriftsatz die Behauptung aufgestellt, bei der ersten Untersuchung im Krankenhaus M. sei festgestellt worden, daß die Trachea des Klägers unversehrt gewesen sei; die Präparation durch Dr. K. habe nicht die Trachea erreicht, sondern ihre Spitze habe neben der Halswirbelsäule links gelegen. Dies habe die Nerven so beschädigt, daß dadurch die Lähmung des linken Arms hervorgerufen worden sei. Sofort anschließend wird in der Klageerwiderung aber weiter ausgeführt:
„Als denkbare Ursachen ist allerdings auch zu diskutieren, daß eine Injektion im Bereich der Ellenbeuge bzw. durch Austritt von Injektionsflüssigkeiten neben der Vene die Lähmung verursacht wurde.”
Ferner wäre „eine Schädigung der Nerven durch Venensection im Bereich der Ellenbeuge … denkbar”. Beide Maßnahmen waren im Krankenhaus M. durchgeführt worden. Damit ergab dieser Schriftsatz schon aus sich heraus keinen eindeutigen Hinweis auf die Verantwortlichkeit des Dr. K., sondern er begründete allenfalls den ungewissen Verdacht eines schadensursächlichen Fehlverhaltens dieses Arztes.
Daran ändert es nichts, daß die Eltern des Klägers zu jener Zeit auch die ärztlichen Diagnosen des Dr. M. und des Prof. Dr. P. kannten [Bl. 27, 31 der Beiakte 4 O 373/83 LG Osnabrück]: Beide Ärzte ließen die Schadensursache offen. Prof. Dr. P. sah in seiner Äußerung vom 6. April 1978 die Lähmung sogar „als seltene Form der … Injektionslähmung” an.
b) Im übrigen hat der Kläger, vertreten durch den jetzigen Beklagten, im Vorprozeß die Richtigkeit der Behauptungen des M. Krankenhausträgers bezüglich der Behandlung durch Dr. K. alsbald bestritten und das Gegenteil unter Beweis durch Sachverständigengutachten gestellt [Bl. 39 BA]. Er hat insbesondere die Einlassung des Krankenhausträgers ausdrücklich aufgegriffen, daß die Infusionstherapie die Nerven im Bereich der linken Ellenbeuge geschädigt habe [Bl. 40, 41 BA].
Unter diesen Umständen spricht nichts dafür, daß die Eltern des Klägers seinerzeit auch nur die tatsächlichen Angaben ihres damaligen Prozeßgegners für richtig hielten. Immerhin hat das Landgericht Osnabrück seine Klageabweisung gegen Dr. K. im Urteil vom 6. Dezember 1993 (4 O 74/93) in erster Linie darauf gestützt, daß möglicherweise die im Krankenhaus M. ausgeführte Tacheotomie den Schaden verursacht habe (S. 6 und 7 des Urteils). Der Beklagte selbst hat sich diese Bedenken gegen eine Haftung des Dr. K. noch im vorliegenden Rechtsstreit zu eigen gemacht (S. 4 seines Schriftsatzes vom 23. Februar 1996). Inwiefern die Eltern des Klägers das alles schon zwölf Jahre früher richtiger hätten sehen sollen, ist nicht erkennbar. Zwar hätten sie dem Dr. K. in dem rechtshängigen ersten Prozeß möglicherweise gemäß § 72 Abs. 1 ZPO den Streit verkünden können. Risikolos wäre das aber nicht gewesen; denn Dr. K. hätte darauf mit einer negativen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO antworten können, deren Ausgang die Eltern des Kläges für ungewiß halten mußten.
