Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 20.07.2001) |
Tenor
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2001 werden mit der Maßgabe verworfen, daß die Angeklagten des versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig sind.
2. Die Angeklagten B und S haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Bei dem Angeklagten R wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten (R) und zu Gesamtfreiheitsstrafen von 14 Jahren (S) und 15 Jahren (B) verurteilt. Gegen das Urteil wenden sich sowohl die Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft; keine der Revisionen hat letztlich Erfolg.
I.
Die Angeklagten gehören der sogenannten Skinheadszene an, in der rechtsradikale, im wesentlichen durch Ausländerhaß und Gewaltbereitschaft geprägte Vorstellungen vertreten werden.
Am Abend des 15. Januar 2001 trafen sich die drei Beschwerdeführer mit weiteren Gesinnungsgenossen, den Nichtrevidenten H und Sch, in der Wohnung des Zeugen Z, wo sie Alkohol tranken und „rechte” Musik hörten. Im Verlaufe des Abends kam das Gespräch auf eine vermeintlich gegen eines der Gruppenmitglieder wegen Körperverletzung erstattete Strafanzeige. Als mutmaßlicher Anzeigenerstatter geriet der Nebenkläger Re in Verdacht, den alle Anwesenden aus dem nahegelegenen Wohnheim für junge ehemalige Strafgefangene kannten. H schlug vor, Re zur Rede zu stellen. Daraufhin begaben sich R und B in das Wohnheim, weckten Re auf, befahlen ihm, sie zu begleiten, weil man sich mit ihm unterhalten wolle. Nach einem vergeblichen Fluchtversuch des Zeugen erreichte man zwischen 0.00 und 0.30 Uhr die Wohnung Z. Dort versetzte H dem Zeugen einen Schlag ins Gesicht und fragte ihn, ob er die fragliche Anzeige erstattet habe. Obwohl der Zeuge dies bestritt, wurde er in den nächsten Stunden wiederholt von allen Anwesenden getreten und geschlagen, wobei H die treibende Kraft war. Infolge der Mißhandlungen erlitt … Rei Hautrötungen, Hämatome und deutliche Schwellungen im Gesicht.
In den frühen Morgenstunden äußerte H die Befürchtung, daß … Re sie wegen dieser Handlungen anzeigen könne, er müsse deshalb beseitigt werden. Alle Angeklagten stimmten zu und stellten Überlegungen an, auf welche Weise dies geschehen könne. Wiederum auf Vorschlag von H einigte man sich nach längerer Diskussion darauf, … Re zu verbrennen, weil dieser „ganz weg müsse”, um „sämtliche Beweise der Mißhandlungen zu vernichten”. In Gegenwart des verzweifelten Zeugen wurde auch noch erörtert, ob man mit Benzin einen Menschen völlig verbrennen könne und „wieviel Benzin fürs Abbrennen” erforderlich sei.
Gegen 4.30 Uhr brachte man den Zeugen zu einem abgelegenen Ort in der Nähe von Bahngleisen. Dort forderte H den Zeugen auf, sich auszuziehen, da er „dann besser brenne”. Re weinte und flehte um sein Leben, was keinen der Angeklagten beeindruckte. Auf Geheiß von H schlug R den Zeugen zu Boden und Sch goß etwa einen Liter Benzin auf den nackten Körper des Zeugen aus. Danach hielt R wieder auf Geheiß des H ein Feuerzeug an die Füße des Zeugen. Nach einigen Sekunden entzündete sich eine Flamme, die den Körper des Zeugen ergriff; Re brannte. Durch Hin- und Herwälzen auf dem Boden konnte er das Feuer nach kurzer Zeit jedoch löschen, aufstehen und davonlaufen. Als die Angeklagten, die sich bereits einige Meter vom Tatort entfernt hatten, dies bemerkten, liefen B und S auf entsprechenden Zuruf des H dem Zeugen nach. Diesem gelang es jedoch, sich zunächst zu verstecken und alsdann im Schutze der Dunkelheit eine nahegelegene Tankstelle zu erreichen, wo ein Rettungswagen verständigt wurde.
Re mußte vielfach operiert werden. Sein gesamter Oberkörper wie auch die Beine und Arme sind massiv vernarbt. Infolge der Hauttransplantationen hat er Schwierigkeiten, die Körpertemperatur entsprechend den äußeren Einflüssen zu regeln. Die geschädigten Hautpartien dürfen keiner Sonnenbestrahlung ausgesetzt werden und benötigen täglich einen hohen Pflegeaufwand. Der Zeuge wird für immer deutlich sichtbare Kennzeichen der erlittenen schweren Brandverletzungen behalten, die geeignet sind, auch auf sein seelisches Wohlbefinden dauerhaft einzuwirken. Infolge der verbleibenden Schäden werden seine Berufsmöglichkeiten künftig eingeschränkt bleiben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Das Urteil weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer auf.
Die vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben im Ergebnis ebenfalls ohne Erfolg.
1. Allerdings rügt die Staatsanwaltschaft hinsichtlich aller Angeklagten zu Recht, daß die Strafkammer das Inbrandsetzen des Zeugen als versuchten Mord in Tateinheit mit (nur) schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bewertet, den qualifizierten Fall der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 2 StGB aber nicht geprüft hat.
