Leitsatz (amtlich)
›Gibt der Kläger durch eine zusätzliche Erklärung zu seinem Antrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu erkennen, daß er ein geringeres Schmerzensgeld als den in der zusätzlichen Erklärung erwähnten Geldbetrag nicht für angemessen halte, so ist er bei Unterschreitung dieses Betrages beschwert.‹
Tatbestand
Der Kläger verlangt Schmerzensgeld für Verletzungen, welche er bei einem Verkehrsunfall am 17. Mai 1988 erlitten hat.
In der Klageschrift hat der Kläger den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 5.001 DM nebst 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Mit Schriftsatz vom 24. August 1989 hat er erklärt, wegen Eintritts einer Rechtsschutzversicherung nehme er den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zurück und kündige den nicht mehr eingeschränkten Antrag an, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 1989 hat sein Prozeßbevollmächtigter zu Protokoll erklärt, der Kläger halte ein Schmerzensgeld für die bisherigen Beeinträchtigungen in einer Größenordnung von ungefähr 30.000 DM für zumindest angemessen, stelle aber keinen bestimmten Antrag. Im übrigen hat er den Antrag aus dem Schriftsatz vom 24. August 1989 gestellt. Im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Januar 1990 haben die Parteien mit den Anträgen wie im Termin am 9. Oktober 1989 verhandelt.
Das Landgericht hat die Beklagte ohne Restabweisung verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 25.000 DM nebst 4% Zinsen seit dem 5. August 1989 zu zahlen. Im Tatbestand des Landgerichtsurteils heißt es, der Kläger stelle sich ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von ca. 30.000 DM vor. Sodann folgt der Antrag des Klägers, ›die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 5.001 DM nebst 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen‹.
Mit der Berufung hat der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn über die vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldbeträge hinaus ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen, mindestens jedoch weitere 1.000 DM nebst 4% Rechtshängigkeitszinsen. In der Berufungsbegründung hat er geltend gemacht, das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld sei um mindestens 5.000 DM zu gering.
Das Berufungsgericht hat die Berufung mangels Beschwer als unzulässig verworfen. Mit der Revision beantragt der Kläger, das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Über den Revisionsantrag war durch Versäumnisurteil (§§ 331, 557 ZPO) sachlich zu entscheiden, da die Revisionsbeklagte im Revisionsverhandlungstermin trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war (BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60 - BGHZ 37, 79, 81).
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Beschwer des Klägers weder nach dem im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils enthaltenen Antrag noch nach dem ausweislich des Protokolls über die letzte mündliche Verhandlung vom 29. Januar 1990 tatsächlich gestellten Antrag gegeben. Das Landgericht sei über die Mindestsumme des im Tatbestand wiedergegebenen Antrags weit hinausgegangen, so daß insoweit eine Beschwer nicht vorliege. Auch nach dem laut Protokoll gestellten Antrag sei eine Beschwer nicht gegeben. Danach habe sich das Klagebegehren auf eine Ermessensentscheidung im Rahmen der vom Kläger angesprochenen Größenordnung von 30.000 DM gerichtet, in deren Grenzen das Landgericht mit dem zuerkannten Betrag von 25.000 DM geblieben sei, da er sie um weniger als 20% unterschreite.
II.
Diese Auffassung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nicht stand.
Zwar geht das Berufungsgerichts zutreffend davon aus, daß der Kläger von einer Bezifferung des auf Zahlung gerichteten Klageantrags absehen durfte, da die ziffernmäßige Festlegung einer Schmerzensgeldforderung entscheidend von der Ausübung des richterlichen Ermessens abhängt. Dabei muß, was im Streitfall beachtet ist, dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO durch eine hinreichend genaue Darlegung des anspruchsbegründenden Sachverhalts und Angabe wenigstens der ungefähren Größenordnung des verlangten Betrages genügt werden (Senatsurteile vom 28. Februar 1984 - VI ZR 70/82 - VersR 1984, 538, 540; vom 15. Mai 1984 - VI ZR 155/82 - VersR 1984, 739, 740 jeweils m.w.N.). Richtig ist auch, daß der Kläger grundsätzlich nicht beschwert ist, wenn sich der zuerkannte Betrag im Rahmen dieser Größenordnung hält (Senatsurteil vom 20. September 1983 - VI ZR 111/82 - VersR 1983, 1160, 1161).
Als unzutreffend erweist sich jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß das Urteil des Landgerichts mit einer Abweichung um weniger als 20% von dem vom Kläger genannten Betrag von 30.000 DM den Kläger nicht beschwert.
Die vorliegende Fallgestaltung nötigt nicht zu einer abschließenden Beantwortung der Frage, wann beim unbezifferten Klageantrag eine wesentliche Abweichung von der erstrebten Größenordnung vorliegt (vgl. hierzu Dunz, NJW 1984, 1734, 1736).
