Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Schadensersatzrechtsschutz § 4 ARB 94. Eintritt des schadensverursachenden Ereignisses. Hinreichend wahrscheinliche Schadensverursachung
Leitsatz (amtlich)
Als ein Ereignis im Sinne von § 4 (1) a) ARB 94 kommen nur Ursachen in Betracht, die von dem in Anspruch genommenen Haftpflichtigen zurechenbar gesetzt worden sind und den Eintritt eines Schadens hinreichend wahrscheinlich gemacht haben.
Normenkette
AVB für Rechtsschutzversicherung § 4 1a (ARB 94)
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. September 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Versicherungsschutz aufgrund eines am 1. April 1999 abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages, dem die ARB 94 (vgl. VerBAV 1994, 97) zugrunde liegen. Danach war u.a. Schadensersatz-Rechtsschutz für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vereinbart, soweit diese nicht auf einer Vertragsverletzung oder einer Verletzung eines dinglichen Rechtes an Grundstücken, Gebäuden oder Gebäudeteilen beruhen (§ 2 a ARB 94). Die Parteien streiten über die Auslegung von § 4 (1) a) ARB 94; die Bestimmung lautet:
„(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles
- im Schadensersatz-Rechtsschutz gemäß § 2 a) von dem ersten Ereignis an, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll; …
Die Voraussetzungen nach a) bis c) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gemäß § 7 und vor dessen Beendigung eingetreten sein. …”
In der Sendung „R.” vom 13. Dezember 1999 berichtete der S. über den Geflügelzuchtbetrieb und die Geflügelschlachterei der Klägerin. Dabei wurden die Art der Tierhaltung, die von dem Betrieb ausgehenden Emissionen und die schon seit Jahren gegen ihn gerichteten Demonstrationen von Anwohnern und Tierschützern dargestellt. Die Berichterstattung bezog mithin auch Ereignisse aus der Zeit vor Abschluß des Versicherungsvertrages am 1. April 1999 ein. Wegen falscher geschäftsschädigender Äußerungen verlangt die Klägerin mit einer Klage beim Landgericht Mainz Schadensersatz vom S.. Die Beklagte hat eine Deckungszusage verweigert, weil ein vorvertraglicher Versicherungsfall vorliege.
Das Landgericht hat die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, für die Schadensersatzklage Versicherungsschutz zu gewähren. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision war zurückzuweisen, weil die Vorinstanzen jedenfalls im Ergebnis der Klage mit Recht stattgegeben haben.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist § 4 (1) a) ARB 94 zu weit gefaßt. Nach dem Wortlaut sei Vorvertraglichkeit anzunehmen, wenn für den Schaden auch nur ein entferntes, vor Vertragsschluß liegendes Ereignis mitursächlich geworden sei, selbst wenn diese Ursache nicht von dem in Anspruch genommenen Haftpflichtigen gesetzt worden sei. Es sei aber absurd anzunehmen, daß kein Rechtsschutz für einen Verkehrsunfall gewährt werden solle, der sich nach Vertragsschluß zugetragen habe, aber darauf zurückzuführen sei, daß die Bremsen wegen eines schon vor Abschluß des Versicherungsvertrages vorhandenen Produktionsfehlers versagt hätten. Ein sinnvolles Ergebnis könne im vorliegenden Fall nur durch eine gesetzesähnliche Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gewonnen werden. Nach § 14 (1) ARB 75 habe bei Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen als Versicherungsfall der Eintritt des dem Anspruch zugrunde liegenden Schadensereignisses gegolten. Um zu vermeiden, daß ein Versicherungsnehmer, der einen Schadensfall schon mehr oder weniger voraussehe, noch Rechtsschutz dafür erlangen könne, sei die Neuregelung in § 4 (1) a) ARB 94 getroffen worden. Aus dieser Entstehungsgeschichte folge, daß vom Versicherungsschutz nur Fälle hätten ausgenommen werden sollen, in denen der Haftungstatbestand von einer bestimmten, später vom Versicherungsnehmer in Anspruch genommenen Person bereits vor Abschluß des Versicherungsvertrages verwirklicht worden sei und nur die konkreten Auswirkungen des Haftungstatbestandes erst nach Vertragsschluß eingetreten seien. Dagegen erfordere der Zweck des § 4 (1) a) ARB 94 nicht, Versicherungsschutz auch in Fällen zu versagen, in denen ein vor Vertragsschluß liegendes Verhalten dritter Personen mitursächlich geworden sei, die außerhalb des Haftpflichtverhältnisses stünden, für das Rechtsschutz begehrt werde. Außerhalb des Schadensersatz-Rechtsschutzes komme es gemäß § 4 (1) c) ARB 94 darauf an, ob der Pflichtverstoß des Versicherungsnehmers oder eines anderen vor oder nach Abschluß des Rechtsschutzversicherungsvertrages liege. Damit führe auch die systematische Auslegung zu dem Ergebnis, daß es auf die Beteiligten des Haftpflichtanspruchs ankomme, für den Rechtsschutz begehrt werde. Eine andere Auslegung gerate auch in Widerspruch zu der zwingenden gesetzlichen Regelung der §§ 16 ff., 34 a VVG.
