Leitsatz (amtlich)
a) Auch Erfüllungsansprüche gegen den Vertragspartner kommen als anderweitige Ersatzmöglichkeit in Betracht, wenn durch eine Amtspflichtverletzung eines Notars bereits ein Schaden entstanden ist.
b) Das Verweisungsprivileg aus § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO greift auch dann ein, wenn der Geschädigte eine früher vorhandene anderweitige Ersatzmöglichkeit schuldhaft versäumt hat; eine Abwägung des beiderseitigen Verschuldens findet nicht statt.
Normenkette
DDR: NotVO § 18; BNotO § 19 Abs. 1 S. 2; BGB § 254
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Aktenzeichen 8 U 1731/97 (36)) |
LG Gera (Aktenzeichen 7 O 2104/95) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 9. Juni 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, eine Stadtgemeinde in Thüringen, nimmt den verklagten Notar auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch.
Die Klägerin war Eigentümerin eines in ihrem Stadtgebiet gelegenen, ca. 8.000 m² großen, unbebauten und unbelasteten Grundstücks. An dessen Erwerb waren die Eheleute J. und G. P. interessiert, um ihren bereits vorhandenen Gewerbebetrieb zu erweitern. Am 18. Oktober 1991 beurkundete der Beklagte ein Kaufangebot der Eheleute P. (im folgenden auch: die Käufer). Danach sollte der Kaufpreis 120.000 DM betragen (Quadratmeterpreis: 15 DM) und binnen zehn Tagen nach notarieller Bestätigung der Eintragung einer Auflassungsvormerkung bezahlt werden. Der Beklagte sollte die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch veranlassen, sobald die Kaufpreiszahlung von der Klägerin bestätigt oder von den Käufern nachgewiesen wurde.
Am 24. Juni 1992 nahm die Klägerin das Angebot zur Urkunde des verklagten Notars an. Sie erklärte in Anwesenheit des Käufers die Auflassung und die Bewilligung der Vormerkung. Ferner ermächtigte die Klägerin die Käufer zur Belastung des Grundstücks schon vor Eigentumsumschreibung. Die Ermächtigung war weder zweckgebunden noch betragsmäßig begrenzt. Noch am selben Tage belasteten die Käufer das Grundstück mit einer Grundschuld in Höhe von 2 Mio. DM. Diese wurde am 11. März 1993 eingetragen.
Nach Eintragung der Vormerkung teilte der Beklagte den Käufern mit Schreiben vom 15. Dezember 1992 mit, daß der Kaufpreis nunmehr fällig sei. Die Käufer zahlten nicht. Gleichwohl wurde am 7. Juni 1993 auf Veranlassung des Beklagten das Eigentum im Grundbuch umgeschrieben.
Am 26. Juli 1994 wurde ein Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch eingetragen. Auch danach wartete die Klägerin mit der Beitreibung des Kaufpreises noch zu, weil die Käufer versprochen hatten, auf dem Kaufgrundstück zu investieren und mehr als 250 Arbeitsplätze zu schaffen. Erst am 16. Januar 1995 beantragte die Klägerin einen Mahnbescheid gegen J. P. Dessen Ehefrau war zwischenzeitlich verstorben. Am 8. Mai 1995 wurde das Grundstück zwangsversteigert. Am 14. November 1995 gab J. P. die eidesstattliche Offenbarungsversicherung ab.
Mit der am 10. August 1995 eingereichten Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten Zahlung von 120.000 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr zur Hälfte stattgegeben. Dagegen wenden sich der Beklagte mit seiner – zugelassenen – Revision und die Klägerin mit einer unselbständigen Anschlußrevision.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch gemäß § 18 VONot in Verbindung mit § 19 BNotO. Der Beklagte hafte nicht lediglich subsidiär. Zwar habe die Klägerin eine anderweitige Ersatzmöglichkeit versäumt, indem sie mit der Titulierung ihres Anspruchs gegen die Käufer unangemessen lange zugewartet habe. Die Klägerin habe aber damals die drohende Vermögenslosigkeit der Käufer nicht gekannt. Im übrigen gelte der Subsidiaritätsgrundsatz nicht für den Fall der Versäumung einer früher gegebenen anderweitigen Ersatzmöglichkeit. Dieser sei vielmehr unter Abwägung des beiderseitigen Verschuldens nach § 254 BGB zu lösen. Im vorliegenden Fall erscheine wegen des zögerlichen Vorgehens der Klägerin eine hälftige Schadensteilung als angemessen.
