Leitsatz (amtlich)
a) Ein mit der Gesamtschuldklage belangter Miterbe kann Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange und soweit sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Erbengemeinschaft befriedigen kann.
Dies gilt bei einer Klage auf künftige Leistung auch dann, wenn die Aufrechnungsbefugnis bei der Erbengemeinschaft besteht und beim Gläubiger nur deshalb fehlt, weil seine eigene Forderung noch nicht fällig ist.
b) Die Leistungsverweigerung führt in diesen Fällen nicht zu einer Verurteilung Zug um Zug, sondern in Höhe der Gegenforderung zur Klagabweisung.
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 04.10.1960) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt (Main) vom 4. Oktober 1960 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger ist der ersteheliche Sohn, der jetzt noch Beklagte der zweite Ehemann der am 9. März 1957 verstorbenen Frau Margarethe Schwindt, verw. Walliser, geb. Stock (Erblasserin).
Diese wurde vom Beklagten und dem minderjährigen Sohn Alfred des Klägers beerbt.
Durch notariellen Vertrag zwischen der Erblasserin und dem Kläger vom 13. Januar 1956 (zur Auseinandersetzung des Nachlasses des Vaters des Klägers und ersten Ehemanns der Erblasserin) war die Belastung (des väterlichen Nachlasses) durch eine Hypothekengewinnabgabe sowie durch eine Vermögensabgabe im Innenverhältnis zeitlich derart aufgeteilt worden, daß sie zunächst der Kläger voll auf sich nahm, jedoch die Erblasserin für ihre Erben die Verpflichtung übernahm, von ihrem Tode an "die dann noch bestehende Hypothekengewinnabgabeschuld" sowie 1/3 der dann noch bestehenden Vermögensabgabeschuld zu tragen.
Auf die Hypothekengewinnabgabe wurden vierteljährlich 121,50 DM geschuldet; diese Last wurde vom Kläger am 30. Mai 1956 (mit 4.292,81 DM) abgelöst. Das Vermögensabgabe-Drittel beträgt vierteljährlich 17,87 DM.
In einem Vorprozeß hat der Kläger die genannten Vierteljahresbeträge der Hypothekengewinnabgabe und der Vermögensabgabe für die Zeit vom Erbfall bis zum Ende des ersten Halbjahres 1958 gegenüber beiden Erben als Gesamtschuldnern rechtskräftig zugesprochen erhalten (je 5 Raten mit zusammen 607,50 + 89,33 = 696,83 DM durch Versäumnisurteil bzw. Anerkenntnisurteil).
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt er Zahlung dieser Vierteljahresbeträge für die Zeit vom 1. Juli 1958 an.
Der Beklagte bestreitet hinsichtlich der Hypothekengewinnabgabe seine Zahlungspflicht dem Grunde nach, weil infolge der Ablösung des Klägers eine Lastenausgleichslast beim Erbfall nicht mehr bestand, und macht im übrigen Aufrechnung und fürsorglich ein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Forderungen des Nachlasses an den Kläger in überschießender Höhe sowie schließlich die Erbenhaftungsbeschränkung geltend.
Die Klage wurde in den Vorinstanzen gegen beide Erben als Gesamtschuldner im wesentlichen zugesprochen. Das Urteil (Versäumnisurteil des Landgerichts) gegen den Sohn (ursprünglichen Beklagten zu 2) ist rechtskräftig. Der jetzt noch verklagte zweite Ehemann wurde vom Oberlandesgericht als Gesamtschuldner unter dem Vorbehalt der Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß verurteilt zu zahlen:
1.
5.071,69 DM (53. bis 1. Rate der Hypothekengewinnabgabe) mit vierteljährlich 121,50 DM ab 1. Juli 1958 nebst Zins, oder den jeweiligen. Ablösungswert,
2.
an anteiliger Vermögensabgabe:
a)
sofort 160,83 DM (83. bis 75. Rate) nebst Zins,
b)
zukünftig - nach entsprechendem Nachweis der Zahlung durch den Kläger - 791,99 DM (1/3 Zeitwert für die 74. bis 1. Rate) mit vierteljährlich 17,87 DM ab 10. November 1960 nebst Zins, oder den jeweiligen Ablösungswert.