Mithin komme es im vorliegenden Fall nicht auf die schon vor Vertragsschluß laut gewordene Kritik an dem Unternehmen der Klägerin und das Verhalten von Demonstranten an, sondern allein auf die Sendung „R.” vom 13. Dezember 1999. Diese Sendung sei aufgrund der Ereignisse vor Vertragsschluß nicht schon mit Sicherheit zu erwarten gewesen.
2. a) Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht – wie es nicht verkannt hat – mit dieser Begründung von der ständigen Rechtsprechung des Senats abweicht, daß Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83, 85). Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung hat die Entstehungsgeschichte der Bedingungen, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, außer Betracht zu bleiben, auch wenn ihre Berücksichtigung zu einem dem Versicherungsnehmer günstigen Ergebnis führen könnte; dies gilt auch bei Risikoausschlußklauseln, die grundsätzlich eng und nicht weiter auszulegen sind, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (Senat, Urteil vom 17. Mai 2000 – IV ZR 113/99 – VersR 2000, 1090 unter 2 a, b und c m.krit. Anm. Lorenz). Ohne Bedeutung für die Auslegung bleiben auch Gesichtspunkte, die etwa aus der Systematik der §§ 16 ff. VVG abgeleitet werden können, weil sie sich dem Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei Durchsicht und Würdigung der Versicherungsbedingungen nicht erschließen (Senat, Urteil vom 21. Februar 2001 – IV ZR 259/99 – VersR 2001, 489 unter 2). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch im vorliegenden Fall fest.
b) Der Senat kann die streitige Klausel selbst auslegen (BGHZ 112, 204, 210; Urteil vom 18. Dezember 1995 – II ZR 193/94 – NJW-RR 1996, 537 unter II 1).
aa) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus. Danach muß schon das erste Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll, nach Beginn des Versicherungsschutzes und vor dessen Beendigung eingetreten sein. Mithin kommen schon vor Abschluß des Versicherungsvertrages durchgeführte Protestaktionen gegen den Betrieb der Klägerin, ja sogar der Betrieb der Klägerin selbst als erste Ereignisse im Sinne der Klausel in Betracht. Die streitige Klausel setzt dagegen nicht voraus, daß ein Fortsetzungszusammenhang zwischen der ersten Ursache und dem Schadenseintritt bestehen müsse oder daß der Schaden erst nach Vertragsschluß vorhersehbar geworden sei; sie verlangt nach ihrem Wortlaut nicht einmal, daß das erste Kausalereignis von dem Haftpflichtigen gesetzt worden ist, der auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden soll. Damit nimmt die Klausel in außerordentlich weitem Umfang, der auch durch das Erfordernis der Adäquanz des Kausalzusammenhangs nicht wesentlich eingeschränkt wird, Schäden von der Versicherbarkeit in der Rechtsschutzversicherung aus (Prölss in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl. § 4 ARB 94 Rdn. 2; Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl., § 4 ARB 94 Rdn. 3).
