Normenkette
StGB §§ 20, 63
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 16. April 2021 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Beschuldigten hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 2
Das sachverständig beratene Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
1. Der im Jahr 1983 geborene Beschuldigte konsumiert seit spätestens dem 12. Lebensjahr Betäubungsmittel. Im Jahr 2000 manifestierte sich bei ihm eine nicht drogeninduzierte, aber durch den fortlaufenden Drogenmissbrauch angetriebene und inzwischen chronisch verlaufende, überdauernde paranoide Schizophrenie mit ausgeprägter Wahnsymptomatik und daraus resultierenden dysphorischen Verstimmungen und erhöhter Impulsivität. Seit dem Ausbruch der Krankheit war der Beschuldigte - erstmals im Alter von 17 Jahren - insgesamt 30-mal in stationärer Behandlung, teils eigeninitiativ, teils nach PsychKG. Bei guter medikamentöser Einstellung gelang es ihm in den Jahren 2012 und 2013, seinen Zustand über kurze Episoden zu stabilisieren, was ihn jedoch dazu verleitete, Klinikaufenthalte gegen ärztlichen Rat abzubrechen und die Medikation abzusetzen. So kam es schnell zu akuten psychotischen Schüben, die beim Beschuldigten einhergehen mit latentem Verfolgungserleben und Misstrauen, einer ausgeprägten Wahndynamik mit Handlungsrelevanz, Affektverflachung, motorischer Unruhe und psychotisch motivierter Aggression, teils auch mit akustischen und olfaktorischen Halluzinationen. Der Beschuldigte leidet durchgängig unter der Vorstellung, er sei ein bedeutender Erfinder und Inhaber zahlreicher Unternehmen; ihm zustehende Patente würden ihm vorenthalten. Auch werde er von Personen aus seinem privaten Umfeld, seinem oder deren „Doppelgängern“ oder von Fremden in Anspruch genommen und dadurch finanziell unter Druck gesetzt. Auch glaubt er, Kontakt mit dem Teufel aufnehmen und dessen Schwefelgeruch wahrnehmen zu können sowie über Heilkräfte zu verfügen.
Rz. 4
Er ist nicht krankheitseinsichtig, „Compliance und Behandlungskooperation zeigt er nur unter dem äußeren Druck von Unterbringungen. Seine Erkrankung wirkt sich derart aus, dass er bei akuter wahnhafter Verarbeitung einer konkreten Situation und der daran beteiligten Personen bei Aufhebung der Fähigkeit zur Realitätsprüfung bereits unfähig ist, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Auch bei zutreffender Wahrnehmung der konkreten Situation und dadurch erhaltener Unrechtseinsicht vermag er aufgrund der Schwere seiner Erkrankung und des durchgängig und dauerhaft vorhandenen Wahnerlebens betreffend seine eigene Selbstüberschätzung jedenfalls nicht, seine Impulse, seinen Antrieb und seine Affekte derart zu regulieren, dass er in der Lage wäre, entsprechend seiner Unrechtseinsicht zu handeln.“
Rz. 5
2. Der Beschuldigte ist seit dem Jahr 2007 vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Jahr 2019 wurden Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Im darauffolgenden Jahr wurde er vom Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung wegen nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit freigesprochen, von der Verhängung einer Maßnahme nach § 63 StGB wurde in Ansehung der seinerzeit in Rede stehenden Anlasstat abgesehen.
Rz. 6
3. Der Zustand des Beschuldigten verschlechterte sich ab dem Jahr 2018, er verwahrloste und lebte in der Obdachlosigkeit. Nunmehr integrierte er auch seine Betreuerin in sein komplexes Wahnerleben und glaubte, diese habe ihn um „seine Millionen“ gebracht. Hinzu kam die wahnhafte Idee, insbesondere dunkelhäutige Menschen hätten sich zu einem Netzwerk zusammengetan, um ihm finanziell und körperlich zu schaden. Es kam zu folgenden Straftaten:
Rz. 7
a) Am 19. September 2019 (Fall 1 der Urteilsgründe) suchte der Beschuldigte das in einem Mehrparteienhaus gelegene Büro seiner Betreuerin auf, traf diese aber nicht an. „Aus Verärgerung darüber“ entzündete der Beschuldigte, „weil er einem entsprechenden Impuls nicht zu widerstehen vermochte“, Papier im Eingangsbereich des Hauses, wodurch die Tür zum Büro der Betreuerin geringfügig beschädigt wurde. Der Beschuldigte wurde daraufhin nach PsychKG untergebracht. Er rief am Folgetag die Betreuerin an und drohte, sie und die behandelnden Ärzte umzubringen; er habe bereits andere Personen umgebracht, da man sich im Krieg befinde und er Bomben legen müsse.
