Verfahrensgang
LG Mühlhausen (Urteil vom 17.02.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten P. wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 17. Februar 2003, auch soweit es den Mitangeklagten E. betrifft, in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß schuldig sind:
- der Angeklagte P. der versuchten räuberischen Erpressung, des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer sowie der versuchten Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung,
- der Mitangeklagte E. der versuchten räuberischen Erpressung, des erpresserischen Menschenraubs sowie der versuchten Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen versuchter räuberischer Erpressung und Sachbeschädigung (Tat vom 3.2.2000), erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer (Tat vom 5.2.2000), Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Freiheitsberaubung (Tat vom 28.2.2000) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Mitangeklagten E., der kein Rechtsmittel eingelegt hat, hat es wegen versuchter räuberischer Erpressung (Tat vom 3.2.2000), erpresserischen Menschenraubs (Tat vom 5.2.2000), Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Freiheitsberaubung (Tat vom 28.2.2000) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte P. mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Der Senat hat mit Beschluß vom heutigen Tage die Verfolgung der Tat vom 3. Februar 2000 gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der versuchten räuberischen Erpressung beschränkt.
Nach dieser Beschränkung hat die Revision nur in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen geringen Umfang zum Schuldspruch Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen sind, soweit Aufklärungsmängel beanstandet werden, unzulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zudem sind sie – wie auch die Rüge, der Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens sei zu Unrecht abgelehnt worden – unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Auch die Sachrüge ist im wesentlichen unbegründet.
a) Im Hinblick auf die Tat vom 28. Februar 2000 hat der Senat den Schuldspruch entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. September 2003 (die Nötigung tritt hinter der Freiheitsberaubung zurück, der Versuch der Nötigung zur Rücknahme der Strafanzeige steht in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung und der Freiheitsberaubung) dahin geändert, daß der Angeklagte der versuchten Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung schuldig ist. § 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen; denn der Angeklagte hätte sich gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen verteidigen können. Die Schuldspruchänderung ist gemäß § 357 StPO auch auf den Mitangeklagten E. zu erstrecken (vgl. BGH bei Kusch NStZ 1997, 379).
b) Der Erörterung bedarf im übrigen nur die rechtliche Würdigung der Tat vom 5. Februar 2000.
aa) Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte hatte aus einer Lieferung von Rauschgift gegen Tony M. eine „Forderung” von 250 DM. Er wußte, daß er auf das Geld keinen Anspruch hatte, versuchte aber dennoch, es von M. „einzutreiben”. Am 5. Februar 2000 „verbrachten” der Angeklagte P. und der Mitangeklagte E. den Tony M., der nicht zahlen konnte, in den mitgebrachten Pkw, um M. „in eine fremde Umgebung zu fahren und damit den Druck zur Begleichung der Schulden zu erhöhen”. Durch den ausgeübten Zwang sollte M. aus Angst um sein körperliches Wohl der Zahlungsforderung des Angeklagten umgehend nachkommen (UA 29). Während der Mitangeklagte das Fahrzeug steuerte, saß der Angeklagte mit M. auf der Rücksitzbank. Er redete auf ihn ein; dann schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht, „um seine Forderung nach Zahlung weiter zu verstärken”. Durch die Schläge erlitt der Geschädigte ein Hämatom am linken Auge. Als der Mitangeklagte E. den Pkw in unbewohnter Umgebung anhielt und zusammen mit dem Angeklagten den M. aus dem Auto zog, konnte dieser fliehen und bei der Polizei Anzeige erstatten.
bb) Die Jugendkammer hat dieses Verhalten – soweit es den Angeklagten P. betrifft – als erpresserischen Menschenraub (§ 239 a Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf einen Kraftfahrer (§ 316 a Abs. 1 StGB) gewürdigt. Den Tatbestand des § 316 a Abs. 1 StGB hat es dadurch als erfüllt angesehen, daß der Angeklagte den in das Fahrzeug „verbrachten” Geschädigten während der Fahrt geschlagen habe, dies einen Angriff mittels Gewalt auf einen Mitfahrer darstelle, mit dem Angriff die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt worden seien, weil der Geschädigte in dem fahrenden Pkw keine Möglichkeit gehabt habe, sich dem Angriff zu entziehen, und der Angeklagte die Schläge zur Begehung einer räuberischen Erpressung, nämlich deshalb eingesetzt habe, um den Geschädigten zur Zahlung von Geld zu veranlassen, auf das er rechtlich keinen Anspruch gehabt habe.
cc) Diese Würdigung läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen:
(1) Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs liegt vor, weil der Angeklagte – gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten E. – den Geschädigten M. entführt hat, um die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen (§ 239 a Abs. 1 StGB). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß zwischen der Entführungslage und der beabsichtigten Erpressung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang bestand (vgl. BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Erpressung 1; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 239 a Rdn. 4 f.). Mit dem Entführen in erpresserischer Absicht war die Tat vollendet (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1997 – 1 StR 188/97; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 239 a Rdn. 9).