Mit der Revision verfolgt der beklagte. Ehemann seine Anträge auf Klagabweisung oder Verurteilung nur Zug um Zug weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Klagforderungen
1.
Dem Grunde nach ist der Beklagte als Miterbe der Erblasserin gegenüber dem Kläger zur Tragung der Hypothekengewinnabgabe sowie von 1/3 der Vermögensabgabe gesamtschuldnerisch mit dem Sohn des Klägers verpflichtet, soweit diese Lasten beim Tod der Erblasserin noch bestanden. Das ergibt sich aus § 2058 BGB in Verbindung mit der genannten Vertragsbestimmung, gegen deren Rechtswirksamkeit Bedenken weder geltend gemacht noch ersichtlich sind.
Was die Hypothekengewinnabgabe anlangt, so scheint dem Klagbegehren allerdings der Wortlaut jener Vereinbarung entgegenzustehen, weil diese Last vom Kläger schon zu Lebzeiten der Erblasserin voll abgelöst wurde und deshalb im Zeitpunkt ihres Todes nicht mehr bestand. Das Berufungsgericht bejaht jedoch ohne Rechtsirrtum über den Vertragswortlaut hinaus trotz der Ablösung eine Vertragspflicht des Beklagten zur Tragung der Hypothekengewinnabgabe in demjenigen Umfang, in welchem sie nach dem Tod der Erblasserin zu entrichten gewesen wäre, wenn der Kläger sie nicht vorher abgelöst hätte.
Das Berufungsgericht führt aus: Die gegenteilige Auslegung des Vertrags entspreche allenfalls seinem Wortlaut, aber nicht seinem Zweck, wonach der Kläger lediglich seine Mutter, nicht aber deren Erben von den genannten Lastenausgleichsleistungen freistellen sollte. Die Vertragsparteien hätten allein den Normalfall eines planmäßigen Abtrages dieser Lasten in den vom Gesetz vorgesehenen Raten zugrunde gelegt und eine vorzeitige Ablösung überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Das Fehlen einer entsprechenden Vertragsbestimmung für den Fall einer vorzeitigen Ablösung lasse jedenfalls den Schluß zu, daß die Vertragsparteien einig gewesen seien, jene Lastentragungspflicht, unabhängig von einer möglichen Ablösung, den Erben der Erblasserin aufzuerlegen. Ein abweichender Vertragswille sei vom Beklagten weder behauptet noch unter Beweis gestellt.
Die Revision rügt, daß das Berufungsgericht nicht zwischen unmittelbarer und ergänzender Vertragsauslegung unterschieden habe und sich dieses Unterschieds gar nicht bewußt gewesen sei. Eine derartige Unterscheidung ist allerdings geboten und kommt im Wortlaut des Berufungsurteils nicht klar zum Ausdruck. Dem Sinne nach nimmt das Berufungsgericht jedoch ersichtlich an, daß die seinerzeitigen Vertragsparteien den Fall der vorzeitigen Ablösung der Lastenausgleichslasten, hier der Hypothekengewinnabgabe, nicht bedacht und nicht geregelt haben, daß sie ihn aber, wenn sie an ihn gedacht hätten, in dem festgestellten Sinne geregelt hätten. Das Berufungsgericht hält die unmittelbare Vertragsauslegung wegen einer Vertragslücke für erfolglos und füllt die Vertragslücke im Weg der ergänzenden Auslegung aus. Diese Auslegung leuchtet ein, sie ist jedenfalls rechtlich möglich und bindet daher das Revisionsgericht.
2.