Rz. 8
b) Am 1. April 2020 (Fall 2 der Urteilsgründe) bat der Beschuldigte den auf einer Parkbank sitzenden Zeugen M. um Kleingeld. Als dieser die Bitte zurückwies, stieß der Beschuldigte dessen am Boden stehenden Kaffee um, weshalb dieser nun aufsprang, dem sich entfernenden Beschuldigten nachging und fragte, was das solle. Daraufhin drehte sich der Beschuldigte um und schlug mit der Faust in Richtung des Zeugen, weil er krankheitsbedingt nicht in der Lage war, einem entsprechenden Impuls zu widerstehen. „Nicht ausschließbar“ nahm der Beschuldigte den Zeugen als Teil des gegen ihn agierenden Personenkreises wahr. Der Zeuge konnte den Schlag abwehren, ging dabei aber zu Boden. Der Beschuldigte trat nun nach dem am Boden liegenden Zeugen, kam dabei selbst zu Fall, versuchte aber weiterhin auf den Zeugen einzuschlagen, was dieser jedoch abwehren konnte.
Rz. 9
c) Am 17. Oktober 2020 (Fall 4 der Urteilsgründe; Fall 3 hat das Landgericht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt) erbat der Beschuldigte von „dem ihm bis dahin unbekannten, dunkelhäutigen Zeugen D. “ eine Zigarette, was dieser auch auf wiederholte Nachfrage ablehnte und sich wenig später anschickte, in Richtung nahegelegener Treppen zu gehen. Der Beschuldigte, der zwischenzeitlich einen Schnürsenkel aus seinem Schuh gezogen hatte, eilte nun auf den Zeugen zu, nahm ihn wortlos von hinten in den Schwitzkasten und legte ihm den Schnürsenkel zweimal um den Hals, „weil er einem entsprechenden Impuls krankheitsbedingt nicht zu widerstehen vermochte“. Nicht auszuschließen vermochte die Strafkammer, dass er den Zeugen spätestens nunmehr als Teil des gegen ihn agierenden Netzwerkes wahrnahm. Der Zeuge versuchte sich zu wehren, dabei fiel er zusammen mit dem Beschuldigten die Treppen hinunter. Hierdurch und durch den Schnürsenkelangriff erlitt der Zeuge Verletzungen, die nach etwa einer Woche folgenlos abheilten.
Rz. 10
4. Das Landgericht hat die Tat im Fall 1 der Urteilsgründe als Sachbeschädigung (§ 303 StGB), im Fall 2 der Urteilsgründe als vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und im Fall 4 der Urteilsgründe als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) gewertet. Der Angeklagte habe diese Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) begangen. Zwar habe die Strafkammer nicht in allen Taten eine akut wahnhafte Verarbeitung (mit der Folge fehlender Unrechtseinsicht) zu erkennen vermocht, diese aber auch nicht ausschließen können. Jedenfalls aber sei die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten krankheitsbedingt sicher vollständig aufgehoben gewesen.
Rz. 11
5. Das Landgericht hat auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 63 StGB bejaht. Die überdauernde Störung beim Beschuldigten habe sich in allen Anlasstaten insofern symptomatisch niedergeschlagen, als sie Anhaltspunkte für wahnhaftes Erleben erkennen lasse und durch dessen Verarbeitung, Impulskontrollverluste und Aggressionsdurchbrüche gekennzeichnet sei. Es bestehe ferner die Gefahr erheblicher, den Anlasstaten in den Fällen 2 und 4 der Urteilsgründe vergleichbarer, fremdaggressiver Taten, die sich je nach Situation letztlich gegen jedermann richten könnten. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei nicht unverhältnismäßig, die derzeitige Lage des Beschuldigten erlaube auch keine Aussetzung der Vollstreckung nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB.
Rz. 12
6. Eine Unterbringung nach § 64 StGB komme nicht in Betracht, da die paranoide Schizophrenie inzwischen dominant sei und keine Abstinenzmotivation bestehe oder kurzfristig zu erwarten sei, vielmehr zunächst die psychotische Erkrankung einer längerfristigen Behandlung bedürfe.
II.
Rz. 13
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
Rz. 14
Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Erörterung bedarf insoweit nur, ob die bei dem Beschuldigten festgestellte psychische Störung sich bei der jeweiligen Tatbegehung auf dessen Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und ob der von § 63 StGB geforderte symptomatische Zusammenhang zwischen der Störung und den Anlasstaten, namentlich in den Fällen 2 und 4 der Urteilsgründe, belegt ist.