II.
In der Revisionsinstanz ist nicht mehr im Streit, daß der Beklagte insbesondere deshalb schuldhaft amtspflichtwidrig gehandelt hat, weil er die Klägerin nicht über die Risiken der den Käufern erteilten Belastungsermächtigung belehrt hat, und daß der Klägerin dadurch der eingeklagte Schaden entstanden ist. Ob der Beklagte dadurch, daß er vor der Kaufpreiszahlung die Eigentumsumschreibung im Grundbuch veranlaßt hat, eine weitere Pflichtverletzung begangen hat, kann im derzeitigen Verfahrensstand offenbleiben. Die Parteien sind darüber unterschiedlicher Meinung, ob zugunsten des Beklagten der Subsidiaritätsgrundsatz (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO) Anwendung findet oder ob die Klägerin wegen Versäumung einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit ein Mitverschuldensvorwurf trifft.
III.
Zur Revision des Beklagten
1. Zu Unrecht bezweifelt die Revisionserwiderung der Klägerin die Zulässigkeit der Revision.
Das Berufungsgericht hat die im Tenor seines Urteils ohne Einschränkung ausgesprochene Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen damit begründet, „die Lösung des vorliegenden Falles über § 254 BGB statt über § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO (sei) von grundsätzlicher Bedeutung”. Ob darin eine wirksame Beschränkung der Zulassung liegt, wie die Revisionserwiderung meint, erscheint zweifelhaft (vgl. Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO 21. Aufl. § 546 Rdnr. 25 ff; Walchshöfer, in: MünchKomm-ZPO, § 546 Rdnr. 58 ff; Zöller/Gummer, ZPO 21. Aufl. § 546 Rdnr. 42 ff). Darauf kommt es aber nicht an. Denn die Revision, die das Bestehen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO geltend macht, greift nichts anderes an als die Lösung der vom Berufungsgericht für rechtsgrundsätzlich gehaltenen Frage.
2. Die Revision ist auch in der Sache gerechtfertigt.
a) Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß die Klägerin – auch jetzt noch – über eine anderweitige Ersatzmöglichkeit verfügt, weil ihr der Kaufpreisanspruch gegen die Käufer zusteht.
aa) Der Begriff der anderweitigen Ersatzmöglichkeit wird weit verstanden. Hierfür kommen alle Möglichkeiten der Schadloshaltung tatsächlicher und rechtlicher Art in Betracht (BGH, Urt. v. 26. März 1982 - V ZR 12/81, WM 1982, 615). Auch Ansprüche gegen den – durch die Pflichtverletzung des Notars begünstigten – Vertragspartner können eine anderweitige Ersatzmöglichkeit darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 11. März 1993 - IX ZR 202/91, WM 1993, 1193; v. 24. Juni 1993 - IX ZR 84/92, WM 1993, 1896, 1898; v. 22. Juni 1995 - IX ZR 122/94, WM 1995, 1883, 1885; v. 2. Juli 1996 - IX ZR 299/95, WM 1996, 2071, 2073).
Hinsichtlich des Erfüllungsanspruchs gegen den Vertragspartner ist zu differenzieren. Ein Anspruch, dessen Nichterfüllung erst den Schaden eintreten läßt, ist keine anderweitige Ersatzmöglichkeit. Die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes setzt voraus, daß der Schaden bereits eingetreten ist (vgl. BGH, Urt. v. 7. März 1963 - III ZR 167/61, VersR 1963, 631, 632; Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. § 839 Rdnr. 491). Der Erfüllungsanspruch kann eine anderweitige Ersatzmöglichkeit aber dann sein, wenn der Schaden nicht oder nicht ausschließlich auf der Nichterfüllung dieses Anspruchs beruht. So war es hier. Die Vermögenslage der Klägerin hatte sich bereits verschlechtert – und somit war ein Schaden eingetreten (BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992 - IX ZR 43/92, WM 1993, 251, 255; vgl. auch BGHZ 100, 228, 231; 114, 150, 152 f) -, als die Käufer das Kaufgrundstück aufgrund der entsprechenden Ermächtigung der Klägerin zur Sicherung eines Kredits mit einer Grundschuld belasteten, somit das Grundeigentum der Klägerin entwerteten, ohne daß gewährleistet war, daß der Kreditbetrag zur Tilgung der Kaufpreisforderung der Klägerin zufloß. Der in der Entwertung des Grundeigentums liegende Schaden wäre entfallen, wenn die Käufer den Kaufpreis entrichtet hätten, und er entfiele, wenn die Klägerin diesen jetzt noch erhielte.