3. Demzufolge haben die Eltern des Klägers – wie dieser einräumt – den Dr. K. als Ersatzpflichtigen mit Zugang des Gutachtens des Sachverständigen Prof. C. am 7. Juni 1984, aber nicht früher erkannt. Auf dieser Grundlage sind ihre Ansprüche gegen den Beklagten nicht verjährt: Unstreitig hat der Kläger vom 8. Februar 1985 bis 8. Juni 1990 mit dem Haftpflichtversicherer des Dr. K. über eine Schadensregulierung verhandelt. Hierdurch wurde der Ablauf der Verjährungsrist gemäß § 852 Abs. 2 BGB gehemmt. Vor Beginn der Hemmung waren acht Monate der dreijährigen Verjährungsfrist abgelaufen. Die restliche Frist von zwei Jahren und vier Monaten begann am 8. Juni 1990 wieder zu laufen und endete mit Ablauf des 7. Oktober 1992. Erst damit trat der Schaden ein, dessen Ersatz der Kläger hier vom Beklagten verlangt. Die Frist des § 51 b BRAO lief somit nicht vor dem 7. Oktober 1995 ab. Bis dahin hatte der Beklagte bereits auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet. Die Schadensersatzklage ist schließlich, unter Berücksichtigung des § 270 Abs. 3 ZPO, rechtzeitig erhoben worden.
Die Verjährungsfrist gegen den Beklagten ist ferner nicht etwa im Hinblick auf den letzten Halbsatz des § 51 b BRAO früher abgelaufen. Denn sein Mandat mit dem Kläger bestand noch jedenfalls bis ins Jahr 1994 hinein.
III.
Das angefochtene Urteil beruht danach auf einem Rechtsfehler. Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
1. Vielmehr ist die auf die Verletzung des Anwaltsvertrages gestützte Klage schlüssig. Der Kläger behauptet, die Ursache der Lähmung seines linken Arms sei darin zu sehen, daß die Spitze der von Dr. K. notfallmäßig gelegten Trachealkanüle einen Nervenschaden hervorgerufen habe. Der fast ein Jahrzehnt lang mit der Angelegenheit befaßte Beklagte hätte kraft Vertrages verhindern müssen, daß Schadensersatzansprüche gegen den Dr. K. verjährten. Nachdem er selbst den Sachverhalt ebenfalls am 7. Juni 1984 erfahren hatte, wäre er zur Unterbrechung der Verjährung in der Lage gewesen.
Als die Klage gegen Dr. K. am 1. März 1993 eingereicht wurde, waren die gegen diesen gerichteten Schadensersatzansprüche verjährt. Die Verjährung trat, wie ausgeführt (siehe oben II 3), am 7. Oktober 1992 ein.
2. Der Senat kann nicht seinerseits die Sache abschließend entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Beklagte bestreitet, daß dem Kläger überhaupt Schadensersatzansprüche gegen Dr. K. zustanden (siehe oben II 2 b).
3. Zur Aufklärung dieser Frage ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 564 Abs. 1 ZPO), das den gesamten Rechtsstreit gegen den verbliebenen Beklagten – insoweit wirksam – an sich gezogen hat. Sollte dieses einen (verjährten) Schadensersatzanspruch des Klägers gegen Dr. K. dem Grunde nach feststellen, wird die Schadenshöhe aufzuklären sein. Bezüglich der vom Landgericht ausgeurteilten Prozeßkosten ist darauf hinzuweisen, daß diese – wenigstens dem Grunde nach – nicht beim Kläger, sondern bei Dr. K. angefallen wären, wenn der Beklagte einen bestehenden Schadensersatzanspruch rechtzeitig eingeklagt hätte (§§ 91, 92 Abs. 1 ZPO). Die Behauptung des Beklagten, er habe dem Kläger von der Erhebung der tatsächlichen (verspätet) erhobenen Klage abgeraten, kann allenfalls dessen Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 2 BGB bezüglich der dadurch verursachten Prozeßkosten begründen.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.06.1999 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539334 |
NJW 1999, 2734 |
EBE/BGH 1999, 261 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1844 |
ZAP 1999, 1133 |
MDR 1999, 1198 |
MedR 1999, 418 |
VersR 1999, 1149 |
ZfS 1999, 460 |
AusR 2000, 42 |