Inhaltlich entnimmt das Berufungsgericht dieser Lastentragungsvereinbarung eine Pflicht der Erben (hier des Beklagten) zur Zahlung von Vierteljahresbeträgen entsprechend den (tatsächlichen bzw. hypothetischen) Fälligkeitsterminen der Lastenausgleichslasten im Außenverhältnis zwischen Kläger und Finanzamt. Es kann dahingestellt bleiben, ob zunächst ein bloßer Schuldbefreiungsanspruch des Klägers in Betracht kam, worüber die Parteien in der Vorinstanz gestritten haben. Denn dieser verwandelt sich nach dem Sinn und Zweck des Vertrags in einen Geldanspruch spätestens in dem Zeitpunkt, wo der Gläubiger seinerseits die für ihn im Außenverhältnis bestehende Geldschuld, von der er befreit werden sollte, erfüllt hat. Dieses Erfordernis vorheriger Leistung des Klägers im Außenverhältnis (Zahlung der Lastenausgleichslasten gegenüber dem Finanzamt) ist bei der Hypothekengewinnabgabe durch die Ablösung des Klägers ohne weiteres erfüllt. Und bei der Vermögensabgabe ist dem Erfordernis dadurch Rechnung getragen, daß das Berufungsgericht, entsprechend dem Klagantrag, die Verurteilung abhängig gemacht hat vom jeweiligen Nachweis des Klägers, daß er die einzelnen Vierteljahresbeträge seinerseits bereits an das Finanzamt bezahlt hat (vgl. § 726 ZPO). Dieser Ausspruch begegnet auch verfahrensrechtlich im Hinblick auf §§ 257, 258 ZPO keinen Bedenken.
Es ist ferner nicht schlechthin zu beanstanden, daß das Berufungsurteil sowohl bei der Hypothekengewinnabgabe wie bei der Vermögensabgabe statt der Ratenzahlung die Zahlung eines Ablösungswerts als möglich vorsieht. Bei der ohnehin gebotenen neuen Prüfung (s. unten II) wird jedoch - zweckmäßig schon in der Urteilsformel - klarzustellen sein, ob es sich um eine Wahlschuld oder um eine Ersetzungsbefugnis der einen oder anderen Partei handeln soll (gemeint ist wohl eine Ersetzungsbefugnis des Beklagten).
3.
Gegen die Berechnung der Klagforderungen der Höhe nach sind Bedenken weder von der Revision erhoben noch sonst erkennbar.
II.
Gegenforderungen
1.
In der Behandlung der vom Beklagten behaupteten Gegenforderungen verweist das Berufungsgericht zunächst auf das Urteil des Landgerichts. Dieses lehnt die Aufrechnung, soweit sie mit einer Forderung wegen der Entnahme eines Gerüstes durch den Kläger aus dem Nachlaß erklärt wurde, wegen mangelnder Substantiierung und Bezifferung dieser Geldforderung ab; darin liegt, obwohl das Landgericht nur vom Fehlen einer prozessual wirksamen Aufrechnung spricht, eine nach § 322 Abs. 2 ZPO gegenüber dem jetzt noch Beklagten rechtskraftfähige materielle Aberkennung dieser angeblichen Gegenforderung; insoweit ist ein Rechtsirrtum weder von der Revision geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
2.