bb) Die darlegungs- und beweisbelastete (vgl. BGHZ 102, 246, 249; BGH, Urt. v. 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, WM 1996, 30, 32) Klägerin hat die Möglichkeit nicht ausgeräumt, daß sie – auch jetzt noch – Erfüllung verlangen oder nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgehen und sodann die Käufer – zumindest einen von ihnen – auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Anspruch nehmen kann.
(1) Revisionsrechtlich ist davon auszugehen, daß der Kaufvertrag noch besteht. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß eine Vertragsaufhebung zwar in Aussicht genommen war, aber nicht zustande gekommen ist. Weiter heißt es im Berufungsurteil, der Käufer J. P. habe mit Schreiben vom 26. März 1995 den Rücktritt erklärt; daß dies mit Grund geschehen sei, hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Nach dem Vortrag der Klägerin sind die Käufer im Schuldnerverzug.
(2) Von der Leistungsunfähigkeit beider Käufer kann nicht ausgegangen werden.
Zwar hat der Käufer J. P. am 14. November 1995 die eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben. Seither ist in seiner Person eine anderweitige Ersatzmöglichkeit nicht mehr gegeben, weil eine Ersatzmöglichkeit, die wirtschaftlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, nicht zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 27. Mai 1993 - IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1517; v. 24. Juni 1993 - IX ZR 84/92, WM 1993, 1896, 1898; v. 6. Oktober 1994 - III ZR 134/93, WM 1995, 64, 68). Daß die anderweitige Ersatzmöglichkeit in der Person des J. P. erst nach Klageerhebung (10. August 1995) weggefallen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Allerdings ist als maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit grundsätzlich derjenige der Erhebung der Notarhaftungsklage angesehen worden (BGH, Urt. v. 24. Juni 1993 - IX ZR 84/92, WM 1993, 1896, 1898; vgl. auch zur entsprechenden Problematik im Amtshaftungsprozeß RGZ 100, 128, 129; BGHZ 120, 124, 131; BGH, Urt. v. 29. Oktober 1959 - III ZR 160/58, VersR 1959, 1013, 1016 unter IV 2; v. 26. November 1981 - III ZR 59/80, NJW 1982, 1328, 1329 unter II 4; BGB-RGRK/Kreft, 12. Aufl. § 839 Rdnr. 507; Soergel/Glaser, BGB 11. Aufl. § 839 Rdnr. 213; Palandt/Thomas, BGB 58. Aufl. § 839 Rdnr. 57). Dabei handelte es sich aber – soweit ersichtlich – stets um Fälle, bei denen eine anderweitige Ersatzmöglichkeit erstmals nach Klageerhebung entstanden war. Für den Fall, daß eine bis dahin gegebene anderweitige Ersatzmöglichkeit nach Klageerhebung entfällt, kann der erwähnte Grundsatz nicht gelten (vgl. Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 5. Aufl. Rdnr. II 253; Haug, Die Amtshaftung des Notars 2. Aufl. Rdnr. 212; Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 3. Aufl. § 19 Rdnr. 175; Ganter DNotZ 1998, 851, 863). Die Klage des Geschädigten, der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung keine anderweitige Ersatzmöglichkeit mehr hat, deshalb abzuweisen, weil eine solche Möglichkeit im Zeitpunkt der Klageerhebung noch bestand, ist nicht gerechtfertigt, wenn der Geschädigte auf den Wegfall der anderweitigen Ersatzmöglichkeit keinen Einfluß hatte (ebenso Soergel/Glaser, aaO).
