Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschleusen von Ausländern
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21. November 1997 wird verworfen.
In der Urteilsformel entfällt der Hinweis zum Grund der Nichtaussetzung der Strafe zur Bewährung.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
I.
1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Eine Schlepperorganisation schleuste vor dem Hintergrund der schwierigen politischen Verhältnisse in Sri Lanka gegen Bezahlung auf folgende Weise Tamilen illegal in die Bundesrepublik ein: Jeweils mit Unterstützung der Organisation kamen die Tamilen zunächst mit dem Flugzeug von Colombo nach Kiew, von dort (erforderlichenfalls nach Bestechung ukrainischer Behördenangehöriger) nach Polen und von dort über die „grüne” deutsch/polnische Grenze in die Bundesrepublik.
Der Angeklagte, der dieser Organisation nicht angehörte, veranlaßte über einen Angehörigen dieser Organisation derartige Einschleusungsaktionen zu Gunsten von insgesamt vier Bekannten; ein finanzielles Interesse an deren Einreise hatte er nicht. Auf ihren Entschluß zur Einreise wirkte er nicht selbst hin; soweit sie nicht ohnehin zur Einreise entschlossen waren, wurden sie durch Angehörige der Organisation hierzu veranlaßt. Auch an der Durchführung der Einschleusungsaktionen war er nicht beteiligt, wohl aber an der Abwicklung der Zahlung des Schlepper-entgeltes.
Im einzelnen handelt es sich um folgende Taten:
a) P. erreichte auf die geschilderte Weise am 8. August 1996 die Bundesrepublik.
Deshalb wurde der Angeklagte gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG, § 25 Abs. 2, § 27 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
b) Auf Grund eines Mitte September 1996 gefaßten Entschlusses des Angeklagten wurde die Einschleusung von S. eingeleitet. Er kam aber nicht über die ukrainisch/polnische Grenze.
In diesem Fall wurde der Angeklagte gemäß § 92a Abs. 1 Nr. 2 (erste Alternative), Abs. 3, § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG; §§ 22, 23, 25 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
c) Aufgrund eines Ende September 1996 gefaßten Entschlusses des Angeklagten sollten Si. und Siv. eingeschleust werden. Siv. kam nur bis Kiew.
In diesem Fall wurde der Angeklagte gemäß § 92a Abs. 1 Nr. 2 (erste Alternative), § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG, § 25 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
2. Aus den genannten Strafen wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten gebildet, die deshalb nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, weil sie bereits vollständig durch Untersuchungshaft verbüßt war. Ein entsprechender Hinweis wurde auch in den Urteilstenor aufgenommen.
II.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie bleibt erfolglos.
1. Die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Landgerichts greift nicht durch.
a) Der Angeklagte hatte bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts geltend gemacht.
Über dieses Vorbringen hat das Landgericht durch die Eröffnung des Hauptverfahrens jedenfalls inzident entschieden. Auf einen – im übrigen nicht ersichtlichen – Verfahrensverstoß in diesem Verfahrensstadium kann die Revision nicht gestützt werden, § 336 StPO (BGH, Urt. vom 4. Dezember 1979 - 5 StR 571/79; Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 16 Rdn. 9).
b) Allerdings hat das Landgericht zugleich mit der Eröffnung des Hauptverfahrens das Verfahren gegen den Mitangeklagten R. S. zu gesonderter Verhandlung und Entscheidung abgetrennt, in dessen Person (allein) die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts begründet war.
Ob sich hieraus Konsequenzen für die Zuständigkeit des Landgerichts zur Aburteilung des Angeklagten ergeben könnten, hat der Senat jedoch nicht zu prüfen. Das Landgericht durfte nach Eröffnung des Hauptverfahrens seine örtliche Unzuständigkeit nur noch auf Einwand des Angeklagten aussprechen. Ein solcher Einwand wurde nicht erhoben (§ 16 Satz 2 und 3 StPO, vgl. Pfeiffer aaO).