Bei diesem ersten Ergebnis einer Auslegung der Klausel nach ihrem Wortlaut wird es der verständige Versicherungsnehmer nicht bewenden lassen. Er wird es vielmehr für ausgeschlossen halten, keinen Schadensersatz-Rechtsschutz zu bekommen, wenn einzelne Umstände schon vor Abschluß des Versicherungsvertrages vorgelegen haben, durch die er später zum Opfer eines Angriffs geworden ist. Es muß ihm geradezu absurd erscheinen, daß Rechtsschutz für Schadensersatzansprüche etwa aus Anlaß eines Einbruchs oder Raubüberfalles nach Vertragsschluß nicht gewährt werden solle, nur weil die Wertgegenstände, auf die es der Täter abgesehen hatte und die deshalb für den Schaden mitursächlich geworden sind, dem Versicherungsnehmer schon vor Vertragsschluß gehörten. Auch das vom Berufungsgericht angeführte Beispiel eines Schadensersatzanspruchs aus Anlaß eines Verkehrsunfalls, für den ein Produktionsfehler des gegnerischen Fahrzeugs mitursächlich geworden ist, belegt, daß eine solche am Wortlaut haftende Auslegung abwegig ist.
bb) Dem Versicherungsnehmer wird sich daher die Frage nach dem Sinn der Klausel aufdrängen. Ausgehend von der in § 4 (1) a) ARB 94 ausdrücklich zitierten Bestimmung des § 2 a ARB 94 wird er sich vergegenwärtigen, daß die auszulegende Klausel den Rechtsschutz für das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen betrifft.
(1) Unter diesem Blickwinkel wird der Versicherungsnehmer als für den Beginn des Versicherungsschutzes maßgebende erste Ereignisse nur solche Ursachen verstehen, die der Schadensersatzpflichtige, gegen den er Ansprüche erhebt, zurechenbar gesetzt hat. Folgerichtig wird er die in den Bedingungen vorgesehene Einschränkung auf Ursachen, die nach Beginn und vor Beendigung des Versicherungsschutzes eingetreten sind, nicht auf Ursachen beziehen, die etwa von ihm selbst oder von außerhalb des Haftpflichtverhältnisses stehenden Dritten stammen (vgl. Prölss aaO Rdn. 3).
(2) Der Versicherungsnehmer entnimmt mithin dem Sinnzusammenhang, daß in § 4 (1) a) ARB 94 nicht schlechthin von jedem den Schaden mitverursachenden Ereignis die Rede ist. Da der Schadensersatz-Rechtsschutz erst im Hinblick auf den Eintritt eines Schadens überhaupt sinnvoll ist, wird der Versicherungsnehmer unter einer ersten Ursache im Sinne dieser Regelung nicht schon jeden Umstand verstehen, der den Eintritt eines Schadens vorbereiten kann, mag er auch eine dafür notwendige Bedingung darstellen. Er wird allenfalls solche, vom Haftpflichtigen zurechenbar gesetzte Ursachen für Erstereignisse im Sinne der Klausel halten, die den Eintritt jedenfalls irgendeines Schadens nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich machen.
c) Danach ist im vorliegenden Fall Schadensersatz-Rechtsschutz schon deshalb zu gewähren, weil der S. als der von der Klägerin auf Schadensersatz in Anspruch genommene Haftpflichtige vor Vertragsschluß noch keinerlei Ursache für den geltend gemachten Schaden gesetzt hatte.
Unterschriften
Seiffert, Dr. Schlichting, Ambrosius, Wendt, Felsch
Fundstellen
Haufe-Index 884936 |
NJW 2003, 139 |
BGHR 2003, 9 |
EWiR 2003, 3 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2002, 1434 |
VersR 2002, 1503 |
ZfS 2003, 92 |
PVR 2003, 91 |
RdW 2003, 47 |
KammerForum 2003, 70 |