Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen des echten Factorings muss sich der Factor die Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners oder den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen regelmäßig nicht allein wegen der den Forderungsverkäufer treffenden Pflichten zur Unterstützung des Factors bei der Forderungsdurchsetzung und zur Information des Factors über eine Zahlungsunfähigkeit begründende Umstände zurechnen lassen.
Normenkette
InsO § 130 Abs. 1 S. 1; BGB § 166 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 23. Juni 2021 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 10. September 2020 auch insoweit zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel werden dem Kläger auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 14. Juli 2015 am 28. August 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. GmbH (fortan: Schuldnerin). Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war die Produktion und der Vertrieb von Räucherfisch. Am 24. November 2014 schloss die Schuldnerin mit der AG (fortan: AG), einem Dienstleister im Bereich der Mittelstandsfinanzierung, einen Rahmenvertrag, in dem sich die AG dazu verpflichtete, auf Anforderung der Schuldnerin Waren oder Investitionsgüter zu erwerben und an diese mit einem vereinbarten Zahlungsziel von 60 Tagen weiter zu veräußern. Die AG räumte der Schuldnerin ein Bestelllimit von 100.000 € ein.
Rz. 2
Die AG hatte im August 2014 ihrerseits einen Factoringvertrag mit der Beklagten geschlossen, in dem sie sich verpflichtet hatte, ihre künftig entstehenden Forderungen aus Warenlieferungen oder Leistungen der Beklagten zum Kauf anzubieten und ihr bereits im Voraus abzutreten. Als Gegenleistung sollte die Beklagte der AG den Bruttobetrag der Forderung abzüglich einer Factoringgebühr und Zinsen gutschreiben. Gegenstand des Factoringvertrags, in dem die Beklagte als Factor und die AG als Firma bezeichnet sind, waren folgende Regelungen:
"7.1 Dem Factor obliegen Mahn- und weitergehende Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen. […]
[…]
11.1 Die Firma verpflichtet sich, jede vom Factor geforderte Unterstützung zur Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Debitoren nach besten Kräften unverzüglich zu gewähren, insbesondere durch Auskunftserteilung, Überlassung von Unterlagen sowie Abgabe aller Erklärungen, die ggf. zur Durchsetzung erforderlich sind. […]"
Rz. 3
Weitere Grundlage der Geschäftsbeziehungen zwischen der Beklagten und der AG waren die Allgemeinen Factoringbedingungen der Beklagten. Diese enthielten folgende Regelung:
"4. b) Sind oder werden der Firma Umstände bekannt, welche die Zahlungsunfähigkeit des Debitors und die Durchsetzung einer zum Kauf anzubietenden, angebotenen bzw. angekauften Forderung gefährden könnten, hat sie dem Factor diese Umstände unverzüglich mitzuteilen."
Rz. 4
Am 9. Februar 2015 stellte die AG der Schuldnerin eine Rechnung für Warenlieferungen über 53.843,26 € und teilte ihr zugleich mit, dass sie die Forderung an die Beklagte abgetreten habe und der Rechnungsbetrag mit schuldbefreiender Wirkung nur an die Beklagte gezahlt werden könne. Innerhalb des bis zum 9. Mai 2015 verlängerten Zahlungszeitraums beglich die Schuldnerin die Rechnung nicht. Am 22. Mai 2015 erklärte die Schuldnerin gegenüber der AG, sie könne eine Zahlung der Forderung bis zum 27. oder 28. Juni 2015 zusagen. Die AG lehnte eine Zahlung bis zum 27. oder 28. Juni 2015 ab, forderte die Schuldnerin zur Zahlung bis zum 27. Mai 2015 auf und drohte ihr für den Fall der Nichtzahlung an, dass die Einkaufslinie der Schuldnerin gestrichen werde. Am 28. Mai 2015 überwies die Schuldnerin den Rechnungsbetrag an die Beklagte.
Rz. 5
Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von 53.843,26 € nebst Zinsen sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 53.843,26 € nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
Rz. 6
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision hat Erfolg.