Rz. 15
1. Bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei - wie hier - gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds sowie bei der Prüfung der Steuerungsfähigkeit eines Beschuldigten zur Tatzeit handelt es sich um Rechtsfragen, deren Beurteilung konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu erfordert, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat; Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. Februar 2019 - 2 StR 505/18, NStZ-RR 2019, 134; Urteil vom 21. Oktober 2020 - 2 StR 83/20 Rn. 10 je mwN). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
Rz. 16
a) Die Prüfung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten ist nicht deshalb rechtlich bedenklich, weil das Landgericht lediglich nicht auszuschließen vermochte, dass der Beschuldigte in den Fällen 2 und 4 der Urteilsgründe die Tatsituationen wahnhaft verkannt und also ohne Unrechtseinsicht gehandelt haben könnte.
Rz. 17
Zwar ist die Frage der Steuerungsfähigkeit grundsätzlich erst dann zu prüfen, wenn der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war; die Abgrenzung von fehlender Einsichtsfähigkeit und eingeschränkter oder fehlender Steuerungsfähigkeit darf daher (grundsätzlich) nicht offenbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018 - 5 StR 449/18 Rn. 7; Beschluss vom 6. Mai 2020 - 4 StR 12/20 Rn. 5; Beschluss vom 15. Juli 2021 - 1 StR 157/21 Rn. 9). Indes lassen die Urteilsgründe nicht besorgen, das Landgericht könnte diese Grundsätze verkannt haben. Es hat ausgehend von der Beurteilung durch die Sachverständigen nachvollziehbar die durch die Krankheit grundsätzlich erschwerte Einsicht in das Unrecht des Tuns dargelegt, die bei einem akuten Schub psychotisch-wahnhaften Erlebens bereits eine Aufhebung des Unrechtsbewusstseins bewirkt; bei einem akuten psychotischen Schub sei das moralische Gefüge des Beschuldigten bereits derart gestört, dass schon die Einsichtsfähigkeit aufgehoben wäre. Da sich indes - wie die Strafkammer ebenfalls nachvollziehbar dargetan hat - nicht hat belegen lassen, ob bei dem zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten dieser Grad an Komplexität des Wahnerlebens in den jeweiligen Tatsituationen erreicht war, musste sich die Strafkammer folgerichtig mit der Frage aufgehobener Steuerungsfähigkeit befassen. Rechtsfehler lässt dies nicht erkennen.
Rz. 18
b) Die Annahme vollständig aufgehobener Steuerungsfähigkeit ist auch im Übrigen nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei begründet. Soweit die Strafkammer dies jeweils mit der massiv beeinträchtigten Affektregulierung und Impulskontrolle aufgrund wahnhaft bedingt übersteigerter Selbstwahrnehmung begründet, steht dies nicht im Widerspruch dazu, dass sie nicht festzustellen vermochte, dass der Angeklagte die jeweiligen Tatopfer als Teil eines gegen ihn agierenden Netzwerkes wahrnahm. Letzteres richtet den Fokus auf die realitätsverkennende Wahrnehmung der Tatopfer. Demgegenüber stützt sich die Annahme aufgehobener Steuerungsfähigkeit auf das krankheitsbedingte Fehlen adäquater Selbsteinschätzung.
Rz. 19
2. Hiervon ausgehend hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler auch in den Fällen 2. und 4. der Urteilsgründe einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Beschuldigten und den Anlasstaten bejaht. Sie hat - folgerichtig - nicht auf ein für nur möglich erachtetes akutes Wahnerleben abgestellt, sondern auf die zur Aufhebung der Steuerungsfähigkeit führenden psychotisch bedingten Impulskontrollverluste und Aggressionsdurchbrüche. Diese zeigen sich nach den getroffenen Feststellungen und sachverständig untermauerten Wertungen auch in den jeweiligen Taten. Damit ist der für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Beschuldigten kausal für die Anlasstat geworden. Dass daneben weitere Umstände - etwa eine Verärgerung über die abgelehnte Bitte um Kleingeld bzw. eine Zigarette - zum Tragen gekommen sein könnten, würde den symptomatischen Zusammenhang nicht entfallen lassen; Mitursächlichkeit des krankhaften Zustands für die Tatbegehung ist ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 - 1 StR 658/16 Rn. 16 mwN).
Franke |
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Krehl |
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Zeng |
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Meyberg |
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Grube |
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Fundstellen
Haufe-Index 15319559 |
NStZ-RR 2022, 271 |