Hinsichtlich der übrigen Gegenforderungen, auf die der Beklagte sich beruft (344 DM Restschuld aus jenem Vertrag von 1956, 5/8 von 14.200 DM Miet- und Unterhaltspflichten gegenüber der Erblasserin, weitere 88,50 DM Miete, mindestens 6.200 DM nicht abgeführte Mieteinnahmen aus früherer Zeit), haben das Landgericht und durch Verweisung das Oberlandesgericht offen gelassen, ob die Forderungen begründet sind, und die Aufrechnung für unzulässig erklärt. Die Vorinstanzen nehmen an, daß die Forderungen in der Person der Erblasserin erwachsen und mit ihrem Tod Nachlaßforderungen geworden sind, also nach § 2032 BGB der aus dem Beklagten und dem Sohn des Klägers bestehenden Erbengemeinschaft gesamthänderisch zustehen; das enthält keinen Rechtsirrtum und wird von der Revision nicht beanstandet. Dann ist aber die Statthaftigkeit der Aufrechnung entgegen der Auffassung der Revision mit den Vorinstanzen zu verneinen:
Das ergibt sich allerdings nicht schon aus dem verfahrensrechtlichen Grunde, weil der ursprünglich mitverklagte andere Miterbe (Beklagter zu 2) rechtskräftig zur Zahlung verurteilt und deshalb nach § 767 Abs. 2 ZPO mit Einwendungen gegen die Klagansprüche insoweit ausgeschlossen ist, als sie in der der Verurteilung vorausgehenden mündlichen Verhandlung hätten geltend gemacht werden können. Ein solcher Ausschluß wird zwar für den Aufrechnungseinwand von der Rechtsprechung schon dann angenommen, wenn in diesem Zeitpunkt bloß die Aufrechnungslage bestand, auch wenn eine Aufrechnungserklärung damals noch nicht vorlag (BGHZ 24, 97, 98/99; 34, 274, 279). Aber auch eine bloße Aufrechnungslage war damals für den Zweitbeklagten als solchen ebensowenig gegeben wie (damals und) heute für den Erstbeklagten, weil keiner von ihnen allein zur Aufrechnung befugt war, wie sogleich zu erörtern ist.
Die Unstatthaftigkeit einer Aufrechnung seitens des Beklagten (ebenso wie seitens des früheren Erstbeklagten) allein ergibt sich daraus, daß die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen nicht dem Beklagten (allein), sondern der Erbengemeinschaft zustehen:
Die Aufrechnung setzt außer der im vorliegenden Fall gegebenen Gleichartigkeit des Leistungsgegenstands (hier beiderseits Geldansprüche) voraus, daß der aufrechnende Schuldner der Hauptforderung selbst der Gläubiger der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung ist (§ 387 BGB). Das Erfordernis solcher Gegenseitigkeit wäre im vorliegenden Fall zwar erfüllt im Verhältnis zwischen dem Kläger und der (aus dem Beklagten und dem Sohn des Klägers bestehenden) Erbengemeinschaft; denn die Forderung des Klägers richtet sich gegen die Erbengemeinschaft, und die behaupteten Gegenforderungen stehen der Erbengemeinschaft gegen den Kläger zu; die Erbengemeinschaft hätte also, wenn man die behaupteten Gegenforderungen als begründet unterstellt, die eingeklagte Forderung durch Aufrechnung mit jenen Gegenforderungen materiell-rechtlich zum Erlöschen bringen können (§ 389 BGB), und der Beklagte hätte dann auch gegenüber der vorliegend erhobenen Gesamtschuldklage jenes Erlöschen der Schuld einwenden können (vgl. § 422 Abs. 1 BGB). Aber die Erbengemeinschaft hat eine solche Aufrechnung nicht erklärt.
Das schuldrechtliche Erfordernis der Gegenseitigkeit für eine Aufrechnung wird auch durch erbrechtliche Normen für den vorliegenden Fall nicht beseitigt, sondern bestätigt. Die Aufrechnung mit einer Nachlaßforderung ist Verfügung über einen Nachlaßgegenstand; eine solche kann nach § 2040 Abs. 1 BGB nur von allen Mit erben gemeinschaftlich, nicht von einem Miterben allein getroffen werden (Staudinger/Lehmann, BGB 11. Aufl. § 2040 Rdn. 8). Aus der vom Revisionskläger in der mündlichen Verhandlung herangezogenen Bestimmung des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB ergibt sich nichts anderes; denn abgesehen davon, daß in tatsächlicher Hinsicht für die Notwendigkeit einer Aufrechnung zur Erhaltung des Nachlasses oder einzelner Nachlaßgegenstände nichts dargetan ist, bezieht sich § 2038 BGB insgesamt nicht auf Verfügungen, für welche vielmehr die Sonderregelung des § 2040 Abs. 1 BGB gilt (RGRK - BGB 11. Aufl. § 2038 Anm. 1; vgl. RGZ 65, 5).
