Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 04.06.2009) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 4. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es ist der Ansicht, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten, weil er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben habe (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB). Nach der Anklage lag dem Angeklagten zur Last, durch Drohung mit einer Eisenstange versucht zu haben, die in der Gaststätte „M.” beschäftigte Bedienung S. zu zwingen, ihm 150 Euro zu übergeben, auf die er keinen Anspruch hatte.
Rz. 2
Gegen diesen Freispruch wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.
Rz. 3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 4
Der Angeklagte hielt sich am Abend des 16. November 2008 mit Freunden in Augsburg in der Gaststätte „M.” auf und konsumierte 1 ½ Flaschen Wodka sowie nicht alkoholische Getränke. Als der Angeklagte bemerkte, dass er nicht genügend Geld bei sich hatte, um die Zeche zu bezahlen, bat er zunächst eine Bedienung mit dem Namen „A.”, ihm Geld zu leihen, damit er weitere Getränke bestellen könne. Dies lehnte die Bedienung ab, weil sie selbst kein Geld bei sich hatte und aus der Kasse kein Geld nehmen wollte. „Anschreiben lassen” wollte der Angeklagte nicht, weil er befürchtete, die Rechnung könnte später mehr Getränke enthalten, als er tatsächlich konsumiert hatte.
Rz. 5
Gegen 2.50 Uhr, als die Bedienung „A.” ihre Schicht bereits beendet und die Gaststätte verlassen hatte, ging der Angeklagte zur Bar, um nun die dort ebenfalls als Bedienung tätige Zeugin S. aufzufordern, ihm Geld zu leihen. Er legte eine Eisenstange vor sich auf der Theke ab, ohne die Zeugin direkt damit zu bedrohen, und forderte sie auf, ihm 200 Euro zu geben. Dies lehnte die Zeugin mit dem Bemerken ab, sie könne ihm kein Geld geben, weil sie keines habe und sich auch in der Kasse keines befinde. Nun begab sich der Angeklagte mit der Stange in der Hand hinter den Tresen und forderte die Zeugin S. auf, ihm dann zumindest 150 Euro zu geben. Dabei äußerte er, dass er sich häufiger von dem Barinhaber P. Geld leihe, um die Zeche zu bezahlen. Er forderte nun die Zeugin auf, P. anzurufen, damit er ihr erklären könne, dass sie ihm Geld geben könne. Auf die Ankündigung hin, sie werde nach draußen gehen, um P. von dort aus anzurufen und ihn zu fragen, ob sie dem Angeklagten Geld leihen dürfe, ließ der Angeklagte die Zeugin mit dem Telefon in der Hand passieren.
Rz. 6
Der Angeklagte setzte sich zunächst an die Bar, begab sich dann aber zum Ausgang der Bar und blieb dort im Türrahmen stehen, während die Zeugin S. vor dem Lokal telefonierte. Er ging ihr nicht nach und forderte auch nicht erneut Geld. Vielmehr unterhielt er sich mit anderen Personen und wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben werde. Die Zeugin S. rief zunächst den Türsteher D. an, der sich in unmittelbarer Nähe aufhielt. D. begleitete die Zeugin auf den Parkplatz des Lokals, von wo aus sie den Barinhaber P. anrief. Dieser war nicht bereit, dem Angeklagten Geld zu leihen, und bat die Zeugin, die Polizei zu rufen, was sie auch tat. Der Angeklagte hatte nicht mitbekommen, dass sie die Polizei gerufen hatte, und wartete weiterhin auf die Rückkehr der Zeugin S. in dem Glauben, von ihr Geld zu erhalten. Beim Eintreffen der Polizei befand sich der Angeklagte immer noch vor dem Lokal.
Rz. 7
2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hatte zwar Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten, er habe sich das Geld nur leihen wollen, ist dieser Frage aber nicht näher nachgegangen, weil es „von einem strafbefreienden Rücktritt überzeugt” war. Das Landgericht ist der Ansicht, der Versuch sei noch nicht beendet gewesen, weil aus der Sicht des Angeklagten „noch nicht alles Nötige getan war, um den Tatbestand zu vollenden”. Er hätte der Zeugin S. während des Telefonats folgen und im Falle einer negativen Antwort erneut Geld fordern können. Dies habe er jedoch nicht getan. Vielmehr habe er die weitere Tatbestandsverwirklichung aufgegeben, während er auf die Rückkehr der Zeugin gewartet habe. Der Versuch sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht fehlgeschlagen gewesen, weil der Angeklagte aus seiner Sicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mittel – der Eisenstange – den Tatbestand hätte vollenden können und lediglich darauf gewartet habe, ob die Zeugin ihm noch Geld geben werde. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Zeugin zwischenzeitlich die Polizei gerufen hatte.