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZInsO 2021, 1805 ff veröffentlicht ist, hat den Anfechtungsanspruch gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO für begründet erachtet. Die Beklagte habe im Zeitpunkt der Zahlung am 28. Mai 2015 gewusst, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei. Offenbleiben könne, inwieweit die Beklagte eigene Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin oder den zugrundeliegenden Umständen gehabt habe. Die Beklagte müsse sich jedenfalls die Kenntnis der AG entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Die AG sei nach der Arbeitsorganisation der Beklagten dazu berufen gewesen, für diese im Rechtsverkehr aufzutreten. Schon gemäß Nr. 11.1 des Factoringvertrags mit der Beklagten sei die AG verpflichtet gewesen, die Beklagte bei der Durchsetzung der an diese abgetretenen Forderungen zu unterstützen. Tatsächlich sei die AG im Rahmen der Durchsetzung der Forderung gegen die Schuldnerin in erheblich weitergehendem Umfang eigenverantwortlich tätig geworden. Sie habe mit der Schuldnerin über die fristgerechte Zahlung verhandelt und insbesondere die im Namen der Schuldnerin begehrte Verlängerung der Zahlungsfrist bis zum 27. oder 28. Juni 2015 abgelehnt. Dieses eigenverantwortliche Tätigwerden der AG müsse sich die Beklagte entgegenhalten lassen, auch wenn Entsprechendes im Factoringvertrag zwischen ihr und der AG nicht vereinbart gewesen sei. Die Beklagte habe den Umständen nach Kenntnis von der Tätigkeit der AG gehabt und diese hingenommen. Dass die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9. Mai 2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28. Mai 2015 untätig geblieben sei, sei nur dadurch zu erklären, dass sie davon ausgegangen sei, die Schuldnerin werde anderweitig zur zeitnahen Zahlung angehalten. Andernfalls hätte es nahegelegen, dass die Beklagte jedenfalls den Kontakt zur Schuldnerin gesucht hätte. Ein etwaiges eigenes Interesse der AG an der Durchsetzung der Forderung stehe ihrer faktischen Einbeziehung in die Arbeitsorganisation der Beklagten nicht entgegen. Die AG sei nach Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen der Beklagten verpflichtet gewesen, Wissen betreffend die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin an die Beklagte weiterzuleiten.
II.
Rz. 9
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO - also die positive Kenntnis der Beklagten als Anfechtungsgegnerin von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin - nicht angenommen werden.
Rz. 10
1. Von der Revision unangefochten stellt das Berufungsgericht fest, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt der Vornahme der Zahlung an die Beklagte zahlungsunfähig und dies der AG bekannt war.
Rz. 11
2. Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten sei die Kenntnis der AG von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.
Rz. 12
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auch auf so genannte Wissensvertreter anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1992 - V ZR 262/90, BGHZ 117, 104, 106 f mwN; vom 25. Oktober 2018 - IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13). Wissensvertreter ist dabei jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Der Geschäftsherr muss sich seiner im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen (BGH, Urteil vom 10. Februar 1971 - VIII ZR 182/69, BGHZ 55, 307, 311; vom 24. Januar 1992, aaO S. 107; vom 13. Dezember 2012 - III ZR 298/11, NJW 2013, 448 Rn. 23); einer ausdrücklichen Bestellung zum rechtsgeschäftlichen Vertreter oder zum Wissensvertreter bedarf es hierfür nicht (BGH, Urteil vom 2. Februar 1996 - V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 mwN). Die Wissenszurechnung beruht letztlich auf der Erwägung, dass der Geschäftsherr aus einer geschäftsorganisatorisch bedingten Wissensaufspaltung keine Vorteile ziehen soll (BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 65/14, NJW 2016, 3445 Rn. 61).
Rz. 13
b) Nach diesen Maßstäben muss sich die Beklagte das Wissen der AG nicht zurechnen lassen.
Rz. 14
aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine Wissenszurechnung auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung in Betracht kommt (vgl. schon BGH, Urteil vom 15. Januar 1964 - VIII ZR 236/62, BGHZ 41, 17, 21 zu § 30 Nr. 1 KO; vom 31. Oktober 2019 - IX ZR 170/18, NZI 2020, 223 Rn. 14). So hat der Senat angenommen, dass sich ein Gläubiger das Wissen eines externen Dritten, den er ausdrücklich mit dem Empfang der schuldnerischen Leistung oder mit der Durchsetzung einer Forderung gegen den späteren Insolvenzschuldner beauftragt hat, zurechnen lassen muss (BGH, Urteil vom 22. November 1990 - IX ZR 103/90, ZIP 1991, 39, 41 und vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174 Rn. 26 zum beauftragten Rechtsanwalt; vom 3. April 2014 - IX ZR 201/13, NZI 2014, 650 Rn. 38 zum Inkassounternehmen). Ebenso hat der Senat eine Wissenszurechnung für am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen etwa im Bankenbereich oder in der Versicherungswirtschaft, aber auch für Behörden angenommen, wenn es aufgrund einer arbeitsteiligen Organisation zu Wissensverlagerungen oder Wissensaufspaltungen kommt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 - IX ZR 227/04, WM 2006, 194, 195; vom 16. Juli 2009 - IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85 Rn. 16; vom 30. Juni 2011 - IX ZR 155/08, BGHZ 190, 201 Rn. 14 ff).
Rz. 15
bb) Jedoch rechtfertigen weder die in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und in Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen niedergelegten Unterstützungs- und Informationspflichten der AG eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB, noch kann allein aus dem Umstand, dass die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9. Mai 2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28. Mai 2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist, darauf geschlossen werden, dass die Beklagte die AG mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat.