Über die Leistungsfähigkeit der Mitkäuferin G. P. ist indessen nichts festgestellt. Das Berufungsgericht hat zu ihrer Person lediglich festgestellt, sie sei „zwischenzeitlich verstorben”. Falls dies vor dem 14. November 1995 geschehen und sie von ihrem Ehemann beerbt worden wäre, würde dessen eidesstattliche Offenbarungsversicherung auch den Nachlaß umfassen. Über den Zeitpunkt des Todes und die Erbfolge ist indes nichts bekannt. Aus der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung des überlebenden Käufers ergibt sich somit nichts dafür, daß der Nachlaß der G. P. überschuldet ist. Die Klägerin hat nicht einmal vorgetragen, daß sie vor dem Ableben der G. P. versucht habe, den Kaufpreisanspruch bei dieser beizutreiben. In dem Schreiben des Amtsgerichts Kirchheim unter Teck an die Klägerin vom 22. November 1996 ist mitgeteilt worden, bezüglich der G. P. befinde sich kein Eintrag im Schuldnerverzeichnis. Es ist folglich nicht als ausgeschlossen anzusehen, daß der Nachlaß der G. P. nicht überschuldet ist, so daß sich die Klägerin noch an die Erben halten kann.
b) Selbst wenn die Klägerin heute keine anderweitige Ersatzmöglichkeit mehr hätte, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, hat sie das Vorbringen des Beklagten bisher nicht widerlegt, sie habe eine früher gegebene anderweitige Ersatzmöglichkeit schuldhaft versäumt.
aa) Die Meinung des Berufungsgerichts, das Verweisungsprivileg aus § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO greife hier nicht ein, weil die Klägerin bei der Versäumung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit die drohende Vermögenslosigkeit der Käufer nicht gekannt habe, ist unzutreffend.
Allerdings kann den Geschädigten der Vorwurf einer schuldhaften Versäumung nur treffen, wenn er Kenntnis vom Schaden hatte (Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, § 19 BNotO Rdnr. 174; ebenso zu § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB bereits RGZ 145, 258, 261). Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat aber irrtümlich gemeint, die Kenntnis vom Schaden setze wiederum die „Kenntnis von der drohenden Vermögenslosigkeit” der Käufer voraus. Diese Ansicht beruht auf einem Mißverständnis des Schadensbegriffs. Ein Schaden war – wie oben ausgeführt – bereits eingetreten, als die Käufer das Grundstück mit der Grundschuld belastet hatten. Ob überdies die Verwirklichung des Kaufpreisanspruchs wegen der „drohenden Vermögenslosigkeit” der Käufer gefährdet war, konnte allenfalls eine Vertiefung des Schadens bedeuten und hätte im übrigen für die Klägerin Anlaß sein müssen, mit der Rechtsverfolgung gegenüber den Käufern nicht zu zögern. Dies ist eine Frage des Verschuldens.
bb) Sofern das Berufungsgericht der Ansicht gewesen sein sollte, die Versäumung einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit könne schlechthin nicht zur Anwendung von § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO führen, sondern müsse über § 254 BGB gelöst werden, könnte ihm ebenfalls nicht gefolgt werden.
Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO enthält – nicht anders als § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB – keinen Sonderfall des § 254 BGB; beide Vorschriften behandeln verschiedene Tatbestände und decken sich nicht (BGH, Urt. v. 28. September 1959 - III ZR 112/58, VersR 1959, 1005, 1008; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 Rdnr. 493). Versäumt der Geschädigte schuldhaft eine anderweitige Ersatzmöglichkeit, greift nicht § 254 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative BGB ein, sondern § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 22. Juni 1995 - IX ZR 122/94, WM 1995, 1883, 1885; v. 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, WM 1996, 30, 32; v. 25. April 1996 - IX ZR 237/95, WM 1996, 1694; v. 2. Juli 1996 - IX ZR 299/95, WM 1996, 2071, 2073; zustimmend: Haug, Die Amtshaftung des Notars Rdnr. 207; ders., in: Seybold/Schippel, BNotO 6. Aufl. § 19 Rdnr. 97; Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, § 19 BNotO Rdnr. 173; a.A. Rinsche, aaO Rdnr. II 257). Das wird auch für die Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB, an die sich § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO anlehnt, nicht anders gesehen (RGZ 158, 277, 279 ff; BGHZ 10, 137, 139; BGH, Urt. v. 19. März 1992 - III ZR 117/90, BB 1992, 950, 951; Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl. § 839 Rdnr. 417; BGB-RGRK/Kreft, § 839 Rdnr. 508; Soergel/Glaser, § 839 BGB Rdnr. 213; MünchKomm-BGB/Papier, 3. Aufl. § 839 Rdnr. 300; Palandt/Thomas, § 839 BGB Rdnr. 57).
Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts (das insoweit Rinsche aaO folgt) gibt dem Senat keinen Anlaß, von seiner bisherigen Meinung abzurücken. Der Gegenmeinung ist allerdings zuzugeben, daß der Wortlaut der Vorschrift auf den ersten Blick für sie spricht. Danach ist Voraussetzung des Verweisungsprivilegs, daß der Geschädigte auf andere Weise Ersatz zu erlangen „vermag”. Es wird also auf die Gegenwart abgestellt. Durchschlagend ist dieses Argument jedoch nicht. Denn wenn der Geschädigte zu irgendeinem Zeitpunkt vor Klageerhebung eine anderweitige Ersatzmöglichkeit hat, greift § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO – auf diesen Zeitpunkt bezogen – unzweifelhaft ein; es kann deshalb nur darum gehen, ob der Notar das ihm früher zustehende Verweisungsprivileg verliert, sobald dessen Voraussetzungen (aus vom Geschädigten zu vertretenden Gründen) nicht mehr vorliegen.
Dies ist eine Wertungsfrage. Dabei ist nicht zu verkennen, daß das Verweisungsprivileg den Geschädigten dann, wenn es auf die Versäumung einer früher gegebenen anderweitigen Ersatzmöglichkeit gestützt wird, mehr belastet als im Falle einer gegenwärtig bestehenden anderweitigen Ersatzmöglichkeit. Denn im zweiten Fall kann er die anderweitige Ersatzmöglichkeit noch wahrnehmen. Das Verweisungsprivileg steht hier – gleichgültig ob der Geschädigte mit der Durchsetzung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit Erfolg hat oder nicht – der Realisierung des Schadensersatzanspruchs letztlich nicht im Wege. Entweder erlangt der Geschädigte seinen Schadensersatz durch Ausschöpfung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit oder – falls sich dieser Weg wider Erwarten als nicht gangbar erweist – von dem Notar, dem gegenüber die Klage nicht endgültig, sondern nur als zur Zeit unbegründet abgewiesen war. Im Falle einer versäumten anderweitigen Ersatzmöglichkeit führt das Verweisungsprivileg hingegen zur endgültigen Abweisung der Klage gegen den Notar, obwohl bereits feststeht, daß der Geschädigte von dritter Seite keinen Ersatz erhält, und selbst wenn der Geschädigte bei der Versäumung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit nur leicht fahrlässig gehandelt hat. Die Anwendung des § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) anstatt des § 254 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative BGB belastet den Geschädigten überdies deshalb, weil eine Abwägung des beiderseitigen Verschuldens, die bei § 254 BGB möglich wäre, nicht stattfindet.
Die Erstreckung des Subsidiaritätsgrundsatzes auf den Fall der versäumten anderweitigen Ersatzmöglichkeit wird jedoch durch den Schutzzweck des § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO gerechtfertigt. Die Vorschrift soll den Notar schützen, der zur Amtstätigkeit verpflichtet ist und den damit verbundenen Haftungsrisiken nicht ausweichen kann (Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, § 19 BNotO Rdnr. 160; vgl. auch Haug, Die Amtshaftung des Notars Rdnr. 171; ders., in: Seybold/Schippel, § 19 BNotO Rdnr. 81). Um dies auszugleichen, soll der Notar bei lediglich fahrlässiger Amtspflichtverletzung nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Wegen dieses Schutzzwecks hat der Geschädigte es nicht in der Hand, durch Dispositionen über die anderweitige Ersatzmöglichkeit die Notarhaftung zu begründen. Aus der Sicht des Notars macht es aber keinen rechtserheblichen Unterschied, ob der Geschädigte willentlich über die anderweitige Ersatzmöglichkeit disponiert oder diese fahrlässig versäumt (RG DNotZ 1934, 849, 852; Haug, Die Amtshaftung des Notars Rdnr. 207; Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, § 19 BNotO Rdnr. 173).
cc) Nach der Behauptung des Beklagten wäre eine Forderung der Klägerin gegen die Käufer jedenfalls im März 1993 noch realisierbar gewesen. Feststellungen dazu fehlen.
IV.