2. Die Sachrüge bleibt erfolglos, da die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der näheren Ausführung bedarf nur folgendes:
a) Das Landgericht hat § 92 Abs. 4 AuslG nicht angesprochen. Die Revision meint, daher könne die Verurteilung des Angeklagten keinen Bestand haben. Dies trifft nicht zu. § 92 Abs. 4 AuslG stellt durch eine Bezugnahme auf Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) denjenigen straffrei, der zwar unter den Voraussetzungen des § 92 AuslG in die Bundesrepublik einreist, aber unverzüglich einer inländischen Behörde seine Einreise anzeigt und dabei Gründe nennt, die die „unrechtmäßige Einreise … rechtfertigen”. Wie die authentische französische („raisons reconnues valables”) und englische („good cause”) Fassung des Abkommens belegt, ist damit nicht ein Rechtfertigungsgrund i.S.d. StGB gemeint (Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht S. 162 f.). Die unverzügliche Meldung beseitigt bereits vollständig verwirklichtes Unrecht nicht und führt auch nicht zur nachträglichen Beseitigung der Verantwortlichkeit des Täters. Sie läßt jedoch – ihm gegenüber – das Strafbedürfnis entfallen (aaO S. 163); die Strafbarkeit des Tatbeteiligten, der die Voraussetzungen des § 92 Abs. 4 AuslG nicht erfüllt, ist hiervon nicht berührt (Aurnhammer aaO S. 159; Senge in Erbs/Kohlhaas ≪127. Lieferung≫ § 92 AuslG Rdn. 47 unter Aufgabe einer früher vertretenen gegenteiligen Auffassung).
b) Im Fall I 1 a hat das Landgericht den Angeklagten zutreffend nur wegen Beteiligung an einer Tat gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG, nicht aber wegen der durch § 92a AuslG zur Täterschaft erhobenen Beteiligung verurteilt, weil das hierfür wesentliche Merkmal der wiederholten Tatbegehung noch nicht vorlag. Die Auffassung, daß sich aus § 92a AuslG ergebe, Teilnahme an Delikten gemäß § 92 Abs. 1 AuslG sei nur (noch) unter den qualifizierten Voraussetzungen des § 92a AuslG strafbar (so VGH Baden-Württemberg VBlBW 1995, 404), teilt der Senat nicht. Eine Zurücknahme der sich aus allgemeinen Regeln ergebenden Strafbarkeit einer einmaligen, nicht gewerbsmäßigen Beteiligung an einer unerlaubten Einreise ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes; sie war vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1993, 394 m.Nachw.; im Ergebnis ebenso Senge aaO Rdn. 1 b; v. Pollern ZAR 1996, S. 175, 179 m.w.Nachw. in Fußn. 56).
Auch sonst enthält dieser Schuldspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler.
c) Der Generalbundesanwalt hat ursprünglich die Rechtsauffassung vertreten, in den Fällen, in denen die genannten Ausländer die Bundesrepublik nicht erreicht haben (vgl. oben I 1 b und c), sei eine Strafbarkeit ausgeschlossen. So verhält es sich jedoch nicht.
aa) Freilich haben die genannten Ausländer den Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG nicht erfüllt, da sie nicht in die Bundesrepublik eingereist sind. Ein Versuch (§ 92 Abs. 2a AuslG i.V.m. § 22 StGB) liegt ebenfalls nicht vor, weil sie nur bis an die ukrainisch/polnische Grenze (I 1 b) oder bis Kiew (I 1 c) kamen (Senge aaO Rdn. 23 a). Im übrigen mußte selbst ein strafbarer Versuch hier gemäß § 2 Abs. 3 StGB außer Betracht bleiben, weil § 92 Abs. 2a AuslG zur Tatzeit noch nicht galt, sondern erst durch Gesetz vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) eingeführt wurde.
bb) § 92a Abs. 3 AuslG stellt jedoch schon die versuchte Anstiftung zu den dort genannten Vergehen unter Strafe. Es gelten hier keine anderen Grundsätze als bei § 30 StGB, der (u.a.) die versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen unter Strafe stellt. Diese liegt schon vor, wenn der Täter auf den Anzustiftenden eingewirkt hat, auch wenn es dann, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Tat – auch nicht zur versuchten Tat – des Angestifteten kommt (Cramer in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 30 Rdn. 21).