Eine Aufrechnung läßt sich auch nicht durch die von der Revision angestellte Erwägung begründen, daß der Beklagte (dem allerdings die Rechtskraft des Urteils gegen seinen früheren Mitbeklagten nicht entgegensteht), als Miterbe befugt wäre, die angeblichen Gegenforderungen nach § 2039 BGB ohne Mitwirkung des anderen Miterben gegen den Kläger als Nachlaßschuldner einzuklagen und im Falle seines Obsiegens die jetzige Klagforderung pfänden und überweisen zu lassen. Denn zu einen solchen Vorgehen wäre er nicht kraft eigener Rechtsinhaberschaft, sondern nur als Sachwalter der Erbengemeinschaft berufen. Klag- und Urteilsgegenstand wäre die Leistung des jetzigen Klägers (der gegenüber der Erbengemeinschaft Dritter ist) nicht an den jetzigen Beklagten (Miterben), sondern an die Erbengemeinschaft. Auch die genannte Zwangsvollstreckung könnte nicht, wie eine Aufrechnung, zum Erlöschen der Schuld des Miterben (jetzigen Beklagten) führen, sondern zunächst nur dazu, daß der Schuldner-Miterbe (jetzige Beklagte) statt an seinen ursprünglichen Gläubiger (jetzigen Kläger) an einen anderen Gläubiger leisten müßte, nämlich an die (wenn auch durch ihn, den jetzigen Beklagten, selbst als Pfändungsgläubiger repräsentierte) Erbengemeinschaft. Die Schuld des jetzigen Beklagten würde also fortbestehen. Sie könnte auch in diesem Falle in ihrer Durchsetzbarkeit nur, wie ohnehin (unten 3), gemäß § 242 BGB dadurch berührt werden, daß an der nunmehrigen Abwicklung auf beiden Seiten nur Miterben beteiligt wären (vgl. Kipp/Coing, Erbrecht 11. Bearb. § 117 zu Fußn. 7 und 8).
Nach allem hat das Berufungsgericht die Statthaftigkeit der Aufrechnung zutreffend verneint.
3.
Mit Recht rügt die Revision jedoch die Ablehnung eines Leistungsverweigerungsrechts des Beklagten.
Fraglich ist, ob ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB gegeben ist. An der hier geforderten Gegenseitigkeit würde es allerdings nicht fehlen; denn diese Bestimmung setzt zwar nach ihrem Wortlaut ebenfalls voraus, daß der zurückhaltende Schuldner selbst zugleich Gläubiger des Gegenanspruchs ist; die Gegenseitigkeitsvoraussetzung wird jedoch beim Zurückbehaltungsrecht weniger streng als bei der Aufrechnung verstanden und auch dann bejaht, wenn die Gegenforderung dem Zurückhaltenden (hier dem Beklagten) nur gemeinschaftlich mit anderen (hier gesamthänderisch mit dem anderen Miterben) zusteht (die Zurückhaltung führt in diesen Fällen zu einer Verurteilung des Beklagten zur Leistung an den Kläger Zug um Zug gegen Leistung des Klägers an einen Dritten, hier die Erbengemeinschaft; so Senatsurteil BGHZ 5, 173, 176 im Anschluß an RG Recht 1917 Nr. 1021; Staudinger/Werner, BGB 10./11. Aufl. § 273 Rdn. 4; Erman/Goerke, BGB 3. Aufl. § 273 Anm. 5; BGB RGRK 11. Aufl. § 273 Anm. 20; vgl. auch Planck/Siber, BGB 4. Aufl. § 273 Anm. 2 a Beta). Offen bleiben kann, ob die Gegenansprüche, auf die der Beklagte das Zurückbehaltungsrecht stützt, sämtlich den für § 273 BGB erforderlichen rechtlichen Zusammenhang besitzen (was hinsichtlich der 344 DM Restschuld aus dem Auseinandersetzungsvertrag von 1956 ohne weiteres zu bejahen, hinsichtlich der übrigen Ansprüche in tatsächlicher Hinsicht noch ungeklärt ist). Offen bleiben kann schließlich die zweifelhafte Frage, ob das Zurückbehaltungsrecht etwa schon an der Gleichartigkeit der gegenüberstehenden Ansprüche - die alle auf Geld gerichtet sind - scheitern würde (vgl. RG Urteil vom 24. April 1908 II 524/07 = Nachschlagewerk BGB § 273 Nr. 39). Denn eben diese Gleichartigkeit der Leistungen und das Bestehen einer wenn auch über die Prozeßparteien hinausgreifenden Aufrechnungslage begründet für den Beklagten in dem zu unterstellenden Fall, daß die behaupteten Gegenforderungen bestehen, ein gegenüber dem Zurückbehaltungsrecht noch stärkeres Leistungsverweigerungsrecht:
Schon nach der von der Revision ebenfalls herangezogenen Vorschrift des § 242 BGB gilt über die Sonderbestimmung des § 273 BGB hinaus der allgemeine Satz, daß arglistig handelt, wer fordert, was er zurückgewähren muß (RG Urteil vom 15. Dezember 1906, V 352/06 = Nachschlagewerk BGB § 273 Nr. 23). Dieser allgemeine Gedanke hat in zwei Gesetzesbestimmungen seine besondere Ausprägung erfahren für Fälle, die mit dem vorliegenden vergleichbar sind: Nach § 129 Abs. 3 HGB kann der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft (der wie der Miterbe als Gesamtschuldner für die Schulden der Gesamthand haftet, § 128 HGB, vgl. § 2058 BGB) die Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers verweigern, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann (vgl. hinsichtlich einer entsprechenden Anwendung auf den Gesellschafter des bürgerlichen Rechts: bejahend BGB RGRK 11. Aufl. § 719 Anm. 10; Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse 5. Aufl. § 719 Anm. 3; verneinend Geiler/Keßler bei Staudinger, BGB 11. Aufl. § 719 Rdn. 11; s. auch OLG 21, 322 - Stettin -). Nach § 770 Abs. 2 BGB kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann. In diesen beiden Fällen besteht eine Aufrechnungslage, die die gegenseitige Saldierung der Forderungen nahelegt; die Aufrechnungslage greift jedoch über diejenigen Personen hinaus, die sich gerade als Gläubiger und Schuldner gegenüberstehen, so daß die unmittelbare Saldierung zwischen ihnen nicht möglich ist; deshalb gewährt das Gesetz diesen Schuldner (Gesellschafter, Bürgen) das Recht, den Gläubiger auf die diesem gegebene Aufrechnungsmöglichkeit zu verweisen und die eigene Leistung abzulehnen. Das Leistungsverweigerungsrecht reicht nach der Natur der Sache nur soweit wie jene Aufrechnungslage; es besteht also nicht, soweit die Klagforderung die Gegenforderung (en) übersteigt (Planck/Oegg, BGB 4. Aufl. § 770 Anm. 2 a.E.; Staudinger/Engelmann, BGB 9. Aufl. § 770 Anm. 1 b. - Der dargelegte gesetzliche Grundgedanke trifft auch zu auf Fälle wie den vorliegenden, wo ein Nachlaßgläubiger einen Miterben belangt wegen einer Nachlaßschuld, der eine abrechenbare Gegenforderung der Erbengemeinschaft gegenübersteht. Die innerlich Hauptbeteiligten beim vorliegenden Klaganspruch sind mit denjenigen bei den behaupteten Gegenansprüchen identisch: die eingeklagte Forderung richtet sich als Erblasserschuld nach ihrer Herkunft und ihrer sachlichen Bedeutung in erster Linie nicht gegen den Beklagten als Einzelperson, sondern gegen die Erbengemeinschaft (den Nachlaß) als Nachfolger der Erblasserin; und die Erbengemeinschaft ist gleichzeitig, und zwar wiederum als Nachfolger der Erblasserin, Gläubiger der behaupteten Gegenforderungen. Da beiderseits Geldforderungen in Frage stehen, ist es wirtschaftlich sinnvoll, ihre Abwicklung nicht getrennt voneinander vorzunehmen, sondern in einen inneren Zusammenhang zu bringen. Dies kann allerdings nicht so weit