Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und ihrer Streithelferin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 4. Oktober 2000 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger machen gegenüber der Beklagten Mietansprüche aufgrund einer begehrten Mieterhöhung geltend.
Mit Vertrag vom 1. September 1992 vermieteten die Rechtvorgänger der Kläger ein Gewerbeobjekt an die Beklagte, die es ihrerseits an die Streithelferin untervermietete. § 5 des Mietvertrages lautet:
- „Steigt oder fällt der Lebenshaltungskostenindex für einen 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushalt mit mittlerem Einkommen, festgestellt vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, auf der Basis 1985 = 100 gegenüber dem Stand bei Vertragsbeginn oder nach der letzten Neufestsetzung, um jeweils mehr als 12 Punkte, so wird der Mietzins mit Wirkung ab Beginn des folgenden Jahres entsprechend prozentual angepaßt. Frühestens jedoch ab Beginn des vierten Vertragsjahres.
- …
- Sollte die Anwendung des Lebenshaltungskostenindex eines 4-Personenhaushaltes im Vergleich mit dem Index für gewerbliche Mieten die Mieterin oder den Vermieter benachteiligen, dann sind Vermieterin und Mieterin bei der Neufestsetzung des Mietpreises gehalten, sich an der Entwicklung des Mietpreises für örtliche vergleichbare gewerblich genutzte Grundstücke zu orientieren.”
Die Landeszentralbank hat die Klausel genehmigt.
Mit Schreiben vom 22. August 1997 beriefen sich die Kläger auf eine Steigerung der Lebenshaltungskosten um 13,065 Punkte und verlangten unter Berufung auf § 5 Abs. 1 des Mietvertrages ab 1. Januar 1998 eine Erhöhung der bisherigen Miete von 106.927 DM auf 117.993,94 DM (einschließlich MWSt). Die Beklagte bestätigte die Steigerung des Indexes, widersprach aber dem Erhöhungsverlangen mit der Begründung, daß die gewerblichen Mieten sich ermäßigt hätten. Für Januar 1998 zahlte sie die bisherige Miete.
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung der Differenz in Höhe von 11.066,94 DM abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger, die die Klage auf 132.803,28 DM erweiterten (Differenzbetrag für Januar bis Dezember 1998), hat das Oberlandesgericht die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Dagegen wenden sich die Beklagte und ihre Streithelferin mit ihrer Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten und ihrer Streithelferin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die ursprünglich vereinbarte Miete von monatlich 106.927 DM habe sich gemäß § 5 Abs. 1 des Mietvertrages um 11.066,94 DM ab Januar 1998 erhöht. Nach dieser Bestimmung erfolge die Anpassung automatisch. Eine Anpassung nach § 5 Abs. 1 finde nur dann nicht statt, wenn eine „Benachteiligung” im Sinne von § 5 Abs. 3 1. Halbs. vorliege. Dies sei der Fall, wenn sich bundesweit die Mieten für alle gewerblichen Objekte anders entwickelten als der allgemeine Lebenshaltungskostenindex. Da im Vertrag als Ausgangsgröße für die Beurteilung der Benachteiligung dem (bundesweiten) Lebenshaltungskostenindex ein „Index für gewerbliche Mieten” gegenübergestellt werde, müsse dementsprechend auch die Benachteiligung auf der Basis der bundesweiten Entwicklung der Mieten für alle gewerblichen Objekte beurteilt werden. Hätten die Mietvertragsparteien dies anders gesehen, so hätten sie nicht in § 5 Abs. 3 einerseits auf den „Index für gewerbliche Mieten” und andererseits auf die „Entwicklung des Mietpreises für örtliche vergleichbare gewerblich genutzte Grundstücke” abgestellt. Voraussetzung für eine vom Lebenshaltungskostenindex abweichende Mietanpassung sei, daß ein Vergleich des Lebenshaltungskostenindexes mit dem Index für gewerbliche Mieten eine Benachteiligung für eine Partei ergebe. Die dann erforderliche Anpassung der Miete müsse gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen erfolgen. Erst bei dieser Anpassung und nicht bereits bei der Feststellung der „Benachteiligung” sei die Entwicklung der Mieten für örtlich vergleichbare gewerblich genutzte Grundstücke zu berücksichtigen. Die Prüfungsreihenfolge ergebe sich zwanglos aus der Regelung des § 5 Abs. 3 des Mietvertrages.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, daß § 5 Abs. 1 und § 5 Abs. 3 des Mietvertrages in einem Regel-Ausnahmeverhältnis stehen. Auch die Auslegung, daß die Erhöhung der Miete bei der in § 5 Abs. 1 vorgesehenen Steigerung des allgemeinen Lebenshaltungskostenindexes automatisch eintreten und eine Verhandlung über die Miete nur dann erfolgen sollte, falls der Index für die gewerblichen Mieten sich davon abweichend entwickelt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht geht ferner davon aus, daß es nach § 5 Abs. 3 Sache der benachteiligten Partei ist, eine Abweichung des Mietindexes vom Lebenshaltungskostenindex nachzuweisen und erst, wenn dieser Nachweis gelingt, Verhandlungen über die neu festzusetzende Miete erfolgen sollen, wobei dann die Entwicklung der Mieten für örtlich vergleichbare gewerblich genutzte Grundstücke maßgebend sein soll. Auch insofern ist die Auslegung nicht zu beanstanden.
b) Weiter legt das Berufungsgericht die Klausel so aus, daß bei dem „Index für gewerbliche Mieten” im Sinne des § 5 Abs. 3 1. Halbs. auf einen bundesweiten Index abzustellen sei, weil der Lebenshaltungskostenindex ebenfalls als bundesweiter erstellt werde. Dagegen bestehen durchgreifende Bedenken.