Rz. 16
(1) Aus den in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen geregelten Pflichten der AG, die Beklagte bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Debitoren zu unterstützen und Informationen über die Zahlungsunfähigkeit eines Debitors mitzuteilen, folgt keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung der AG in Bezug auf die Beklagte.
Rz. 17
Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine in echten Factoring-Verträgen typischerweise vorkommende Konkretisierung der sich bereits aus § 402 BGB ergebenden Nebenpflichten des Forderungsverkäufers (vgl. Bechtloff in Münchener Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. 6. Factoring-Vertrag, Anm. 48; Stumpf, BB 2021, 2056, 2059). Nach § 402 BGB ist der bisherige Gläubiger verpflichtet, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen. Die Vorschrift gibt dem neuen Gläubiger im Interesse der Verkehrsfähigkeit von Forderungen Hilfsansprüche gegen den bisherigen Gläubiger an die Hand, die dem neuen Gläubiger die erfolgreiche Durchsetzung der Forderung erleichtern sollen. Nach allgemeiner Meinung erstreckt sich die Auskunftspflicht des bisherigen Gläubigers auch auf die ihm bekannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und auf solche Tatsachen und Umstände, die erst nach der Abtretung eingetreten sind oder die ihm erst nach der Abtretung bekannt geworden sind (Staudinger/Busche, BGB, 2022, § 402 Rn. 10; MünchKomm-BGB/Kieninger, 9. Aufl., § 402 Rn. 5). Bereits die Stellung des § 402 BGB im Gesetz spricht dafür, dass es sich bei der dort normierten Auskunftspflicht um eine reine Nebenpflicht des bisherigen Gläubigers handelt, deren Verletzung allenfalls eine Schadensersatzpflicht des bisherigen Gläubigers nach sich zieht (Staudinger/Busche, aaO Rn. 4; MünchKomm-BGB/Kieninger, aaO). Hingegen handelt es sich nicht um eine allgemeine Vorschrift zur Wissenszurechnung. Aus der Nebenpflicht des Forderungsverkäufers zur Auskunftserteilung beim echten Factoring folgt damit für sich genommen keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung im Verhältnis zum Factor.
Rz. 18
(2) Auch im Übrigen fehlt es nach den vorliegenden Bedingungen des Factoringvertrags an einer die Wissenszurechnung begründenden Beauftragung oder Einbeziehung der AG in die arbeitsteilige Organisation der Beklagten. Nach Nr. 7.1 des Factoringvertrags obliegen die Mahn- und weitergehenden Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen der Beklagten. Eine Beteiligung der AG am Forderungseinzug ist gerade nicht vorgesehen. Diese ebenfalls für den echten Factoringvertrag typische Regelung (vgl. Bechtloff in Münchener Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. 6. Factoring-Vertrag, mit Anm. 42; Stumpf, BB 2021, 2056, 2059) entspricht dem Umstand, dass der Factor beim echtem Factoring Inhaber der Forderung wird, weil er die Forderung zur eigenen Durchsetzung auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ankauft. Eine Einbeziehung des Forderungsverkäufers in die arbeitsteilige Organisation des Factors oder eine Beauftragung des Forderungsverkäufers mit dem Forderungseinzug ist damit nicht verbunden (vgl. Staudinger/Schilken, 2023, § 166 BGB Rn. 21.1; Krüger, NZI 2021, 1008, 1009; Stumpf, aaO S. 2059). Der Forderungsverkäufer verkauft seine Forderungen an den Factor als (Finanz)Dienstleister, bleibt aber von diesem rechtlich und organisatorisch unabhängig. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage beim echten Factoring maßgeblich von derjenigen bei Geltendmachung einer Forderung im Wege der Beauftragung eines externen Dritten, etwa eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens, die die Forderung für den Gläubiger in dessen Interesse durchsetzen.
Rz. 19
(3) Schließlich erlauben die von der AG zur Forderungsdurchsetzung zugunsten der Beklagten vorgenommenen Handlungen im Streitfall keinen ausreichend sicheren Schluss auf eine Beauftragung oder eine arbeitsteilige Eingliederung des Forderungsverkäufers in den Forderungseinzug durch den Factor.
Rz. 20
Eine Zurechnung der Kenntnis eines Dritten als Wissensvertreter könnte zwar auch dann in Betracht kommen, wenn dieser ohne Vertretungsmacht oder ohne Auftrag gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1992 - V ZR 262/90, BGHZ 117, 104, 107 f). Eine Wissenszurechnung setzt dann aber das Bestehen konkreter Anhaltspunkte dafür voraus, dass das Tätigwerden des Dritten dem Geschäftsherrn bekannt ist und von diesem wenigstens gebilligt wird (Lange, NZI 2020, 226; aA Stumpf, BB 2021, 2056, 2061). Die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wissenszurechnung erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter des Geschäftsherrn darf nicht schlicht vermutet, sondern muss vom Tatrichter auf der Grundlage hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte festgestellt werden. Es obliegt dem Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen, dass der Factor Kenntnis von dem Tätigwerden des Forderungsverkäufers hatte und dies wenigstens gebilligt hat.