gehen, daß dem Beklagten das Recht zugebilligt würde, die Nachlaßforderungen gegen die Klagforderung aufzurechnen, da er hierdurch in Rechte der Erbengemeinschaft eingriffe (oben 2). Dagegen ist es dann, wenn und soweit es sich im Verhältnis zwischen dem Nachlaßgläubiger (hier Kläger) und der Erbengemeinschaft beiderseits um aufrechenbare Forderungen handelt, geboten, dem mit der Gesamtschuldklage belangten Miterben (hier dem Beklagten) das gleiche Leistungsweigerungsrecht zu gewähren, wie es das Gesetz in § 770 Abs. 2 BGB für den Bürgen und in § 129 Abs. 3 HGB für den Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft ausdrücklich festlegt der Miterbe kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange und soweit sich der Gläubiger durch eine Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Erbengemeinschaft befriedigen kann.
Im vorliegenden Fall fehlt es allerdings insoweit, als die Klagforderungen noch nicht fällig sind, zur Zeit noch an einer Aufrechnungsbefugnis zwar nicht der Erbengemeinschaft, aber des Klägers (§ 387 Ende, vgl. § 271 Abs. 2 BGB) und damit dem Wortlaut nach an dem Tatbestandsmerkmal in § 129 Abs. 3 HGB und § 770 Abs. 2 BGB, daß sich "der Gläubiger durch Aufrechnung ..., befriedigen kann". Es mag dahingestellt bleiben, ob die genannten Bestimmungen in einem diesem Wortlaut entsprechenden engen Sinne auszulegen sind oder ob sie über ihren Wortlaut hinaus eine Aufrechnungsbefugnis auf Seiten des andern Partners (Gesellschaft, Hauptschuldner; hier entsprechend: Erbengemeinschaft) als Voraussetzung des Leistungsweigerungsrechts genügen lassen, was umstritten ist. Bei der letzteren, weiteren Auslegung entfällt das aufgeworfene Bedenken ohne weiteres. Aber auch bei jener engeren Auslegung schlägt es aus einem verfahrensrechtlichen Grunde nicht durch. Denn der dann allerdings bestehende Aufrechenbarkeitsmangel auf Klägerseite kann dem Leistungsweigerungsrecht des Miterben, Gesellschafters oder Bürgen deshalb nicht entgegenstehen, weil diese Personen sonst als Schuldner einer noch nicht fälligen Forderung schlechter stünden denn als Schuldner einer fälligen. Soweit die Klagforderungen noch nicht fällig sind, kann der Kläger gegenwärtig materiellrechtlich noch gar nicht Erfüllung verlangen; sobald er dies kann, nämlich vom Eintritt der Fälligkeit an, ist das Leistungsweigerungsrecht des Beklagten in den beiden gesetzlich geregelten Fällen des Gesellschafters und des Bürgen schon nach dem Gesetzeswortlaut und im vorliegenden Falle des Miterben in Anlehnung an jene Regelungen gegeben; wenn der Kläger sein Erfüllungsverlangen verfahrensrechtlich ausnahmsweise (wegen der besonderen Voraussetzungen der §§ 257 ff ZPO) schon jetzt (bezogen auf den jeweiligen späteren Fälligkeitstermin) geltend machen kann, so muß auch der Beklagte rechtlich in der Lage sein, sich schon jetzt auf jenes Leistungsweigerungsrecht zu berufen (vgl. zu der insoweit vergleichbaren Frage der Aufrechnung des Beklagten mit einer Gegenforderung, die jetzt noch nicht fällig ist, aber, bis zur Fälligkeit der Klagforderung fällig wird: Hellwig, System des Deutschen Zivilprozeßrechts § 103 a I 2; Baumbach/Lauterbach, ZPO 22. Aufl. Einf. 2 B zu §§ 257/259; Wieczorek, ZPO § 257 C I a 3 Abs. 2; Zöller, ZPO 9. Aufl. § 257 Anm. 4 gegenüber Stein/Jonas/Schönke/Pohle, ZPO 18. Aufl. § 257 I und Sydow-Busch, ZPO 22. Aufl. § 257 Anm. 6).
