Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 22.06.1990)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das am 22. Juni 1990 verkündete Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt wurde.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die Klägerin (damals anders firmierend) beauftragte den Beklagten nach vorangegangenen Verhandlungen mit Schreiben vom 8. Juli 1987 mit der Entwicklung eines elektronischen Zugangskontrollsystems (im folgenden: ZKS). Während der Abwicklung kam es zwischen den Parteien zu Meinungsverschiedenheiten über den Auftragsumfang, den Fertigstellungszeitpunkt für die Anlagen, die Abnahmemodalitäten und schließlich auch über die Abnahmereife des von dem Beklagten entwickelten ZKS. Die Klägerin setzte schließlich mit Schreiben vom 16. Januar 1989 dem Beklagten eine Frist bis zum 15. Februar 1989, bis zu der der Beklagte die nach Meinung der Klägerin geschuldeten Leistungen zu erbringen habe, und drohte für den Fall der Nichteinhaltung der Frist die Ablehnung der Leistung mit der Ankündigung an, Schadenersatz zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten. Nach Fristablauf erklärte sie durch Schreiben vom 24. Februar 1989, daß sie die Annahme der Leistung verweigere, bekundete aber gleichzeitig ihr Interesse an einer außergerichtlichen Einigung. Zu dieser kam es nicht.

Mit der Klage hat die Klägerin im Wege des Schadenersatzes die Rückzahlung der von ihr geleisteten Entwicklungskosten geltend gemacht. Sie behauptet, das von dem Beklagten entwickelte ZKS entspreche nicht dem Stand der Technik und weise Mängel und Funktionsdefizite auf. Im übrigen habe der Beklagte auch ein sogenanntes Pflichtenheft nicht erstellt und auch keine Dokumentation zu dem entwickelten System geliefert.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Während das Landgericht die Klage abgewiesen hat, weil es die Voraussetzungen des § 326 BGB verneinte, gab ihr das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil mit Ausnahme eines geringen Teils bezüglich des Zinsanspruches statt.

Mit der Revision begehrt der Beklagte, das Berufungsurteil aufzuheben, soweit zu seinem Nachteil erkannt worden ist, hilfsweise, die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.

I.

Das Berufungsgericht führt zunächst aus, entgegen der Auffassung des Landgerichts ergebe sich aus dem Schreiben der Klägerin vom 24. Februar 1989 eine eindeutige Abnahmeverweigerung. In der Vereinbarung vom Vortag, nach der der Beklagte bis zum 3. März 1989 eine Bestandsaufnahme als Grundlage eines Einigungsvorschlages habe erstellen sollen, liege keine vertragliche Rückumwandlung des gesetzlich vorgesehenen Abwicklungsverhältnisses in das ursprüngliche Vertragsverhältnis.

Die Revision nimmt diese Darlegungen hin.

II.

Das Berufungsgericht bejaht die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches nach § 326 BGB mit folgenden Erwägungen:

Der Inhalt des Vertrages zwischen den Parteien bestimme sich nach dem Schreiben der Klägerin vom 8. Juli 1987 und der modifizierten Auftragsbestätigung des Beklagten vom 5. August 1987. Der Vertrag sei nach den Vorschriften über gegenseitige Verträge abzuwickeln.

Nach verschiedenen Mahnungen habe die Klägerin durch Schreiben vom 16. Januar 1989 dem Beklagten eine letzte Frist bis zum 15. Februar 1989 gesetzt, ein einsatzbereites und verkaufsfertiges ZKS zu liefern, und habe ihm für den Fall der Nichteinhaltung des Termins Erfüllungsablehnung angedroht. So sei die Klägerin dann auch durch Schreiben vom 24. Februar 1989 verfahren.