Rz. 21
Solche Umstände ergeben sich hier nicht schon daraus, dass die AG die Schuldnerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Forderung zur Zahlung bis zum 27. Mai 2015 aufforderte, hierzu Druck auf die Schuldnerin ausübte und die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9. Mai 2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28. Mai 2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist. Dass die Beklagte dieses Verhalten der AG kannte und sich zunutze machte, kann allein aus ihrer Untätigkeit bezüglich dieser Forderung nicht gefolgert werden. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, dass die AG oder andere Forderungsverkäufer sich auch bei weiteren an die Beklagte abgetretenen Forderungen entsprechend verhalten haben und die Beklagte dies duldete. Die Beklagte weist mit Recht darauf hin, dass ein derartiges Tätigwerden des Forderungsverkäufers typischerweise zugleich in dessen eigenem Interesse erfolgt. Zum einen wirkt sich eine verspätete Zahlung des Debitors auf die Höhe der vom Forderungsverkäufer an den Factor zu zahlende Vergütung aus. Diese besteht bei dem auch hier angewandten Nominalwertverfahren aus einer festen Vergütung in Höhe eines prozentualen Anteils am Nominalbetrag der Forderung für die Delkredereübernahme und aus einem Zins, der auf das jeweilige Finanzierungsvolumen berechnet wird, wobei die Zinsen von der Gutschrift oder Auszahlung des Forderungskaufpreises bis zur Zahlung des Debitors oder dem Eintritt des Delkrederefalls zu zahlen sind (vgl. Bechtloff in Münchener Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. 6. Factoring-Vertrag, Anm. 37; Hopt/Merkt/Scharff, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts-, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., IV. O. 1 Factoringvertrag, Anm. 12; Stumpf, BB 2021, 2056, 2058). Zum anderen kann das Bestehen noch zur Zahlung offener, vom Factor angekaufter Forderungen gegen einen bestimmten Schuldner den Ankauf weiterer Forderungen gegen diesen hindern, insbesondere, wenn das für den betreffenden Schuldner eingeräumte Debitorenlimit ausgeschöpft ist. Der Forderungsverkäufer hat jedoch zur Sicherung seiner eigenen Liquidität ein Interesse am fortlaufenden Forderungsankauf durch den Factor, was die fristgerechte Rückführung angekaufter Forderungen durch den Forderungsschuldner voraussetzt (Stumpf, BB 2021, 2056, 2060).
III.
Rz. 22
Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weitere Feststellungen des Berufungsgerichts zur Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sind nicht zu erwarten. Trotz Abweisung der Klage in erster Instanz mangels Zurechnung des Wissens der AG hat der Kläger in der Berufungsinstanz auch nach einem Hinweis des Berufungsgerichts keine weiteren Tatsachen vorgetragen, die für eine Einordnung der AG als Wissensvertreter der Beklagten sprechen könnten, und solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Soweit das Berufungsgericht offengelassen hat, ob die AG nach den Grundsätzen über die Duldungsvollmacht als Vertreterin der Beklagten tätig wurde, kommt es hierauf nicht an. Denn eine Duldungsvollmacht ist nur gegeben, wenn der Vertretene es - in der Regel über einen längeren Zeitraum - wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn ohne Bevollmächtigung als Vertreter auftritt (BGH, Urteil vom 21. Juni 2005 - XI ZR 88/04, WM 2005, 1520, 1522). Hierzu hat der Kläger aber keine entsprechenden Tatsachen vorgetragen. Ebenso wenig hat der Kläger behauptet, dass die Beklagte eigene Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin oder von Umständen hatte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).
Schoppmeyer |
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Lohmann |
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Schultz |
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Selbmann |
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Harms |
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Fundstellen
BB 2023, 2049 |
BB 2023, 2256 |
DB 2023, 1917 |
DStR 2023, 15 |
DStR 2023, 2233 |
NJW 2023, 9 |
NWB 2023, 2279 |
NJW-RR 2023, 1413 |
KTS 2024, 321 |
WM 2023, 1505 |
ZIP 2023, 1703 |
DZWir 2024, 273 |
JZ 2023, 546 |
NZI 2023, 827 |
NZI 2024, 158 |
NZI 2024, 19 |
ZInsO 2023, 1846 |
InsbürO 2024, 48 |
NJW-Spezial 2023, 565 |
RENOpraxis 2024, 65 |
ZRI 2023, 705 |