Zur Anschlußrevision der Klägerin
Der Anschlußrevision kann der Erfolg ebenfalls nicht versagt werden.
1. Ein Mitverschulden (§ 254 BGB) kann der Klägerin nicht zur Last gelegt werden.
Hat die Klägerin eine früher gegebene anderweitige Ersatzmöglichkeit schuldhaft versäumt, ist – wie bereits ausgeführt (II 2 b) – nicht § 254 BGB, sondern § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO anzuwenden. Allerdings schließt die zuletzt genannte Vorschrift die Berücksichtigung mitwirkenden Verschuldens dann nicht aus, wenn sich dieses nicht auf die Durchsetzung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit bezieht (Haug, Die Amtshaftung des Notars Rdnr. 207; Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, § 19 BNotO Rdnr. 174). Ein solcher Fall liegt zum Beispiel dann vor, wenn der Geschädigte zu dem Zeitpunkt, als eine anderweitige Ersatzmöglichkeit bestand, zwar keine Kenntnis vom Schaden hatte (damit ist die Anwendung von § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO ausgeschlossen), die Unkenntnis aber auf Fahrlässigkeit beruhte (vgl. RGZ 145, 258, 261). Falls sich die Klägerin, wie das Berufungsgericht gemeint hat, mit der Titulierung ihres Anspruchs gegen die Käufer unangemessen lange Zeit gelassen hat, bezieht sich das Mitverschulden indes gerade auf die Wahrnehmung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit. Dann wird es durch die Subsidiarität der Notarhaftung aufgezehrt.
2. In Ermangelung ausreichender Feststellungen kann derzeit auch nicht von einer lediglich subsidiären Haftung des Beklagten ausgegangen werden. Vielmehr ist zugunsten der Anschlußrevision zu unterstellen, daß die Klägerin seit dem Zeitpunkt, als die Käufer in Schuldnerverzug gerieten, keine Möglichkeit mehr hatte, die Käufer mit Aussicht auf Erfolg auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin hat unter Beweisantritt vorgetragen, daß die Käufer bereits im Jahre 1993 zahlungsunfähig und vermögenslos gewesen seien. Dieser Beweis ist nicht erhoben worden.
V.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht entscheidungsreif ist (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Zunächst ist festzustellen, wer die Käuferin G. P. beerbt hat und ob von diesen Erben Ersatz erlangt werden kann. Falls dies nicht der Fall ist, muß der Frage nachgegangen werden, ob früher eine anderweitige Ersatzmöglichkeit bestanden hat, die von der Klägerin versäumt worden ist. Der zu der Behauptung der Klägerin, die Käufer seien schon im Jahre 1993 vermögenslos gewesen, angetretene Beweis wird erhoben werden müssen.
Sollte der Klägerin dieser Beweis mißlingen, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Versäumung schuldhaft war. Nach ihrem unter Beweis gestellten Vorbringen hat die Klägerin zunächst von Zwangsmaßnahmen gegen die Käufer abgesehen, weil sie die von diesen zugesagten „Investitionen in Millionenhöhe”, die unter anderem zur Schaffung von mehr als 250 Arbeitsplätzen führen sollten, nicht gefährden wollte. Solange die Klägerin die Käufer für zahlungsfähige – lediglich zeitweilig zahlungsunwillige – Investoren halten durfte, war das Unterlassen einer Geltendmachung der Rechte nicht schuldhaft. Anders war dies ab dem Zeitpunkt, in dem der Klägerin Bedenken kommen mußten, ob der Vertrag würde durchgeführt werden können. Das Berufungsgericht wird feststellen müssen, ob die Käufer zu diesem Zeitpunkt noch erfolgreich hätten in Anspruch genommen werden können.
Wenn das Berufungsgericht wiederum zu einer Verurteilung des Beklagten gelangen sollte, kann dieser nur zur Zahlung Zug um Zug gegen Abtretung des Kaufpreisanspruchs der Klägerin gegen die Eheleute P. verurteilt werden. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung (vgl. BGH, Urt. v. 15. Januar 1998 - IX ZR 4/97, WM 1998, 783, 786).
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.02.1999 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539290 |
NJW 1999, 2038 |
MittRhNotK 1999, 113 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 976 |
WuB 1999, 787 |
NJ 1999, 428 |
VersR 2000, 1023 |
ZNotP 1999, 208 |