(2) Tateinheitlich zu § 239 a Abs. 1 StGB liegt auch ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316 a Abs. 1 StGB) vor:
Wie der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03 – (= StraFo 2004, 65; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) im einzelnen ausgeführt hat, erachtet er eine – enger als bisher – am Schutzzweck und den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 316 a StGB orientierte Auslegung der Vorschrift für geboten. Ausgehend von der Zielrichtung der Strafvorschrift, neben individuellen Rechtsgütern den Schutz der Sicherheit des Kraftfahrverkehrs auf den Straßen zu bezwecken, erfaßt der Tatbestand als taugliche Tatopfer nur den „Führer” oder den „Mitfahrer” eines Kraftfahrzeugs. Erforderlich ist, daß das Opfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, hat. Das war hier noch nicht gegeben, als der Geschädigte in das Fahrzeug „verbracht” wurde. Zu diesem Zeitpunkt lag zwar ein Angriff auf seine Entschlußfreiheit vor; M. war aber noch nicht „Mitfahrer”. Im Fahrzeug, während der Fahrt, war er jedoch „Mitfahrer” und damit taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316 a StGB, auch wenn er sich unfreiwillig in dem Pkw befand. Hier verübte der Angeklagte zur Begehung der räuberischen Erpressung einen neuen Angriff gegen den Geschädigten, und zwar diesmal durch Gewalt gegen seinen Körper mit der Gefahr einer nicht nur unerheblichen Verletzung. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, war dieser Angriff auf den „Leib” des Mitfahrers tatbestandsmäßig im Sinne des § 316 a Abs. 1 StGB (enger und nur auf den ersten Angriff außerhalb des Fahrzeugs abstellend: BGH StV 2002, 362 f. und 363). Ob auch die – konkludent im Fahrzeug erfolgte – fortdauernde Nötigung zum Mitfahren als „Angriff” auf den Geschädigten anzusehen ist, bedarf daher keiner Entscheidung.
Rechtsfehlerfrei hat die Jugendkammer auch belegt, daß der Angeklagte die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt hat; denn der während des gesamten Tatgeschehens zur Flucht entschlossene Geschädigte hatte in dem fahrenden Fahrzeug keine Möglichkeit, sich dem Angriff zu entziehen, ohne sich selbst und möglicherweise auch andere Verkehrsteilnehmer – etwa durch Öffnen der Tür, Ziehen der Handbremse o.ä. – zu gefährden. Er war deshalb leichter Opfer des räuberischen Angriffs (vgl. hierzu die Senatsbeschlüsse vom 27. November 2003 – 4 StR 338/03 – und vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 471/03).
Mit dem Verüben des Angriffs war das Delikt vollendet (vgl. Sowada in LK 11. Aufl. § 316 a Rdn. 46). Für die Tatbestandsvollendung ist es unerheblich, daß das Raubdelikt erst später – außerhalb des Fahrzeugs – vollendet werden sollte (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 316 a Rdn. 7). Es genügt, daß der Täter im Zeitpunkt des Angriffs den Entschluß zu einer in ihren wesentlichen Zügen bestimmten Tat, die die Merkmale einer Raubtat (hier: einer räuberischen Erpressung) erfüllt, gefaßt hatte (BGH NStZ 1997, 236, 237). Das war hier der Fall.
3. Die geringfügige Änderung der Schuldsprüche wirkt sich auf die Strafen nicht aus. Der Senat kann ausschließen, daß die Jugendkammer – bei im wesentlichen unverändertem Schuldgehalt der Taten – niedrigere Strafen als die von ihr für erzieherisch geboten erachteten Jugendstrafen festgesetzt hätte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Auch eine Kostenfreistellung nach den §§ 74, 109 Abs. 2 Satz 1 JGG ist nicht veranlaßt.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2558188 |
NStZ 2004, 626 |
ZAP 2004, 698 |
DAR 2005, 248 |
VRS 2004, 449 |
VersR 2004, 1432 |
JWO-VerkehrsR 2004, 122 |