Der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 StGB ist unter anderem dann verwirklicht, wenn der Täter eine der in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten Folgen wissentlich verursacht. Das Landgericht hat hierzu festgestellt, daß Re sein Leben lang sichtbare Kennzeichen der durch die Tat verursachten schweren Brandverletzungen an Oberkörper, Armen und Beinen behalten wird und hat deshalb das Vorliegen des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht.
Wissentliches Handeln im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB bedeutet, daß der Täter die schwere Folge als sicheres Resultat seiner Handlungen voraussieht (Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 226 Rdn. 19 m. w. N.). Dazu bedarf es entsprechender Feststellungen zur inneren Tatseite, die das Landgericht ausdrücklich allerdings nicht getroffen hat. Sie lassen sich dem angefochtenen Urteil aber ohne weiteres entnehmen: Die Angeklagten hatten sich nach längeren Überlegungen dazu entschlossen, den Zeugen „ganz” zu verbrennen, um sämtliche Spuren der Mißhandlungen zu vernichten. Entsprechend diesem Tatplan haben sie den nackten Körper ihres Opfers mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt. Daß ein solches massives Vorgehen die Hautoberfläche ganz oder teilweise zerstört, im Falle des Todes bis zur Unkenntlichkeit des Leichnams führen kann und im Falle des Überlebens dauerhaft entstellende Vernarbungen hinterläßt, liegt auf der Hand. Dessen waren sich die Angeklagten gerade aufgrund ihrer vorausgegangenen Diskussion durchaus bewußt.
Der Annahme des § 226 Abs. 2 StGB steht auch nicht entgegen, daß die Angeklagten mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt haben (BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Folge 1). Denn zur Tatbestandserfüllung reicht es aus, daß der Täter – alternativ zur beabsichtigten Tötung – die schwere Folge als sichere Auswirkung seiner Handlung voraussieht (BGHR StGB aaO), er – wie hier – die schwere Folge durch die gewählte Art und Weise der Tötung als notwendiges Durchgangsziel erkennt. Dementsprechend hat der Senat den Schuldspruch geändert.
2. Der festgestellte Rechtsfehler hat sich jedoch nicht auf die jeweiligen Rechtsfolgenaussprüche ausgewirkt. Der Senat schließt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft aus, daß der Tatrichter bei Berücksichtigung der Qualifikation bei den Angeklagten B und S die für den versuchten Mord gewährte Strafrahmenverschiebung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB und eine entsprechende Milderung der Jugendstrafe bei dem Angeklagten R nicht vorgenommen hätte.
Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12 m. w. N.). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände ist namentlich dann geboten, wenn – wie hier bei B und S – nur die versuchsbedingte Milderung zeitige Freiheitsstrafe ermöglicht (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8).
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Versuchsmilderung gerecht.
Die Strafkammer hat die wesentlichen straferschwerenden Gesichtspunkte, die für eine Versagung der Versuchsmilderung sprechen können, gesehen und gewertet. Sie hat die hohe Gefährlichkeit der Versuchshandlung, die unmittelbare Nähe zur Tatvollendung, die Verwirklichung zweier Mordmerkmale und die tateinheitliche Begehung einer schweren Körperverletzung und damit die dauernde Entstellung des Zeugen und die hiermit für diesen verbundenen Einschränkungen ersichtlich berücksichtigt. Die Strafkammer hat schließlich auch die von den Angeklagten aufgewendete kriminelle Energie und ihre jeweiligen Tatbeiträge im einzelnen gewichtet, dabei aber zugunsten aller Angeklagten einschränkend bedacht, daß die treibende Kraft H war, da er den Anstoß zur Tötung des Zeugen gegeben und die entscheidenden Anweisungen und Befehle erteilt habe. Insbesondere dieser Gesichtspunkt im Zusammenwirken mit weiteren schuldmindernden Umständen, wie etwa die bei allen Angeklagten gegebene alkoholische Enthemmung, die gruppendynamische Entwicklung des Tatgeschehens, die Geständnisse oder zumindest teilgeständigen Angaben und letztlich auch das Alter der Angeklagten (17, 23, 29 Jahre) haben das Landgericht bewogen, bei B und S die Strafrahmenverschiebung und bei R eine entsprechende Milderung der Jugendstrafe vorzunehmen.
Wenngleich der qualifizierte Fall der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 2 StGB mit einem Strafrahmen von drei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe einen höheren Unrechtsgehalt aufweist als die „einfache” schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 StGB (Strafrahmen: ein Jahr bis zehn Jahre), ist angesichts der dargelegten umfassenden tatrichterlichen Erwägungen, die auch dem außergewöhnlich brutalen Vorgehen der Täter und den schweren Folgen für das Opfer Rechnung tragen, auszuschließen, daß bei Annahme des Qualifikationstatbestandes die Versuchsmilderung unterblieben wäre. Dies gilt umso mehr, als die Strafkammer insbesondere bei B und S, die ohne die Strafrahmenverschiebung zu lebenslangen Freiheitsstrafen hätten verurteilt werden müssen, ausdrücklich hervorhebt, daß die für den versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung verhängten Einsatzstrafen von 14 Jahren und sechs Monaten (B) und 13 Jahren und sechs Monaten (S) ganz erheblich seien, daß aber nur derart hohe Strafen auf die Angeklagten angemessen einwirken könnten.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2560005 |
JA 2003, 105 |
NStZ-RR 2007, 69 |