Dahinstehen könne, ob die von der Klägerin bemängelten Funktionsdefizite einer Leistungsabnahme entgegengestanden oder ob – wie der Beklagte geltend mache – die fehlenden Funktionen die Brauchbarkeit des ZKS in der geschuldeten Form nicht beeinträchtigt hätten. Mangels konkreter anderer Absprache habe der Beklagte ein ZKS, das dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard entspreche, geschuldet. Ob das von ihm entwickelte ZKS diesen Anforderungen genüge und ohne wesentliche Mängel funktioniert habe, bedürfe indes keiner Aufklärung. Schon der Umstand, daß der Beklagte unstreitig ein Pflichtenheft nicht erstellt habe, berechtige die Klägerin, die Annahme seiner Leistungen zu verweigern. Die Erstellung eines Pflichtenheftes sei im Auftragsschreiben der Klägerin vom 8. Juli 1987 ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht worden. Daran habe das Bestätigungsschreiben des Beklagten vom 5. August 1987 ungeachtet anderer Modifizierungen des Vertrages nichts geändert. Entgegen der Auffassung des Beklagten lasse sich der Wegfall seiner Verpflichtung zur Erstellung eines Pflichtenheftes nicht aus Nr. 3 des Bestätigungsschreibens ableiten. Ein Pflichtenheft lege in der Branche den jeweiligen Vertragsumfang und die jeweilige Vertragsausgestaltung fest. Auch wenn sich der Beklagte „freie Hand” in der Gestaltung des ZKS vorbehalten habe, habe dies nicht bedeutet, daß es keiner im Pflichtenheft zu dokumentierenden Abgrenzung des Leistungsumfangs bedurft habe.

Es sei demgemäß Sache des Beklagten gewesen, in Anlehnung an die ihm am 9. Juni 1987 von der Klägerin überlassene „Systembeschreibung als Pflichtenheft”, die im Auftragsfall als „Systemkonzept zur Unterstützung” habe dienen sollen, eine eigene Aufgaben- und Lösungsbeschreibung zu erstellen, die für beide Parteien den von dem Beklagten zu erbringenden Leistungsinhalt umgrenzt und einsichtig gemacht hätte. Daß die Klägerin die Erstellung eines Pflichtenheftes zunächst nicht angemahnt habe, bedeute nicht, daß sie auf diesen Leistungsteil verzichtet hätte.

Diese Auffassung greift die Revision mit Erfolg an.

Sie rügt zunächst, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daß es sich bei der Leistung, mit der der Schuldner in Verzug sei, um eine Hauptleistung handeln müsse. Welche Leistungen Hauptleistungen seien, richte sich nach dem Willen der Vertragspartner, sei also durch Auslegung zu ermitteln. Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu fehlten.

Gegen die Annahme, die Erstellung des Pflichtenheftes sei eine Hauptleistung, spreche, daß dieses den jeweiligen Vertragsumfang und die jeweilige Vertragsausgestaltung festlegen solle. Hier habe aber der Beklagte nach dem Auftragsschreiben der Klägerin das Pflichtenheft erstellen, also den Auftragsumfang und die Vertragsausgestaltung des von ihm zu entwickelnden ZKS festlegen sollen. Die Festlegung des Vertragsumfangs und der Vertragsausgestaltung sei durch das vom Beklagten entwickelte und an die Klägerin ausgelieferte ZKS erfolgt. Gegenteilige Feststellungen habe das Berufungsgericht nicht getroffen. Das vom Beklagten entwickelte ZKS genüge den Anforderungen und funktioniere ohne wesentliche Mängel. Einer schriftlichen Festlegung des Vertragsumfangs und der Vertragsausgestaltung bedürfe es nicht.

Wenn es sich bei der Verpflichtung des Beklagten, ein Pflichtenheft zu erstellen, um eine Hauptleistungspflicht gehandelt habe, setze ein Schadenersatzanspruch aus § 326 Abs. 1 BGB voraus, daß die Klägerin dem Beklagten wegen dieser Verpflichtung eine Frist mit Ablehnungsandrohung gesetzt habe. Das habe das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Im übrigen habe das Berufungsgericht seine Hinweispflicht gemäß §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO verletzt, weil es den Beklagten nicht darauf hingewiesen habe, daß der von der Klägerin gemäß § 326 Abs. 1 BGB verfolgte Anspruch allein wegen des Fehlens des Pflichtenheftes zuerkannt werden könnte. In der Berufungsinstanz hätten sich beide Parteien mit diesem Gesichtspunkt übereinstimmend nicht befaßt. Auf den gebotenen, verfahrensfehlerhaft unterbliebenen Hinweis des

Berufungsgerichts hätte der Beklagte aber vorgetragen und hierzu Zeugen benannt, daß die Klägerin an der Erstellung des Pflichtenheftes für das ZKS nicht mehr interessiert sei, weil der genaue Leistungsumfang zwischen den Parteien detailliert besprochen und gemeinsam festgelegt worden sei.