Rz. 8
3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe sind lückenhaft; sie sind schon aus diesem Grund nicht geeignet, die Wertung des Landgerichts zu tragen, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten (unten a). Zudem enthält die rechtliche Würdigung des Landgerichts auch einen Wertungsfehler, weil der Umstand, dass der Angeklagte die Zeugin S. beim Telefonieren nicht begleitet hat, ein Aufgeben der weiteren Tatausführung nicht belegt (unten b). Schließlich kann der Freispruch auch deswegen keinen Bestand haben, weil die Urteilsfeststellungen zumindest eine versuchte Nötigung gegenüber der Zeugin S., den Barinhaber anzurufen, nahe legen (unten c).
Rz. 9
a) Die vom Landgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sind lückenhaft. Sie lassen eine abschließende Prüfung, ob der Angeklagte vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten ist, nicht zu.
Rz. 10
Das Landgericht durfte hier nicht offenlassen, welches Ziel der Angeklagte mit seinem Vorgehen erstrebte und ob überhaupt ein Versuch der räuberischen Erpressung gegeben war. Denn diese Fragen haben Bedeutung für das Vorstellungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt eines möglichen Rücktritts und damit für die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts. Während bei einem unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB die freiwillige weitere Tatausführung zur Straffreiheit führt, setzt ein strafbefreiender Rücktritt bei einem beendeten Versuch voraus, dass der Täter die Vollendung der Tat verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB) oder, wenn die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet, dass er sich freiwillig und ernsthaft bemüht hatte, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch kommt ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein nicht in Betracht.
Rz. 11
Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben (st. Rspr.; vgl. BGHSt 14, 75, 79). Unbeendet ist der Versuch, wenn er glaubt, zur Vollendung des Tatbestands bedürfe es noch weiteren Handelns. Für die Abgrenzung kommt es dabei auf die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (BGHSt 31, 170, 175; 40, 304, 306). Entscheidend ist, ob der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGHSt 39, 221, 227).
Rz. 12
Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB allein durch bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung kam hier daher nur dann in Betracht, wenn der Versuch zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet war.
Rz. 13
Welche Vorstellung der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung hatte – als er die Zeugin S. aufgefordert hatte, den Barinhaber P. anzurufen –, lässt das Landgericht hier rechtsfehlerhaft offen. Es stellt lediglich fest, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiter darauf wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben würde. Ob er dabei glaubte, er erhalte nun vom Barinhaber freiwillig ein Darlehen, oder ob er annahm, er erhalte das Geld (als Darlehen oder ohne Rückgabevereinbarung) allein aufgrund vorangegangener Drohungen mit der Eisenstange, stellt das Landgericht indes nicht fest. Dessen hätte es aber bedurft, um beurteilen zu können, ob überhaupt eine versuchte räuberische Erpressung vorlag, und wenn ja, ob der Versuch unbeendet oder bereits beendet war.
Rz. 14
Das Landgericht hätte deshalb jedenfalls feststellen müssen, ob der Barinhaber dem Angeklagten bereits früher Geld zur Bezahlung der Zeche geliehen hatte oder nicht. Es hätte weiter erörtern müssen, ob der Angeklagte lediglich einen Betrag forderte, der seiner Zeche entsprach. Die Höhe der geforderten Summe von zunächst 200 Euro und unmittelbar danach von 150 Euro legt nahe, dass der Angeklagte einen Geldbetrag forderte, der seinen Getränkekonsum nicht unerheblich überschritt. Das Landgericht hätte auch Feststellungen zur Herkunft der Eisenstange treffen müssen. Denn es lag nicht nahe, dass der Angeklagte eine Eisenstange zu dem Zweck mitbrachte, damit ein Darlehen zu erlangen, wenn ihm Darlehen in der Vergangenheit auch freiwillig gegeben worden waren. Auch wenn er die Eisenstange erst in der Gaststätte an sich genommen haben sollte, ist deren Verwendung nicht ohne weiteres mit der Einlassung des Angeklagten vereinbar, es sei in dem Lokal durchaus üblich, sich Geld zu leihen. Das Landgericht hätte deshalb auch erörtern müssen, dass der Umstand, dass der Barinhaber bat, die Polizei zu rufen (UA S. 7), gegen die Behauptung des Angeklagten spricht, er habe sich öfters von dem Barinhaber Geld geliehen, um die Zeche zu bezahlen (UA S. 6). Auch die Aussage des Zeugen Ad., der gegenüber der Gaststätte „M.” einen Döner-Laden betreibt, die Zeugin S. habe ihm gesagt, sie müsse jetzt telefonieren, weil es im Lokal Schwierigkeiten gebe (UA S. 11), hätte in die Erörterung einbezogen werden müssen.