All dies gilt in entsprechender Weise auch für versuchte Beihilfe, die zwar nicht in § 30 StGB, wohl aber durch die spezielle Regelung des § 92a Abs. 3 AuslG unter Strafe gestellt ist.
d) Nach alledem ist der Schuldspruch auch im Fall I 1 b rechtsfehlerfrei. Da § 92a Abs. 1 AuslG jede Art der Beteiligung zur Täterschaft erhebt, ist auch jede Art der Kettenbeteiligung Täterschaft.
e) Auch in Fall I 1 c, in dem das Landgericht von einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen ist (vgl. II 2 c), ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei. Zutreffend (§ 2 Abs. 3 StGB) hat das Landgericht auch davon abgesehen, den Angeklagten in diesem Fall zusätzlich auch noch wegen Verstoßes gegen die zweite Alternative von § 92a Abs. 1 Nr. 2 AuslG zu verurteilen, obwohl die Tat zugunsten von zwei, also mehreren Personen (Senge aaO § 92a AuslG Rdn. 7) begangen wurde, da diese Bestimmung erst durch Gesetz vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) geschaffen wurde. Die zweite Alternative von § 92a Abs. 1 Nr. 2 AuslG in der zur Tatzeit geltenden Fassung erforderte noch ein Handeln zugunsten von mehr als fünf Personen.
3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.
a) Der Senat hat erwogen, ob (jedenfalls) im Fall I 1 a der vom Landgericht nicht angesprochene § 28 Abs. 1 StGB zu Gunsten des Angeklagten anzuwenden gewesen wäre, da der Angeklagte selbst legal im Inland lebt. Das nur einem Ausländer mögliche illegale Einreisen ist aber kein persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB (so aber Aurnhammer aaO S. 159: „Ausländereigenschaft”).
Die Strafbarkeit (gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG) des entgegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG einreisenden Täters ist nicht etwa auf eine besondere personale Pflichtenstellung zurückzuführen; die Einschränkung des potentiellen Täterkreises beruht vielmehr auf rechtsgutsbezogenen Erwägungen – das durch das AuslG und die darin enthaltenen Strafbestimmungen geschützte Rechtsgut ist die öffentliche Sicherheit (v. Pollern aaO S. 175) – unter Berücksichtigung der für die Tatbegehung vorausgesetzten Lebenssituation (vgl. auch BGHSt 41, 1, 2 m.w.Nachw.; für den vergleichbaren Fall der Beteiligung an einer Gefangenenmeuterei ≪§ 121 StGB≫ durch einen Dritten, der selbst nicht Gefangener ist, ebenso v. Bubnoff in LK 11. Aufl. § 121 Rdn. 10, Lackner StGB 22. Aufl. § 121 Rdn. 2 jeweils m.w.Nachw.).
b) Entgegen dem Vortrag der Revision hat das Landgericht bei der Strafzumessung im Fall I 1 c ausdrücklich berücksichtigt, daß „letztlich nur Si. illegal nach Deutschland gebracht werden konnte” (UA S. 108).
c) Hinsichtlich des Si. durfte das Landgericht entgegen der Auffassung der Revision berücksichtigen, daß der Angeklagte sich zusätzlich noch daran beteiligt hat, diesen nach seiner Einreise von Berlin nach Kaarst zu bringen. Zwar stellt sich dies nicht mehr als tatbestandliches Verhalten des Angeklagten dar, weil die Tat des Si. mit dessen Einreise in die Bundesrepublik abgeschlossen war (Senge aaO Rdn. 21; v. Pollern aaO S. 176). Jedoch darf auch ein nach der Tat liegendes Verhalten des Angeklagten zu seinem Nachteil berücksichtigt werden, wenn es mit seiner Tat noch in innerem Zusammenhang steht und Rückschlüsse auf das Maß seiner Strafwürdigkeit zuläßt (st. Rspr. seit BGHSt 4, 8, 11). Die Bewertung des Landgerichts, all dies liege hier vor, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
d) Auch im übrigen hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung stand. Für den Hinweis, daß die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (BGHSt 31, 25), ist in der Urteilsformel kein Raum.
Unterschriften
Schäfer, Granderath, Wahl, Boetticher, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 540068 |
NStZ 1999, 409 |
wistra 1999, 341 |
ZAR 1999, 182 |
NPA 1999 |
StV 1999, 382 |
StraFo 1999, 311 |
FA-BGS 2000, 17 |