Das Berufungsurteil ist in diesem zentralen Punkt – Nichterstellen des Pflichtenheftes durch den Beklagten – rechtsfehlerhaft; es stellt sich mangels tatsächlicher Feststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Das Berufungsgericht hat sich zutreffend auf den Standpunkt gestellt, daß der Beklagte mangels konkreter anderer Absprache ein ZKS geschuldet habe, das dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard entspreche (s. hierzu RGRK-Glanzmann, 12. Aufl., § 631 BGB Rdn. 6). Von daher war das Berufungsgericht gemäß §§ 631 Abs. 1, 633 Abs. 1 BGB, § 286 ZPO gehalten, im Wege einer Beweisaufnahme zu klären, ob das von dem Beklagten entwickelte ZKS diesen Anforderungen genügt und ohne wesentliche Mängel funktioniert hat. Sein Rückgriff auf das Nichterstellen des Pflichtenheftes beruht offensichtlich auf dem Bemühen, eine notwendige Beweisaufnahme zu umgehen. Das kann nicht hingenommen werden.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts zu dem fehlenden Pflichtenheft leidet an dem Mangel, daß ein solches nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sinn und Zweck seine Aufgabe, den Vertragsumfang und den Vertragsinhalt eindeutig festzulegen, nur dann erfüllen könnte, wenn die diesbezügliche Vereinbarung vor Ausführung des Werkvertrages abgeschlossen worden wäre. Nachdem die Parteien hier aber anders vorgegangen sind und mangels Festlegung in einem Pflichtenheft nur ein ZKS entsprechend dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard geschuldet war, kann das Pflichtenheft hier seine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Es ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mangels konkreter anderer Absprache, die ihren Niederschlag in dem Pflichtenheft hätte finden müssen, eine Festlegung auf das konkret vom Beklagten hergestellte ZKS erfolgt. Dessen Übereinstimmung mit dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard ist Inhalt des zwischen den Parteien zustande gekommenen Vertrages.

Die Auffassung des Berufungsgerichts ist im übrigen denkgesetzwidrig. Der von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemachte und auf § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützte Schadenersatzanspruch setzt u.a. voraus, daß der Beklagte mit einer Hauptleistungspflicht in Verzug gewesen ist (BGHR BGB § 326 Abs. 1 – Einreden 1; BGH NJW 1972, 99; Palandt/Heinrichs Komm. z. BGB 50. Aufl., 1991, § 326 Anm. 3 b m.w.N.). Unabhängig davon, ob das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, daß es sich bei der Erstellung des Pflichtenheftes um eine Hauptleistungspflicht handelt, und ferner, ob die Klägerin – was die Revision rügt – dem Beklagten gerade wegen dieser Verpflichtung eine Frist mit Ablehnungsandrohung gesetzt hat, kann es sich jedenfalls nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen bei der Erstellung des Pflichtenheftes nicht um eine Hauptleistungspflicht handeln, die bei der konkreten Sachverhaltsgestaltung die Klägerin berechtigt hätte, die Annahme der Leistungen des Beklagten zu verweigern; denn diese „Hauptleistungspflicht” wäre jedenfalls durch die Entwicklung des ZKS durch den Beklagten hinfällig gewesen.

III.

Für die erneute Verhandlung und Entscheidung des Berufungsgerichts wird auf folgendes hingewiesen: Das fehlende Pflichtenheft vermag den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu stützen. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob sie den Beklagten insoweit wirksam in Verzug gesetzt hat. Vielmehr hat das Berufungsgericht im Wege einer Beweisaufnahme die unter den Parteien streitige Frage zu klären, ob der Beklagte ein vertragsgemäßes Werk angeboten hat und das von ihm entwickelte ZKS dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard entsprach.

Sofern das Berufungsgericht entsprechend seiner Hilfserwägung, der Beklagte habe innerhalb der ihm gesetzten Frist auch die geforderte Dokumentation nicht geliefert, und deshalb sei das Pflichtenheft nicht entbehrlich gewesen, diesem Gesichtspunkt bei erneuter Verhandlung und Entscheidung eine selbständige Bedeutung beimessen sollte, wird darauf hingewiesen, daß es dann dem Beklagten Gelegenheit geben muß, zu diesem Punkte vorzutragen und Beweis anzutreten.

Vorsorglich wird ferner darauf hingewiesen, daß der Senat in der Erstellung dieser Dokumentation nach den bisher getroffenen Feststellungen ebenfalls keine selbständige Hauptleistungspflicht zu erkennen vermag.

 

Fundstellen

Haufe-Index 749272

L-SL 2001, 5

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