Die tatrichterliche Auslegung eines Individualvertrages ist revisionsrechtlich zwar nur darauf überprüfbar, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (BGHZ 135, 269, 273). Ein solcher Fehler liegt hier jedoch vor. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung verstößt gegen das Gebot einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung (vgl. BGHZ 115, 1, 5; 131, 136, 138).
aa) Bereits nach dem Wortlaut ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß mit dem Index für gewerbliche Mieten ein bundesweiter Index gemeint sein sollte, zumal ein solcher nicht existiert. Die Formulierung „Index für gewerbliche Mieten” steht in engem räumlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausdruck „Mietpreis für örtliche gewerbliche Grundstücke” desselben Satzes. Es liegt nahe, daß die Parteien, wenn sie auf einen Bundesindex hätten abstellen wollen, dies zum Ausdruck gebracht hätten. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, warum die Parteien auf einen bundesweiten Index abstellen wollten. Da ein solcher unstreitig nicht existiert, müßte eine Partei, die sich auf ein Abweichen des Mietindexes vom Lebenshaltungskostenindex berufen will, den (nicht vorhandenen) bundesweiten Index selbst ermitteln. Dies könnte nur mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand durch einen Sachverständigen erfolgen. Es ist fernliegend, daß die Parteien dies gewollt haben.
bb) Dies gilt um so mehr, als ein bundesweiter Index für die Parteien keinen relevanten Maßstab für die Festsetzung einer angemessenen Miete in Köln darstellt. Die Entwicklung auf dem gewerblichen Mietmarkt ist zu unterschiedlich, als daß ein bundesweiter Index ein geeigneter Maßstab für ein bestimmtes Objekt sein könnte. Nicht zuletzt wegen des nicht unerheblichen Gefälles des Mietniveaus im Beitrittsgebiet im Vergleich zu demjenigen der alten Bundesländer würde ein bundesweiter Index zu einer starken Nivellierung führen, die die tatsächlichen Verhältnisse verfälschen würde. Lägen die Mieten im Raum Köln unter dem Bundesdurchschnitt, widerspräche es den Interessen der Mieterin, wenn sie eine am Bundesdurchschnitt orientierte Miete bezahlen müßte. Lägen die Mieten über dem Bundesdurchschnitt, bestünde für die Vermieter kein Grund, sich am (niedrigeren) Bundesdurchschnitt auszurichten. Deshalb lag es im Interesse beider Parteien, sich am örtlichen Mietniveau zu orientieren und ihm bei der Frage der Mietzinsanpassung den Vorrang vor dem allgemeinen Lebenshaltungskostenindex einzuräumen.
cc) Dafür spricht insbesondere auch, daß nach der ausdrücklichen Regelung in § 5 Abs. 3 2. Halbs. des Mietvertrages bei Abweichung des „Index für gewerbliche Mieten” vom Lebenshaltungskostenindex sich die Parteien bei der Neufestsetzung nicht an dem „Index für gewerbliche Mieten” orientieren sollen, sondern an der Entwicklung der Mieten für „örtlich vergleichbare gewerbliche Grundstücke”. Dies bedeutet, daß der „Index der gewerblichen Mieten” für die Höhe der Miete ohne Bedeutung ist. Daß er – in der Form eines bundesweiten Mietindexes – lediglich als Hilfsgröße ermittelt wird, um prüfen zu können, ob eine nachteilige Abweichung vom Lebenshaltungskostenindex vorliegt, und um sodann eine Mietanpassung an das örtliche Mietniveau vorzunehmen, macht keinen Sinn.
Das Abstellen auf einen bundesweiten Index könnte im Einzelfall auch zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Läge nämlich der bundesweite Anstieg der Mieten unter dem des Lebenshaltungskostenindexes, so müßte auf Wunsch des Mieters über eine Herabsetzung der Miete auch dann verhandelt werden, wenn die örtlichen Mieten stärker als der Lebenshaltungskostenindex gestiegen wären. Andererseits bestünde kein Raum für Verhandlungen, wenn die örtlichen Mieten gefallen, die bundesweiten Mieten aber nicht hinter dem Lebenshaltungskostenindex zurückgeblieben wären. Das zeigt, daß es weder im Interesse der einen noch der anderen Partei liegen konnte, in § 5 Abs. 3 1. Halbsatz einen Vergleich des Lebenshaltungskostenindexes mit einem bundesweiten Mietindex heranzuziehen.
3. Der Senat kann die gebotene Auslegung selbst vornehmen, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten und auch nicht erforderlich sind (vgl. BGHZ 121, 284, 289). Nach Auffassung des Senats ist als „Index für gewerbliche Mieten” im Sinne des § 5 Abs. 3 des Mietvertrages nicht ein bundesweiter, sondern ein örtlicher Maßstab heranzuziehen. Allein dieses Verständnis entspricht den beiderseitigen Interessen der Parteien. Im übrigen haben auch die Parteien selbst übereinstimmend den Vertrag in diesem Sinne ausgelegt, bevor das Berufungsgericht seine davon abweichende Auffassung kundgetan hat.
4. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu befinden. Das Oberlandesgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen zur Entwicklung des Mietniveaus für örtlich vergleichbare gewerblich genutzte Grundstücke getroffen, das nach den obigen Ausführungen für eine eventuelle Mietanpassung maßgeblich wäre. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Unterschriften
Hahne, Gerber, Weber-Monecke, Fuchs, Ahlt
Fundstellen
NJW 2003, 1249 |
NJW-RR 2003, 227 |
NZM 2003, 107 |
ZfIR 2003, 84 |
IWR 2003, 65 |