Rz. 15
Die Urteilsfeststellungen lassen daher jedenfalls die Möglichkeit offen, dass es sich um einen beendeten Versuch gehandelt hat, bei dem allein die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung nicht zu einer Strafbefreiung führen konnte. Dass der Angeklagte sein Tun bereits für eine Tatvollendung für ausreichend erachtet hatte, als die Zeugin S. die Bar verließ, um mit dem Barinhaber P. zu telefonieren, liegt hier sogar nahe. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts ging der Angeklagte davon aus, dass die Zeugin den Barinhaber fragen würde, ob sie ihm Geld geben dürfe. Der Angeklagte wartete von da an in dem Glauben auf die Rückkehr der Zeugin, von ihr das geforderte Geld zu erhalten.
Rz. 16
Zwar kann es bei versuchter räuberischer Erpressung Fälle geben, in denen noch ein unbeendeter Versuch vorliegt, obwohl der Täter glaubt, dass die von ihm vorgenommene Nötigungshandlung ausreicht, um die geforderte Zahlung noch zu erhalten (vgl. BGH StraFo 2007, 422). Es sind dies aber Fälle, in denen zur Tatvollendung noch weitere Handlungen des Täters erforderlich sind, etwa die Vereinbarung eines Zusammentreffens zur Geldübergabe (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 34). Anders ist dies aber dann, wenn der Täter davon ausgeht, der Genötigte werde ihm das Geld bringen, ohne dass weiter auf ihn eingewirkt werden muss (vgl. BGHR aaO).
Rz. 17
b) Selbst wenn hier – wie das Landgericht annimmt – noch ein unbeendeter Versuch in Betracht kommen sollte, würde es jedenfalls an einem freiwilligen Aufgeben der weiteren Tatausführung fehlen.
Rz. 18
Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch setzt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt StGB voraus, dass der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat im Ganzen und endgültig aufgibt (BGHSt 33, 142, 144 f.; 39, 221, 230). Im vorliegenden Fall fehlt es schon deshalb an einer Abstandnahme von der weiteren Tatausführung, weil der Angeklagte den auf die Erreichung des tatbestandlichen Erfolgs gerichteten Willen nicht aufgegeben hat. Zwar wirkte er nicht weiter aktiv auf die Zeugin S. ein. Er wartete aber weiterhin darauf, dass die Zeugin ihm bei ihrer Rückkehr das geforderte Geld übergeben werde. Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte seine Forderung nicht mehr ausdrücklich erneuert hat, durfte das Landgericht nicht schließen, der Angeklagte habe die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Denn aus Sicht des Angeklagten bemühte sich die Zeugin in einer Rücksprache mit dem Barinhaber, das geforderte Geld zu beschaffen. Für eine Erneuerung der Forderung nach Geld bestand kein Anlass. Eine Abstandnahme von der Tat kann somit in dem Umstand, dass der Angeklagte in der Erwartung der bevorstehenden Geldübergabe keine weiteren Drohungen ausgesprochen und seine Forderung nach Herausgabe von Geld nicht nochmals mit Worten bekräftigt hat, nicht erblickt werden.
Rz. 19
c) Der Freispruch kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht seiner richterlichen Kognitionspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Danach kommt ein Freispruch nur dann in Betracht, wenn der festgestellte Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Verurteilung tragen könnte. Hier erfüllt das vom Landgericht festgestellte Geschehen aber zumindest den Tatbestand der versuchten Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3 StGB) zum Nachteil der Zeugin S.. Denn nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte die Zeugin jedenfalls unter der Androhung, die Eisenstange gegen sie einzusetzen, dazu genötigt, den Barinhaber anzurufen – ein aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel zu dem von ihm erstrebten Gelderhalt. Ob der Versuch fehlgeschlagen ist, weil die Zeugin zunächst den Türsteher D. herbeigerufen hat, oder ob die Nötigung deswegen als vollendet anzusehen ist, weil die Zeugin unter dem fortwirkenden Eindruck der vorangegangenen Bedrohung mit der Eisenstange dann doch noch den Barinhaber angerufen hat, kann der Senat mangels ausreichender Sachverhaltsfeststellungen nicht abschließend prüfen.
Rz. 20
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die Entschädigungsentscheidung gemäß § 8 StrEG ebenso gegenstandslos wie die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschl. vom 22. März 2002 – 2 StR 569/01 – insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2002, 439).
Unterschriften
Wahl, Rothfuß, Hebenstreit, Jäger, Sander
Fundstellen