Der hier zu beurteilende Antrag des Klägers stellt sich nämlich bei richtiger Auslegung gar nicht als auch nach unten nur an einer Größenordnung orientierter Leistungsantrag im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts dar, sondern läßt in Verbindung mit der Erklärung zu Protokoll im Termin vom 9. Oktober 1989 mit der erforderlichen Bestimmtheit erkennen, daß der Kläger ein 5chmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000 DM begehrt hat, er also das Ermessen des Gerichts bei Festlegung des Schmerzensgeldes jedenfalls nach unten durch diesen Betrag begrenzen wollte. Dabei kommt es auf den im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils irrig aufgeführten Antrag aus der Klageschrift nicht an, weil im Termin vom 9. Oktober 1989 und ebenso in der letzten mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 1990 nicht der ursprüngliche Antrag aus der Klageschrift, sondern der Antrag aus dem Schriftsatz vom 24. August 1989 verlesen worden ist. Für die Bestimmung des Inhalts des Klageantrags geht das Sitzungsprotokoll dem vorliegend erkennbar unrichtigen Urteilstatbestand vor (BAG, Urteil vom 16. Dezember 1970 - 4 AZR 98/70 NJW 1971, 1332; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1987 - 4 C 12/84 - NJW 1988, 1228).
Hiernach hat der Kläger den ursprünglich auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gerichteten Antrag mit der zusätzlichen Erklärung gestellt, er halte ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von ungefähr 30.000 DM für zumindest angemessen. Diese Erklärung enthält mehrere Elemente, die von unterschiedlicher Bedeutung sein können, und macht deshalb den Antrag des Klägers auslegungsbedürftig. Die erforderliche Auslegung kann das Revisionsgericht selbst vornehmen, weil es sich um eine prozessuale Erklärung handelt (Senatsurteile vom 6. Oktober 1970 - VI ZR 36/69 VersR 1970, 1156; vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 78/89 BGHZ 109, 19, 22 m.w.Nachw.; vom 22. Januar 1991 - VI ZR 107/90 - VersR 1991, 597). In der erstgenannten Entscheidung hat der Senat auch ausgesprochen, daß die bestimmte Bezeichnung einer Mindestforderung auch außerhalb des Klageantrags erfolgen könne (ebenso Senatsurteil vom 6. Oktober 1970 - VI ZR 7/69 - VersR 1970, 1133, 1134).
Die Auslegung der einzelnen Bestandteile der Erklärung führt dazu, aus den Worten ›für zumindest angemessen‹ eine Begrenzung des zuvor genannten Betrags von 30.000 DM nach unten zu entnehmen. Dem steht nicht entgegen, daß dem Betrag die Worte ›in einer Größenordnung von ungefähr‹ vorangestellt sind. Insoweit liegt nämlich die Annahme nahe, daß sich der Kläger bzw. sein Prozeßbevollmächtigter bei der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen, also nicht schriftlich fixierten Erklärung zunächst von der oben erwähnten Rechtsprechung hat leiten lassen, wonach das Schmerzensgeld in einer ungefähren Größenordnung gefordert werden kann, er jedoch nach Benennung des Betrags von 30.000 DM durch den weiteren Zusatz ›für zumindest angemessen‹ zum Ausdruck bringen wollte, daß er ein geringeres Schmerzensgeld nicht für angemessen halte und folglich nicht hinnehmen wolle. Hierfür spricht auch innerhalb der auszulegenden Erklärung der gedankliche Zusammenhang zwischen dem Hinweis auf die erlittenen Beeinträchtigungen, angesichts derer der genannte Betrag für zumindest angemessen erachtet werde. Bei dieser Interessenlage kommt der Erwähnung der ungefähren Größenordnung keine eigenständige Bedeutung dahin bei, daß der Kläger entgegen der durch den Zusatz ›zumindest‹ getroffenen Festlegung auf ein Schmerzensgeld von 30.000 DM als Mindestbetrag eine Unterschreitung dieses Betrages hinnehmen wolle.
Ist der Antrag des Klägers folglich dahin auszulegen, daß er den Betrag seines Klagebegehrens durch die Angabe der Mindestsumme von 30.000 DM bezeichnet hat, so ergibt sich seine Beschwer aus der Unterschreitung dieser Mindestforderung (hierzu die genannten Senatsurteile VI ZR 36/69 und 7/69; ebenso Senatsbeschlüsse vom 21. Juni 1977 - VI ZA 3/75 - VersR 1977, 861; vom 20. Februar 1979 - VI ZB 4/78 VersR 1979, 472).
Da das Berufungsgericht mithin zu Unrecht eine Beschwer des Klägers verneint hat und deshalb Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache geboten ist, braucht nicht auf die weiteren Gesichtspunkte eingegangen zu werden, aus welchen die Revision ebenfalls eine Beschwer des Klägers herleiten will.
Fundstellen
Haufe-Index 2993094 |
NJW 1992, 311 |
BGHR ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 Bestimmtheit 20 |
BGHR ZPO § 314 Beweiskraft 2 |
BGHR ZPO vor § 511 Beschwer 3 |
DAR 1992, 56 |
JuS 1992, 521 |
MDR 1992, 519 |
VRS 82, 98 |
VersR 1992, 374 |