Dem Leistungsweigerungsrecht steht auch nicht etwa entgegen, daß ein Zurückbehaltungsrecht dann verneint wird, wenn Aufrechnung ausgeschlossen wäre und seine Ausübung einen der Aufrechnung gleichkommenden Erfolg haben würde (BGHZ 16, 37, 49; Senatsurteil LM BGB § 395 Nr. 2). Denn abgesehen davon, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um ein Zurückbehaltungsrecht im technischen Sinne handelt, steht auch kein Aufrechnungsverbot in Frage: das Gesetz verbietet hier nicht in einem Sonderfall eine Aufrechnung, deren allgemeine Voraussetzungen an sich vorlägen, sondern die Aufrechnung scheitert am Fehlen einer allgemeinen Voraussetzung (Gegenseitigkeit).
Das Leistungsweigerungsrecht hat ebenso wie die genannten aus § 770 BGB und § 129 HGB zur Folge, daß die Klage, soweit jene Aufrechnungsmöglichkeit besteht, als unbegründet abgewiesen werden muß. Daß der Beklagte infolgedessen im unterstellten Fall günstiger steht als bei einem Zurückbehaltungsrecht, das zu seiner wenn auch mit Zug-um-Zug-Beschränkung versehenen Verurteilung führen würde (§ 274 BGB), findet seine innere Rechtfertigung in der Gleichartigkeit der beiderseits geschuldeten Leistungen und im Bestehen einer wenn auch über die Prozeßparteien hinausgreifenden Aufrechnungslage. Muß daher eine Zug-um-Zug-Verurteilung abgelehnt werden, so käme nur noch eine Verurteilung zur Leistung nach durch den Kläger erbrachtem Nachweis seiner eigenen Leistung an die Erbengemeinschaft und damit eine Vorleistungspflicht des Klägers in Frage. Dieser Ausblick zeigt, daß eine Abweisung der Klage in Höhe der für den Kläger bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit die sachgemäße Lösung darstellt, wie sie in § 770 BGB und § 129 HGB der Gesetzgeber getroffen hat.
Hiernach hängt die Entscheidung über die Klagforderung davon ab, ob und inwieweit die vom Beklagten behaupteten Ansprüche der Erbengemeinschaft gegen den Kläger (mit Ausnahme des bereits aberkannten Anspruchs wegen Entnahme eines Gerüstes) bestehen. Das Berufungsgericht hat hierzu, von seinen Standpunkt aus folgerichtig, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Um ihre Nachholung zu ermöglichen, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht wie geschehen zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018591 |
BGHZ 38, 122 - 130 |
BGHZ, 122 |
DB 1963, 97 (amtl. Leitsatz) |
NJW 1963, 244 |
NJW 1963, 244-246 (Volltext mit amtl. LS) |
JZ 1963, 475-477 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.) |
MDR 1963, 121 (Volltext mit amtl. LS) |